- 2.8 - Blut
"Cornelia, hast du kurz Zeit?" Als sie sich umdrehte, erblickte sie das freundliche Lächeln von Liam. "Es geht um das Programm", erklärte er kurz darauf. Conny nickte kurz angebunden.
Nachdem die beiden schweigend nebeneinander durch die Schule gelaufen waren, kamen sie zu einem ruhigen Raum, in dem Liam begann zu erklären, was als nächstes passieren würde.
"Ich freue mich, dir mitteilen zu können, dass du für die nächste Runde ausgewählt wurdest. Deine Testergebnisse sind mehr als erfreulich."
Sie hatte es in die nächste Runde des Programms geschafft? Sie konnte ihre Freude kaum unterdrücken, dennoch versuchte sie sich vor dem Ausgesandten zu zügeln.
"Das freut mich", nein, sie war stolz, dass sie dafür in Betracht gezogen wurde.
"Ich muss jedoch für die nächste Stufe einen Bluttest von dir machen, um die Eignung für bestimmte Einrichtungen erstellen zu können."
Conny musste schlucken. Wie sie diese Tests hasste.
"Wofür sind die Werte wichtig?", Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie bemühte sich sehr, dass Liam sie nicht zu sehen bekam.
Liam schaute sanft auf sie herab, so als ob sie sich keine Sorgen machen müsste. Sie fühlte sich dadurch aus irgendeinem Grund ein bisschen besser.
"Es ist wichtig herauszufinden, ob sich Kräfte verstärkt haben und wie gefährlich sie werden können."
Etwas vorsichtiger fügte er hinzu: "Du bist doch eine Begabte, oder?"
Da war es wieder, dieses Wort. Begabte. Dieses eine Wort hat ihr noch nie Glück gebracht und schränkte ihr Leben ein, auch wenn es immer so schön hieß, dass es Gleichberechtigung zwischen den Begabten und Zivilisten gab.
Conny nickte. Sie konnte ihn nicht anschauen, nicht jetzt, wo ihr gleich die Niagarafälle in Form von Tränen über das Gesicht laufen würden.
"Keine Sorge, jeder muss den Test irgendwann erneut machen und nur ich werde die Werte sehen, okay? Dafür werde ich sorgen. Ist das in Ordnung?"
Conny hielt schniefend inne und bevor sie es sich anders überlegen konnte, stimmte sie zu. Sie wusste nicht warum, aber sie vertraute dem Dunkelhaarigen irgendwie. Er machte auf sie einen ruhigen und sympathischen Eindruck.
"Wollen wir beginnen?"
Erst jetzt realisierte sie die im Raum verteilten Geräte, welche sie bereits bei ihrer Einschulung gesehen hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, damit jetzt erneut konfrontiert zu werden. Etwas nervös setzte sie sich auf den bereitstehenden Stuhl und versuchte sich etwas zu entspannen, was nicht sonderlich gut funktionierte. Liam desinfizierte Connys zitternden Unterarm, während er sie vorsichtig betrachtete. Es war fast so, als würde er ihr Gesicht analysieren wollen. Langsam wich sie dem Blick aus und ihre Aufmerksamkeit fiel auf Reagenzgläser, welche mit Blut gefüllt waren. Alle Farbe wich ihr aus dem Gesicht. Blut.
„Cornelia, alles in Ordnung?", Liam stellte sich vor die Reagenzgläser und versperrte ihr die Sicht auf diese.
Conny schüttelte etwas benommen den Kopf. Sie musste gerade wirklich mit sich kämpfen, um nicht zu kollabieren.
„Blut... ich kann es nicht sehen." Um sie begann sich alles zu drehen. Er nickte vorsichtig, bewegte sich dann aus Connys Sichtfeld und kam mit Schokolade wieder, die er ihr reichte. Langsam begann sie zu essen. Währenddessen räumte Liam die mit Blut gefüllten Reagenzgläser in eine kleine Box, sodass Conny sie nicht mehr sehen musste. Dankbar lächelte sie ihn an.
Nachdem sich ihr Kreislauf wieder etwas beruhigt hatte, versuchten sie einen neuen Anlauf. Liam bat Conny wegzuschauen und sie spürte zunächst nur die kalte Flüssigkeit des Desinfektionsmittels, welches ihren Arm herunterlief. Sie begann schon wieder zu zittern.
"Miss Miracle, ich werde ihnen erst einmal Blut abnehmen." Er musste bemerkt haben, dass sie sich schon wieder emotional nicht mehr im Griff hatte und versuchte sie abzulenken, während die Nadel beim Einstich leicht pikste. Danach reichte er ihr ein Glas Limo.
Mit einer Pipette träufelte er einige Tropfen von Connys Blut auf eine der nebenstehenden Petrischalen und steckte diese in ein seltsames Gerät, welches immer für solche Test verwendet wurde.
Schon zu ihrer Einschulung und sogar zur Geburt wurde pflichtgemäß ein Bluttest durchgeführt, um herauszufinden, ob die Kinder das Begabtengen in sich trugen und wie stark die Kräfte ausgeprägt waren. Diese Werte wurden daraufhin in einen Pass eingetragen, die jede*r Bürger*in zu jeder Zeit bei sich tragen musste. Wenn es zu einer Straftat kam, konnte sofort festgestellt werden, ob und was die Person als Fähigkeit besaß und zu was sie ungefähr fähig war. Genmarker kennzeichneten grundsätzlich die Begabten, dennoch gab es Menschen, die diese besaßen, aber dennoch Zivilisten waren, da sich bei ihnen keine Fähigkeiten ausgeprägt hatten. Neben dem Bluttest wurde daher auch ein Gehirnsynapsentest an den mit Genmarkern gezeichneten Personen durchgeführt, um die Reichweite ihrer Fähigkeiten ausfindig zu machen. Conny hatte schon von zu starken Fähigkeiten gehört, die mithilfe von Zivilisten-Bluttransfusionen abgeschwächt wurden. Es wurde jedoch gewarnt, dass Zivilisten keine Begabtenblut-Infusionen erhalten sollten, da es in diesen Fällen schon zum Tode geführt hatte oder sich schwere Behinderungen herausgebildet hatten.
Bei Conny wurde immer etwas anderes festgestellt in den unterschiedlichen Tests. Es gab immer Schwierigkeiten mit der Kategorisierung ihrer Kräfte in bloß ein bestimmtes Gebiet. Deswegen wurde sie bis jetzt immer im Gehirnsynapsentest erneut auf ungewöhnliche oder starke Fähigkeiten überprüft, doch dort war nie etwas Signifikantes festzustellen.
Sie war eine Tierlinguistin, das wusste sie schon in einem sehr frühen Alter, daher konnte sie sich ein Leben ohne diese Fähigkeit nicht vorstellen. Leon, ihr Chamäleon, war ihr seit einigen Jahren ein treuer Begleiter und es machte sie durchaus glücklich, sich mit Tieren unterhalten zu können.
In der Schule wusste niemand außer ihren Freunden, dass sie eine Begabte war. Es war bei einigen mehr oder weniger ersichtlich, ob sie Kräfte hatten oder nicht. Eigentlich war es auch nicht wichtig, aber die Regierung machte mit der Zeit eine Verschwörung aus den Begabten. Es störte Conny, dass manche dadurch ein schwierigeres Leben erhielten, je nachdem, inwieweit ihre Fähigkeiten offensichtlich oder stark waren. Viele mächtige Begabte rebellierten auch gegen die Regierung, jedoch wurden sie in ihre Schranken gewiesen durch langjährige Gefangenschaften und Strafen. So wie Conny erst kürzlich gelernt hatte, dass es die Markierten wirklich gab, und je länger sie dies wusste, wurde es ihr immer ersichtlicher, dass sie unter ihnen existierten. Auf den Straßen Cardiffs begegnete ihr durchaus ab und an jemand mit Markierungen. Häufig waren sie trotzdem nicht anzutreffen.
Liam riss sie wieder aus ihren Gedanken.
"Cornelia, dein Testergebnis ist interessant ausgefallen. Die Blutwerte sind ungewöhnlich." Er betrachtete sie einen kurzen Augenblick. "Es scheint, als hättest du einen zusätzlichen Wert, welcher sich vermutlich auf deine Kräfte beziehen könnte."
Schockiert sah sie zwischen ihm und ihrem Ergebnis hin und her.
Na toll. Das hatte ihr wirklich gefehlt. Ein zusätzlicher Blutwert.
Liam legte vorsichtig seine Hand auf ihre Schulter.
"Ich melde mich morgen, wenn ich genaueres weiß. Du kannst gehen."
Sie verschwand aus dem Zimmer und traf auf Scofield, der an die Wand gelehnt neben der Tür wartete. Er war in seinen Gedanken versunken und schien über etwas zu grübeln. Als Conny ihn einen Augenblick beobachtete, hob er leicht seinen Kopf und nickte ihr zur Begrüßung zu, bevor Liam ebenfalls aus dem Raum trat und ihn zur Seite zog.
Mit einem prüfenden Blick auf die Uhr stellte sie erschrocken fest, dass sie zu spät nach Hause kam. Ihre Eltern warteten bestimmt schon auf sie.
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