- 2.7 - Die Vision
Die Gerüchteküche brodelte in der Schule. Immer wenn Conny und Luna durch die Korridore liefen, wurden sie von allen Seiten neugierig beäugt. Das war ihnen sichtlich unangenehm. Luna durfte mittlerweile wieder laufen, doch sie wurde noch immer von der Regierung überwacht. Es wurde schnell bekannt, dass Scofield derjenige war, der diese Aufgabe übernommen hatte, und genauso schnell wurden daraus etliche Gerüchte, von der 'Tatsache', dass Luna mit Scofield schlafen würde, um an das Stipendium zu kommen, bis hin zu einer abstrakten Verschwörung, war alles dabei. Luna interessierte sich recht wenig dafür, doch Conny konnte sich diese Anschuldigungen nicht mehr anhören und zog Luna beiseite auf die Mädchentoilette.
"Ich will mir das nicht mehr anhören müssen, wie alle über meine beste Freundin Gerüchte verbreiten", stöhnte Conny und ließ sich das kalte Wasser über die Hände laufen, während sie sich im Spiegel ihr und Lunas erschöpftes Gesicht anschaute. Ihre Freundin lehnte sich bei den Worten an das nächste Waschbecken und stellte sachte einen Fuß auf.
"Lass sie doch reden. Es stimmt ja nicht", erklärte sie locker.
Wie konnte sie nur so ruhig bleiben? Conny wusste, dass die Gerüchte nicht stimmten. Plötzlich musste sie wieder an das Programm denken und sie fragte sich daraufhin, ob Luna das Stipendium überhaupt annehmen dürfte. Sie wendete sich vom Spiegel ab und lehnte sich genau wie Luna an eines der Becken.
"Wie ist das eigentlich, kannst du an dem Programm für das Stipendium teilnehmen oder darfst du nicht?"
Nun fing Luna an zu lachen. Sie schüttelte den Kopf und strich ihre schwarzen Haare hinter die Ohren.
"Nein", sagte sie dann, "ich bin gebannt vom Programm und ich würde das Stipendium auch nicht annehmen wollen, würde es mir angeboten werden."
Conny nickte. Bald würde feststehen, ob sie das Stipendium gewonnen hatte, doch bis dahin musste sie sich wohl noch gedulden. Ihre Augen glitten wieder über Lunas Arme.
"Tut es immer noch weh?", versuchte sie vom Thema wieder abzulenken. Luna krempelte einen Ärmel hoch und schüttelte den Kopf.
"Sie verblassen, wenn ich meine Kräfte nicht nutze", erklärte ihre Freundin und fuhr leicht die Verzierungen auf ihrem Arm nach. Conny dachte darüber nach, wie schmerzhaft es wohl gewesen sein musste, damit sich solche Muster auf den Armen bildeten. Schön sahen die Schnörkel irgendwie schon aus, musste sie sich leider eingestehen.
Conny deutete Luna an, in das Klassenzimmer zu gehen. Auf dem Gang stellte sich eine kleine Gruppe von Mädchen, die einen Jahrgang unter ihnen sein müssten, vor die Freundinnen und hielten sie vom Weitergehen ab. Conny hatte zuvor noch nie eines der Mädchen in der Schule gesehen. Ein scheinbar schüchternes Mädchen mit einem zarten Körperbau bewegte sich leichten Schrittes auf sie zu und griff nach den Handgelenken der Freundinnen.
Plötzlich verschwamm alles um sie herum. Als alles wieder etwas schärfer wurde, befanden sie sich noch immer auf dem Gang in der mit einem Mal leergefegten Schule wieder. Es fühlte sich an wie in einem Traum. Überall fielen ascheartige Flocken zu Boden und hinterließen dort eine dicke Staubschicht. Alles war in düstere Farben getaucht und versprühte eine drückende Atmosphäre. Das schüchterne Mädchen war auf einmal nicht mehr da, sondern ein anderes, viel jüngeres Kind mit rubinroten Augen und einer wunderschönen Kopfbedeckung zog ihre Aufmerksamkeit auf sie. Noch immer lagen ihre Hände um die Handgelenke geschlungen. Sie bedeutete den beiden Freundinnen ihr zu folgen. Der verwirrte Ausdruck in Lunas Augen machte Conny klar, dass auch Luna sehen konnte, was sie sah. Das Kleid und der Körper des kindlichen Wesens war nicht mehr wirklich existent, vielmehr sah es aus, als sei es aus Nebel.
Folgt mir Hehkuvas, geschwinde, geschwinde. Conny konnte die Stimme des Mädchens in ihrem Kopf hören. Als sie Luna anblickte, bemerkte sie, dass auch Luna die Stimme vernehmen musste. Die sanfte Stimme ließ Connys Haare zu Berge stehen. Sie klang wundervoll in ihren Ohren.
"Was seid Ihr und wo sind wir?", neugierig fragte Luna nach.
Man nennt sie Sumuinen, die aus dem Nebel steigen. Leben Ewigkeit und kommen von anderen Welten in Zeitlinie. Sumuinen zeigen Alternative der Welt und Unheil, leider Unheil. Nichts berühren. Folgt. Folgt.
Sie befanden sich also in einer Art Parallelwelt in dieser Welt und die Sumuinen waren Nebelwesen, die ursprünglich aus einer anderen Welt irgendwie durch einen Zeitriss in diese Welt kamen. Conny konnte sich vorstellen, wenn diese Wesen durch einen Riss in der Zeit in diese Welt gebracht wurden, dann waren bestimmt noch mehr solcher Wesen hier.
Sumuinen besitzen nichts, keinen Namen, kein Alter, kein Geschlecht. Sie dürfen nichts besitzen, so sind sie ewig. Sumuinen ist nur Bezeichnung für sie husch, husch. Hierher.
Die Sumuine brachte die Freundinnen auf den Schulhof. Das was sie dort sahen war mehr als gewaltig und furchterregend. Ein riesiger dunkler Nebel verschluckte die gesamte Stadt und ließ große Zerstörung zurück. Kälte umhüllte sie mit einem Schlag.
"Was ist das?", fragte Conny ängstlich.
Varjo, der Schatten, bringt Unglück in Land, verschlingt alles. Bald. Bald.
Warum wurde es ihnen gezeigt, warum nur den beiden Freundinnen? Diese Frage brannte auf Connys Zunge wie Feuer. Weiter weg konnte sie weitere Nebelgestalten und die Silhouetten der Menschen ausmachen, doch sie konnte nicht erfassen wer das sein könnte. Sie waren also doch nicht allein hierher geführt wurden. Als ob die Sumuine ihre Gedanken gehört hatte antwortete sie in einem schaurigen Ton.
Hehkuvas seid ihr. Nur reine Herzen können besiegen. Reine Herzen in größter Gefahr. Wahr. Wahr. Varjo nur kleine Gefahr, Zukunft bringt Böses. Viel. Viel.
Conny spürte die Furcht jetzt auch in ihren Knochen. Was meinte das Nebelwesen mit der Böses bringenden Zukunft? DAS war also nicht das Schlimmste was passieren würde? Das war gerade nicht die Nachricht, die Conny hören wollte. Luna dachte wohl dasselbe und schaute etwas düster und gedankenverloren auf den Boden.
"Wann?", fragte sie nach.
Bald tanzen unter seiner Gewalt. Schluss. Schluss.
'Hieß das, dass es zum Abschlussball passiert?' Conny hatte sehr schlimme Befürchtungen, wenn das einträte was ihnen gerade gezeigt wurde. Wieder verzerrte sich ihre Sicht. Im nächsten Moment befanden sie sich wieder in dem Korridor der Schule, als ob sie nie weg gewesen waren. Alles war noch genauso, wie sie es vorgefunden hatten nur die Mädchengruppe um sie herum war verschwunden und ein kleiner Hauch von Minze lag in der Luft. 'Leute mit Fähigkeiten waren ja schon total unwirklich', dachte sich Conny, 'doch Magische Wesen wie diese waren in Anbetracht der Lage noch etwas unwirklicher.'
Die Dunkelhaarige wendete sich zu ihrer Freundin um und sagte nichts. Es gab nichts zu sagen. Das was sie gesehen hatten, das konnten sie nicht beschreiben. Noch immer sah Conny diese dunkle Kreatur in ihrem inneren Auge. Wie es sich wie eine Schlange um die Häuser schlängelte und alles zerstörte.
KLATSCH. Das Geräusch lies Conny aus ihren Gedanken gleiten sie und betrachtete die Szene, die sich vor ihnen auftat, mit Argwohn. Der weißblonde Riese hatte seiner Freundin gerade eine mächtige Ohrfeige gegeben, sodass es jeder im Schulhaus gehört haben musste. Laya, seine wunderschöne Freundin, richtete sich aufplusternd vor Luc auf und blickte ihn mit bösen Augen gebannt an. Trotz dessen, dass Conny sie nicht leiden konnte, bewunderte sie sie gerade in diesem Augenblick ein wenig. Auch Luc streckte trotzig seine Brust heraus und atmete einmal tief ein, bevor er auf seinen Fersen kehrt machte und seine Freundin in sich zusammenfallend in Richtung der Toiletten rannte. Sie tat ihr irgendwie leid.
"Was war das?", fragte Luna zögerlich. Etwas leiser fügte sie hinzu: "Was ist heute los?"
Das hatte sich auch Conny gefragt. Schließlich passierte es nicht alle Tage, dass man die beiden Turteltauben streiten sah. Conny überlegte einen Moment, ob sie Laya nachgehen sollte, doch entschied sich dafür, es nicht zu tun. Die Schuldgefühle stritt sie mit dem Gedanken ab, dass sie keine Freunde waren und sich wahrscheinlich auch nicht verstehen würden. Sie war Lucs Freundin und hatte außerdem ihre eigenen Freund*innen, die nach ihr sehen würden.
Die Schulglocke läutete zum Unterricht. Ihre Gedanken wanderten wieder zu der Vision mit dem Schattenwesen. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen. Es konnte unmöglich echt sein, aber eingebildet haben konnte sie es sich nicht, denn Luna hatte es auch gesehen. Sie konnten ja nicht beide verrückt geworden sein. Oder irgendjemand spielte einen dummen Streich mit ihnen. Warum passierte gerade jetzt so etwas Furchterregendes?
Langsam kam sie mit ihrem Bewusstsein zurück in die Gegenwart. Sie saßen bereits im Unterricht und die Tafel war bereits komplett vollgeschrieben. Als sie sich in der Klasse umschaute, fiel ihr auf, dass Laya nach dem Vorfall mit Luc den Unterricht schwänzte. Aus irgendeinem Grund machte sich Conny Vorwürfe, dass sie ihr nicht hinterher gegangen war. In der Pause würde sie nach ihr schauen, dachte sie. Sie musste herausfinden, was passiert war. Auch wenn sie nicht befreundet waren, war sie doch nur ein verletzlicher Mensch, wie Conny auch.
Sie bemerkte nicht, wie Luna sie von der Seite anschaute und sich ihre Stirn leicht in Falten legte. Ihre Gedanken schweiften zwischen den unzähligen Ereignissen hin und her und legten sich wie eine schwere Last auf ihre Schultern. Es kam einfach alles zusammen: die Verhaftungen, der Stress mit dem Studienprogramm, die Markierten und zum absoluten Höhepunkt das Schattenmonster, welches die Stadt zerstören wollte. Conny fragte sich wirklich, was noch alles kommen würde, bevor sie sich als Verrückte einstufen konnte. Alles was bis jetzt passierte, passierte aus irgendeinem guten Grund, das vermutete Conny, und sie wollte herausfinden, ob es mit der Verschwiegenheit der Regierung im Zusammenhang steht. Es machte einfach keinen Sinn.
Ihr Blick wanderte zu dem leeren Stuhl, auf dem eigentlich Laya in dieser Stunde gesessen hätte. Nach der Ohrfeige von Luc wäre vermutlich jeder dem Unterricht ferngeblieben. Laya musste gerade sehr verletzt sein, überlegte Conny.
Endlich erklang die Klingel und entließ die Schüler in die lang ersehnte Pause. In ihr stiegen Zweifel auf: Wieso wollte Conny ihr eigentlich nachgehen? Sie war eine der Schülerinnen, die sie schon jahrelang ärgerten, doch irgendwie musste sie ihr doch helfen.
"Hey Luna, ich denke, ich habe etwas in der Toilette liegen gelassen, du musst nicht auf mich warten." Conny wurde von ihrer Freundin misstrauisch beäugt. Dann nickte diese leicht und ging aus dem Raum.
Conny ging schnellen Schrittes durch den Schulflur in Richtung der Mädchentoiletten. In dem Moment, als sie durch die Tür trat, verließ Laya gerade eine Toilettenkabine und ging auf die Spiegel zu. Sie sah etwas mitgenommen aus und schien Conny kaum zu bemerken. Unsicher stand Conny im Raum. Sie war zwar extra gekommen, um nach Laya zu sehen, doch jetzt schienen ihr nicht die passenden Worte einzufallen, um ein Gespräch zu beginnen.
„Ähm... Entschuldige bitte...", begann sie zögerlich. Laya drehte sich kaum merklich zu ihr um. „Laya?" Keine Reaktion. Also setzte Conny erneut an. „Vielleicht erkennst du mich ja nicht.... Ich bin Conny.... Miracle. Aus deinem Jahrgang."
„Ja, ich weiß schon, wer du bist", murmelte Laya mit einem leichten Schmunzeln im Mundwinkel. Laya kramte in ihrer Tasche und holte Concealer und Mascara heraus, um ihr Gesicht wieder näher an ihr sonstiges, perfekt geschminktes Äußeres heranzubringen.
„Geht es dir gut? Ich meine, wahrscheinlich eher nicht, ich meine, nach dem, was Luc getan hat, würde es mir auch nicht gut gehen, aber ja, ich wollte trotzdem mal fragen. Hab mir irgendwie Sorgen gemacht..." Conny fuhr sich aufgeregt durch die Haare. So lang hatte sie noch nie mit dem beliebtesten Mädchen in ihrem Jahrgang gesprochen. Eigentlich erwartete sie auch, von Laya zurückgestoßen zu werden, doch diese reagierte erstaunlich gelassen. Laya hielt kurz inne, sah Conny an und antwortete: „Das ist nett von dir. Keiner meiner Freunde hat bisher nach mir gesehen, aber eine wie du kommt extra hierher, um mit mir zu reden."
„Willst du reden? Ich bin ja schon mal hier." Conny grinste Laya so aufmunternd an, wie sie konnte. „Ach naja... Ich bin gerade einfach etwas fertig... Ich habe ja so schon nicht das beste und einfachste Leben, aber zumindest hier in der Schule war bis jetzt alles gut und ich habe mich geachtet gefühlt. Immer diese anerkennenden Blicke, die neidischen Gesichter, wenn ich mit Luc durch die Gänge gehe. Aber jetzt..."
Laya machte eine Pause, starrte ins Leere. Dann fuhr sie leiser fort, mehr zu sich selbst redend als zu Conny. „Jetzt bin ich für alle nur die, die von ihrem Freund öffentlich geschlagen wurde. Manche denken vielleicht, dass ich das verdient habe, weil sie mich für arrogant halten oder so, aber sowas hat niemand verdient. Niemand darf geschlagen werden und niemand hat das Recht, einem anderen Menschen wehzutun."
Conny sah Laya gespannt an. Sie war verblüfft, dass Laya so redselig war, und das, obwohl sie sonst nie miteinander redeten. Plötzlich bemerkte sie eine Träne in Layas Augenwinkel.
„Niemals. Ganz egal warum. Bis jetzt war Luc mein Anker, der mich in dieser schönen Illusion meines Lebens hielt, er war mein Freund, mein Helfer. Aber jetzt.... Jetzt scheint mein Leben mich eingeholt zu haben. Als ob ich es nicht verdient habe, auch glücklich zu sein. Als ob ich zuhause nicht schon genug zu kämpfen habe, jetzt auch noch hier in der Schule! Luc, dieses Schwein!" Laya wischte sich wütend die Träne aus dem Auge.
Augenblicklich hielt sie inne, drehte sich schwungvoll zu Conny um und sah diese schon fast feindselig an. „Was rede ich hier überhaupt. Was fragst du überhaupt. Lass mich ja in Ruhe und wag es nicht, mich nochmal hierauf anzusprechen. Wir sind keine Freunde und werden auch keine sein. Ich hoffe, du kennst deinen Platz."
Energisch verließ Laya die Schultoilette und ließ eine verwirrte Conny zurück. Conny atmete einmal tief ein und aus und verließ kurze Zeit später auch den Raum. Was war das denn gewesen? Erst hatte die perfekte, wunderschöne Laya begonnen, so vertraut mit ihr zu reden, obwohl sie sich kaum kannten und auch nicht unbedingt den gleichen Kreisen angehörten. Scheinbar schien sie nicht so ein perfektes Leben zu leben, wie Conny immer dachte. Doch als Laya klar wurde, wie verwundbar sie sich eben gemacht hatte, hatte sie Conny eiskalt von sich weggestoßen und war wieder zu der Laya geworden, die Conny bis dahin gekannt hatte.
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