
- 2.2 - Das Regierungsprogramm
Es war fast schon ein Monat vergangen, seit Connys beste Freundin und der alte Mann verhaftet wurden. Isaac ging mittlerweile wieder regelmäßig in die Schule, doch Luc nutzte trotzdem nach wie vor jede Gelegenheit ihn vor allen bloßzustellen. Fast war alles wieder wie vorher. Nur der nackte Sitzplatz neben Connys gähnte förmlich vor Leere. Es war so ungewohnt ihre Freundin nicht an ihrer Seite zu haben, wenn die Frau Kolbisch ihre seltsamen fünf Minuten hatte oder Gruppenarbeiten anstanden.
An die Tafel starrend und in ihren Gedanken versunken merkte sie nicht, wie es an der Tür klopfte. Erst als die Personen in das Klassenzimmer hereingebeten wurden und sich vor der Klasse aufstellten, wurde ihr bewusst, dass etwas anders war als sonst. Die zwei Gestalten waren in feinen schwarzen Trenchcoats gekleidet und schauten interessiert und ernst in die Runde. Etwas verwirrt spekulierte sie, dass es etwas mit Lunas Festnahme zu tun haben musste, aber sicher war sie sich absolut nicht. War das Auftreten der beiden Männer ein gutes oder ein schlechtes Omen?
Die Lehrerin bewegte sich etwas zur Seite und stellte die beiden Gestalten vor.
"Das sind Mister O'Connor", sie zeigte dabei auf den dunkelhäutigen attraktiven Mann, welcher sich prompt zu ihr drehte. Mit einem leichten Lächeln erklärte er, dass man ihn Liam nennen sollte und deutete der Lehrerin an, weiterzumachen.
"Und ... ". Etwas peinlich berührt schaute sie den zweiten Mann an, welcher etwas amüsiert auf Liams Hinterkopf starrte. Er setzte daraufhin zum Reden an.
"Nennt mich bitte Mister Scofield". Man hörte einen leichten australischen Akzent heraus, als er sprach. Er war wesentlich furchteinflößender als derjenige, der sich zuvor als Liam vorgestellt hatte und trug seine langen braunen Haare offen, sodass ihm seine Locken bis zum Kinn reichten. Sein immer ernster werdender Blick ließ aber verlauten, dass nun das kam, worauf Conny die ganze Zeit gewartet hatte: Der Grund, warum sie hier waren.
Nun ergriff wieder Liam das Wort. Seine schoko-braunen Augen wanderten durch die Klasse.
"Wir sind Abgesandte der Regierung und auf der Suche nach geeigneten Schüler*innen, die ein Stipendium erhalten sollen. 90 Tage lang werden wir uns alle Schüler*innen der Schule genau anschauen und den oder die geeigneten Kandidat*innen finden."
Conny schaute nicht schlecht aus der Wäsche. Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Ein Stipendium?
Prompt schoss die Hand von Connys Mitschülerin Becky Sullyvan in die Höhe.
"Darf ich fragen, was das für ein Stipendium ist, ob jeder daran teilnehmen kann und ob das nur an unserer Schule angeboten wird?"
Liam atmete langsam die stickige Luft ein, um zu antworten. Er musste ein bisschen schmunzeln bei den vielen Fragen.
"Das Stipendium kann jeder Schüler bekommen, der daran interessiert ist, ein Ausgesandter der Regierung zu werden oder gerne ein Studium im Ausland anstrebt usw. Das Programm wird an jeder Schule in Wales, England, Irland und Schottland durchgeführt, deswegen werden nur die Besten der Besten ausgewählt. Insgesamt sind 30 Plätze für verschiedene Posten frei."
Connys Interesse war geweckt. Ein Studium im Ausland, das klang nach dem richtigen Antrieb. Seit geraumer Zeit wollte sie in Russland studieren, da sie dieses Land und dessen Kultur sehr interessant fand und jetzt wäre der passende Moment dafür, diesen Traum wahr werden zu lassen. Doch dreißig Plätze waren nur sehr wenig und je länger sie darüber nachdachte, desto geringer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Platz ergattern könnte.
Während sie noch darüber nachdachte, wie sie am besten in das Programm kommen konnte, teilte Mister Scofield Formulare zur Teilnahmeeinverständnis aus, welche die Schüler*innen über die Woche hindurch ausfüllen mussten, um sich bewerben zu können. Er bewegte sich mit einem geschmeidigen Gang durch die Tischreihen und legte die Blätter akkurat auf die Plätze. Conny vermutete, dass er unter einem Zwang diesbezüglich leiden musste und betrachtete das Geschehen mit sehr großem Interesse. Zu Hause würde sie den Zettel in Ruhe durchgehen.
Die Ausgesandten verbrachten die nächsten Tage damit Schüler über ihre Hobbies und Talente auszufragen, sowie Tests zu veranstalten, um herauszufinden, wie es um deren Allgemeinwissen stand, aber auch um zu sehen, wessen Stärken wo lagen. Liam unterhielt sich auch unter anderem mit Conny über ihre Wünsche und Vorstellungen an das Stipendium.
"Ich könnte mir gut vorstellen, in Russland zu studieren", sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Liam lehnte sich interessiert nach vorne.
"Wie steht es denn mit Fremdsprachen?", fragte er nach.
"Russisch kann ich einigermaßen gut sprechen, denke ich. Deswegen auch Russland... naja und weil mich das Land und seine Kultur sehr interessiert". Conny lehnte sich lächelnd und entspannt im Stuhl zurück. Ja, Russisch hatte sie viele Jahre aus Eigenantrieb gelernt und nun wäre es so weit, dieses Wissen an anderen Personen zu probieren.
"Und neben Russisch, was sprichst du noch für Sprachen?"
"Meine Eltern und ich haben für einige Zeit in Deutschland gelebt, also spreche ich auch fließend Deutsch". Liam begann zufrieden zu nicken und schrieb sich etwas in seinem kleinen Block in seiner Hand.
"Ich werde sehen, was ich tun kann. Du scheinst ja schon ausgezeichnete Vorkenntnisse zu haben."
Am Nachmittag wollte ihr Vater mit ihr über die Situation von Luna sprechen, da er aus London zurückkam. Er hatte Luna besucht und wollte nun Conny berichten, was passiert war. Mittlerweile war schon ein Monat vergangen und Conny hatte seitdem nicht wirklich viel gehört. Peter begrüßte seine Tochter mit einem Kuss auf den Scheitel und einer festen Umarmung. Conny war ziemlich interessiert daran, wie es Luna ging und wie der Plan ihrer Entlassung verlief.
"Warst du bei ihr, Paps? Wie geht's ihr?". Er löste sich nun etwas aus der Umarmung, um Conny in die Augen zu schauen.
"Ja, ich konnte mit ihr reden und sie hat sich sehr über den Besuch gefreut, aber sie machte einen sehr erschöpften Eindruck auf mich". Conny dachte sich schon, dass so ein Monat nicht spurlos an ihrer Freundin vorbeiziehen würde.
"Was hat sie gesagt?", sie hatte so viele Fragen.
"Ehrlich gesagt, nicht viel, Liebling."
"Weißt du schon, wie wir sie da rausholen können? Und warum bist du eigentlich wieder hier?" Verwundert trat Conny einen Schritt zurück. Müsste er nicht eigentlich in London sein und sie aus der Gefangenschaft heraus kämpfen oder stellte sich Conny das nur einfacher vor als es war?
"Liebling", ein leichtes erschöpftes Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und er nahm Connys Kopf in seine Hände. "Sie ist bereits auf dem Weg nach Cardiff."
Conny war so verwirrt. Hieß das, dass er es geschafft hatte, sie zu befreien?
"Ja, sie ist wieder auf freiem Fuß", lachte er leicht, als er in das fragende Gesicht von Conny sah.
"Wie hast du das gemacht Paps?"
"Ich war das nicht."
Connys Mund blieb nun endgültig offen stehen. Wer sollte Luna einfach so aus der Gefangenschaft befreien? Das machte alles keinen Sinn. Sie hatte keine Familie, die ihr helfen könnte, außer ihrer Großmutter, aber diese wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass Luna nicht in Cardiff war, oder aber Lunas großer Bruder Scott, doch den hatte Luna jahrelang nicht mehr gesehen. Eine Befreiung durch Scott war also mehr als unwahrscheinlich.
"Weißt du, wer das war?", fragte sie bei ihrem Vater nach. Dieser schüttelte jedoch fragend den Kopf und bewegte sich in die Küche. So ließ er Conny mit ihren Gedanken alleine.
Sie musste Luna unbedingt besuchen und rief Isaac an, der sofort mit seinem Auto vorbeikam, um mit Conny zum Wohnheim zu fahren, wo Luna wohnte. Isaac und Conny machten sich auf dem Weg in das zwölfstöckige Wohnheim. Schon als sie durch den Eingang traten, standen Securityguards in der ganzen Lobby verteilt. Eindeutiger konnte es nicht sein. Luna war schon da. Leichte Freude breitete sich in ihrem Bauch aus, als sie daran dachte, Luna wieder zu sehen. Isaac deutete mit seinem Kopf auf den gläsernen Fahrstuhl mit Blick auf die Hauptstadt von Wales. Sie stiegen ein und drückten auf den Knopf, um in die neunte Etage zu kommen. Trotz dem neunten Stockwerk, auf dem Lunas Zimmer lag, stieg Luna immer die Treppen empor, um keinen Schritt in den Fahrstuhl zu wagen, da ihre panische Höhenangst siegte.
Endlich kamen sie in der richtigen Etage an. Als sie sich zu Lunas Zimmer begeben wollten, wurden sie von der Security aufgehalten.
"Wohin soll es denn gehen?", fragte eine muskulöse Dame vor ihnen.
Isaac stotterte daraufhin: "Wir wollten unsere Freundin besuchen gehen."
„Wer ist ihre Freundin?" Die Dame stemmte ihre Arme in die Hüfte.
„Ähm, Luna Cameron." Verzweifelt suchte er Hilfe bei Conny, doch auch sie wusste nicht was sie noch erwarten würde.
Die Frau blickte beide nacheinander misstrauisch an und schüttelte ihren Kopf, bevor sie Isaac antwortete. "Keine Besuche erlaubt. Miss Cameron muss sich ausruhen."
"Für wie lange sind keine Besucher erlaubt?", fragte nun Conny nach.
"So lange wie nötig."
„Das ist keine Antwort", murmelte Conny lauter als gewollt.
„Es ist aber die Antwort, mit der Sie sich nun zufrieden geben müssen. Und nun muss ich Sie beide dazu auffordern das Gebäude zu verlassen."
Sie schickte beide enttäuscht wieder zurück zu Isaacs Auto.
"Wir werden sie wohl erst in der Schule wiedersehen", erklärte Isaac traurig und Conny nickte daraufhin zustimmend. Sie würden sich wohl gedulden müssen, ehe sie sie wieder besuchen dürften.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro