Pleiten, Pech und Pannen
"Die Bahn ist nicht einmal zehn Minuten gefahren. Wie kann einem da überhaupt schlecht werden. Das ist armselig.", beschwerte sich Kageyama, während er in Boxershorts vor dem großen Waschbecken im Vorraum der öffentlichen Herrentoilette stand und versuchte mit viel warmem Wasser und Handwaschseife seine Hose halbwegs sauber zu bekommen. An Wechselklamotten hatte er natürlich nicht gedacht, aber da ging es dem Rest des Teams nicht anders. Nur, dass die sich nicht ihre Sachen versaut hatten. Hinata mit in die Achterbahn zu nehmen war ein großer Fehler gewesen.
"Ich weiß es auch nicht. Mir ist halt einfach schlecht geworden. Tut mir Leid.", sagte Hinata und guckte betreten zu Boden.
"Das kann jedem mal passieren. Auch wenn es bei dir ziemlich häufig vorkommt. Wir hätten es eigentlich wissen müssen.", seufzte Suga, der gerade versuchte, aus dem Seifenspender am anderen Ende des Waschbeckens noch mehr Seife herauszubekommen. Daichi, Ennoshita und Asahi standen daneben und versuchten sich auch irgendwie nützlich zu machen, aber Suga hatte die Sache schon im Griff. Er hatte viele jüngere Geschwister zu Hause, da kam so etwas häufiger vor. Manchmal hatte er den Eindruck, Hinata und Kageyama wären auch so etwas wie kleine Geschwister für ihn und Daichi. Oder einfach nur Kinder, je nachdem...
"Wir können froh sein, dass es nur die eine Hose war, sonst müssten wir jetzt noch mehr waschen.", meinte Ennoshita.
"Ja, weil er genau auf meinen Schoß gezielt hat!", rief Kageyama aufgebracht, doch Hinata wehrte sich gegen die Anschuldigungen.
"Das ist doch gar nicht wahr!", stritt er sofort alles ab, "Es war bestimmt keine Absicht. das war...mehr so ein Reflex?"
"Ein Reflex? Hast du nen Dachschaden? Willst du mir damit etwa sagen, dass mein Gesicht so hässlich ist, dass dir davon schlecht geworden ist?", empörte sich Kageyama.
"Das hast du jetzt gesagt.", erwiderte Hinata trocken und Suga, der gerade die Hose zum Trocknen aufhängte, musste sich trotz der ernsten Situation ein Lachen verkneifen.
"Weißt du was? Ich werde nie wieder mit dir Achterbahn oder sonstwas fahren, da kommt ja nur Scheiße bei raus!", regte Kageyama sich auf.
"Hey, was tickst du denn gleich so aus? Ich hab mich doch schon entschuldigt, was soll ich denn noch machen?", fragte Hinata, der die Reaktion seines Teamkameraden für völlig überzogen hielt.
"Könntet ihr eure kleine Ehekrise nicht auch woanders fortsetzen? Wir sind hier immer noch in der Öffentlichkeit.", schimpfte Daichi mit den beiden Erstklässlern, die ihm entweder nicht zugehört hatten oder einfach eiskalt ignorierten. Im Training hätte er die beiden jetzt nicht nur zusammengestaucht, sondern gleich hochkant rausgeworfen, so wie er es auch an ihrem ersten Tag gemacht hatte, als sie ihm auf der Nase herumgetanzt waren, aber erstens waren sie gerade nicht beim Training, zweitens gehörte ihm die Toilette nicht und drittens wäre es ganz schön grausam, Kageyama in Unterwäsche vor die Tür zu setzen, Autorität hin oder her.
"Du nimmst überhaupt keine Rücksicht auf andere und führst dich auf wie ein kleines Kind!"
"Wer hat denn Kenma wegen eines Plüschtiers belästigt? Ich ja wohl nicht."
"Im Gegensatz zu dir lerne ich aus meinen Fehlern, du blöder Idiot!"
"Boah, du bist sowas von eingebildet, kein Wunder, dass dich immer alle als König bezeichnen!"
Wums. Das saß.
Hinata wurde erst bewusst, was er gesagt hatte, nachdem die Worte schon bei seinem Gegenüber angekommen waren. Ups.
Kageyama reagierte genauso wie er es immer tat, wenn ihn etwas auf die Palme brachte oder wenn er mit einer Situation überfordert war. Er wurde handgreiflich. Daichi und die anderen mussten hilflos mitansehen, wie sich Kageyama auf Hinata stürzte, den Kleineren am Kragen packte und gegen die Fliesenwand des Waschraums drückte.
"Hey, lass mich los, du Idiot!" Das tut weh!", beschwerte sich Hinata lautstark und versuchte vergeblich Kageyama von sich wegzuschieben.
"Es soll ja auch wehtun!", schrie Kageyama ihn an und jeder, der die beiden nicht kannte, würde sich seinen Teil denken.
Daichi wollte schon dazwischengehen, als sie plötzlich das Geräusch einer Toilettenspülung, das Zuschlagen einer Tür und Schritte hinter sich vernahmen. Ein junger Mann kam gerade aus einer der Kabinen und war auf dem Weg zu den Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Er war groß gewachsen, blond und trug eine auffällig kaputte Brille. Einen Moment lang war es komplett still. Natürlich musste Tsukishima auch noch hier auftauchen. Der hatte ihnen gerade noch gefehlt.
Tsukishima schaute die beiden Rüpel, die in ihrer Bewegung erstarrt waren, mit hochgezogener Augenbraue an. Seinem Blick nach zu urteilen, war er alles andere als begeistert von dem, was er hier zu Gesicht bekam. Ihm schien nicht einmal mehr ein bissiger Kommentar dazu einzufallen und das war bei ihm eine Seltenheit.
"Es ist nicht so, wie es aussieht.", rutschte es Daichi heraus und er hätte daraufhin am liebsten seinen Kopf gegen die nächste Fliesenwand gehämmert. Gab ja in diesem Raum genug davon.
"Es gibt eine Erklärung, wirklich!", versuchte er Tsukishima dennoch davon zu überzeugen, dass hier nichts "Komisches" abging. Eigentlich war die Situation ja ganz klar als Streit zu erkennen, aber die Tatsache, dass Kageyama dabei keine Hose anhatte, machte es etwas...seltsam.
Tsukishima, der leicht errötet war, verzog das Gesicht und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
"Ich will es gar nicht wissen.", sagte er angewidert und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort...und ohne sich die Hände zu waschen. Hinata und Kageyama hatten nach dieser ungeahnten Unterbrechung endlich voneinander abgelassen und schauten nun beide peinlich berührt auf ihre Schuhe, beziehungsweise Socken in Kageyamas Fall.
"Ihr seid ein komplettes Disaster, wisst ihr das eigentlich?", brauste Daichi auf und Asahi ging schon einmal etwas in Deckung, "Schämt ihr euch denn nicht?"
"Ich hab mich heute schon sehr viel geschämt.", sagte Kageyama wahrheitsgemäß und Hinata warf ihm einen argwöhnischen Seitenblick zu, sagte aber lieber nichts mehr.
"Deine Hose müsste langsam auch halbwegs trocken sein.", meinte Suga und deutete auf das Kleidungsstück am Rande des Waschbeckens, auf dem man immer noch den feuchten Fleck sah. Der Rest konnte auch an der Luft trocknen, hauptsache Kageyama sah wieder ansatzweise gesellschaftsfähig aus.
"Ja, zieh die lieber mal wieder an, bevor dich noch jemand für einen Perversen hält.", stimmte Ennoshita ihm zu, "Es reicht ja schon, wenn Tsukishima jetzt so von dir denkt.
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Kuroo hatte sich nach der nervenaufreibenden Achterbahnfahrt von Tsukishima, der gleich in Richtung Klo verschwunden war, und Yamaguchi abgesetzt. Immerhin hatte er Kenma versprochen, dass sie bald den Heimweg antreten würden. Die Achterbahn hatte tatsächlich direkt nach ihrer Fahrt ihre Pforten geschlossen, da hatten sie wirklich noch einmal Glück gehabt, oder Pech, je nachdem. Tsukishima war ja nicht ganz so begeistert gewesen. Auch sonst hatte er mit Tanaka und Nishinoya einen Großteil der Fahrgeschäfte ausprobiert und war relativ gesättigt, auch wenn er sich die Achterbahnfahrt etwas rasanter vorgestellt hatte. Aber man konnte eben auch nicht alles haben.
Gut gelaunt schlenderte der Kapitän der Nekoma durch den Park, geradewegs in Richtung Spielhalle um Kenma abzuholen. Der hatte sich hinter einem Spielautomaten verschanzt und bemerkte seine Anwesenheit erst, als er ihm auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr der Kleinere herum und starrte ihn aus großen, bernsteinfarbenen Augen an, bis er erkannte, dass es sich bei dem zotteligen Ungeheuer um seinen besten Freund handelte. Er sagte etwas, zumindest glaubte Kuroo das, weil sich sein Mund bewegte, aber das Gedudel aus der Spielhalle übertönte seine leise Stimme.
"Komm, wir suchen Yaku und gehen dann nach Hause!", schrie Kuroo fast schon, damit zumindest Kenma ihn hörte. Der lächelte leicht und nickte. Er sah aus, als wäre er reif fürs Bett, kein Wunder bei dem ganzen Stress. Er hoffte, dass sich sein bester Freund zumindest ein bisschen amüsiert hatte und es nicht nur Strapazen für ihn waren.
"Ich hab Yaku geschrieben, er kommt gleich vorbei.", murmelte Kenma und gähnte erschöpft, "Er wollte sich noch was zu essen kaufen." Die beiden hatten sich auf einer Parkbank niedergelassen und Kenma hatte seinen Kopf an Kuroos Schulter gelehnt. Währenddessen tippte er träge auf seinem Handy herum, dass er schon an seine Powerbank angekabelt hatte. Neben ihnen lag das Kuscheltier, welches definitiv reif für eine gründliche Wäsche war. Genau genommen waren sie beide reif für die Wäsche.
"Wie war die Achterbahnfahrt?", fragte Kenma mit gelangweilt klingender Stimme, aber Kuroo wusste, dass er sich insgeheim schon ein bisschen dafür interessierte.
"Ich hab ein Video gemacht.", sagte er und holte seine Digitalkamera aus der Tasche, "Hier, das ist authentischer als wenn ich dir nur Geschichten erzähle." Mit diesen Worten übergab er seinem Freund die Kamera, bei der schon die Aufnahme auf dem Videoplayer lief.
Es war immer wieder lustig, Kenma solche Videos zu zeigen, weil er dabei immer so komische Grimassen zog. Auch jetzt hatte er wieder die Stirn gerunzelt und die Unterlippe vorgeschoben, als würde er schmollen. Niedlich war das! Als sich die Achterbahn im Video in den freien Fall begab und die Fahrgäste entsprechend reagierten, zuckte Kenma zusammen und ließ vor Schreck fast das ganze Gerät fallen.
"Wow, vor dem Jumpscare hättest du mich mal warnen können.", warf er seinem Freund vor, unterbrach das Video aber nicht.
"Wer quietscht denn da die ganze Zeit so? Das tut ja auf den Ohren weh.", meinte Kenma irritiert und drückte die Lautstärke etwas nach unten. Kuroo lachte auf.
"Das ist Tsukishima, du weißt schon, der große blonde Mittelblocker von der Karasuno.", sagte er und Kenma schaute ihn ungläubig an.
"Ich wusste gar nicht, dass der überhaupt solche Geräusche von sich geben kann.", meinte er dezent überrascht und wandte sich wieder dem Video zu, was ab dem Punkt eigentlich nur noch ein Chaos aus Überschlägen und viel zu penetranten Windgeräuschen war.
"So, ich bin dann auch soweit.", wurden sie von einem lächelnden Yaku begrüßt, der eine große bunte Einkaufstasche in der einen, und eine Pappschachtel mit Pommes in der anderen Hand hielt.
"Hey Yakkun, was hast du denn in der Tüte?", fragte Kuroo sofort neugierig, "Hast du dir ne' Monatspackung Badekugeln gekauft?"
"Häh? Wie kommst du denn auf Badekugeln? Bist du blöd?", fragte Yaku verwirrt. "War nur so ne' Idee.", meinte Kuroo schulterzuckend. Kenma war gerade dabei, durch die Fotogalerie von Kuroos Kamera zu scrollen, um eventuelle peinliche Bilder von sich löschen zu können, und blickte nur einmal kurz auf, um Yaku auf seine Art zu begrüßen.
"Ich hab ein paar Souvenirs für meine kleine Schwester gekauft und ein paar...Sachen für Lev, als Entschädigung weil er wegen seiner Grippe nicht mitkommen durfte.", sagte der kleine Libero.
"Wow, so nett hätte ich dich ja gar nicht eingeschätzt.", feixte Kuroo und rutschte auf der Bank ein Stück weiter, um für diesen Kommentar nicht von seinem Teamkamerad ans Schienbein getreten zu werden.
"Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil wir einfach ohne ihn weg sind, okay? Kranksein ist nämlich echt scheiße.", rechtfertigte Yaku seinen Einkaufsbummel.
"Sag bloß, du hast ihm Tütensuppe gekauft? Das wär mal geil.", konnte sich Kuroo einfach nicht zurücknehmen, aber Yaku ignorierte seinen dummen Kommentar. Kenma neben ihm seufzte.
"Wollten wir nicht gehen?", fragte er ungeduldig.
"Also ich wär fertig. Will noch jemand was von meinen Pommes, sonst schmeiß ich sie weg?", fragte Yaku und hielt seinen Teamkameraden die mit Ketchup verschmierte Schachtel unter die Nase. Kenma verzog angewidert das Gesicht und schüttelte heftig mit dem Kopf.
"Gerne.", sagte Kuroo dafür dankbar und riss sich gleich die ganze Packung unter den Nagel.
Lev würde sich bestimmt freuen, dass sein Teamkamerad so aufmerksam war und ihm extra Geschenke mitbrachte. Vielleicht war das aber auch nur eine Bestechungstaktik, um zu verhindern, dass er wieder sein Annahmetraining mit Yaku schwänzte. Wenn ja, dann war ihr Libero doch raffinierter als er dachte. Vielleicht gab es aber auch noch andere Gründe, von denen er nichts wusste.
"Wolltest du mir nicht ein Eis kaufen?", erinnerte Kenma seinen Freund an sein Versprechen, der sich daraufhin fast an seinen Pommes verschluckte.
"Macht nichts.", seufzte Kenma, "Ich bin eh viel zu müde, um jetzt noch Eis zu essen. Ich wollte dich nur daran erinnern.", sagte er mit gleichgültiger Stimme, als sich das Trio endlich auf dem Weg zum Ausgang machte, "Also denk nicht, dass ich es vergessen hätte."
"Sorry Kenma.", sagte Kuroo und wuschelte seinem Freund durch die Haare, "Ich mach das alles wieder gut, versprochen."
"Nimm bitte deine fettigen Finger aus meinen Haaren.", seufzte Kenma genervt und lief schon ein paar Meter voraus. Kuroo und Yaku schauten ihrem Teamkamerad besorgt hinterher.
"Ich glaube, das war heute alles ein bisschen viel für ihn.", meinte Yaku und Kuroo nickte.
"Ein klassischer Fall von Reizüberflutung. Wir sollten ihn schnell nach Hause bringen und in eine Decke einwickeln.", meinte er.
"Ist die Decke wirklich notwendig?", fragte Yaku ungläubig.
"Ja, ist sie.", erwiderte Kuroo. So nahm der aufregende Tag im Freizeitpark zumindest für die drei noch ein ruhiges Ende. Der nächste Ausflug war schon geplant, aber diesmal würde Kuroo vielleicht doch lieber Bokuto mitnehmen. Dann könnten sie auch einmal wieder mit einer der härteren Achterbahnen fahren und so richtig schön zusammen ausrasten. Aber vorher würde er Kenma noch auf einen großen Eisbecher einladen. Das war er ihm schuldig, nachdem er ihn heute so vernachlässigt hatte.
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