Kapitel 5
Der Morgen der Abfahrt fühlte sich an wie der erste Tag einer langen Reise, auf die ich mich gefreut hatte, die mich aber auch unglaublich nervös machte. Ich stand mit Seungmin und Jeongin am Treffpunkt auf dem Schulhof, und während um uns herum alle in aufgeregten Stimmen über die bevorstehende Klassenfahrt plauderten, schlich sich das Kribbeln in meinem Bauch erneut ein. Endlich rollte der große Reisebus auf den Hof, und die Lehrer – darunter natürlich Mr. Lee – begannen, uns in die Sitzreihen einzuteilen. Ich beobachtete ihn heimlich, wie er ruhig mit den anderen Lehrern sprach und dabei ab und zu in unsere Richtung sah.„Jisung! Han Jisung?" Die Stimme unseres Klassenlehrers riss mich aus meinen Gedanken. Ich trat einen Schritt vor und sah neugierig zu ihm.„Da wir eine ungerade Anzahl an Schülern haben, wird einer von euch neben einem Lehrer sitzen müssen. Mr. Lee hat angeboten, dass du dich neben ihn setzen kannst."Mein Herz setzte einen Moment lang aus, und meine Freunde neben mir starrten mich mit großen Augen an. Neben *ihm* sitzen? Ausgerechnet Mr. Lee? Die anderen Schüler murmelten hinter vorgehaltener Hand, einige grinsten und schienen amüsiert über mein unfreiwilliges „Glück".Ich zwang mich zu einem Nicken und einem „Okay", während meine Freunde mich mit vielsagenden Blicken verabschiedeten und ihre Plätze weiter hinten im Bus einnahmen. Mit einem mulmigen Gefühl ging ich nach vorn, wo Mr. Lee bereits Platz genommen hatte und seinen Blick kurz von seinem Handy hob, als ich näherkam.„Morgen, Jisung." Er lächelte mich freundlich an und machte eine einladende Geste. „Setz dich, es wird eine lange Fahrt."Ich nickte, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen, und ließ mich auf den Sitz neben ihm sinken. Der Bus begann zu rollen, und der vertraute Klang der Reifen auf der Straße mischte sich mit dem leisen Gemurmel der anderen Schüler im Hintergrund.Die ersten Minuten vergingen schweigend, und ich wusste nicht genau, wohin ich blicken sollte. Mr. Lee schien das zu bemerken und brach das Schweigen schließlich.„Freust du dich auf die Klassenfahrt?"„Ja, schon... irgendwie", stammelte ich, ohne meine Nervosität ganz verbergen zu können. „Es ist das erste Mal, dass wir länger wegfahren."Er nickte und legte sein Handy beiseite. „Es wird bestimmt eine gute Erfahrung. Die Ausflüge sollen ganz interessant sein, und das Waldgebiet soll schön sein."Es war schwer, die Aufregung in meiner Stimme zu unterdrücken, während wir uns weiter unterhielten. Seine Stimme war ruhig und vertraut, und während der Bus die Stadtgrenzen hinter sich ließ, spürte ich, wie meine Anspannung langsam nachließ. Es war seltsam – das Gefühl, neben ihm zu sitzen, so nah, und gleichzeitig doch so getrennt von der Distanz, die unser Alltag normalerweise vorschrieb.Irgendwann waren wir mitten in einem Gespräch über Filme und Musik, und ich war überrascht, wie entspannt und normal er wirkte. Er fragte mich, was ich gerne höre, und ich fand mich dabei, ihm von meinen Lieblingsbands und ein paar Liedern zu erzählen, die mir besonders wichtig waren.„Hast du irgendeinen Lieblingssong, der dich auf langen Fahrten immer begleitet?" fragte er, als der Bus langsam über die Autobahn rumpelte.Ich überlegte kurz und nannte ihm dann ein Lied, das ich oft hörte, wenn ich nervös oder aufgeregt war. Zu meiner Überraschung kannte er es, und wir unterhielten uns eine Weile darüber, bis es sich anfühlte, als wäre er kein Lehrer, sondern ein älterer Freund. Als ich das merkte, schoss mir das Blut in die Wangen, und ich wandte schnell meinen Blick zum Fenster.Ich konnte spüren, wie Mr. Lee mich anblickte, und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzog. Er sagte jedoch nichts dazu, und ich war erleichtert, dass er nicht auf mein plötzliches Schweigen einging.Einige Stunden später, als der Bus zu einer Pause anhielt, blieben wir beide im Bus sitzen, während die meisten Schüler zum Rastplatz liefen, um sich Snacks zu holen. „Möchtest du auch etwas holen?" fragte er und musterte mich neugierig.Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab noch ein paar Snacks dabei, aber danke."Er lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. „Weißt du, es ist schon lange her, dass ich so eine Fahrt mit Schülern gemacht habe. Ich erinnere mich noch an meine eigene Schulzeit – das waren die besten Ausflüge."„Echt? Was habt ihr gemacht?" fragte ich neugierig, ohne lange darüber nachzudenken. In dem Moment war er mir weniger wie ein Lehrer und mehr wie eine vertraute Person vorgekommen, der ich ehrlich meine Neugier zeigen konnte.Er lachte leise und erzählte von seinen eigenen Ausflügen, wie sie sich nachts im Wald verlaufen hatten und wie sie heimlich versucht hatten, sich an den Lehrern vorbeizuschleichen, um eine Mutprobe zu wagen. Ich lachte und konnte mir ihn als Schüler plötzlich bildlich vorstellen – neugierig, abenteuerlustig und wahrscheinlich genauso ein bisschen rebellisch wie wir alle.„Wahrscheinlich genau das, was ich euch verbieten sollte", sagte er mit einem Augenzwinkern. In diesem Moment, als er mir so offen und fast wie ein Freund von früher erzählte, wurde mir klar, wie sehr ich mich in seiner Nähe wohlfühlte – zu sehr vielleicht. Mein Lachen verstummte, und ich spürte, wie er mich erneut ansah, diesmal mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz deuten konnte.„Aber du bist anders, Jisung. Ich glaube, du bist jemand, der ganz andere Dinge sieht und fühlt als die meisten."Seine Worte überraschten mich, und ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Diese kurze Bemerkung fühlte sich an, als hätte er mir ein Stück von mir selbst aufgezeigt, das ich kaum jemandem je preisgegeben hatte.Bevor ich antworten konnte, kehrten die anderen Schüler in den Bus zurück und beendeten unseren Moment. Ich rückte ein wenig von ihm ab, unfähig, die Mischung aus Freude und Scham in mir zu kontrollieren.Als die Fahrt weiterging, hielt ich meinen Blick wieder stur auf das Fenster gerichtet, während mein Herz in einem wilden Takt schlug. Der Wald kam immer näher, und mit jeder Minute wusste ich weniger, wie ich diese Woche in seiner Nähe überstehen sollte – und ob ich es überhaupt wollte.
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