08. Unexpected
Mit großer Mühe unterdrückte ich zunächst einen Schrei, während mein Herz zu rasen begann.
„Bleib ganz ruhig, Bel, es ist nur Niall, der neben dir liegt", versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Dann begann mein Gehirn zu arbeiten.
Was war passiert? Warum lag ich in Nialls Armen? Ich war mir so sicher gewesen, dass er sein Versprechen, mich nicht zu berühren, nicht brechen würde aber ich schien mich in dieser Hinsicht wohl getäuscht zu haben. Und dann bemerkte ich etwas, was mich noch mehr verwirrte: Wir lagen auf seiner Seite des Bettes!
Nachdem es mir gelang, meine Atmung einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, versuchte ich mir zusammenzureimen, was wohl geschehen war.
„Denk nach, Belita!", sagte ich in Gedanken zu mir selbst.
Da ich in seinem Territorium lag, konnte er also nicht an mich herangerückt sein. Demnach musste ich es gewesen sein, die ihm immer näher gekommen war! So nahe, dass er mich vielleicht in seine Arme genommen hatte, um das Schlafen für uns beide komfortabler zu gestalten oder vielleicht auch, um mir das Gefühl zu geben, dass er mich vor dem Gewitter beschützen würde.
Ich wusste es nicht genau aber so in etwa musste es sich zugetragen haben und demnach konnte ich ihm keinen Vorwurf machen. Die einzige Frage, die ich mir stellte, war, warum ich ihm so nahe gekommen war. Mein Unterbewusstsein schien das veranlasst zu haben aber wieso? Während all diese Fragen in meinem Kopf umher schwirrten, bewegte Niall sich plötzlich und öffnete langsam seine Augen. Sein Blick, als er mich anschaute, drückte eine gewisse Unsicherheit aus.
„Guten Morgen, Bel", murmelte er, während seine Arme sich von meinem Körper zurückzogen.
„Guten Morgen, Niall", erwiderte ich mit leicht spöttischem Unterton in der Stimme. Dann rutschte ich langsam auf meine Seite des Bettes, um ihm anschließend eine Frage zu stellen: „Kannst du mir bitte mal erklären, was das sollte?"
Er wusste sofort, worauf ich hinauswollte, denn er richtete sich auf und antwortete ohne Umschweife: „Also..., du bist immer näher an mich herangerückt. Irgendwann warst du dann auf meiner Seite vom Bett und zwar so nahe, dass es für uns beide bequemer war, meine Arme um dich zu legen. Als ich das getan habe, wurdest du total ruhig und hast tief und fest geschlafen. Ich hoffe, du nimmst mir das jetzt nicht übel... Und ich habe wirklich versucht, dich zu wecken, leider ohne Erfolg."
Meine Vermutung stimmte also: Ich war an ihn herangerückt. Was zum Teufel hatte ich mir dabei nur gedacht? Alles was ich in dieser Situation tun konnte, war, ein lautes Seufzen von mir zu geben, was Niall wiederum zu einem: „Es tut mir echt Leid aber was hätte ich denn tun sollen?", zu sagen veranlasste.
„Weiß ich auch nicht", brachte ich verwirrt hervor. „Ich frage mich nur, warum ich das getan habe, verstehst du?"
Er überlegte kurz und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil dein Unterbewusstsein es so wollte."
„Soweit war ich auch schon... aber warum wollte es das?"
„Keine Ahnung, diese Frage darfst du mir nicht stellen, ich bin kein Psychologe."
Er war zwar kein Psychologe aber er hatte innerhalb von einer Woche etwas geschafft, wozu meine Psychologin seit vier Jahren nicht in der Lage zu sein schien: Er durfte seine Arme um mich legen, ohne dass ich total ausrastete!
Diese Erkenntnis traf mich wie ein Blitz und machte mich auch irgendwie stolz. Ich hatte nicht geschrien, war nicht weggelaufen und hatte ihm nicht die Hölle heiß gemacht, weil er mich berührt hatte. Das war wirklich ein riesiger Fortschritt!
Außerdem formte sich eine Erklärung für die ganze Sache in meinem Kopf: Meine Angst vor Gewittern, musste mich dazu veranlasst haben, die Nähe eines Menschen zu suchen. Das tat ich schon von klein auf. Früher war ich immer in Günthers Bett gekrochen, wenn es mal gestürmt hatte. Große Brüder beschützten eben ihre kleinen Schwestern und irgendwie schien das noch in meinem Hinterkopf zu sein.
Bestimmt hatte mein Unterbewusstsein mir vorgegaukelt, dass Günther neben mir liegen würde und so war ich automatisch auf die andere Seite des Bettes gerückt. Deswegen fühlte es sich auch so vertraut an und ich war zwischendurch nicht aufgewacht, sondern erst am Morgen.
Zufrieden mit meinen Gedankengängen schlug ich nun die Bettdecke zurück, um mich in das Badezimmer zu verkrümeln. Bevor ich dieses jedoch erreichte, hörte ich Nialls Stimme: „Ich vermute, du hast nichts dagegen, wenn wir uns das Frühstück aufs Zimmer kommen lassen."
„Nein, habe ich nicht", murmelte ich vor mich hin und stieß dann die Tür zum Bad auf.
Ich beeilte mich mit dem Duschen, da er ja auch noch ins Bad wollte und stellte beim Abtrocknen überrascht fest, dass es in diesem Hotel sogar Einweg-Zahnbürsten gab. Hier wurde wirklich an alles gedacht! Nachdem ich mich angezogen und meine langen Haare gebürstet hatte, verließ ich nach einem prüfenden Blick in den Spiegel das Badezimmer, welches dann sofort von Niall belegt wurde.
„Falls der Zimmerservice inzwischen auftauchen sollte, liegt auf meinem Nachttisch das Trinkgeld", sagte er, als wir uns die Türklinke in die Hand gaben.
Ich schlucke kurz, als er nur mit seiner Boxershorts bekleidet vor mir stand und versuchte nicht allzu sehr auf seinen Oberkörper zu starren, an welchen ich mich noch vor kurzer Zeit gekuschelt hatte. Also nickte ich leicht und ging anschließend zum Fenster, um einen Blick nach draußen zu werfen.
Überrascht schaute ich in den strahlendblauen Himmel, der nur einige winzige Wolken aufwies, die jedoch keinen weiteren Regen vermuten ließen. Wir würden somit bestimmt eine angenehme Rückfahrt nach Mullingar haben. Ein dezentes Klopfen an der Zimmertür riss mich abrupt aus meinen Gedanken und ich rief nur ein lautes „Herein".
Daraufhin öffnete sich die Tür langsam und eine freundlich lächelnde Dame servierte unser Frühstück. Mein Magen begann sofort zu knurren, als ich all die Köstlichkeiten erspähte, die auf einem Servierwagen hereingebracht wurden.
Zunächst gab ich ihr das Trinkgeld, wie Niall es mir aufgetragen hatte und schenkte mir dann eine Tasse Tee ein. Dabei fiel mein Blick auf das Etikett des Teebeutels, was mich zum Schmunzeln animierte. Gleichzeitig öffnete sich die Badezimmertür, durch die Niall nun spazierte.
„Hast du diesen Tee geordert?", frage ich grinsend und deutete auf das Etikett.
Niall musste lachen. „Klar, ich weiß doch, was wir beide mögen", meinte er und gesellte sich zu mir. „Ginger und Lemon von Twinings."
Wir saßen nun zu zweit vor dem kleinen Tisch, jeder auf einem Sessel und verdrückten mit großem Appetit unser Frühstück. Ich aß gerade meinen dritten Toast, als Nialls Handy sich plötzlich meldete. Er stellte es kurzerhand auf Lautsprecher, um weiter in Ruhe sein Essen genießen zu können.
„Hi, Darragh, was gibt's?", fragte er fröhlich.
„Hey, Alter, wo steckt du denn?", hörten wir Darraghs Stimme.
„Wieso?", fragte Niall nur.
„Weil wir gerade vor eurem Haus stehen und dein Range Rover nicht da ist. Als ich geklingelt habe, hat auch keiner aufgemacht."
Niall schluckte einen Bissen von seinem Toast hinunter, bevor er antwortete.
„Mein Dad ist mit Sicherheit auf der Arbeit und ich bin, wie du schon festgestellt hast, auch nicht da."
Er zwinkerte mir zu, worauf ich prompt lachen musste, was Darragh natürlich hörte.
„Alter, hast du etwa eine aufgerissen und für die Nacht klar gemacht?", fragte er plötzlich. Im Hintergrund war Nelias Lachen zu vernehmen, die das wohl witzig zu finden schien.
Niall räusperte sich kurz und antwortete dann: „Nein, ich habe keine aufgerissen aber ich habe mit einem Mädchen die Nacht zusammen in einem Hotelzimmer in Cork verbracht. Und um deine schmutzige Fantasie etwas zu bremsen: Nein, wir hatten keinen Sex miteinander."
„Alter, willst du ich verarschen?", platzte Darragh heraus.
Das war eindeutig zu viel für mich. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und lachte laut los, was Niall nun auch tat.
„Sag mal, das ist doch Bel, oder?", vernahmen wir Nelias aufgeregte Stimme.
„Tja, Darragh, deine Freundin hat es eher geschnallt als du", meinte Niall immer noch lachend.
„Du bist mit Bel in Cork? Seit wann seid ihr denn dort?", wollte Darragh wissen.
Niall erzählte seinem Freund daraufhin, was sich ereignet hatte und dass wir aufgrund des orkanartigen Sturms gezwungen waren, in Cork zu übernachten. Ich hörte gespannt zu und wartete auf eine Reaktion, die auch prompt kam.
„Ihr hättet ja mal Bescheid sagen können, dann wären wir mitgefahren!", sprach Darragh ein klein wenig beleidigt.
Nun mischte ich mich ein. „Das nächste Mal nehmen wir euch beide mit, versprochen. Es hat sich halt einfach so ergeben, dass Niall und ich alleine losgefahren sind, weil wir uns ein bisschen besser kennenlernen wollten, also seid nicht sauer, ihr Zwei."
„Wir sind nicht sauer, ok? Wann kommt ihr denn wieder zurück?", hörten wir Nelia fragen.
„Nachher, warum?"
„Weil wir heute Abend eine Lagerfeuer Party machen wollen und da brauchen wir Niall mit seiner Gitarre", kam es von Darragh.
„Ist kein Problem", meinte Niall und verabschiedete sich anschließend.
„Nicht mal in Ruhe Frühstücken kann man", beschwerte er sich grinsend und bediente sich prompt an den Rühreiern.
„Ich glaube, wir haben die beiden schockiert", meinte ich lachend.
Niall zwinkerte mir mit seinen blauen Augen zu. „Kann schon sein aber das ist mir relativ egal."
Dann setzte er einen nachdenklichen Blick auf. „Sag mal, Bel, du hast da vorhin etwas gesagt... So in der Art, wir sind alleine hierher gefahren, um uns besser kennenzulernen..."
„Jaaa", erwiderte ich gedehnt.
Nun grinste er erneut. „Und? Kennst du mich jetzt besser?"
„Na ja, ich weiß zumindest, dass ich wieder mit dir in einem Doppelbett schlafen würde, wenn die Situation es erfordert." Was redete ich da? Ich war geschockt und verwundert über meine eigene Aussage doch es kam noch schlimmer.
„Heißt das, du vertraust mir?", wollte er wissen.
„Na ja, ein bisschen."
Das entsprach durchaus der Wahrheit. Ich hatte begonnen, ihm zu vertrauen und ich hoffte, dass ich es nie bereuen würde. Nialls Lächeln machte mir irgendwie Mut und gab mir das Gefühl, dass das, was ich spürte, nicht unbedingt falsch zu sein schien.
Nach dem Frühstück verließen wir das Hotel, spazierten zu seinem Wagen und beratschlagten, ob wir gleich nach Mullingar zurückfahren sollten. Doch irgendwie hatten wir beide noch keine Lust dazu, zumal ich gestern nicht allzu viel von Cork, abgesehen von der Einkaufsstraße, zu Gesicht bekommen hatte. So entschlossen wir uns dazu, noch einen kleinen Bummel an der frischen Luft zu machen.
Es endete damit, dass ich in einer Seitenstraße ein Schuhgeschäft entdeckte und mir tatsächlich noch ein paar Sneakers zulegte. Niall lud mich später zum Mittagessen in ein kleines Fischrestaurant ein, welches alle meine Erwartungen übertraf. Der fangfrische Fisch konnte durchaus mit dem konkurrieren, der in Spanien serviert wurde.
Gegen halb zwei traten wir dann, gut gesättigt, den Rückweg nach Mullingar an. Gott sei Dank gab es keine weiteren Probleme bezüglich des Wetters und so wir trafen am späten Nachmittag vor Anns und Sams Haus ein. Niall begleitete mich nach drinnen und folgte mir in mein Zimmer, nachdem wir Ann begrüßt hatten. Dort standen wir nun voreinander und schauten uns an.
„Ich bewundere dich", sagte er plötzlich, wobei ein Lächeln über sein Gesicht huschte.
„W... Was? W... Warum denn?", stammelte ich verlegen.
„Weil du unheimlich tapfer bist. Du hast dieses schlimme Trauma und hast trotzdem nicht geschrien, als du heute Morgen in meinen Armen aufgewacht bist. Das ist... echt... bewundernswert..."
Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte und sagte einfach nur: „Danke."
Dabei schaute ich in seine himmelblauen Augen, die immer noch auf mir ruhten.
Diese Nacht hatte etwas verändert. Ich wusste plötzlich, dass es Berührungen gab, die ich von ihm zulassen konnte, dass ich wahrscheinlich nicht mehr schreien würde, wenn er seine Arme um mich legte. Es war ein gutes Gefühl, welches sich in mir ausbreitete.
„Ich hole dich gegen sieben ab", sagte Niall, bevor er aus meinem Zimmer ging.
Als erstes ließ ich mich auf mein Bett fallen, weil ich es einfach nicht fassen konnte. Wieso er? Warum durfte er mich plötzlich berühren? Ging das nicht alles viel zu schnell? Normalerweise vertraute ich männlichen Wesen überhaupt nicht, es sei denn, ich kannte sie seit Jahren. Doch irgendwie war das bei Niall komplett anders. Ich musste herausfinden, warum.
Mein Handy klingelte und riss mich aus meinen Gedanken. Ich warf einen raschen Blick darauf, um festzustellen, dass Nelia mit mir sprechen wollte.
„Hey, Püppi, was gibt's denn?", fragte ich neugierig.
Sie schnaufte ins Telefon. „Das könnte ich dich auch fragen aber das verschiebe ich auf später. Ich soll dir nämlich von Darragh ausrichten, dass du einen Schlafsack mitnehmen sollst. Dort, wo wir heute Abend hingehen, steht eine große Hütte und in der übernachten wir dann."
Niall hatte bestimmt vergessen, mir das mitzuteilen aber es war auch egal, weil ich keinen Schlafsack besaß, zumindest nicht in Irland.
„Toll, Püppi! Und wo soll ich so ein Ding hernehmen?", fragte ich missmutig.
„Ich kann Darragh fragen, ob er noch einen auftreiben kann, das ist gar kein Problem", meinte meine kleine Schwester. Hilfsbereit war sie ja schon immer, da konnte man nicht meckern.
„Ok, dann bis später", verabschiedete ich mich.
Wir würden also alle in einer großen Hütte schlafen. Das konnte was werden! Die beste Lösung in dieser Hinsicht für mich war, mich zwischen Nelia und Niall zu legen, alles andere ging überhaupt nicht. Seufzend packte ich einige Sachen zusammen, um für die Nacht vorbereitet zu sein.
Pünktlich um sieben stand Niall mit seinem Wagen vor der Tür, um mich abzuholen. Zu meiner Überraschung sagte er: „Ich hab dir einen Schlafsack mitgebracht, Bel."
Ich zog meine Augenbrauen nach oben. „Dann braucht Darragh keinen aufzutreiben."
Niall erwiderte grinsend: „Ich habs vergessen dir vorhin zu sagen, tut mir echt Leid."
„Schon ok." Ich wusste nicht, ob ich ihm das so abnehmen sollte, konnte ihm aber einfach nicht böse sein, weiß der Himmel warum.
„Wir holen jetzt deine Schwester und den Vampir ab, dann kann es losgehen", meinte er trocken, worauf ich prompt lachen musste.
Nachdem wir Nelia und Darragh eingesammelt hatten, fuhren wir noch ca. zehn Minuten, bevor wir einen Feldweg erreichten, der zu einer Hütte führte, die an einem Waldrand lag. Es waren schon einige Leute dort und diese hatten auch schon begonnen, das Lagerfeuer anzuzünden.
Darragh trug unsere Schlafsäcke in die Hütte und ich folgte ihm auf den Fersen, um sicher zu gehen, dass er diese auch richtig platzierte. Doch meine Sorge war unbegründet.
„Bel, du liegst zwischen Niall, Nelia und mir", sagte er grinsend, was ich mit einem erleichterten Nicken quittierte. Somit konnte mir niemand fremdes zu nahe kommen oder mich erschrecken.
„Moment mal", sagte ich dann verwirrt, „wie bitte kann ich zwischen Niall, Nelia und dir liegen? Wenn, dann ist doch nur sie auf einer Seite..."
Bevor ich weiter sprechen konnte, unterbrach Darragh mich grinsend: „Nel und ich haben einen Doppelschlafsack."
Nach einem kurzen Schnaufen erfolgte meine spöttische Antwort: „Sag mir jetzt nicht, dass ihr heute Nacht neben mir poppen wollt! Das könnt ihr vergessen!"
„Und wie gedenkst du das zu verhindern?", fragte Darragh provozierend.
„Indem ich dich bewusstlos schlage", erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen und mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Ach, sieh einer an. Wenn es ums Schlagen geht, hast du wohl keine Angst davor, einen Kerl zu anzufassen?"
„Nein, hat sie nicht". Es war Nialls Stimme, die das sagte. Er stand plötzlich hinter mir und schmunzelte vor sich hin. Mit Sicherheit dachte er an den Vorfall, der sich auf dem Golfplatz zugetragen hatte. Ich wurde prompt rot, denn im Nachhinein tat es mir immer noch Leid, ihn so derb von mir weggestoßen zu haben.
„Alles ok wegen den Schlafplätzen?", fragte er und sah mir in die Augen.
Ich nickte nur, um den beiden dann nach draußen zu folgen. Als wir uns kurze Zeit später zu den anderen ans Lagerfeuer setzten, nahm Niall seine Gitarre in die Hand, spielte und sang dazu. Wie immer genoss ich es, ihm zuzuhören, wobei ich ihn auch beobachtete.
Seine ausdrucksstarken blauen Augen glänzten im Schein des Lagerfeuers und man konnte ihm richtig ansehen, dass er für die Musik lebte. Dieser Junge hatte seine Bestimmung bereits gefunden, worum ich ihn wirklich beneidete. Denn ich stellte mir tagtäglich die gleiche Frage: Würde ich jemals meine Bestimmung finden? Warum ich eigentlich auf dieser Welt verweilte?
Natürlich hatte ich auch Träume und Wünsche aber diese erschienen mir so surreal, dass ich glaubte, sie würden sich sowieso niemals erfüllen. Irgendwann wollte ich eine Familie haben, das stand fest: Einen Mann, der mich liebte und dem ich vertrauen konnte und auf jeden Fall Kinder. Aber das schien alles so weit weg zu sein, ich hatte ja nicht einmal einen Freund und scheute mich immer noch davor, eine Beziehung einzugehen.
Während ich meinen Gedanken nachging, drang Nialls Stimme in mein Ohr. Der Text, den er gerade sang, traf irgendwie auf mich zu, vielleicht war es auch deshalb eines meiner Lieblingslieder.
„Don't you worry, don't you worry child, heavens got a plan for you..." *
Ja, der Himmel hatte mit Sicherheit einen Plan für mich, ich wusste nur noch nicht, welchen.
Die Zeit verging wie im Flug, einige lagen schon sturzbetrunken in der Hütte, aber Niall, Sean, Dylan, Nelia, Darragh und ich machten tapfer weiter. Doch irgendwann überkam mich die Müdigkeit und ich bekam nur noch mit, dass mein Kopf sich an Nialls Schulter legte, bevor ich endgültig ins Reich der Träume entschwand. Ich hörte zwar noch Stimmen, doch diese baute ich in meinen Traum mit ein.
„Scheiße, Finn hat sich auf eure Schlafsäcke gelegt". Es hörte sich an wie Darraghs Stimme.
„Und was nun?" Das war eindeutig Niall.
Und wieder sprach Darragh. „Keine Ahnung! Nel hat sich unseren Schlafsack geschnappt und in Sicherheit gebracht, bevor er alles vollkotzt."
„Tolle Aussichten!", vernahm ich Nialls Stimme und gleichzeitig legte sich eine Hand vorsichtig auf meine Wange. In meinem Bauch kreisten plötzlich Schmetterlinge.
„Sie schläft tief und fest, ich kann sie nicht wecken". Wir recht Niall doch hatte!
„Hast du es schon mal versucht?" War das Sean?
„Ja, in Cork. Leider ohne Erfolg!"
Oh, Niall erinnerte sich an unsere erste gemeinsame Nacht in einem Hotelzimmer! Wie witzig! Und war das Nelia, die jetzt lachte? Was für ein irrer Traum, ich hätte mir gewünscht, die Augen öffnen zu können, um die Gesichter zu sehen, die ich förmlich spüren konnte. Alle Augen schienen auf mich gerichtet zu sein.
„Hör zu, Sean ich hab eine Idee." Jetzt wurde es spannend! Was Niall sich wohl ausdenken würde?
„Hier ist mein Autoschlüssel. Mach den Range Rover auf und klapp die Rückbank um, nach vorne. Dann kann ich Bel hinten reinlegen."
Sehr coole Idee, so was gab es auch nur im Traum! Ich hörte Schritte, die sich entfernten und kurz darauf vernahm ich Nelias besorgte Stimme: „Niall, es ist gefährlich, sie einfach so anzufassen! Es könnte sein, dass sie um sich schlägt und dir eine reinhaut."
Ich doch nicht! Würde ich doch nie tun! Zumindest bei Niall nicht aber Gott gnade jedem anderen, der mich einfach so anfassen würde! Das durfte nur der blonde Ire! Stopp! Was hatte ich da gerade gedacht? Aber es war ja nur ein Traum, da war alles erlaubt!
„Das muss ich dann wohl riskieren aber ich glaube nicht, dass sie das tut."
Gut gedacht, Niall! Ich wartete förmlich darauf, dass er mich endlich hochheben würde. Ich wollte spüren, wie sich das anfühlte. Schade, dass ich nur in meinen Träumen diesen Mut bewies. Und dann fühlte ich seine Hände und seine starken Arme, die mich mit einer gewissen Leichtigkeit und sehr vorsichtig anhoben.
Und schon tauchte es wieder auf: Dieses Kribbeln in meinem Bauch! Er trug mich wie einen kostbaren Gegenstand durch die Nacht. Das nächste, was ich wahrnahm, war Seans Stimme. „Ich hab ne Decke in deinem Auto gefunden. Damit kannst du sie zudecken."
Gute Idee, denn ich wollte nicht frieren, auch nicht in einem Traum!
„Denkst du, sie passt da rein?" Das war Dylan.
„Klar, sie ist ja kleiner als ich." Das stimmte, ich war kleiner als Niall. Wie doch in den Träumen manchmal so alles zusammenpasste!
Ich spürte, wie Niall mich ganz behutsam hinlegte. Es schien wirklich sein Range Rover zu sein, in dem ich mich nun befand. Dann fühlte es sich so an, als ob jemand eine Decke über meinem Körper ausbreiten würde. So ließ es sich aushalten!
„Siehst du, passt doch alles!", stellte Niall mit zufriedener Stimme fest.
Wollte er jetzt mit mir wegfahren oder was beabsichtigte er zu tun? Doch dann fiel mir wieder ein, dass ich ja im Wagen schlafen sollte. Ein sehr komischer Traum!
„Niall, kommst du jetzt mit rein?" Nelia fragte das.
„Ähm, nein? Ich werde Belita auf keinen Fall alleine in meinem Auto zurücklassen."
Das war ja mal eine sehr coole Ansage von ihm, hätte ich jetzt nicht gedacht!
„Ok, und warum nicht?" Offensichtlich war das Darragh, der Vampir. Vergiss es Junge, Niall wird dafür sorgen, dass du mein Blut auf keinen Fall zu trinken bekommst!
„Weil ich sie erstens nicht im Wagen einsperren will, denn das müsste ich tun, wenn ich in der Hütte pennen würde. Aber offen lassen will ich ihn auch nicht. Da könnte dann jeder rein und ich weiß nicht, ob das so gut wäre. Sie würde total erschrecken, wenn jemand sich einen Scherz erlaubt und sie einfach so anfasst. Das wird nicht passieren, so lange ich in ihrer Nähe bin."
Oh wie süß! Er wollte mich beschützen! Tief in meinem Innersten hatte ich immer gehofft, dass Niall das tun würde und in meinem Traum kam er meinen Vorstellungen von einem Boyfriend immer näher. Doch morgen würde ich aufwachen und mich der Realität stellen müssen. Sehr schade. Ich liebte diesen Traum, vor allem, weil er jetzt mit seinem Handrücken sanft über meine Wange streichelte.
„Sie schläft wirklich tief und fest", bemerkte er.
„Und wo wirst du dich hinlegen?", hörte ich Sean fragen.
„Auf den Beifahrersitz."
Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Wegen mir wollte er eine Nacht auf dem Beifahrersitz verbringen, wo es total unbequem war? Wie gerne hätte ich ihm zu verstehen gegeben, dass es kein Problem für mich sein würde, ihn neben mir liegen zu haben, im Gegenteil! Also in Cork hatte es ja auch funktioniert!
„Ok, dann gute Nacht, Niall!" Das riefen nun mehrere Stimmen.
Ich hörte, wie Schritte sich entfernten, die Kofferraumklappe vorsichtig geschlossen wurde und Niall im vorderen Teil des Wagens einstieg. Er rumorte noch kurz herum (vermutlich suchte er eine geeignete Liegeposition) und sagte dann leise: „Schlaf schön, Bel, ich pass auf dich auf. Du brauchst keine Angst zu haben."
Gott was für ein gigantisch schöner Traum! Warum musste so was aufhören? Hätte es nicht noch weiter gehen können? Warum gestattete dieser Traum mir nicht, dass Niall sich zu mir legte? Es wäre sicher schön gewesen, die Nähe seines Körpers zu spüren und auch die Wärme, die von diesem ausging. Ich wollte das so sehr aber mein Traum ließ es leider nicht zu, denn er brach ganz plötzlich ab und ließ mich in die Dunkelheit gleiten.
Als ich am nächsten Tag durch Sonnenstrahlen und leises Vogelgezwitscher geweckt wurde, vernahm ich ein leises Schnarchen.
„Püppi, hör auf", murmelte ich vor mich hin. Wie erwartet, kam keine Reaktion von meiner Schwester.
Irgendwie kam mir meine Liegeposition ziemlich merkwürdig vor und die Sonne in der Hütte sowieso. Meine Augenlieder öffneten sich zögernd und ich gewöhnte mich langsam an die Helligkeit.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich lag in Nialls Range Rover!
___________________________________________________________________________
Ups, schon wieder so eine Art Cliffhanger! Tut mir wirklich leid! :D
Danke übrigens für die 1k reads, habe mich sehr darüber gefreut.
*Titel des Songs, den Niall am Lagerfeuer singt: "Don't you worry child" von Swedish House Mafia
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro