Kapitel 9-4
Am späten Abend hatte Alexander das Geld beisammen. Davon konnte er sowohl seine als auch die Schulden des Zirkus bezahlen. Trotzdem blieb genug übrig, um sein Atelier die nächsten Monate zu finanzieren und weitere Bilder zu erstellen. Er hätte froh sein müssen. Lange hatte er seine Arbeit nur als Vergnügen betrieben. Einerseits, weil es ihn tatsächlich befriedigte, ihn vom Alltag ablenkte, andererseits, weil er sich gefürchtet hatte. Er war nie eitel seiner Bilder wegen gewesen und doch hatte ihm davor gebangt, ein anderer bezeichnete sie als Schund. Selbst jetzt, nach seinem großen Erfolg, hämmerte ihm sein Verstand ein, es wäre nur Glück. Dass die Käufer Lady Aisenbergs wegen und nicht aufgrund seiner Werke zugeschlagen hatten.
Er saß am Schlossteich und ließ Steine über die Wasseroberfläche springen. Florentine hätte ihn zu beschwichtigen gewusst. Nachdem sie ihn verlassen hatte, hatte er sich Zeit gelassen, ihr Raum gegeben. Erst als der Verkauf sich dem Ende neigte und er sein Geld zur Bank gebracht hatte, war er zum Zirkus gegangen und hatte des Direktors Schuldscheine ausgeglichen. Auf die Frage, ob er Florentine sehen könne, hatte man ihm ausweichend geantwortet, sie sei nicht da. Hoffnungsvoll war er zur Seidenweberstraße gegangen, aber auch dort fand er sie nicht vor. Wahrscheinlich mied sie ihn, wollte verhindern, dass er sie überredete.
Er verfolgte die Wellen, die die Steine über den See warfen. Sie breiteten sich aus, wie Florentine es in seinem Herzen getan hatte. Hätte er ihr die Verhandlung verschweigen sollen? Er war sich so sicher gewesen, dass sie ebenso bereit war zu kämpfen, wie er es war. Aber da hatte er sich getäuscht. Florentines Wille war erloschen, ihre Liebe zu gering, um weiterzumachen. Müde erhob er sich und wanderte die Teichpromenade entlang nach Süden. Noch heute musste er Johanna einen offiziellen Antrag machen, sonst könnte Sir Jeverbruch beim Herzog klagen. Doch er hatte keine Eile.
Der Weg schien sich schier endlos in die Weite zu ziehen und Alexander setzte nur langsam einen Fuß vor den anderen. Er hoffte insgeheim auf ein Wunder, das Florentine gleich auftauchen würde und ihn seines Schicksals erlöste. Aber sie kam nicht. Einzig verliebte Paare, sowohl bürgerlicher als auch adeliger Natur, promenierten entlang des Teichs. Er malte sich sein zukünftiges Leben als einen trostlosen Weg aus. Nicht einmal die bevorstehende Erbschaft rang ihm ein Lächeln ab. Eigentlich war er dankbar gewesen, dass Georg diese Last stemmen würde. Alexander hatte die Grafschaft niemals gereizt. Die Ländereien waren groß und als oberster Verwalter dieser war es seine Pflicht, regelmäßig zu seinen Pächtern zu reisen und nach dem Rechten zu sehen. In der Zeit, da er mit seiner Gattin in der Stadt verweilte, würde er sie zu allerlei Bällen und Festlichkeiten begleiten. Als Graf würde er ständig im Mittelpunkt stehen, angebiedert von jenen, die von seinem Reichtum profitieren wollten. Ansonsten stand ihm der regelmäßige Besuch des Herzogs und des Reichstags bevor. Sollte er noch ein wenig Zeit aufbringen können, würde diese von seinem unglückseligen Familienleben aufgefressen.
Genauso gut konnte er sich jetzt gleich ins Wasser begeben. Er würde nie mehr die Zeit finden, einen Pinsel anzurühren. Seine Frau würde sich um ihn bemühen, ihn vielleicht sogar lieben. Aber ein Leben lang würde sie am Vergleich mit Florentine scheitern. Er sah sich bereits bei jedem zukünftigen Zirkus nach ihr Ausschau halten. Würde sie bewusst Abstand zu ihm wahren?
Alexander erreichte den Gasthof zum Ehrenfall. Seine Gäste machten dem Namen alle Ehre. Und nun würde er es auch tun. Sich ehrlos verkaufen, um Schlimmerem zu entgehen. Zumindest wusste er dadurch seine Familie zeitlebens versorgt. Selbst wenn seine Schwestern nie einen Gatten fänden, so besäße er doch genug, um sie alle zu ernähren. Würde er je Kinder haben? Der Gedanke erschien ihm absurd. Weitere zukünftige Grafen in die Welt zu setzen, denen einmal selbiges Schicksal blühte. Andererseits konnte er Johanna keine Nachkommen verwehren. Sie hatte ebenso wenig eine Wahl wie er.
Er ließ sich von dem Gastwirt zum Zimmer der Jeverbruchs führen. Die Familie empfing ihn mit herzlicher Kühle. Einzig Johanna brachte ein mitfühlendes Lächeln über ihre Lippen. Er ratterte seine Verse hinunter, Sie akzeptierte sein Werben pflichtbewusst und Sir Jeverbruch holte die Papiere, die das Übrige regelten. Madame Jeverbruch begrüßte ihn förmlich in der Familie, doch sie hielt sich mit der Freude sichtlich zurück. Sir Jeverbruch war da anders. Er strahlte wie ein Sieger, der bald seine bevorstehende Beute einstreichen würde. Zumindest ging einer aus all dem glücklich hervor.
Alexander überlegte, ob er seine Trauer im Alkohol ersäufen sollte, aber er ersparte seiner Familie weitere Peinlichkeiten. Als er an Lady Aisenbergs Anwesen vorbeikam, blieb er stehen. Sein Blick wanderte die Fassade hinauf. Oben brannte noch Licht. Er hatte sich nicht in aller Form bei ihr bedankt. Ohne sie wäre all das nicht möglich gewesen. Sie hatte Florentine und ihn unterstützt, wo sie nur konnte. Es wäre ungerecht, sie in seinen Zorn auf die Welt miteinzuschließen.
Er ließ den Türklopfer springen und nach einer Weile öffnete Lady Aisenberg persönlich die Tür.
„Alexander, was für ein spätes Vergnügen", begrüßte sie ihn herzlich.
„Verzeiht mir, ich wollte Euch noch für heute danken."
Sie sah zum Himmel empor. „Und das musste um diese Uhrzeit sein? Die Dienerschaft ist bereits im Bett."
Er verneigte sich und wollte sich eilends davon machen, aber sie sah ihm wohl die Unentschlossenheit an. Der Gedanke, nach Hause zu kommen und seinem Vater zu sagen, dass er artig seine Pflicht erledigt hatte, bereitete ihm keine Freude.
„Ihr seht aus wie ein Heimatloser." Sie trat zur Seite und öffnete die Tür. „Kommt herein."
Zögernd folgte er der Einladung.
„Kann ich Euch ein heißes Getränk anbieten?"
„Ich möchte die Dienerschaft nicht aus den Betten läuten."
Die Lady lachte und winkte ab. „Unsinn, so was bringe ich auch selbst zustande. Setzt Euch ins Ruhezimmer, ich komme gleich."
Überrascht folgte sein Blick der Lady, die in Richtung der Küche verschwand. Seine Mutter hätte keine Ahnung, wie man einen Ofen bediente. Er bog in das gemütliche Zimmer zur Rechten ab. Glimmende Glut im Kamin kündete von einem vergangenen Feuer. Die Wärme hing noch im Raum. Erst als Alexander sich in das gepolsterte Sofa fallen ließ, bemerkte er, wie müde er war. Bevor er endgültig wegdämmerte, kam Lady Aisenberg mit zwei dampfenden Tassen Tee hinein und stellte sie auf dem Abstelltisch zwischen ihnen ab.
„Was für eine Ironie des Schicksals. Nun seid ihr unabhängig von Eurem Vater und erbt gleichzeitig seine Grafschaft."
„Ich bin vom Glück gesegnet", antwortet er mit einem falschen Lächeln.
„Habt Ihr in der Zwischenzeit mit Florentine gesprochen?"
„Das habe ich."
Sie sah ihn bedeutungsvoll an, aber er wendete nur den Blick ab.
„Sagt mir nicht, Ihr habt sie ziehen lassen?"
„Sie will es so."
„Oh gütiger Gott, wenn Ihr jedes Wort aus dem Mund einer Frau für bare Münze nehmt, steht Euch ein hartes Leben bevor."
„Sie liebt mich nicht mehr. Oder zumindest nicht genug, um all das hier zu ertragen."
Die Lady nahm ihre Tasse, pustete den Dampf weg und trank einen langsamen Schluck, ehe sie ihn kritisch musterte. „Sie kommt nicht aus unseren Kreisen. Für sie stellt das alles wahrlich eine schier unstemmbare Angelegenheit dar."
„Wollt Ihr sagen, sie wäre es nicht?"
„Ihr habt Euch zeitlebens zu sehr mit Nichtigkeiten beschäftigt, um die Lebensart Eures Standes zu kennen."
„Als Wollhändlerin müsst ihr es ja wissen", ereiferte sich Alexander.
„Es ist ehrliche, harte Arbeit."
„Mein Vater würde sagen, es ist unter unserer Würde."
„Ihr plant also, in seine Fußstapfen zu treten?"
„Offensichtlich."
„Ich hätte mehr von Euch erwartet."
„Was wollt Ihr von mir?"
„Dass Ihr um diesen Schatz kämpft, statt Euren Groll an anderen auszulassen."
Alexander sah zu Boden. „Es tut mir leid, wie ich mit Euch gesprochen habe."
„Das sollte es auch."
„Ich habe mein Möglichstes getan, sie zurückzuhalten", fuhr er fort, nachdem er einen Schluck Tee genommen hatte. Die angenehme Hitze beruhigte ihn.
„Das wage ich zu bezweifeln. Sonst säße sie jetzt hier neben Euch."
„Was hätte ich tun sollen?"
Die Lady rollte mit den Augen. „Ich rechne es Euch hoch an, dass Ihr Euch nicht wie Euer Vater benehmt, der die Damenwelt von oben herab behandelt. Aber hin und wieder solltet Ihr Euren Mann stehen. Zurzeit scheint es mir, als hätte Florentine diese Rolle übernommen."
„Soll ich sie etwa zwingen, mich zu heiraten?"
„Ihr sollt ihr Halt geben! Sie liebt Euch über alles und opfert ihre Träume, damit Ihr ein glückliches Leben führen könnt. Dabei ist es Eure Aufgabe, die Scherben aufzukehren und dafür zu sorgen."
„Ich kann das Wort des Herzogs nicht revidieren!"
„Papperlapapp. Er kann Euch nicht zwingen, dieses Mädchen zu heiraten."
„Und ich ihn nicht ein Leben lang bezahlen, wenn ich meinen Stand verliere."
„Was hat denn Graf Hornwald getan, als er, bar eines Sohnes, vorhersah, dass sein Land unter anderen aufgeteilt würde?"
„Er hat seine älteste Tochter mit meinem Vater verheiratet."
„Was ihm keine rechtlichen Ansprüche garantierte", sagte Lady Aisenberg in einem Ton, als spräche sie mit einem Kind. „Er hat eine Vereinbarung getroffen. Der Vorteil des Adels liegt in seinen guten Beziehungen zur Obrigkeit. Trefft eine Übereinkunft mit den Beteiligten."
„Ich bin ungeübt in solchen Dingen."
„Sir Jeverbruch ist ein gieriger Mann, der schnelles Geld sucht. Bietet ihm eine höhere Summe auf einmal und er wird zufrieden sein. Des Herzogs Spruch mag Gesetz sein, aber solange niemand Euch des Gesetzesverstoßes klagt, wird auch keiner über Euch richten. Und wenn es Euch um das Erbe geht, so lasst Florentine in den Adelsstand erheben."
„Warum sollte der Herzog ihr den Adelsbrief geben?"
Die Lady rieb Zeigefinger und Daumen aneinander. „Mit den richtigen Argumenten kann selbst eine Frau ohne besondere Verdienste zu uns aufstoßen."
„Ich habe Fräulein Johanna bereits mein Versprechen gegeben, sie zu heiraten", sagte er mit gesenktem Kopf.
„Ihr seid ein ehrenhafter Tölpel." Sie nahm einen weiteren genüsslichen Zug von ihrem Tee.
„Nur weil Ihr über alles besser Bescheid zu wissen scheint, steht es Euch nicht zu, über mich zu richten!"
„Und doch tue ich es."
„Habt Ihr nicht selbst eine Vernunftehe getroffen? Wie war es, vereinsamt neben Eurem dahinvegetierenden Gatten zu darben? Fühlte es sich nicht an, als würdet Ihr Euer Leben nur verschwenden?"
Damit hatte er getroffen. Die Lady behielt zwar ein starres Lächeln auf den Lippen, aber in ihren Augen blitzte es betroffen auf. „Ihr solltet jetzt gehen, mein Herr. Eure Wut lässt mich zweifeln, ob Ihr meinen Ratschlag verdient habt."
„Was hat er mir denn eingebracht? Er kam zu spät."
„Ihr kamt zu spät!" Die Lady erhob sich langsam und schritt zur Tür, die sie ihm öffnete. „Und jetzt ist es an Euch, auf eigenen Beinen zu gehen."
Alexander blieb einen Moment sitzen wie ein sturer Junge. Er hatte sie in seiner Wut verletzt und das tat ihm leid. Lady Aisenberg war immer gut zu ihm gewesen und er verprellte sie. „Entschuldigt mein Verhalten", sagte er im Gehen.
„Euer Darlehen an Entschuldigungen neigt sich dem Ende, aber ich will noch einmal darüber hinwegsehen. Guten Abend, Herr Arling."
Kurz nach Alexanders Weggang klopfte es erneut an der Tür und die Lady fürchtete bereits, er wäre zurückgekommen. Stattdessen erschien ein dunkel gekleideter Mann in der Tür, den sie freudig begrüßte.
„Ich dachte, ihr kämt überhaupt nicht mehr."
„Es war nicht leicht, ihn aufzutreiben. Er war nicht geneigt, Besuch zu empfangen, noch Geschäfte zu machen."
„Konntet Ihr ihn dennoch dazu bewegen?"
Er reichte ihr einen Vertrag, gezeichnet von Baron Adam Kloppenburg.
„Wunderbar. Informiert den Architekten. Er soll sofort mit der Planung beginnen."
„Sehr wohl, Milady."
Der Mann verschwand in der aufkommenden Nacht und die Lady schloss zufrieden die Tür.
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