Kapitel 8-4
Baron Bocken klopfte höflich an dem Tor der Arlings an. Ein Bediensteter öffnete ihm und fragte nach seinen Wünschen. Bocken entgegnete, der Graf erwarte ihn bereits sehnsüchtig.
„Der Graf ist zurzeit unpässlich, mein Herr."
„Das verstehe ich, doch macht Euch keine Sorge, mich wünscht er zu sehen. Ich bin hier, um seine Probleme zu bereinigen."
„Verzeiht, mein Herr, ich werde sogleich nachfragen."
„Und mich hier in der Kälte stehenlassen wie ein Hund? Was erlaubt Ihr Euch?!"
Der Diener sah sich unsicher nach allen Seiten um. „Mögt Ihr in der Eingangshalle warten?"
„Sehr gerne."
Der Bedienstete ließ ihn eintreten. „Ich werde seine Exzellenz von Eurer Anwesenheit unterrichten."
„Ich komme gleich mit. Ihr werdet sehen, er wird mich freudig empfangen."
Dem Diener war dieser Affront zwar sichtlich unangenehm, aber er wagte keinen Widerspruch. „Baron Bocken für Euch, gnädiger Herr", stellte der Bedienstete den Gast vor.
Der Angekündigte betrat das Audienzzimmer des Grafen und sah sich aufmerksam um. Eine Tapete mit dem Falken der Arlings und dem Habicht des mit ihm verbundenen Hauses Horntal säumte die Wände. Bocken trat auf den edlen Teppich, hinterließ scharrend seinen Abdruck darauf. Der Graf stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor dem wuchtigen Kamin. Bocken nahm auf einem der herrschaftlichen Armsessel vor diesem Platz und überschlug die Beine.
„Ich erinnere mich nicht, Euch eingeladen zu haben, Bocken", sagte der Graf.
„Das stört mich in keiner Weise."
Der Graf drehte sich zu ihm um. Nur für einen Moment huschte Ärger in seinen Zügen auf, als er gewahrte, dass er es sich ungefragt gemütlich gemacht hatte. Dann machte sein Zorn dem Antlitz eines geschlagenen Manns wieder Platz. Die Schultern eingesunken, das Gesicht voll tiefer Falten, die Augen in ihren Höhlen vergraben; Bocken lächelte selbstzufrieden. Innerlich zückte er die Lanze, die er dem Gefallenen in die Brust zu stoßen gedachte.
„Solltet Ihr erneut einen Diskurs darüber starten wollen, inwieweit Ihr Anrechte auf Teile meiner Grafschaft habt, so verschwindet. Belangt mich in Anwesenheit des Herzogs damit, wo es mir die Etikette verwehrt, Euch den Rücken zu kehren. Aber hier in diesem Haus dulde ich Euer Geschwafel nicht."
Bocken rieb die Hände aneinander. „Eure Familie tendiert in letzter Zeit zu Extravaganzen. Ihr heiratet in den Pöbel ein, entehrt junge Edelleute ..."
„Wenn es mich nach Klatsch sehnt, lese ich die Tageszeitung." Der Graf hob befehlend die Hand.
Bocken richtete seinen Anzug und stand auf. „Dann will ich Euch nicht stören. Ich gebe den neusten Klatsch einfach an den Herold weiter."
Graf Arling runzelte die Stirn und gebot ihm, sich zu setzen. Er nahm ihm gegenüber Platz, fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und bemühte sich, seine Müdigkeit zu kaschieren. „Welchen neuerlichen Schachzug plant Ihr gegen mein Haus?"
„Ich gebe Euch die Möglichkeit, Euer bisheriges Verhalten zu korrigieren."
„Nicht ein einziges Dorf werde ich an Euch opfern. Eure Ansprüche klärt ihr mit dem Herzog, nicht mit mir."
„Ich wünsche die Hand Eurer Tochter."
Der Graf schlug sich lachend aufs Bein. „Ihr seid also gekommen, um mich zu belustigen. Wie steht es um den Brautpreis?"
„Ihr werdet Sie mir ohne diesen zur Hand geben. Zusätzlich erwarte ich eine angemessene Mitgift. Ein paar kleine Ländereien hielte ich für passend, damit Eure Tochter nicht Armut leiden muss."
„Wohl eher, um Eure Schulden zu tilgen, Halbgraf. Ich werde derlei lächerliches Gerede in meinem Haus nicht länger tolerieren. Verschwindet!"
„Ihr erwartet für Eure hochwohlgeborene Tochter sicher einen mächtigen Verehrer?"
„Das werde ich mit Euch nicht debattieren." Er wies ihm den Ausgang, aber Bocken faltete die Hände auf dem Schoß und reagierte nicht.
„Die jüngsten Ereignisse werden sicher Einfluss auf ihren Wert haben."
„Raus!" Ein Bediensteter eilte herbei, um des Grafen Willen zu unterstützen.
„Wie tief er wohl sänke, wenn sie ihre Unschuld längst verloren hätte?"
Der Graf erbleichte und gab dem Diener einen Wink. „Ich wünsche, allein mit dem Baron zu sprechen."
Der Bedienstete verließ den Salon und schloss die Tür hinter sich. Sie warteten, bis seine Schritte verklungen waren. „Ihr habt es gewagt?" Der Graf hatte die Stimme merklich erhoben, auf seiner Stirn trat eine Ader hervor.
Bocken wedelte abwehrend mit den Händen. „Ihr solltet den Schuldigen eher bei dem Bruder Eurer zukünftigen Schwiegertochter suchen."
Bei der Erwähnung von Laurenz verdüsterte sich das Antlitz des Grafen. „Falls ihr auf den Ball der Dingelfurths ansprecht. Herr Freymar hat meine Tochter mit der Kutsche nach Hause begleitet, nachdem sie sich unwohl fühlte."
„Vielleicht eine Folge ihrer Aktivitäten, die sie in den Wohnwägen des Zirkus trieben."
Graf Arlings Zeigefinger schnellte hervor, sein Gesicht war hochrot. „Wagt es nicht, meiner Tochter so etwas zu unterstellen. Ihr habt keinerlei Beweise für Eure absonderlichen Behauptungen!"
„Beweise? Wer bräuchte einen solchen bei einer Familie, die schon dermaßen in Verruf ist, wie die Eurige, Exzellenz?"
Jemand klopfte höflich an der Tür. „Ich habe keine Zeit!", rief der Graf.
Ein Rumpeln erklang, dann öffnete ein Diener die Tür einen Spaltbreit. „Verzeiht, Eure Exzellenz, aber Sir Jeverbruch ist hier und erwartet, Euch zu sprechen – sofort."
„Sagt ihm, ich werde mich später mit ihm unterhalten!"
„Aus dem Weg!", hörte man eine grobe Stimme vor der Tür. Der Diener stemmte sich gegen den Ritter, bis dieser sein Schwert zog. Sofort war der Graf auf den Beinen, während Bocken nur zufrieden lächelte.
„Euer Sohn hat meine Tochter entehrt!"
„Ich werde die Wachen rufen!", sagte der Diener.
„Schon in Ordnung, lasst den Mann herein", erwiderte der Graf. „Scheidet Euer Schwert, Sir."
„Nachdem wir den Ehevertrag zwischen Eurem unflätigen Sohn und meiner Tochter unterschrieben haben, Graf Arling."
„Ein Zwei-Fronten-Krieg", warf Bocken ein. „Nun, Arling, da Ihr nicht gewillt scheint, mir die Hand Eurer Tochter zu geben, überlasse ich Euch der Obhut des Ritters."
Der Graf sah erschöpft zwischen den beiden hin und her. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus. „Ihr könnt die Hand meiner Tochter haben."
Bocken erhob sich, klopfte sich den Anzug ab und hielt ihm die Hand hin. Widerwillig ergriff der Graf sie. „Ich werde später mit den Papieren kommen, dann besprechen wir die Einzelheiten", sagte Bocken. Damit verneigte er sich vor dem Grafen, lüftete einen imaginären Hut vor dem Ritter und verabschiedete sich.
„Wartet, Bocken", sagte der Graf müde, „wir werden die Einzelheiten sofort besprechen. Gleich nachdem ich mit dem Ritter fertig bin. Ihr verlasst mein Haus nicht, ehe diese Sache geregelt ist."
„Wie Ihr wünscht." Er setzte sich auf eines der mit Brokat bespannten Sofas am Rande des Raums und beobachtete mit Vorfreude die Auseinandersetzung.
„Sir Jeverbruch, ich verstehe Euer Ungemach." Der Graf ging mit Blick auf das Schwert einen Schritt auf den Ritter zu. Dieser schien sich so weit beruhigt zu haben, dass er seine Waffe wieder wegsteckte, dafür aber die Faust erhob.
„Er hat meine Tochter geschändet wie Vieh! Vor den Augen aller Anwesenden!"
Der Graf nickte mehrmals. „Ich bin bereit, Euch eine angemessene Entschädigung zu zahlen."
„Niemand von Anstand wird sie mehr zur Frau nehmen wollen! Ich erwarte, dass Ihr sie durch eine Heirat entschädigt. Womöglich trägt sie bereits einen Bastard in sich!"
„Es wäre nicht angemessen, meinen Erstgeborenen mit der Tochter eines Ritters zu verheiraten."
„Wollt ihr damit andeuten, sie stünde unter seiner Würde?"
„Mit Sicherheit ist Eure Tochter eine Frau ohne Fehl und Tadel, aber die Schuhe der zukünftigen Gräfin von Arling erscheinen mir doch etwas zu groß für sie."
Der Ritter zog seinen Handschuh und warf ihn vor dem Grafen auf den Boden. „Dann erwarte ich, dass Euer Sohn seine Ehre im Kampfe beweist!"
„Mit Verlaub, Sir, wir sind hier nicht auf dem Land!"
„Es würde den Herzog mit Sicherheit brüskieren, wenn Ihr einem Mann verweigert, die Ehre seiner Tochter wiederherzustellen", wandte Bocken mit süffisantem Lächeln ein.
Der Graf sah lange auf den Handschuh hinab und schloss die Augen. Angespannte Ruhe kehrte in den Raum ein, die nur durch das Prasseln des Feuers unterbrochen wurde. Er atmete tief ein und aus, kniete ab und hob den Handschuh auf. „Mein Sohn wird seine Ehre zu verteidigen wissen."
„Ich erwarte ihn morgen in aller Frühe vor dem Westtor." Damit marschierte Sir Jeverbruch ohne weitere Worte hinaus.
„Dann bleibt mir nur, meinem zukünftigen Schwager viel Glück zu wünschen", sagte Bocken.
„Spart Euch die Worte, mein Herr." Der Graf zitierte einen Diener herbei, der ihm Papier und Tinte bringen solle. „Klären wir unsere Angelegenheit und dann verschwindet Ihr aus meinem Haus."
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