Kapitel 5-1
Johanna lief in dem überschaubaren Raum auf und ab. Heute würde sie Adam ihrer Mutter vorstellen. Im Laufe des Balls der Dingelfurths, hatte auch Sir Jeverbruch ihren jungen Verehrer in Augenschein genommen. Zunächst war er skeptisch gewesen, als er hörte, dass Adam einem Rittergeschlecht entsprang. Nachdem er aber vom Wollhandel sprach, war ihr Vater aufgeblüht und hatte mit ihm über seine zukünftigen Pläne debattiert. Adam war auf dem besten Wege, seine Geschäfte auf edle Tücher auszuweiten. Langfristig plante er, die Verarbeitung der Stoffe in einer Manufaktur zu erledigen. Sir Jeverbruch hatte wahrscheinlich die Hälfte dessen, was der junge Mann ihm erzählt hatte, nicht einmal verstanden. Aber eines wusste er: Der Wollhandel war neben dem Handel mit Erzen das erträglichste Handelsgut. Auf ihrem Heimatsitz kamen manches Mal fahrende Händler mit fein gewobenen Tüchern vorbei, die sich kleideten wie Könige und Taschen voll schweren Goldes bei sich trugen.
Nachdem Johanna Adam sowohl äußerlich als auch hinsichtlich seiner Persönlichkeit anziehend fand, wäre es ihr nicht im Traum eingefallen, ihres Vaters Meinung in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Madame Jeverbruch, ihre Mutter, hatte sich von Johannas Begeisterung schnell anstecken lassen. „Ich freue mich so, dass du nicht nur einen erfolgreichen, sondern auch einen netten jungen Mann kennengelernt hast", sagte sie, „und das gleich auf deinem ersten Ball."
„Ich war schon am Verzagen, aber dann traf ich ihn zufälligerweise abseits der Tanzfläche", antwortete Johanna.
„Das hast du klug angestellt. Die stürmischen und unbeherrschten sind die Ersten, die sich wahllos ein Mädchen greifen und es zum Tanz auffordern. Die Bedächtigen, die abwarten, bis sich die Richtige zu erkennen gibt, das sind die wahren Edelmänner."
„Er ist wahrlich ein Mann von großem Edelmut. Stell dir vor, Mama, er kümmert sich seit klein auf um seine Schwester."
„Er verfolgt den edlen Weg eines Ritters", warf Sir Jeverbruch ein. Johanna konnte kaum glauben, dass ihr Vater von Edelmut sprach. Er selbst schien doch keinerlei ritterliche Tugend zu besitzen, plante er doch, seine Tochter zu verkaufen. Aber sie wollte ihn nicht unnötig verärgern, wenn er einmal gut gelaunt war.
„Es ist bedauerlich, dass wir ihn nicht an unserer festlichen Tafel in Burg Jeverbruch verköstigen können", sagte ihre Mutter, mit einem wehmütigen Blick auf den winzigen Tisch. Er war für zwei Personen schon klein. Sie hatten sich vom Gastwirt zwei zusätzliche Stühle bringen lassen, damit alle beisammen sitzen konnten. Zu diesem feierlichen Anlass hatte Sir Jeverbruch das Feinste aus der Küche des Hauses bestellt, was sich als ein ordinärer Schweinebraten herausstellte. Aber was erwartete man von einem Eichenthaler Gasthaus?
„Mit einem erfolgreichen Geschäftsmann in der Familie wird sich unser Glück bald wenden. Ich werde die Burg umgestalten lassen, so wie es die Ritter im Norden handhaben. Nichts wird mehr an den kalten Stein erinnern, wenn sich erst ein Palast, den Häusern im Schlossgraben gleich, auf unserem Hügel erhebt."
Johanna presste die Lippen zu einem blutleeren Strich. Adam wäre kaum in der Lage, derartige Investitionen zu tätigen, nachdem er selbst dem Herzog eine Schuld säumig war. Auch hatte er mit ihr beim Tanzen seine zukünftigen Pläne erörtert. Der Bau einer Manufaktur würde ihn erhebliche Summen kosten und er rechnete mit einigen Jahren, ehe sie ihm das Vielfache wieder an Erträgen brächte. Adam sah die Welt in einem solch fröhlichen Licht. Die Aussicht, eine Weile den Gürtel enger zu schnallen, hielt ihn nicht davon ab, seine Ziele zu verfolgen.
Endlich klopfte es an der Tür, worauf die Familie sich in einer Linie aufstellte. Madame Jeverbruch öffnete die Tür und machte einen höfischen Knicks. „Es ist mir eine Ehre, Euch in unseren bescheidenen Räumen begrüßen zu dürfen, Baron Kloppenburg."
„Die Ehre ist ganz bei mir, Madame Jeverbruch." Er lüftete seinen Zylinder und bedachte auch Johannas Vater und Johanna selbst mit seinen Grüßen, wobei er ihr einen schlichten Blumenstrauß überreichte.
Sie atmete den süßlichen Duft, vermischt mit einer erdig grasigen Note ein und beherrschte sich, ihn nicht in die Arme zu schließen, sondern ihm förmlich zu danken. Von anderen Herren hätte sie ein gekauftes Gesteck erwartet. Eine höfliche Geste zwar, aber eine, die von Geld bezahlt wurde. Diese Blumen, die Erdkrümelchen auf ihren Händen hinterließen, musste er eigenhändig für sie geerntet haben.
„Es überrascht mich. Diese Pflanzen erinnern mich an die wilden Sorten, die bei uns auf der Heide wachsen", merkte Sir Jeverbruch an.
„Es handelt sich tatsächlich um Wildblumen. Ich habe sie eben auf den Futterwiesen Stadtweilers gepflückt", erwiderte Adam.
„Was für eine romantische Geste!", sagte Madame Jeverbruch.
„Gib dem Wirt Bescheid. Er soll uns den Braten bringen", erwiderte Sir Jeverbruch unwirsch, worauf seine Frau eiligst seine Wünsche ausführte. „Ihr müsst hungrig sein nach Eurem Ausflug in die Natur."
„Ein Braten? Es ist eine Weile her, seit ich gute Hausmannskost zu mir nahm."
„Das Essen hier im Ehrenfall ist sehr schmackhaft", sagte Johanna und rückte Adam einen Stuhl zurecht.
„Wahrscheinlich seid ihr fürstlichere Gericht gewohnt", meinte ihr Vater zerknirscht und setzte sich Adam gegenüber.
„Keineswegs. Ich pflege es zu sparen, wo ich kann. Um mein Essen beneideten mich wahrscheinlich nicht einmal die Streuner in Eichenthal."
Sir Jeverbruch lachte, als hätte Adam einen guten Witz gemacht. Schließlich räusperte er sich. „Ein gut verdienender Mann kann sich durchaus auch einmal etwas gönnen – als Lohn für seine Mühen."
„Das Buffet bei festlichen Anlässen hält mich über die Runden", antwortete Adam mit einem freundschaftlichen Grinsen.
Sir Jeverbruch lachte erneut, doch dieses Mal wirkte es bemüht. „Ihr müsst ein gutes Sümmchen angespart haben, wenn ihr trotz Eures Einkommens so sparsam lebt."
„Meine Schwester frisst mir die Haare vom Kopf", erwiderte Adam galant, wofür Johanna ihm die Hand auf die Schulter legte.
„Es ist rührend, wie du sie umsorgst. Nicht wahr, Vater?"
„Wahrlich ehrenhaft", antwortete er zurückhaltend.
Madame Jeverbruch kam herein, gefolgt von dem Gastwirt, der das Essen auftrug. Ein herrlich würziger Geruch erfüllte die kleine Stube.
„Ich bringe die Beilagen gleich nach", meinte der Gastwirt.
„Wollen wir den Braten anschneiden?", fragte Johannas Mutter, worauf Sir Jeverbruch ihr mit der Hand Einhalt gebot.
„Warten wir doch, bis alles am Tisch ist, damit wir in Ruhe beginnen können." Er wollte gerade das Wort an Adam wenden, da kam ihm Madame Jeverbruch zuvor: „Ich kann Euch gar nicht ausdrücken, wie ich mich freue, dass meine Tochter Euch gefunden hat. Ich fürchtete schon, sie endet mit irgendeinem fürchterlich alten, vergrämten Baron." Sie legte ihm die Hand auf die seinige, als habe sie ihn bereits in die Familie aufgenommen.
„Ich freue mich sehr, hier so gastfreundlich empfangen zu werden. Es ist nicht leicht, ganz ohne Familie."
„Ihr und Eure Schwester seid herzlich eingeladen, Zeit mit uns auf unserer Burg zu verbringen, sobald es Euer Geschäft zulässt."
„Oh Mama, das wäre wunderbar!", begeisterte sich Johanna.
Sir Jeverbruch gebot ihnen beiden Stillschweigen und sah seine Frau scharf an. „Herr Kloppenburg wird sicher zu beschäftigt mit seinen Geschäften sein."
„Derweil könnte ich mir einen Ausflug aufs Land leisten. Die Schafschur beginnt erst in einigen Monaten. Bis dahin halte ich Ausschau nach neuen Verkäufern", meinte Adam dazu.
„Ihr sucht die Bauern persönlich auf?" Sir Jeverbruch legte den Kopf schief. Er selbst pflegte den Kontakt zu seinen Untertanen aufs Minimalste zu reduzieren.
„Es ist günstiger, die Wolle vor Ort zu kaufen, als am Markt mit anderen Händlern darum zu feilschen. Und die Bauern ersparen sich den Weg in die Stadt."
„Ich denke, bei diesem florierenden Geschäft macht ein geringerer Einkaufspreis kaum einen Unterschied."
Adam schüttelte höflich den Kopf. „Ihr mögt Recht haben, Sir. Früher war das auch so. Aber immer mehr Händler drängen in den Wollhandel und drücken den Preis."
Sir Jeverbruch ruckelte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. „Nun, kommen wir zu Erfreulicherem: Ihr findet Gefallen an meiner Tochter?"
Adam sah Johanna tief in die Augen und sie konnte sich eines leichten Schmachtens nicht erwehren. Am liebsten wäre sie sofort zu ihm gezogen. Doch abgesehen davon, dass das als unverheiratetes Paar unziemlich wäre, wollte sie ihm nicht, zusätzlich zu seiner Schwester, zur Last fallen.
„Wenn es Euren Gefallen findet, so würde ich Sie gerne ehelichen."
Sir Jeverbruch lächelte zufrieden. „Was habt Ihr Euch als Brautpreis vorgestellt?"
Als teilten sie denselben Gedanken, starrten sowohl Johanna als auch Madame Jeverbruch ihn mahnend an. „Liebster, das könnt ihr Männer doch nach dem Essen unter euch besprechen", wandte ihre Mutter ein.
Er hob die Hand. „Ich wünsche, dass du schweigst, damit wir Edelmänner die wichtigsten Eckpunkte unserer familiären Verbindung im Vorfeld klären können."
Johanna konzentrierte sich vor Verlegenheit auf ein Rinnsal Bratensaft, dass das voluminöse Fleischstück herunterrann. Sie wünschte sich sehnlichst, etwas zu essen würde ihrem Vater endlich das Reden verbieten.
„Der Wert Eurer Tochter ist weder in Silber, noch in Gold zu ermessen", antwortete Adam ohne Scheu.
Sir Jeverbruch nickte mit feierlichem Lächeln mehrmals und rieb sich die Hände unterm Tisch. „Da habt Ihr völlig Recht. Sie ist eine Dame von Tugend und Adel, dazu eine Augenweide sondergleichen. Es war nicht leicht für mich, all die Freier um ihre Gunst über Jahre von ihr fernzuhalten."
Eine klägliche Lüge. Ihr Vater hatte sich nie sonderlich um sie gekümmert. Erst als es schlecht um sie stand, hatte er in ihr den Notnagel gesehen, um ihr Überleben zu sichern.
„Für mich zählt nur die Liebe, was den Bund mit Mademoiselle Johanna angeht, doch ich will dem Brauchtum meine Schuldigkeit tun und ihre Hand meines Einkommens und Eures Standes entsprechend auszahlen, sobald ich ihr den Antrag mache und sie ihn angenommen hat."
Der Wirt brachte Kartoffeln und Salat, wobei Sir Jeverbruch ihn zur Eile trieb und persönlich die Tür hinter ihm ins Schloss warf. Seine Frau wollte schon nach dem Messer greifen, um den Braten endlich anzuschneiden. Ihrer Miene nach hatte sie mindestens genauso viel übrig für das Feilschen um den Wert ihrer Tochter wie Johanna selbst. Sir Jeverbruch hielt seine Hand über den Braten, worauf Johannas Mutter sich in den Stuhl zurückfallen ließ.
„Ihr könnt so frei sein und es gleich hinter Euch bringen. Ich sehe doch, wie Ihr vor Leidenschaft erglüht." Er blieb breitbeinig stehen, wohl in Erwartung, dass Adam aufstand und ihm seine Aufwartung um die Hand Johannas machte.
Adam senkte den Kopf und fuhr sich durch die Haare. „Ich danke Euch für Euren Zuspruch. Jedoch will ich damit warten, bis ich einen angemessenen Preis aufzubringen vermag."
Sir Jeverbruchs erwartungsvolle Miene erlosch. „Ich bin mir sicher, wir werden eine Einigung finden."
„Wollen wir nicht endlich essen?", sagte Johanna hektisch und Adam sah sie beruhigend an, so voller Wärme und Geduld, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Ihr Vater benahm sich unmöglich. Wie ein Halsabschneider auf dem Markt, der den Kunden seine Ware nur so aufdrängte. Es war Johanna peinlich, dass er sie Adam verhökerte. Gleichzeitig verstand sie seine Beweggründe. Sie konnten nicht länger warten. Die Familie hatte das Geld nötig und würde sie mitunter auch unter Wert verkaufen, wenn das Geschäft nur erträglich genug wäre.
Adam erhob sich und sah Sir Jeverbruch mit festem Blick entgegen. „Sir, selbst wenn ich einen Brautpreis aufbrächte, der zwar viel zu gering, von Euch aber in Hinblick auf unsere Verbundenheit in Liebe hingenommen würde, so wäre mir eine Eheschließung doch unmöglich."
„Sicher, weil ihr vorher Eure Schwester in fürsorglicher Obhut wissen wollt", versuchte Johannas Mutter das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
„Erklärt Euch", verlangte Sir Jeverbruch.
„Ich habe jüngst erst den Adelstitel zurückerworben, was meinem aufstrebenden Geschäft zwar nicht langfristig schadet, aber doch einen Dämpfer verpasst hat. Ich werde zunächst die Schuldigkeit beim Herzog tilgen, ehe ich das Geld zusammenraffe, welches uns eine Ehelichung von Rechts wegen erlaubt."
Johanna kannte dieses Gesetz vom Lande her. Der entsprechende Landsherr musste seine Einwilligung zu einer Hochzeit geben. Das war im Falle ihrer Heimat ihr Vater, der seinen Bauern das Recht verweigern konnte, wenn er der Ansicht war, er könne seine zukünftige Familie nicht ernähren. In adligen Kreisen spielte das selten eine Rolle, nachdem die meisten zumindest über kleine Ländereien verfügten, die ihr Einkommen absicherten. Adam wollte sich gerade wieder hinsetzen, da erhob Johannas Vater das Wort: „Bleibt stehen, Kerl."
Seine gönnerhafte Miene war endgültig einer mehr als kritischen gewichen. Seine Rechte war zur Faust geballt. „Wollt Ihr damit andeuten, Ihr seid im Moment nicht einmal in der Lage, meine Tochter zu erhalten, geschweige denn mich für ihren Verlust angemessen zu entschädigen?"
„Ich bitte um Verzeihung, falls ich einen falschen Eindruck erweckt habe, Sir."
„Wann gedachtet Ihr, um die Hand meiner Tochter anzuhalten? Nächstes Jahr, in drei Jahren oder gar, wenn ihre Blüte verwelkt ist?" Seine Stimme zitterte und seine Nasenflügel erbebten.
„Vater, ich liebe ihn!"
„Wir sollten jetzt wirklich essen und das ein anderes Mal klären", sagte Madame Jeverbruch und griff erneut nach dem Messer. Dieses Mal schnappte Sir Jeverbruchs Hand schneller zu, packte die Klinge und deutete damit drohend auf Adam, der sich erschrocken zur Wand zurückzog. Johanna stand so schwungvoll auf, dass ihr Stuhl zu Boden polterte und stellte sich neben ihn.
„Niemand hier bekommt auch nur ein Fitzelchen dieses teuren Bratens, ehe ich es gestatte!" Er schleuderte das Messer zur Seite, wo es sich in die Dielen bohrte.
„Baron Kloppenburg, Ihr seid ein Emporkömmling, dem Recht geschah, als man ihm den ehrwürdigen Titel eines Ritters verweigerte." Madame Jeverbruch stand auf und wollte den Arm ihres Mannes ergreifen, aber er stieß sie grob zu Boden. „Ihr seid es nicht wert, auch nur dieselbe Luft wie meine Tochter zu atmen. Sollte ich Eure verlauste Gestalt noch einmal in Ihrer Nähe wähnen." Seine Faust öffnete sich und langte nach dem Schwertgriff an seiner Seite. „So werde ich Euch persönlich dafür zur Rechenschaft ziehen."
„Sir Jeverbruch, ich bitte Euch ..."
„Raus! Verschwindet, aber sofort!"
Adam warf einen entschuldigenden Blick zu Johanna, den diese vor Tränen in den Augen kaum wahrnahm. Er verbeugte sich vor ihrer Mutter und verließ eilends das Zimmer. Johanna wollte auf ihren Vater losgehen und auf ihn einprügeln, doch er packte sie am Kragen. „Und du findest gefälligst einen ehrbaren, reichen Mann, sonst verkaufe ich dich ans Hurenhaus!"
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