
57. Schleichende Gefahr
Gerade drehe ich mich um, als zwei eiskalte Augen hinter der Tür erscheinen. Hendrik Millard, Kunos Vater und Bürgermeister dieser Stadt.
Geschockt starren wir uns an. Mein Herz pocht, als wollte es meinen Körper zerbersten. Ich muss mich beruhigen. Beruhigen! Einen klaren Kopf bekommen. Bitte!
„Was machen Sie hier?"
Seine Stimme ist eiskalt. Nichts von seiner sonst in der Öffentlichkeit aufgesetzten Freundlichkeit ist noch vorhanden.
Mein Hals ist trocken und ich bekomme keinen einzigen Ton zustande. Ich muss mich verdammt nochmal fassen, sonst komme ich hier nie wieder raus.
Er starrt mich an, dann zu dem Bauplan hinter mir und zu den Unterlagen in seinem Büro, woraufhin sich seine Miene noch weiter verfinstert.
„Wie sind Sie hier reingekommen?"
Ich schlucke und starre auf die Tür, welche sich inzwischen hinter ihm befindet.
„Äähm... ich... also ich suche eigentlich das Bad! Mir wurde gesagt, dass es sich hier befinden soll... Die Tür war offen, also bin ich... also wie ich sehe, ist das Bad nicht hier...! Dann muss es die andere Tür sein!"
Stottere ich vor mich hin und will schon an ihm vorbeilaufen, doch werde plötzlich von ihm am Arm gepackt und daran zurückgehalten.
Von dieser festen Berührung zucke ich erschrocken zusammen und starre entsetzt zu ihm hoch. Sein Blick durchbohrt mich regelrecht.
„Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie das Bad hier benutzen dürfen?"
Ich schlucke. Verdammt, Kuno wollte ich da jetzt eigentlich nicht mit hineinziehen. Nicht, dass er wegen mir auch noch Ärger bekommt!
„Äähm ich weiß nicht mehr wie er heißt!", behaupte ich und starre auf die starke Klaue, welche meinen Arm immer noch fest umschlingt. Diese Geste ist mittlerweile mehr als nur unangenehm und fast schon schmerzhaft.
Er scheint meinen Blick zu merken, doch lockert seinen Griff keineswegs.
„Dieses Bad ist nicht für Kellnerinnen gedacht, ebenso wenig wie das Zimmer hier!", meint er kühl, ehe er schließlich grob die Hand von meinem Arm löst und mir mit einem Kopfnicken deutet den Raum, sowie auch das Gebäude zu verlassen, welchem ich auch sogleich Folge leiste.
So schnell ich kann, laufe ich die Treppe hinunter aus dem Haus. Dabei spüre ich seinen Blick im Nacken und auch an meinen immer noch nackten Füßen.
Hoffentlich hat er mich nicht von letztem Mal wiedererkannt, wo ich bei Regen in seinem Haus stand, wie eine Katze, die ins Wasser gefallen war und weinte.
Eilig laufe ich zitternd und mit klopfendem Herzen wieder zu der Seite des Hauses, wo ich meinen BH liegen lassen habe, doch als ich dort ankomme, ist er nirgends aufzufinden.
Mist verdamm' mich.
Hatte ich ihn etwa doch bei mir und habe ihn versehentlich unter dem Schreibtisch liegen lassen? Geschockt starre ich in die Luft. Nein, das kann nicht sein!
Ich erinnere mich, dass ich ihn nicht aufheben wollte, da ich Kunos Aufmerksamkeit sonst noch weiter auf diesen gezogen hätte. Ich bin mir eigentlich sicher, dass er hier gelegen war...
Dennoch. Eine seltsame Unruhe beschleicht mich bei dem Gedanken, dass dieser vielleicht wirklich in dem Gruselzimmer unter dem Tisch liegt.
Schnell ziehe ich diese drückenden Fußfesseln wieder an und beginne, wie ferngesteuert zurück zum Platz zu laufen und die Leute wieder zu bedienen.
Der Schock sitzt mir währenddessen immer noch tief in den Knochen.
Mir ist eiskalt, obwohl die Sonne brennend auf uns hinunter scheint. Ich weiß, dass ich im Gesicht wahrscheinlich kreideblass bin und ich mich möglicherweise in so etwas wie einem Schockzustand befinde.
Doch zumindest kann ich noch laufen und soweit funktionieren, ohne dass ich in meinem Kopf jedoch wirklich einen sinnvollen Gedanken zustande bekomme.
Anstatt mir einen geschickten Plan zu überlegen, oder das Erlebte irgendwie zu verarbeiten, kommen mir unzusammenhängende Bildfetzen von grellen Luftballons, Matschpfützen und Klecksen in den Sinn.
Wahrscheinlich versucht mein Gehirn mich damit abzulenken und die unschönen Wahrheiten zu verdrängen.
Im Moment heiße ich es jedoch willkommen, auch wenn dieser Zustand nicht zulässt, dass ich mein Umfeld in Gänze wahrnehme.
„Nell, alles okay?!" Vivien sieht mich besorgt an und ich erwidere ihren Blick, ohne sie dabei wirklich anzublicken.
Meiner fühlt sich irgendwie leer an. Ich schüttele leicht meinen Kopf und sie runzelt daraufhin ihre Stirn. „Was ist passiert?"
Ich schlucke und wende dann wieder meinen Blick zu dem großen weißen Haus, welches mir plötzlich noch viel bedrohlicher erscheint.
„Erzähle ich dir später!" Meine Stimme klingt ungewohnt hohl. Ebenso wie meine Gedanken. Ich muss echt mal lernen, mit Schocksituationen besser umzugehen! Schließlich muss ich nachdenken.
Mir muss irgendetwas einfallen, um den Wald zu retten, doch mein Gehirn funktioniert einfach nicht. Ich nehme kaum noch etwas wahr. „Hat dir irgendjemand etwas getan?"
In Viviens Stimme höre ich anbahnende Wut heraus und dass sie, wenn es so wäre, schnurstracks zu diesem Menschen laufen und diesen zur Rede stellen würde.
„Mir nicht... Noch nicht... Später Vivien!" Ich sehe wie ihre Augen groß werden und ihr besorgter Ausdruck nur noch stärker wird.
Sie öffnet den Mund, als wolle sie widersprechen, doch als sie mein Gesicht noch genauer betrachtet, schließt sie ihn schließlich wieder und atmet tief durch, um sich zu beruhigen.
„Na gut, aber sobald wir im Auto sitzen!" Ich nicke, bis mir einfällt, dass ja auch das gar nicht der Fall sein wird. „Das geht nicht, meine Schicht heute endet doch etwas früher als deine."
Sie fasst sich gegen den Kopf. „Verdammt stimmt..." Sie sieht mich wieder an. „Nell, wenn du mir nicht sagst, was los ist, werde ich keine Ruhe finden!"
„Vivi! Ich erkläre es dir Morgen okay? Bis dahin brauchst du dir keine Sorgen zu machen!"
„Bis dahin?"
Ich antworte nicht, sondern laufe stattdessen zu einem Mann, welcher mich gerade zu sich gewunken hat, um sich ein Glas Champagner zu nehmen.
Dabei spüre ich Viviens Blick fiebernd vor Neugierde in meinem Nacken. Ich kann ihr das hier nicht erzählen.
Erstens gibt es dafür zu viele Zuhörer, welche erfahren könnten, dass ich in geheimen Plänen herumspioniert habe und zweitens ist mein Zustand dafür noch viel zu labil, sodass ich genau weiß, dass ich anfangen würde zu heulen, wenn ich beginne über den Wald und...
Ich schlucke und denke schnell an etwas anderes.
Wenn ich diesen Tag hier noch durchstehen will, dann sollte ich erst mal nicht darüber nachdenken.
Ich merke, wie das Tablett in meiner Hand zittert, da die Getränke in den Gläsern seichte Wellen schlagen. Meine Kräfte haben mich irgendwie auch verlassen.
Ich atme tief durch und versuche an was Schönes zu denken, bis meine Augen zwei tiefbraune Edelsteine berühren, welche mehrere Meter von mir entfernt stehen und mich direkt ansehen.
Er sieht ebenfalls besorgt aus, aber ihm wird im nächsten Moment die Sicht versperrt, als sich ein anderer groß gebauter Mann vor ihn schiebt, um ihm anzudeuten ihm zu folgen.
Ein eiskalter Schauder packt mich, als ich erkenne, wer es ist und ich drehe mich schnell weg, um mich in die andere Richtung hinter einer Gruppe Leuten zu verstecken.
POV Kuno:
„Okay, ich gehe dann mal wieder runter zu den Gästen!" Christian tauscht noch einen kurzen vielsagenden Blick mit Hendrik, ehe er den Raum verlässt und mein Onkel mit mir zurückbleibt.
Spannung schwebt fast greifbar in der Luft.
Hendrik dreht sich zum Fenster und sieht mit nach hinten verschränkten Armen eine ganze Weile schweigend nach draußen, ehe er sich schließlich geladen zu mir umdreht, um mir seinen zornigen Blick entgegenzuwerfen.
„Was denkst du dir eigentlich?"
Sein Tonfall ist bedrohlich und ich mache mich schon auf einen Anschiss wegen der Sache mit dem Vorfall in Christians Arbeitszimmer gefasst, doch werde mit seinen später folgenden Worten trotz der innerlichen Wappnung von einer eiskalten Faust erwischt.
„Du hattest heute nur eine einzige Aufgabe!" Hendrik kocht innerlich, doch kommt gleichzeitig bedrohlich ruhig auf mich zu, während in seinen Augen schon die Lava gefährlich siedet.
Seine Hände zittern leicht, als ob er mich mit diesen am liebsten erwürgen würde.
Ich spüre, wie auch ich mich gänzlich anspanne. Auf alles gefasst. Na ja... fast alles...
Vielleicht auf das, was mein Onkel mir gleich mit Vergnügen an den Kopf werfen wird, doch nicht auf meine eigene Reaktion, welche seine später folgenden Worte in mir selbst auslösen.
„Du solltest dich nur ein einziges Mal angemessen verhalten und nicht wie ein schandafter Versager!" Seine Worte piksen ein wenig unangenehm, doch längst nicht mehr so wie früher. Schließlich ist mir das nichts Neues.
Ich halte seinem Blick stand.
„Du solltest dich um Miranda kümmern, welche es wirklich nicht verdient hat so kaltblütig stehen lassen zu werden und im Übrigen Ewigkeiten nach dir gesucht hat!
Und was machst du? Vögelst in der Zeit mit einer dahergelaufenen Kellnerin herum, welche sich nicht einmal angebracht zu kleiden, geschweige denn zu benehmen weiß.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, öffnest du ihr obendrein auch noch die Tür in Christians Privatwohnung und lässt sie in unseren Sachen herumschnüffeln.
Wieso verdammt nochmal, war die Tür nicht abgeschlossen?!" Zum Ende hin wird er immer lauter, bis er mir aggressiv direkt ins Gesicht brüllt, doch ich zucke keinen Millimeter zurück.
Ich schlucke, als sich die Worte zu Anella in meinem Kopf wiederholen und eine eisige Klaue droht, sich um meinen Hals zu legen. So war es nicht!
„Keine Ahnung was mit der scheiß Tür los war. Vielleicht hat dein Kumpane ja aus Versehen auch einfach nicht richtig abgeschlossen, was weiß ich?"
Meine Stimme ist zischend, doch im Verhältnis zu seiner ruhig, was Hendrik wie es scheint, nur noch mehr provoziert.
Ich bin das gewohnt. Ich sollte deshalb nicht so angespannt sein. Ich bin nicht mehr dieses kleine Weichei wie früher! Zumindest tue ich so.
Es sollte mich nicht mehr kümmern, was er von mir hält. Es sollte mir verdammt nochmal scheißegal sein.
Außerdem sollte mein Herz nicht so aufgeregt in der Brust schlagen, oder sich das Blut in meinem wutschäumenden Kopf sammeln, als er die Worte „vögeln mit einer Kellnerin" ausspricht.
Anella ist weder eine Kellnerin, noch haben wir gevögelt. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich nicht auch so einige Male schon daran gedacht habe, aber... Scheiße ja und wie oft verdammt nochmal... Vor mir taucht plötzlich das Bild von ihr auf, wo sie...
„Ich warne dich, Kuno, halte dich von diesem Mädchen fern! Menschen wie sie tun unserem Wohlbefinden nicht gut!"
„Du kennst sie doch gar nicht!" Inzwischen habe ich meine Hände zu Fäusten gequetscht, als würde sie mir den einzigen Halt geben, den ich auffinden kann, um nicht gleich ungehindert in die hoffnungslosen Tiefen meines Selbst hinabzustürzen.
„Und du schon?" Seine Stimme klingt skeptisch. Als wolle er mir mit dieser Frage zeigen, dass ich sie selber ja auch nicht wirklich kenne. Und leider hat er damit auch noch recht.
Wie gerne würde ich anderes behaupten, doch ich kenne Anella wirklich nicht viel mehr. Sie ist ein Rätsel für mich. Ein verdammt großes, atemberaubendes, schönes, weiches und unglaublich nervenzerreißendes.
„Glaube mir, Menschen wie sie bringen nur Ärger! Halte dich ab jetzt an von ihr fern!"
„Das geht dich nichts an!"
„Oh doch, diese Göre könnte uns mit ihrem Wissen ganz schönen Ärger bereiten, also erwarte ich von dir, dass du jeglichen Kontakt zu ihr unterbindest! Haben wir uns da verstanden?!"
Ich schnaufe und spüre wie die Wut und Panik sich in einer ungesund giftigen Mischung in meinem Blut vermischen und lechzend meinen ganzen Körper ausbrennt.
Die Trümmer aus früherer Vergangenheit tauchen vor meinem inneren Auge auf. Das brennende Blech und der viele schwarze Ruß, welcher sich in alle erdenklichen Winkel meiner Persönlichkeit geschlichen und dort festgesetzt hat.
Somit bekommt alles, was ich berühre einen schwarzen Abdruck, welcher mehr oder weniger schmerzvoll ist. Anella ist eigentlich so rein, glücklich und unbeschwert.
Sie darf nicht solch einen Abdruck bekommen. Das könnte ich mir nicht verzeihen. Ich sehe ja wie es ihr in der Welt, wo ich lebe, geht. Hier kommt sie nicht zurecht.
Ein Schaudern durchfährt mich, als ihr leerer kalter Blick von vorhin wieder in meine Erinnerung dringt.
Sie sollte hier nicht sein! Ich will nicht, dass sie in diese Welt voller Intrigen, Macht, Manipulation und Schmerz eintaucht und dabei ihre Lebenslust und ihr Strahlen verliert, so wie es bei mir der Fall ist.
Doch ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich sie in Ruhe lassen soll. Das ist unmöglich.
Andererseits kann man ja nicht gerade behaupten, dass Anella und ich uns im Normalfall wirklich gut verstehen.
Vielleicht müsste ich einfach nur noch unausstehlicher zu ihr sein, damit sie sich von selber von mir abwendet? Dann darf ich ihr aber nicht wie letztes Mal wieder hinterherlaufen.
Verfickte Scheiße. Ich bin sowas von am Arsch.
POV Anella:
Ein dichter Nebelschleier zieht sich über die Baumwipfel empor und umhüllt den Wald mit einem einzigartigen Zauber.
Es scheint beinahe, als würde der Nebel leuchten und mit seiner zarten, geheimnisumwobenen Gestalt, die düster wirkenden Äste streicheln.
Der Wind erlischt und alles wirkt, wie in einen tiefen zeitlosen Schlaf getaucht. Die Zeit ist verstummt und gleichzeitig birgt dieses Antlitz ein Gefühl von uralter Existenz, welche den Wald mit Kraft und Weisheit versorgt.
Eine Energie, die für uns nicht möglich ist, mit unserem Verstand zu ergründen. Viel tiefer als jener ist doch ihre Botschaft.
Dennoch fühle ich eine einzigartige Melodie in meinen Adern, als ich so durch den feuchten Wald laufe. Die kleinsten Wasserpartikel schweben tanzend über die Erde, verbinden diese mit dem Himmel.
Ein Flüstern durchdringt jegliche Schichten meines Daseins und berührt mich auf eine Weise, welche ich noch nicht ganz begreifen kann.
Die kleinen tanzenden Wasserkristalle erzeugen Wirbel und zärtliche Schleier, welche über meine Haut streifen und sich in meinen Wimpern und Haaren verfangen.
Sie flüstern mir zu. Beinahe, als wollen sie, dass ich mit ihnen gehe. Dass ich ihnen in die andere Welt folge. Eine lautlose Aufforderung. Ein Zupfen an meinen Beinen. Ein Winden um meinen Bauch. Ein Flüstern in meinem Herzen.
Doch gleichzeitig ist da auch die Angst. Die Angst vor dem Unbekannten. Die Angst davor, was hinter dem Nebel liegt. Die Angst davor, die vertraute Erde hinter mir zu lassen.
Als ich mir dieser bewusst werde, höre ich plötzlich auch noch eine andere Melodie. Sie erklingt hinter mir und ist längst nicht so angenehm in meinen Ohren, wie die glockenhellen Töne des Nebels, welche mich begleitet von einem Strahlen, wie Irrlichter mit sich locken wollen.
Die Melodie, welche ich nun vernehme, stammt aus der Welt, die ich schon seit meiner Kindheit kenne.
Ein Dröhnen, ein Rauschen, erschütternde Geräusche, welche sich ins Mark und Bein fressen, doch gleichzeitig auch eine panisch helles Klingen, welches sich wie ein Hilfeschrei anhört.
Ein unglaublich tiefes und helles zugleich. Es lässt automatisch mein Herz schneller schlagen und mich von dem hellen, lockenden Schein des Unbekannten abwenden, um meinen Blick dahin zu richten, wo ich diesen Hilferuf entnommen habe.
Dort erstreckt sich ebenfalls der Wald. Allerdings ohne Nebel. Ich sehe ihn klar und deutlich vor meinem Auge.
Es ist beinahe, als könnte ich kilometerweit durch ihn hindurch sehen, bis meine Pupillen auf das gefährliche Blitzen von Metall und meine Ohren auf den brutalen Klang von sägenden Maschinen treffen.
Ein so zerreißender Schmerz erfasst mich, als käme dieses Monstrum direkt auf mich zu und würde mich samt Wurzeln aus der Erde reißen.
Erst jetzt merke ich, dass ich mich in ungewöhnlicher Gestalt eines Baumes wiederfinde. Ebenfalls dazu verdammt, gefällt zu werden. Ich höre ein lautes Knacken.
Das Keuchen der Erde, als die tonnenschweren Maschinen ihr die Atemwege erdrücken, und in Sekundenschnelligkeit deren Leben zerstören.
Ein Baum fällt ächzend auf die Erde und reißt dabei ein Stück meines Selbst mit sich heraus. Mir entfährt ein tiefes Keuchen.
Ich fühle den Schmerz über die Verbindung der Wurzeln bis zu mir durch. Der Wald erzittert, flüstert mir verzweifelt zu, doch ich kann mich nicht bewegen. Kann nichts tun, um diese monströsen Maschinen davon abzuhalten, weiter zu fällen.
Innerhalb von Sekunden, schlingen sich die Messer um deren Stamm und schälen ihn auf brutalste Weise, ehe er in mehrere Stücke zerteilt und zu einem hohen Berg aufgestapelt wird.
Ein eiskaltes Schaudern frisst sich in meine Knochen. Ich weiß, dass ich irgendetwas tun muss, doch ich bin wie festgefroren.
Die Maschinen werden immer mehr. Immer mehr Bäume fallen, sodass die Erde dort, wo noch vor wenigen Minuten Wald gestanden hatte, eher einem großen Schlachtfeld ähnelt.
Sie dringen immer weiter vor in die grüne Welt, während sie die Bäume und Sträucher, welche sie berühren, dem Erdboden gleichmachen.
Ein klagendes, schmerzerfülltes Schreien vibriert in der Luft. Der ganze Wald ist geschwächt und Sie kommen uns immer näher.
Ich fühle, wie der Geruch, und der Klang von einem ganz bestimmten Baum mich erfasst und sich Hilfesuchend an meinen Verstand wendet.
Ich würde ihn überall wiedererkennen.
Diesmal jedoch erzählt er nicht wie sonst von der Leichtigkeit, den Höhen von Freiheit, der Stärke und der uralten Weisheit, mit welcher er mich sonst immer umhüllt und stärkt, sondern von dem Schmerz und der Angst, welche er empfindet, während die Maschinen immer mehr seiner Familie ermorden.
Es ist Elchor, auf welchem ich plötzlich sitze und dessen Wurzeln ich durch meine eigenen Füße spüren kann. Das Erschüttern in der Erde, die drohende Zerstörung, welche unaufhaltsam näher rückt, bis sie schließlich direkt vor uns sind.
Es geht alles viel zu schnell. Eine gewaltvolle Erschütterung. Ein Schmerz, welcher nicht auszumalen ist, ätzt sich in mein Fleisch. Es ist, als würde mir der Boden unter den Füßen entrissen und ich würde in eine tiefe unendliche Schwere hinabstürzen.
Wir fallen. Elchors Äste krachen und brechen splitternd auseinander, während die Vögel in Scharen auf stäuben und sich laut kreischend, hilfesuchend in die restlich verbleibenden Bäume flüchten. Bald, werden auch sie nicht mehr da sein.
Ich liege unter Elchors Stamm vergraben, nicht imstande mich zu bewegen, zu atmen oder etwas anderes als Schmerz zu empfinden.
Tränen sammeln sich in meinen Augen und fließen in einem See hinab auf die Erde des Waldes.
Das Leben dringt aus dem Stamm und ich merke es auch aus meinem Körper weichen. Langsam und qualvoll.
Die Menschen, welche in den Maschinen sitzen, machen einfach weiter. Ihnen scheint gar nicht aufzufallen, was für eine bodenlose Verwüstung sie hinterlassen.
Der eine telefoniert, während der andere gar nicht mal zu registrieren scheint, dass der Baum, welchen er gerade ansteuert, ihn qualvoll anfleht, ihm nichts zu tun, ehe auch dieser schlagartig verstummt.
Der Geruch von Tod und Verwüstung liegt in der Luft.
Meine Augenlider flattern, während ich den Maschinen kraftlos hinterherblicke, bis ich in der Ferne ein Leuchten wahrnehme. Es ist der lockende Nebel von vorhin, welcher sich mit den schwindenden Bäumen und somit auch Kraft des Waldes immer weiter zurückzieht.
Es ist wieder, als würden sich Entfernungen auflösen und ich könnte Kilometerweit sehen.
So ist es auch. Ich sehe...
Die Esche. Die Esche und... Tyrian!
Weitere Panik erfasst mein Herz. Größer, als ich es je verspürt habe, denn ich sehe auch, dass er mir verzweifelt zuruft, doch meine Stimme hat mich bereits verlassen. Ich schaffe es nicht, ihm zu antworten.
Noch nicht einmal mich zu bewegen. Es ist, als würde ich in ein tiefes schwarzes Loch gerissen. Der leuchtende Nebel, welcher mich eben noch zu sich locken wollte, um mich in seine andere Welt zu entführen, wird immer lichter.
Und die Melodie kaum noch zu hören. Tyrian verwandelt sich in einen Sturm, kämpft mit den Fäll-Maschinen doch er hat keine Chance.
Sie zerstören alles und jeden, wen sie berühren. Ich will Tyrian warnen, doch es kommt kein einziger Laut aus meiner Kehle.
Dann plötzlich durchreißt ein lauter Donnerschlag die Atmosphäre. Ein Blitz, welcher sich von einem urplötzlichen Gewitter mit Wucht in die Esche schlägt, sodass diese in Tausende Einzelteile zerstückelt wird, während gleichzeitig die Säge ihren Stamm köpft.
Meine Welt bricht zusammen. In tausend und abertausende Scherben.
Mit einem Schlag ist der Nebel verschwunden und mit ihm die klingende Hoffnung, das lebendige Vibrieren des Waldes, das Tor in die andere Welt...
Aber vor allem... das Tor zu Tyrian.
***
Erschrocken fahre ich hoch und starre mit panisch aufgerissenen Augen in den schwarz getauchten Nachthimmel über mir, an welchem sich die Sterne tanzend und hell bewegen.
„Nur ein Traum!", rede ich mir zu. Nur ein schlimmer Traum!
Zitternd schlinge ich die Arme um meinen Körper und sehe mich panisch nach Tyrian um.
Eine Windböe legt sich samtweich an meine Wange und es braucht eine Ewigkeit, bis mein Herzschlag sich wieder einigermaßen beruhigt hat.
Nur ein Traum!
Hey ihr lieben.❤
Wow, Tausend-Tausend Dank, dass du wirklich bis hier her gelesen hast. Das ist unglaublich...
Wir sind hier tatsächlich schon am Ende des ersten Bandes angelangt. Du glaubst gar nicht, was mir das bedeutet.
Ich danke jedem einzelnen von euch, dass ihr Anella und Kuno bis hierher begleitet habt und kann es immer noch gar nicht so richtig fassen...
Ich freue mich schon riesig euch in Teil zwei wiedersehen, welcher mich persönlich beim Schreiben sogar noch mehr gefesselt hat, als dieser hier. Was nicht zuletzt vielleicht daran liegt, dass... Nein, das sage ich jetzt mal besser nicht. xD ❤
Was ich euch aber verraten kann ist, dass dort einige Gefühle verrückt spielen werden und verschiedene innere Themen der Protagonisten aufzuarbeiten sind. Wie sie das anstellen und wie sie sich dabei anstellen, werden wir sehen. ;P
Fühlt euch ganz herzlich umarmt, eure Seerosena
~❤~
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