33. Das Konzert
Erschöpft öffne ich die Tür zu unserer Wohnung. Eben hatte ich extra noch eine Stunde auf der Lichtung getanzt, in der Hoffnung, dass dann nachher der Drang, wenn die Sonne untergeht, nicht ganz so stark werden wird.
Das Traumamulett habe ich mit einem etwas unwohlen Gefühl in der Esche zurückgelassen, damit es sich aufladen kann und Tyrian und ich uns so wieder im Traum begegnen können.
Ich bin mir sicher, dass er darauf aufpassen wird. Dennoch ist es ein komisches Gefühl, es nicht bei mir zu haben.
„Hey Hase." Mein Vater kommt um die Ecke gelaufen und wirkt etwas gestresst. Wahrscheinlich, weil er und Mum sich wieder gestritten haben.
Zum Glück sind sie deshalb so abgelenkt, dass sie bis jetzt noch nicht wieder mit mir ein Gespräch, wegen der nächtlichen Ausflüge gesucht haben!
„Hi", erwidere ich. Seine dunkelblonden Haare sind an den Seiten schon ein wenig ergraut und um seinen Augen macht er einen etwas müden Eindruck.
„Ich komme heute Abend wieder etwas später, wegen der Aufführung meiner Freunde im Chapelet!" Sage ich, während ich mich in Richtung Zimmer begebe. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie ich das durchstehen soll, ohne zu tanzen.
„Ach stimmt. Wegen der späten Ausflüge müssen wir sowieso nochmal reden!" Wirft er mir hinterher, ist aber kurz darauf auch schon aus der Tür verschwunden, weshalb ich es einfach darauf beruhen lasse.
Vielleicht vergisst er es dann wieder! Hoffentlich! In meinem Zimmer angekommen, setze ich mich erst einmal auf mein Bett und schließe für einen Moment die Augen.
Als ich sie wieder öffne, sehe ich direkt vor mir einen schwarzen Schlund, welcher mich erschrocken zusammenzucken lässt.
Besser gesagt, ist es nicht direkt vor mir, sondern der schwarze Stein des Rings, welcher immer noch auf dem Tisch liegt und mich anschmachtet. Um genau zu sein, schmachtet er nach etwas, was ich besitze.
Sofort muss ich daran denken, wie es war, als er mir all meine Energie entzogen hatte. Meine Kraft. Mein Leben.
Mir kommen die Worte von Tyrian wieder in den Sinn. Er meinte, es gäbe auch noch andere, so wie ich auf dieser Erde, welche sich geschickt im Verborgenen halten.
Er hatte irgendwas davon erzählt, dass sie sich mit einem Stein versteckt halten. Sozusagen unsichtbar machen.
Also zumindest ihre wahre Natur. Dass der Stein ihr magisches Wesen verbirgt, sodass sie von außen nur noch als normale Menschen wahrgenommen werden.
Ja, er meinte, dass der Stein ihnen regelrecht ihre Zauberkräfte raubt... Ich starre auf den Ring vor mir und mich erfasst schlagartig ein tiefes Schaudern.
Ich springe erschrocken von meinem Bett, um zu der Stelle zu stürzen, an welcher ich den Ring deponiert habe.
Kann es sein, dass dies einer der Steine ist, welchen Tyrian erwähnt hat?
Als ich ihn das eine mal angezogen habe, hat er mir eindeutig meine Magie entzogen. Ich erinnere mich nur ungern an das Gefühl, wie es war, als ich plötzlich die singenden Klänge nicht mehr wahrnehmen konnte und meine ganzen Sinne vollkommen abgestumpft waren.
Ich hatte keinen Zugang mehr zu dem Leben, zu der Kraft, welche in der Natur normalerweise auf mich einströmt.
Alles war wie betäubt. Dieser Stein hatte mir aber nicht nur meine Magie geraubt, sondern mit ihr auch meine Lebenskraft. Ich hatte gespürt, wie es sich anfühlte, als bekäme ich nicht genug Nahrung und würde früher oder später dadurch verhungern.
Als ich den Ring anhatte, war ich da etwa so wie ein Mensch sein würde?
Ich weiß nur, dass mein Gehör schwächer war, mein Geruchssinn konnte nicht mehr diese feinen Aromen und Informationen aufnehmen. Es war nur noch eine leise Ahnung, was zum Beispiel eine Pflanze uns mitteilen möchte, doch ich konnte sie nicht mehr fühlen.
Doch woher soll ich wissen, wie viel man als normaler Mensch wahrnehmen kann? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man all diese Wunder dann gar nicht sieht...
Wie furchtbar das Leben sein muss, wenn man in solch einer Begrenztheit gefangen ist. Andererseits. Woher will ich denn wissen, wo die Grenzen überhaupt sind? Wahrscheinlich bin ich selber auch ziemlich begrenzt und ich weiß es nur nicht?
Ich starre auf den Ring vor mir, welcher mir seinerseits ebenso mit seiner blanken, schmatzenden Leere entgegenstarrt und an meinen Nerven leckt, als wären sie Schokolade und könnte mich so dazu bringen, ihn mir an den Finger zu stecken.
Er strahlt eine so unheimlich bodenlose Kälte aus, welche mich augenblicklich frösteln lässt, indem sie sich durch meine Knochen ätzt und alles in mir mit Furcht erfüllt.
Jetzt verstehe ich auch, weshalb mein Körper so reagiert. Er spürt, was das für ein Stein ist. Er weiß, dass dieser mir meine Kraft rauben kann. Vielleicht hat mein Körper sogar Todesangst?
Na ja, vielleicht übertreibt er auch ein bisschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Stein so stark sein könnte.
Wenn es wirklich solch einer ist, welchen Tyrian erwähnt hat, dann tragen ihn die anderen, welche nicht entdeckt werden, oder ihre nicht menschlichen Triebe zurückhalten wollen, ja auch.
Kann es sein, dass er mir heute Abend dabei helfen könnte zu dem Konzert zu gehen, ohne meinem körperlichen Ersehnen unterworfen zu sein?
Ich schlucke bei dem Gedanken, diesen frostigen hohlen Schlund an meinen Finger zu stecken, sodass er meine Empfindungen aussaugen kann.
Ist es das wirklich wert? Ich hefte meinen Blick mit ungeteilter Präsenz auf die leere Hülle, welcher umso länger ich ihn ansehe, nur noch immer größer zu werden scheint.
Es ist beinahe, als würde er mich jetzt schon aussaugen. Geschockt taumele ich ein paar Schritte zurück und reiße meinen Blick schnell von dem düsteren Nichts.
Er ist wie ein schwarzes Loch, welches alles aus mir haben will. Ich werde es ohne den Ring versuchen!
Vielleicht schaffe ich es kurz zu bleiben, bis meine Freunde ihre ersten Lieder gespielt haben und dann gehe ich wieder. Vielleicht nehme ich den Ring einfach nur mit, falls es keine andere Lösung mehr geben sollte.
Allerdings habe ich keine Ahnung, ob ich je wieder den Mut dazu aufbringen würde, mir diesen Ring anzustecken.
Mit gespreizten Fingern verfrachte ich ihn sicher in meiner Tasche und hoffe inständig, dass ich ihn nicht brauchen werde und falls doch, dann auch, dass es wirklich der Stein ist, von welchem Tyrian gesprochen hat und kein anderer!
Ich klammere mich an das Lenkrad meines Fahrrads, während ich barfuß in die Pedalen trete, um rechtzeitig zu dem Auftritt von Simo, Nilo und den anderen zu gelangen und dabei nicht zu sehr auf das Zucken in meinem Unterleib zu achten.
Es ist jetzt schon seit einer ganzen Weile spürbar und wird von Minuten zu Minute präsenter. Wieso müssen Auftritte auch immer Abends sein?
Die Sonne steht gefährlich nahe am Horizont und taucht alles in ein warmes, berauschendes, und zutiefst sinnliches Licht, welches mich nur allzu sehr an das erinnert, was mein Körper jetzt am liebsten machen würde.
Ich bin froh, noch meine Gedanken unter Kontrolle zu haben! Auf diese muss ich heute am meisten achten. Denn wenn ich keine Kraft mehr über meine Gedanken besitze, habe ich auch keinen Einfluss mehr über meinen Körper!
„Anella! Ich dachte schon, du kommst doch nicht". Simo kommt auf mich zu und zieht mich in eine feste Umarmung. Das strahlen, welches nicht nur sein Gesicht, sondern seinen ganzen Körper erfüllt, verrät mir, dass er sich ziemlich auf den Abend hier freut. Ich an seiner Stelle wäre wahrscheinlich einfach nur aufgeregt.
Er grinst euphorisch und zerrt mich dann nach hinten in eine Ecke, wo nicht ganz so viele Gäste stehen und unsere Freunde, sowie seine Bandkollegen bereits auf uns warten.
„Hey Anella, schön dass du gekommen bist!" Nilo lächelt mir zu und sieht mir dabei einen Touch zu lange in die Augen, weshalb ich mich stattdessen schnell in dem viel zu überfüllten Raum umsehe.
Überall wimmelt es von Gästen, Stimmengewirr und verschiedenen Körpergerüchen, weshalb mir auch augenblicklich etwas schummerig wird.
„Wo ist Vivien?" „Ach sie kommt gleich! Ist nur grad auf'm Klo". Kommt es von Nic, welcher gerade an einem Glas nippt und etwas neidisch auf die Instrumente und die Bühne der anderen schielt.
Er hat mal gesagt, dass er gerne selber in der Band mitspielen würde, allerdings keinerlei musikalisches Talent besitzt. Oder zumindest behauptet er das immer. Er hat allerdings auch nie länger als ein paar Minuten versucht auf den Instrumenten zu spielen.
Er meint, dass er, wenn er Teil dieser Band wäre, sicher um einiges mehr Glück bei den Mädchen hätte. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Nic ist auch ohne, dass er einer Band angehört, zum Verlieben.
Also nicht, dass es mir so geht, aber ich bin mir sicher, dass er vielen anderen Mädchen schon den Kopf verdreht hat. In diesem Augenblick taucht Vivien hinter ihm auf und es erscheint augenblicklich ein Strahlen auf ihrem Gesicht, als sie mich entdeckt.
„Nell du bist ja da!" Sie zieht mich in eine genauso stürmische Umarmung wie Mo eben, sodass ich lachen muss, bei dieser Bewegung aber sofort wieder dieses Zucken in meinem Bauch wahrnehmen kann.
Auch merke ich schon seit einigen Augenblicken, dass sich meine Beine immer weiter anspannen, und eine flackernde Energie sich in meinen Adern sammelt, welche durch Bewegungen und Berührungen entladen werden will.
„Ja ich kann nur nicht so lange bleiben! Wann geht es eigentlich los?" Mein Blick schweift zu Mo, doch an seiner Stelle wird meine Frage von Jim beantwortet. „In einer halben Stunde!"
So lange noch? Entsetzt merke ich, wie die Erregung sich innerlich in mir zu winden beginnt und will, dass meine Hüften es ihr nachtun, doch ich verkrampfe mich stattdessen und presse dabei meine Oberschenkel zusammen.
Das könnte die längste halbe Stunde meines Lebens werden. Nein warte, ich muss ja danach auch noch länger hier bleiben! Immerhin bin ich ja hier, um meine Freunde beim Spielen zuzuhören.
„Ich bin so aufgeregt". Vivien hüpft beinahe, während sie Mo, Nilo und Jim freudige Blicke zuwirft.
Die Zeit vergeht endlos langsam. Zwischendurch kommt der Besitzer dieses Live-Cafés vorbei und redet kurz mit uns, ehe er zu den Bühnen geht und Simo, mit Jim ihm folgen. Nilo, Nic und Vivien bleiben mit mir zusammen hier und warten einfach weiter.
„Ey, echt cool, dass du gekommen bist!" Ersterer fährt sich mit der einen Hand durchs Haar und mustert mich eingehend. Ich merke wie ich unruhig mein Gewicht verlagere, doch stelle im selben Moment fest, dass es keine gute Idee ist mich zu bewegen.
Ich nicke nur als Antwort und sehe mich mit großen Augen in der Menge um. All diese Menschen, all diese... Männer...
Ich bin erschrocken über meine Gedanken. Als mir das Ausmaß, in welcher Zwickmühle sich mein Körper gerade, befindet klar wird, muss ich schlucken. Was denke ich da gerade überhaupt? Solche Gedanken kenne ich von mir eigentlich gar nicht!
Ich spüre wie sich ein kleiner Funken in meinen Unterleib genistet hat und nun immer stärker zu flackern beginnt, sodass er zu einer kleinen Flamme heranwächst, welche viel zu schnell an Intensität zunimmt.
Mit zusammen gepressten Lippen, huscht mein Blick über die Menge und mich überströmt der Geruch verschiedenster Körper, Essen und Getränken, welche in dieser Kombination für mich nicht gerade eine angenehme Mischung ergeben.
Dazu das stetige Summen von Stimmen und die Geräusche, welche viele Menschen in einem Raum eben verursachen.
Wie soll ich das nur aushalten? „Kommt, wir suchen uns einen Platz!" Vivien greift mich und Nic bei der Hand, ehe sie sich zu Nilo umdreht. „Ich glaube, es geht gleich los. Ich wünsche euch ganz viel Glück, ihr rockt das!" Sie zwinkert ihm zu, sodass er ihr zulächelt. „Danke, das werden wir!"
„Aber sowas von!", entgegnet Nic und boxt ihm freundschaftlich gegen die Schulter. Ich sage nichts und sehe stattdessen einfach in die Richtung der Bühne, zu welcher er dann auch verschwindet, nachdem er mir noch ein Lächeln zugeworfen hat.
Dann setzen wir uns auch in Bewegung und ich habe ein bisschen Panik, als wir uns direkt auf die Menge Menschen zubewegen, wo ich plötzlich von allen Seiten von warmen, harten und weichen Körpern angerempelt werde.
Oh verdammt, die Stellen, an denen meine Haut berührt wird, fängt schlagartig an intensiv zu brennen und ich merke, dass dadurch diese innere Flamme nur noch mehr getriggert wird sich auszubreiten.
Ich schnappe nach Luft und presse meine Zähne fest aufeinander. Ich darf jetzt nicht tanzen! In mir ist eine so große Anspannung, dass ich beinahe nicht mehr atmen kann.
Zum Glück merken Vivien und Nic nichts davon, da sie geradeaus schauen und wie ich damit beschäftigt sind, sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen.
Wir schlängeln uns an mehreren, gut besetzten Tischen vorbei, bis wir zu dem Platz direkt vor der Bühne gelangen, von wo wir einen guten Blick zu unseren Freunden erhaschen. Von dort können wir sie anfeuern, ihnen zujubeln, oder zu der Musik tanzen.
Naja, oder besser gesagt Nic und Vivien. Ich werde mich keinen Millimeter mehr bewegen.
Ich muss das schaffen!
Das Café ist in ein schummerig, gemütliches Licht getaucht, was meiner Selbstbeherrschung nicht gerade entgegenkommt. Und als dann auch noch die Musik beginnt und die Menschen anfangen zu tanzen...
Ich lächele Mo und den anderen auf der Bühne zu, während ich mich fest an die Wand hinter mir presse.
„Anella, lass uns tanzen!" Vivien greift nach meiner Hand und will mich schon auf die Tanzfläche ziehen, doch ich ziehe sie mit aller Kraft zurück.
„Nein, ich tanze nicht!" Vivien zieht ungläubig ihre Augenbrauen hoch. „Erzähl keinen Unsinn, ich weiß genau, dass du tanzen kannst, ich habe dich schließlich gesehen!"
Ich schüttele meinen Kopf und versuche das berauschende Gefühl auszublenden, welches diese Bewegung in mir hervorruft.
„Sind dir die Menschen etwa zu viel?" Vivien lässt ihren Blick über die Menge gleiten und dann über meiner angespannten Haltung.
„Gott Anella, mach dich doch mal ein bisschen locker!"
„W-was? Nein, mir geht es nur nicht so gut, das ist alles".
Vivien runzelt die Stirn. „Was.. du wirst doch nicht krank, oder?" „Nein, keine Sorge! Ich bleibe nur einfach besser hier stehen!"
Sie sieht mich nachdenklich an, ehe ihr Blick wieder hinter sich zu den tanzenden Menschen huscht und sich dabei schon etwas zu der Musik bewegt.
„Geh ruhig tanzen! Ich schaue dir dann einfach dabei zu", grinse ich und zwinkere scherzend.
Vivien legt flehend ihren Kopf schief.
„Bitte, Nell! Zusammen macht es doch viel mehr Spaß!" Ich schiele skeptisch auf die tanzende Menge vor uns, als wären sie eine gefährliche Falltür, in welche ich auf keinen Fall laufen darf.
„Tut mir leid!"
„Dann tanze ich mit dir!" Vivien und ich drehen uns gleichzeitig verwundert um, wo Nic hinter ihr aufgetaucht ist und Vivien gut gelaunt eine Hand entgegenhält. Sie blinzelt kurz und starrt auf diese, ehe sie zu ihm aufblickt und ihn dann breit angrinst.
Ohne ein weiteres Wort verschwinden sie beide auf der Tanzfläche, sodass ich schließlich schwer atmend, mit einem Brennen und Ziehen im Bauch an der Wand gepresst zurückbleibe.
Das Tanzen auf der Lichtung vorhin hatte wohl leider nicht vorbeugend gewirkt.
„Ey, deine Stimme ist echt der Hammer", sagt Nic zu Nilo, da dieser der Sänger ihrer kleinen Band ist und sieht dann wieder zu Vivien, welche ihn angrinst, als sie gerade eine kleine Pause einlegen.
Simo und Jim lehnen sich lässig gegen die Bar und trinken, ebenso wie Nilo aus ihren Gläsern.
„Danke." Er lächelt, während sein Blick wieder zu mir huscht, was er diesen Abend meiner Meinung schon viel zu oft getan hat.
Gleichzeitig kann ich aber auch nichts dagegen unternehmen, da meine ganze Präsenz sich immer weiter in meinen Körper zurückzuziehen droht, um dann in einem Vulkanausbruch aus mir herauszubrechen, sobald ich nicht mehr stark genug bin, diesem Feuer standzuhalten.
Ich bete, dass das noch solange hin sein wird, bis ich hier weg bin! Inzwischen ist es nämlich wirklich um meinen Körper geschehen. Die anfangs kleine Flamme hat sich ausgebreitet und meinen ganzen Körper eingenommen. Er brennt.
Es ist so überwältigend, dass ich schon gar nicht mehr ganz klar denken kann.
Atmen! Ich muss es wieder versuchen beruhigend zu atmen, wie ich es einmal im Wald getan hatte, als Vivien dabei war!
Eins-zwei-drei-ein... Ich stocke und beiße meine Lippen fest aufeinander, während ich meine Oberschenkel viel zu sehr aneinander presse. Ein Zucken durchflutet meine Wirbelsäule und zwingt sie beinahe schon schmerzhaft sie durchzubiegen. Sich zu winden wie eine Schlange.
Ich will mich bewegen, doch untersage es mir, auch wenn jede noch so kleine Zelle in meinem Körper danach schreit. Ich muss hier raus, sofort! Nur ganz kurz, um mich zu sammeln.
„I..ich geh' mal ganz kurz an die frische Luft! Komme gleich wieder". Die anderen sehen mich fragend an, doch ich lächele nur halb und drehe mich dann auch schon im selben Moment in Richtung Ausgang um.
„Warte, kennst du schon den Hinterhof? Da gibt es einen kleinen Garten, der wird dir gefallen! Ich kann ihn dir zeigen!" Nilo greift nach meiner Hand, ehe ich reagieren kann und zieht mich hinter sich her.
Das verwirrende ist, dass sich seine warmen Finger auf meiner brennenden Haut verstörend richtig anfühlen und bewirken, dass sich das Feuer in meinem Körper nur noch weiter entfacht. Doch in meinem Verstand weiß ich, dass das hier alles andere als richtig ist!
Ich will ihm meine Hand entziehen, aber schaffe es einfach nicht einmal, meinen Körper in dieser Art zu bewegen.
Stattdessen greift zu meinem Entsetzen meine Hand nun auch noch fest nach seinen Fingern, als wäre er ein Fels in der Brandung und ich müsste mich Halt suchend an ihn klammern.
So kommt es, dass wir Hand in Hand durch eine versteckte Hintertür laufen und uns dann in einem relativ dunklen, verlassenen, nur von einer kleinen Lampe beleuchteten Innenhof wiederfinden.
Schlagartig erhascht mich die kühle Nachtluft und ich schließe für einen Moment meine Augen. Ich hätte gedacht, dass mir die frische Luft helfen würde, doch stattdessen scheint sie mein inneres Feuer nur noch weiter zu entfachen.
Ich spüre regelrecht, wie mein Verstand, durch die Flammen immer weiter zurückgedrängt wird.
Alles in mir brennt und will erlöst werden. Ich spüre seine Hand, immer noch fest um meine geschlungen und empfinde ein krampfhaftes Bedürfnis, diese an noch anderen Stellen meines Körpers zu fühlen.
Ich will, dass er mich berührt. Ich will ihn berühren! Ich will tanzen! Ich will...
„Anella, alles okay?" Nilo tritt mit gerunzelter Stirn einen Schritt auf mich zu und sieht mir fest in die Augen. „Was ist los?"
Mir enddringt ein Keuchen und ich klammere mich nur noch fester an ihn, da ich sonst ganz sicher nicht mehr dem Drang mich zu bewegen standhalten könnte.
Er soll mich festhalten! Berühren! Nein, warte! Ich darf sowas nicht denken. Ich darf nicht...!
Reiß dich verdammt noch mal zusammen. Ich muss... Ich muss...! Wo bin ich eigentlich?!
„M-mir ist komisch. Bitte nimm das, wie ich mich verhalte, nicht ernst, okay?!" Er darf mein Verhalten auf keinen Fall falsch verstehen! Er soll wieder reingehen! Er soll mich alleine lassen und gleichzeitig weiß ich, dass ich ihn wahrscheinlich nicht von alleine loslassen würde.
Verflucht nochmal, wieso bin ich nicht einfach gegangen? „Geh wieder rein!" Sage ich atemlos zu ihm, doch wie es aussieht nicht sehr überzeugend, denn anstatt wegzusehen, wandert sein Blick über mein Gesicht, von meinen Lippen zu meinen Augen und zurück.
Ich keuche wieder und dieses Mal zuckt gleichzeitig auch noch eine heftige Hitzewelle durch meinen Bauch, sodass ich erregt nach Luft schnappe.
Nilos Augen sind geweitet und sein Ausdruck wirkt einerseits besorgt, aber gleichzeitig spiegelt er auch das wider, was in meinem eigenen Körper gerade vor sich geht.
Alles brennt und leckt von innen an meiner Haut, welche jeden Augenblick droht in Flammen aufzugehen, da ich mich mit aller Kraft versuche nicht zu bewegen.
„Bitte!", sage ich und weiß selber nicht mehr genau, ob ich damit meine, dass er geht, oder dass er mich berührt. Wie kann das nur sein?
„Anella... Was ist los?" Seine Stimme klingt heiser und ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass er eben, so viel gesungen hat. „I-ich muss gehen!", hauche ich doch, bewege mich keinen Millimeter von der Stelle.
Er fasst nun auch noch nach meiner zweiten Hand, weshalb ich erschrocken meine Augen aufreiße, da mein Körper darauf nur noch stärker zu brennen beginnt, obwohl ich nicht dachte, dass das überhaupt noch geht.
Ich keuche wieder und presse meine Beine fest zusammen. „Mir...mir.. mir geht es nicht gut!" Wir sehen uns einfach nur an, während seine Hände auf meiner Haut sich anfühlen, wie zwei erlösende Schlüssel zu dem Problem, welches mich um den Verstand ringen lässt.
„Bitte, nimm das, was ich jetzt mache, nicht Ernst, hörst du!" Ich sehe nur noch seinen verwirrten Ausdruck im Gesicht, ehe ich unseren Abstand überwinde und meine Lippen fest auf seine presse.
Die Berührung auf meiner Haut ist einerseits so erlösend, doch gleichzeitig kommt auch das Gefühl in mir hoch, dass es nicht richtig ist. Es sollte nicht Nilo sein, den ich da küsse. Es ist einfach falsch ihn dafür auszunutzen, doch ich kann nichts dagegen tun, dass sich meine Lippen wie von selbst bewegen.
In mir scheint sich das Feuer zu sammeln und sich genau an die Stellen zu lenken, wo sich unsere Berührungen vertiefen. Er fasst mich an der Taille und zieht mich noch fester zu sich heran.
Ich keuche und bemerke, dass auch er es tut. Das ist falsch... das ist einfach falsch! Es fühlt sich nicht richtig an und gleichzeitig verlangt etwas in mir nach viel mehr davon.
Als seine Hand über meinen Rücken fährt und den Gurt meiner Tasche berührt, welche ich bis dahin immer noch über meiner Schulter trage, weil ich sie nicht, wie die anderen im Café abgegeben habe, blitzt das einzige Bild in mir auf, welches uns jetzt vielleicht aus dieser Situation retten könnte.
Ich klammere mich eisern mit einer Hand um den Träger und wühle dann dort in meiner Tasche herum, während meine Lippen immer noch auf seine gepresst sind und ich ihn mit der anderen Hand zu mir heranziehe.
Er tut es mir nach und presst unsere Körper fest gegeneinander. Ich fühle mich irgendwie gespalten. Dieses Verlangen, welches in mir wütet und gleichzeitig das Wissen, dass er einfach nicht der richtige ist.
Ich bin so ein mieser Mensch. Da erhaschen meine Finger etwas hartes kaltes und bevor ich mich vollkommen im Kuss verliere, löse ich meine zweite Hand von ihm und schiebe mir den Ring an meinen Finger.
Schlagartig durchfährt mich ein so zerreißender Schmerz, dass mir prompt schwarz vor Augen wird und ich in eine unendlich bodenlose Tiefe gerissen werde.
Es fühlt sich an, als sei ich ausgeräuchert worden und würde mich jetzt in einer einzigen zehrenden Rußwolke aus leckendem Nichts befinden.
Alles in mir krampft sich zusammen, als würde ich mich in eine kleine Erbse pressen. Oder nein, als wäre ich gefangen in dem Stein, welcher sich bleischwer an meinen Finger frisst.
Zurück bleibt eine hohle Hülle, welche nun blinzelnd ihre Augen aufmacht. „Anella! Oh Gott, was ist los?" Er hat sich über mich gebeugt und sieht total erschrocken aus. Verwunderlich ist das nicht.
Das einzige, was mir jetzt Erleichterung bereitet ist, dass das Feuer, welches mich eben noch vollkommen eingenommen hat, nun haltlos erloschen ist.
Stattdessen fühle ich eine klaffende Kahlheit, welche sich um meine Lunge krallt. „Ich... alles gut!" Diesmal keuche ich von dem Gefühl, welches mich nun einnimmt. Dieses aufzehrende Schmatzen, welches mich substanzlos zurücklässt. Ich fühle mich plötzlich so leer, dass es mich regelrecht überwältigt.
Was habe ich nur getan?
***
Hi ihr Lieben. Wie fandet ihr das Kapitel? Was hättet ihr an Anellas Stelle gemacht? Glaubt ihr, das mit dem Ring war eine gute Idee?
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