18. PS: Keine rote Rosen mehr!
Am nächsten Morgen fühle ich mich vollkommen ausgelaugt. Der Gewittertanz hatte ziemlich an meinen Kräften gezerrt und danach konnte ich Ewigkeiten nicht schlafen, weil meine Gedanken die ganze Zeit an den Baum, das Blitzgewitter und das Feuer denken mussten.
Ich habe keine Ahnung, wann ich eingeschlafen bin, doch danach hatte ich ziemlich unruhige Träume, an welche ich mich allerdings nicht mehr erinnern kann.
Als ich nachhause gekommen bin, standen die Schuhe von meinem Vater nicht mehr da. Ebenso seine Jacke, was mich vermuten lässt, dass er wieder in seiner Werkstatt schläft, da sich meine Eltern wie es scheint wieder ordentlich gestritten haben.
Durch den leichten Schlaf meiner Mutter ist diese leider aufgewacht, hatte allerdings keinen Verdacht geschöpft, weil sie dachten, ich sei bei Freunden gewesen und hätte mit dem Nachhausekommen einfach gewartet, bis das Gewitter vorbei war.
Zum Glück war sie diesmal zu müde, um zu diskutieren. Meine Erscheinung verwunderte sie zum Glück nicht so sehr, immerhin hatte es ja stark geregnet und die gröbste Erde hatte ich vorher im Bach abgewaschen.
Dann habe ich mich warm geduscht, um ein wenig die Kälte zu vertreiben, was leider nicht wirklich klappte. Jetzt bin ich schon auf dem Weg zur Schule und würde am liebsten sofort wieder zur Lichtung gehen, um nachzuschauen, wie es jetzt dort aussieht.
In meinem Kopf spielen sich immer wieder die Ereignisse von gestern ab und scheinen immer noch nicht so ganz in mein Bewusstsein durchgedrungen zu sein.
Was ist da gestern Nacht eigentlich passiert? Bin ich denn total verrückt geworden? Der Blitz, oder besser gesagt die Blitze sind nur ein paar Meter von mir entfernt in den Baum eingeschlagen.
Ich könnte jetzt genauso gut mausetot sein. Doch anstatt, dass mich diese Tatsache beängstigt, denke ich darüber nach, dass ich unbedingt wissen muss, welcher Baum das gewesen ist.
Wenn ich an den Moment zurückdenke, spüre ich immer noch das zitternde Erbeben, unter meinen Zehen, als die Blitze in die Erde gedrungen sind und merke, wie dieses Beben in meinen Adern nachvibriert.
Ich bin komplett durchgeknallt. Meine Beine fühlen sich immer noch zittrig und schlapp an und ich habe Mühe mich schnell genug zu bewegen.
Als ich an der Kreuzung vorbeilaufe sehe ich einen Obststand mit Kirschen und erinnere mich zum Glück, dass ich ja diesmal etwas für alle mitbringen wollte, da ich letzte Woche fast die ganzen Erdbeeren alleine aufgegessen habe.
Als ich vor der Schule ankomme, stocke ich kurz und stöhne innerlich genervt auf. Nilo steht wieder einmal an der Mauer gelehnt und grinst mir schon von Weitem entgegen.
Ich umklammere den Träger meiner Tasche etwas fester und gehe dann notgedrungen auf ihn zu.
„Hey meine süße!" Seine Stimme hat einen schokoladigen Tonfall, woraufhin er sich von der Mauer abstößt und mir entgegenkommt. Ich beschleunige unwillkürlich mein Tempo.
Mir schießt in den Kopf, was gestern beinahe passiert wäre und frage mich, was Nilo jetzt wohl denkt. Wie es aussieht, hat er meine Flucht keineswegs als Abweisung registriert. So kann das nicht weitergehen!
„Nilo, ich glaube, wir müssen da etwas klarstellen!", sage ich und bin sehr dankbar, über meinen festen Tonfall. Sein Lächeln verschwindet, doch er hält nicht an. „Ich bin nicht deine süße!" Erkläre ich, mit Betonung auf die letzten Worte.
Frustriert stelle ich fest, dass ihm diese kein bisschen zu berühren scheinen. „Bist du dir da sicher?", fragt er mich stattdessen, während sein Gesichtsausdruck nichts über seine Gefühlslage zu verraten scheint.
Er sieht mir mit einem angedeuteten Lächeln in die Augen, während er noch einen Schritt auf mich zugeht.
Unwillkürlich weiche ich wieder von ihm weg. „Ja!", sage ich schnell und gehe noch einen Schritt rückwärts, um erneut Abstand zwischen uns zu bekommen. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen und sieht mich ausgiebig an.
Sein Blick ist intensiv und irgendwie ziemlich unangenehm. Ich sehe, wie er lächelt, allerdings wirkt es eher gezwungen.
„Vielleicht noch nicht, aber du wirst es sein! Du weißt es nur noch nicht!" Widerspricht er mir und kommt dann doch wieder einen Schritt auf mich zu. Fassungslos sehe ich ihn an. Was meinte er da gerade? Er ist sich ja ganz schön sicher.
„Du spürst doch auch, dass da etwas zwischen uns ist! Das weiß ich, ich habe es gestern in deinen Augen gesehen! Ich weiß, dass du Angst davor hast es dir einzugestehen und vielleicht versuchst du ja auch dir selber etwas vorzumachen, darum nehme ich das, was du sagst und tust auch nicht persönlich.
Es macht mir auch nichts aus, dass du Bindungsängste hast, ich kann warten, solange es braucht, bis du es erkennst! Aber ich werde mir Mühe geben, damit das nicht mehr allzu fern sein wird!"
Bei seinen Worten hört es sich so an, als erkläre er gerade einem Kind, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.
„W-was?!" Das mit den Bindungsängsten stimmt ja vielleicht, aber wieso denkt er, dass wir zusammen gehören? Um so etwas zu denken, müsste man sich doch erst viel intensiver kennenlernen!
Und er kennt mich definitiv nicht genug, denn würde er das tun, dann wäre seine Ansicht darüber zu hundert Prozent anders!
Und überhaupt, woher will er denn bitte wissen, was ich fühle? Außerdem glaube ich nicht daran, dass es so etwas gibt wie "Zusammengehören". Man kann sich halt gerne haben, lieben, oder wie auch immer, aber mehr auch nicht. Ich glaube nicht an diese romantischen Seelenverbindungen, aus all diesen kitschigen Romanen und Filmen.
„Nilo, was auch immer du glaubst, in meinen Augen gesehen zu haben, du hast dich geirrt! Glaube mir, daran wird sich auch nichts ändern! Bitte verschwende deine Zeit nicht, auf irgendetwas von meiner Seite zu warten, denn da wird nichts kommen! Tut mir leid, dir das so deutlich sagen zu müssen! Du bist ein toller Mensch, aber ich empfinde eben nicht so wie du!"
Nach diesen Worten drehe ich mich schnurstracks um und laufe zum Schultor. Ich habe es ihm endlich gesagt. Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts für ihn empfinde und, dass er seine Energie nicht an mich verschwenden soll.
Jetzt ist nur noch zu hoffen, dass er es auch versteht und annehmen kann! Der Unterricht beginnt in derselben Minute, wie ich den Klassenraum betrete, sodass ich gerade noch rechtzeitig bin.
Nachdem es sich anfühlt, als hätte ich schon einen vollständigen Schultag und 10 Stunden Marathon hinter mir, klingelt es erst zur Frühstückspause. Ich stöhne.
Heute scheint sich der ganze Unterricht extrem in die Länge zu ziehen. Ich fühle mich unglaublich schlapp und ausgelaugt. Als hätte das Erlebnis gestern mir alle Kräfte geraubt.
Ich klammere mich an meine Tischkante, bevor ich langsam, im Halbschlaf aus dem Klassenraum taumele.
Mein Körper fühlt sich an wie ein Eiszapfen, obwohl es draußen eigentlich ziemlich warm ist.
Ich habe meine normale Temperatur, seit gestern Abend noch nicht wiedererlangt. Zwar habe ich heute früh nochmals warm geduscht, doch das hatte wenig bewirkt.
Ich reibe mit der einen Hand über meinen Oberarm und laufe dann wieder zum Spind, an welchem Nic schon steht und dort gerade seinen Ordner verstaut, um ihn dann mit einem anderen auszutauschen.
„Hey Nell", begrüßt er mich mit einem Lächeln. „Wie war dein Nachmittag gestern noch?", fragt er, während er den Spind wieder zuschließt.
„Hm", mache ich nur, was ihm sofort ein Fragezeichen auf die Stirn malt. Er mustert meine schlaftrunkene Erscheinung und zieht dann die Stirn kraus.
„Anstrengend?" Ich sehe von meinem Spind auf in sein Gesicht. Er wirkt eigentlich ziemlich ausgeschlafen und gut gelaunt. Nur seine Sorgenfalte in der Stirn passt nicht so ganz dazu. Wahrscheinlich habe ich ihm diese gerade verpasst. Na toll.
„Na ja...", sage ich. „Ein wenig. Aber wie war dein Nachmittag?", versuche ich ihn ungeschickt abzulenken. Aber Gleichzeitig interessiert es mich wirklich, weshalb er so gute Laune hat.
Er überlegt kurz, ob er noch nachhaken soll, lässt es dann aber und antwortet stattdessen auf meine Frage, wofür ich ihm sehr dankbar bin.
„Eigentlich sehr lustig, wir..." Er hält kurz inne, spricht dann aber doch weiter. „...sind dann danach noch kurz was essen gegangen". Er setzt eine schuldbewusste Miene auf. Wahrscheinlich hat er jetzt ein schlechtes Gewissen, dass er es mir gesagt hat, weil ich nicht mit dabei war.
Ich hätte davon ja eh nichts essen können. Außerdem hätte ich es dort auch nicht lange ausgehalten, da mein Tanztrieb es gar nicht zulassen würde mich zu dieser Zeit länger nicht zubewegen.
„Das ist doch schön! Freut mich, dass ihr noch Spaß hattet!", sage ich ehrlich. „Tut mir leid, dass du nicht dabei warst. Das war eine Spontanidee, als wir dich schon nachhause gebracht hatten und na ja..." Er überlegt, was er noch sagen soll.
„Ist doch super! Ich hätte doch sowieso nichts mitessen können und außerdem war es eh gut, dass ich nach Hause gekommen bin!" Der Streit kommt mir in den Kopf und ich bezweifele meine Worte sofort.
Er sieht mich neugierig an, doch ich deute ihm einfach, dass wir los nach draußen zu den anderen gehen sollten.
„Wie wär's, Anella und ich hatten die Idee, dass wir alle mal zusammen im Wald campen gehen könnten?", sagt Vivien und spricht damit die Idee mit der Übernachtung im Wald an, welche wir letztens gehabt hatten.
„Das wäre bestimmt lustig und mal was anderes!", sagt sie und sieht dabei enthusiastisch in die Runde.
„Ey, gute Idee!" Simo grinst breit. „Ja, finde ich auch!", entgegnet Nilo und sieht dabei kurz in meine Richtung. Mist, er wäre dann also auch dabei.
Musste Vivien das ausgerechnet jetzt ansprechen? Na ja, wahrscheinlich hätte es zu einem anderen Zeitpunkt, sowieso erfahren, weil er inzwischen schon irgendwie dazu gehört. Ich frage mich, seit wann das eigentlich so ist.
Er spielt in derselben Band wie Mo, doch war das früher trotzdem nicht Grund genug immer da zu sein, wo wir sind.
Ich versuche angestrengt irgendwas an ihm zu identifizieren, was als Resignation gelten könnte, was dann bedeuten würde, dass er meine Worte vorhin verstanden hatte, doch ich werde kaltblütig enttäuscht.
Er wirkt vollkommen entspannt und selbstsicher. Ich schnaube leise. „Wird bestimmt lustig!", sagt Nic zu Vivien. Sie lächelt und ist sichtlich froh darüber, dass die Idee sofort Anklang gefunden hat.
„Und wann wollen wir das machen?", fragt Simo und mopst sich mit einem Grinsen zu mir eine Kirsche aus der Schale, welche ich heute mitgebracht hatte.
„Vielleicht Anfang der Ferien?", schlägt Nic vor und beißt gleich darauf in das Croissant, welches Vivien ihm und Simo wieder geholt hatte.
***
Später wechselt mein Fach etwas früher, sodass es noch ziemlich leer auf dem Gang ist, als ich dort seufzend zu meinem Spind taumele, um meine Sachen zu verstauen und neue, für den nächsten Unterricht herauszuholen.
Als ich dort ankomme, erstarre ich für einen Augenblick und blinzele verwirrt, weil ich mir nicht sicher bin, ob das was meine Augen da sehen, wirklich an meinem Spind hängt.
Entsetzt stelle ich fest, dass es kein Trugbild ist, sondern tatsächlich ein Strauß Rosen. Erschrocken sehe ich mich um, ob jemand hier ist, welcher mir vielleicht auflauert.
Zum Glück sehe ich nur einige der Schüler, welche ebenfalls in meinem Fach gewesen waren und nun verwundert dreinschauen, darunter auch zwei Mädchen, welche leise tuscheln und in meine Richtung sehen.
Ich erkenne sie als Lisa und Veronika. Oh nein! Nilo... Ich könnte... Agrg. Ich spüre, wie langsam, aber sicher, leichte Hitze in mir aufsteigt und ich meine Finger, als Fäuste leicht zu kneten beginne. Was hat er nur gemacht? Wieso schenkt er mir denn jetzt ernsthaft Rosen? War ich etwa immer noch nicht deutlich genug?
Verdammt und dann auch noch hier, für alle öffentlich sichtbar. Ich merke, wie Wut und Scham in mir hochkocht. Ich will keine Rosen von ihm. Ich habe es ihm doch gesagt, wieso respektiert er es nicht einfach? Hoffentlich haben es nicht schon zu viele gesehen!
Schnaufend nehme ich die Rosen von meinem Spind, welche mit einem Band an den Luftschlitzen festgebunden sind.
Ich öffne den Knoten und lege den Strauß wütend auf das große Fensterbrett auf dem Flur. Erst jetzt fällt mir die kleine Papierrolle auf, welche zusammengerollt in den Strauß gesteckt ist.
Ich greife nach ihr und trete schnell vom Fensterbrett und dem Strauß weg, sodass niemand, wer neu dazukommt, diesen mit mir in Verbindung bringt.
Ich hoffe inständig, dass niemand vor mir den Zettel gelesen hat! Skeptisch rolle ich ihn auf und lese die krakelig geschriebenen Zeilen darauf.
„Ich weiß ja, dass du Rosen magst, also habe ich dir welche mitgebracht! Sie sind diesmal nicht zum Essen gedacht! ;) Nilo" Mir entfährt ein Stöhnen. Das kann doch nicht sein ernst sein! Die Mädchen von eben sehen mich immer noch an und ihr Ausdruck ist gleichzeitig verwirrt und voller Neugierde.
Wahrscheinlich wollen sie wissen, von wem die Rosen sind und weshalb ich sie nicht haben will. Sie sehen so aus, als überlegen sie, ob sie etwas dazu sagen sollen. Schnell drehe ich mich von ihnen weg und widme mich stattdessen übertrieben konzentriert meinen Utensilien im Spind.
Ebenso schnappe ich mir einen Stift, mit welchem ich auf die Rückseite des Zettels etwas antworten kann.
„Nilo, bitte verstehe das endlich, ich habe kein Interesse!!! Es tut mir leid. Bitte vergeude deine Hoffnungen nicht an mich! Denn das wäre reine Zeitverschwendung und dann würdest du viele Chancen verpassen bei Menschen, welche deine Gefühle erwidern!
PS: Bitte schenke mir keine Rosen mehr!"
Ich falte den Zettel zusammen und sehe mich um, ob die Mädchen gegangen sind und auch sonst die Schüler von eben nicht mehr wirklich mitbekommen, was ich mache.
Als ich mich umdrehe, bleibt mir die Luft im Hals stecken und ich erstarre mitten in der Bewegung. Zwei tiefbraune Augen treffen aus einiger Entfernung direkt in meine. Die Farbe erinnert an dunklen Onyx mit einer unergründlichen Intensität.
Kuno Millard steht am anderen Ende des langen Flures, welcher weiter hinten um eine Ecke biegt, wo sich die Spinde reihenweise aneinander gesellen.
Er ist ungefähr fünf Meter von mir entfernt. Ein Schauder durchfährt mich, denn sein Blick wirkt auf zweierlei Arten.
Zum einen missbilligend und kritisierend, zum anderen auf einer prüfenden, studierenden Weise, als wollen seine Augen irgendetwas durchdringen. Sie sehen mich auf eine Art an, in welcher ich mich plötzlich schuldig fühle, für was weiß ich nicht.
Ist er etwa immer noch wütend? Ich dachte schon ich hatte mich gestern mit meiner irrationalen Annahme geirrt, doch jetzt überschwemmt sie mich, wie eine Welle aus Unsicherheit.
Er wirkt irgendwie angespannt und ist definitiv wütend. Oder zumindest verärgert. Ich will durchatmen, schaffe jedoch unter diesem eindringlichen Blick keine Luft zu holen.
Kann es sein, dass er wirklich, anhand unserer letzten Begegnungen aus irgendeinen Grund diese Emotion gegen mich hegt? Doch was habe ich getan? Wir kennen uns doch gar nicht. Er weiß ja noch nicht einmal meinen Namen. Zumindest war das so bei unseren letzten Begegnungen.
Ist er wütend, weil ich ihn gestern gestört hatte? Schließlich waren wir ziemlich weit draußen auf dem See und er meinte, er ist dort hingeschwommen, um seine Ruhe zu haben.
Jetzt hat er wahrscheinlich von mir die Nase voll und mich zu seiner Nervensägen-Liste hinzugefügt, falls er so etwas haben sollte. Aber trotzdem! Rechtfertigt das sein Verhalten? Ich denke nicht!
Und wieso sieht er mich dann immer noch an?
Als ich an unsere Begegnung denke, breitet sich plötzlich ein flaues Gefühl in meinem Bauchraum aus und überschüttet mich mit einer leichten Gänsehaut, welche so gar nicht zu seinem Blick in diesem Moment passt.
Ebenso spüre ich die Scham in mir aufsteigen, als ich daran denke, dass er mich beim Unterwassertanz erwischt hatte. Ich würde jetzt gerne wegschauen, kann jedoch nichts anderes machen, als seinem Blick standzuhalten und sein intensives, konfrontatives Blickduell zu erwidern. Er macht schließlich auch keine Anstalten, seinen Blick von mir abzuwenden.
Ich habe das Gefühl, wenn ich jetzt zuerst wegsehe, würde ich auf irgendeine Art verlieren. Bei was überhaupt, weiß ich nicht einmal. Ich weiß einfach gar nichts mehr.
In diesem Moment fühle ich einfach nur sein intensiv brennendes Braun, welches sich wie loderndes Feuer in mich bohrt. Diese Kollision wird immer profunder. Es ist auf seltsame Weise faszinierend, so eingehend in seine Augen zu sehen und gleichzeitig auch irgendwie beängstigend.
So intensiv habe ich glaube ich noch nie jemanden angesehen. Zumindest nicht in dieser Art und Weise. Ich frage mich, was jetzt ausgerechnet der Grund dafür ist.
Wieso rattert mein Gehirn überhaupt schon wieder so verrückt. So viele Fragen, so viele Gedanken... Das passiert immer, wenn ich aufgeregt bin.
Kunos Gesichtszüge sind angespannt. Seine dunklen Augenbrauen ziehen sich auf seiner Stirn auf eine nachdenkliche Weise zusammen. Wachsam, während er seine wohlgeformten Lippen fest aufeinander presst.
Neben alledem fällt mir aber auch auf, wie wunderschön sein Gesicht ist. Trotz seines offensichtlich, an mich gerichteten Ärger, der sich darin abspielt.
Vielleicht wirken seine Augen auch deshalb so dunkel, weil sie durch den Schleier aus dichten Wimpern zu mir hervorblicken?
Seine dunkelbraunen Haare, von welchen ihm ein paar Strähnen ungezähmt ins Gesicht hängen und gleichzeitig trotzdem in eleganten Wellen seine Konturen umschmeicheln, finden sich von hier aus betrachtet fast im Einklang mit seiner Augenfarbe, während sie einen starken Kontrast zu seiner Haut ergeben.
Seine Kiefermuskeln sind leicht verspannt und man kann dort einen hauchzarten Schleier eines Dreitagebarts erkennen. Ich kann verstehen, warum ihn hier alle als attraktiv bezeichnen. Denn das ist er definitiv.
Er hat eine Erscheinung, welche einem dazu verlockt ihn gerne anzusehen.
Man kann an seinen Konturen zwar erkenne, dass er regelmäßig Sport treibt und durch sein geschickt gewähltes Shirt seine gesund aussehenden Muskeln erkennen, doch sie wirken gleichzeitig nicht übertrainiert, sodass er trotzdem eine ganz normale, gelenkige Ausstrahlung hat.
Im Moment allerdings wirkt er immer noch ziemlich angespannt. Fragt er sich vielleicht, warum ich ihn so anstarre? Aber er starrt ja schließlich auch immer noch zurück!
Seine Haut ist nicht blass, aber auch nicht gebräunt. Sie hat irgendwie eine unbeschreiblichen Teint, den ich nicht so ganz erfassen kann.
Ich frage mich, ob er sich seiner Wirkung bewusst ist. Ich denke ja. Denn so wie ich ihn einschätze, will er, dass man genau das in ihm sieht. Ein perfekter Sohn der Familie Millard. Ich weiß eigentlich nichts über ihn, auch wenn seine Familie hier in der Gegend sehr bekannt ist.
Ich weiß nicht wieso, doch das Gefühl einer eisigen Kälte, gepaart mit einem brennenden Feuer, breitet sich in mir aus und lässt mich tief einatmen. Wer ist er? Will ich das überhaupt wissen? Ich denke nicht.
Ich sollte jetzt wegschauen. Oder? Oder sollte ich ihn darauf ansprechen, weshalb er wütend ist? Was würde er sagen? Würde er mir überhaupt antworten?
Das werde ich wahrscheinlich nie erfahren, denn ich weiß, dass ich nicht den Mut dazu aufbringen werde. Mist, mir fällt auf, dass ich genau in seine Richtung gehen muss, wenn ich den Zettel zu Nilos Spind bringen will.
Mein Herz pocht ein bisschen schneller. Wie soll ich denn an ihm vorbeigehen und ihn ignorieren, wenn wir uns immer noch so ansehen?
Ich schlucke und mein Bauch zieht sich merkwürdig zusammen. Es scheint, als wolle keiner von uns der erste sein, der wegsieht. Ich atme tief ein, während ich seinem Blick standhalte und sehe, wie er seine Augen kaum merklich schmälert.
In ihnen liegen so viele unausgesprochenen Worte und gleichzeitig so vieles, was sie nicht preisgeben wollen.
Ich schlucke. Was tue ich hier? Wieso versuche ich seine Augen zu ergründen? Es sollte mir doch egal sein! Es ist mir egal! Versuche ich mir selber klarzumachen.
Es dürften in der ganzen Zeit nur ein paar Sekunden vergangen sein, doch es fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit. Mein Atem geht tief und diesmal sogar sehr kontrolliert.
Mein Körper bewegt sich nicht, doch als eine Gruppe von Schülern zwischen uns hindurchläuft, durchschneidet sie somit für einen Moment unseren Blickkontakt. Dieser reicht jedoch aus, um mich schnell von ihm abzuwenden und kurz zu sammeln.
Mist, ich muss gleich an ihm vorbei! Ich hoffe inständig, dass Nilo nicht da ist und dass er auch nicht gleich kommen wird. In wenigen Augenblicken ist auch bei ihm Fachwechsel und er wird wahrscheinlich zu seinem Spind gehen.
Wenn ich ihm noch vorher den Zettel zurückgeben will, muss ich mich beeilen. Kurzentschlossen laufe ich los, direkt in Kunos Richtung. Ich sehe nicht zu ihm auf, sondern starre eisern geradeaus vor mich an die Wand mit den Spinden.
Umso näher ich ihm komme, desto schneller tragen mich meine Füße, doch zu meiner Verwunderung, werden sie doch wieder langsamer als ich direkt an ihm vorbeilaufe.
Was mache ich da? Lauf weiter! Ermahne ich mich und beschleunige sofort wieder, sodass ich ohne aufzusehen, an ihm vorbeifege, bis ich vor Nilos Spind ankomme und rasch den Zettel durch den schmalen Spalt seiner Lüftungsöffnung stecke.
Er ist zum Glück noch nicht da, sodass ich mich fluchtartig wieder umdrehe und aus dem Staub mache, indem ich zu meinem nächsten Unterricht laufe.
Kunos Blick kribbelt dabei durchgehend in meinem Nacken. Ich weiß nicht, ob das nur die Nachwirkungen sind, oder Wirklichkeit. Ich habe aber auch nicht den Mut, es nachzuprüfen.
Irgendwie kommt es mir vor, als würde mein Körper in letzter Zeit besonders empfindlich und mit viel zu übertrieben starken Empfindungen auf alles reagieren. Das ist doch nicht normal.
Wieso nehme ich alles so intensiv wahr? Meine Fantasie scheint mit mir durchzugehen und mich langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben.
***
Hi, wie schön, dass du da bist. Liebe Grüße, Seerosena :)
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