I
Schwarz. Auf dem Bildschirm war es schwarz wie der Hintern eines Pottwals. Eigentlich müsste es wie Schneegestöber im Licht einer Taschenlampe aussehen. Das Scheinwerferlicht sollte von Schwebeteilchen und Plankton reflektiert werden. Aber so war es nicht.
„Jason?", rief sie, ohne das Bild aus den Augen zu lassen. „Haben wir ein Problem mit der Kamera oder mit der Verbindung?"
„Nein, die Daten unseres Täubchens kommen sauber rein", kam seine Antwort von hinten. Ihr Forschungspartner saß auf der anderen Seite der engen Schiffskabine zwischen tintenfischartigen Kabelsträngen, flimmernden Monitoren und einem Dutzend leerer Red-Bull-Dosen. Leider hatte ihr Projektbudget nicht für ein voll ausgestattetes Forschungsschiff gereicht, sondern nur für den kleinen Tauchroboter, den Jason liebevoll „Täubchen" nannte. Die Nussschale, auf der sie durch die Wellen vor Santorin dümpelten, gehörte ihrem Onkel.
Bei Poseidons Bart. Sie fluchte innerlich und blies sich eine ihrer schwarzen Locken aus dem Gesicht. Dabei drückte sie sich beinahe die Nase am Bildschirm platt. Und doch - da war etwas: anthrazitfarbene Streifen und winzige Reflexionen, kaum zu unterscheiden vom statischen Rauschen der Verbindung. Die Kamera funktionierte, aber da unten, in fast tausend Metern Tiefe, war - nichts. Unser Täubchen ist in einem Walarsch gelandet. Habe ich doch gleich gesagt.
Laut sagte sie: „Okay, vergiss es. Schick das Täubchen weiter runter, wir müssten bald den Grund erreichen. Die Sicht scheint hier einfach glasklar zu sein, warum auch immer."
Sie hörte, wie sich ihr Partner quietschend von seinem Stuhl erhob. Er stützte die Ellbogen auf den winzigen Schreibtisch neben ihr. Der Gummibärchengeruch seines Energydrinks waberte leicht zu ihr herüber, als er seinen Kopf neben ihren schob, um das Bild zu betrachten. Zum Glück war das eines seiner wenigen Laster. Er trieb regelmäßig Sport, was man ihm ansah, und überragte sie locker um Haupteslänge. Kein typischer Vulkanologe, das konnte sie nach fünf Jahren an der Uni mit Sicherheit sagen.
„Hm ... eigentlich sollten wir in den Bereich der aktiven Schlote kommen. Also das Gegenteil von kristallklar", sagt er und strich sich nachdenklich über den dunklen Bart. „Sind wir an der falschen Stelle?"
Ein eisiger Klumpen bildete sich in ihrer Magengegend. Das wäre fatal. Sie hatten den Roboter nur noch heute. Nach zwei Wochen täglicher Suche war dies ihre letzte Chance, die Schlote zu erkunden, die unablässig heiße Asche ausstießen wie winzige Dieselauspuffrohre. Vor drei Monaten hatte ihr Vater hier einen bisher unbekannten Krebs aus dem Netz gezogen. Ein handtellergroßes Exemplar ohne Augen. Damit war klar, dass er aus der Tiefsee stammen musste. In der ewigen Finsternis waren Sehorgane überflüssig. Was ihn jedoch einzigartig machte, war seine Färbung: Schwarz mit orangefarbenen Streifen, die sich wie bei einem Zebra über den Panzer zogen. „Dunkelfeuer-Krabbe" hatte sie ihn daher getauft. Spätere Untersuchungen ergaben, dass es sich tatsächlich um eine unbekannte Tiefseekrabbe handelte. Und dass sie sich höchstwahrscheinlich von den Bakterien ernährte, die hier in den Vulkanschloten lebten. Nur deshalb hatte sie nach monatelangem Bitten und Betteln ein winziges Forschungsbudget von ihrer Universität erhalten, um die Herkunft des Tieres zu klären. Wenn sie jetzt wegen eines dummen Fehlers am falschen Ort unterwegs suchten - ihr Projekt wäre gescheitert. Genauso wie ihre Karriere als angehende Biologin. Geld für einen weiteren Tauchgang hatten sie nicht. Sie schob ihren Stuhl zurück und sah Jason in die Augen. Braune Iriden mit grünen Sprenkeln blickten sie an. Aber sie hatte gerade andere Sorgen als die faszinierenden Augen ihres Helfers: „Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist. Wir benutzen GPS und die Austrittsstellen der Schlote sind gut dokumentiert. In den letzten zwei Wochen haben wir mindestens ein halbes Dutzend gefunden."
Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Händen durch die kurzen braunen Locken. „Ich weiß nicht. Wir sind schon an der richtigen Stelle. Aber vielleicht sind die Informationen falsch oder die Unterlagen veraltet. Sieh dir das klare Wasser an, hier kann es unmöglich Schlote geben. Und das ist der letzte vulkanische Hotspot. Wenn wir hier nichts finden, dann gibt es keinen Ort mehr, an dem wir suchen können."
Medea strafte sich. Sie mussten die Ausrüstung erst morgen früh um neun Uhr abgeben. Das gab ihnen mindestens weitere sechzehn Stunden, die Nacht eingerechnet. Vielleicht würde sie sich noch ein paar Dosen von Jason leihen, auch wenn sie das Zeug verabscheute. Eine Kaffeemaschine gab es hier nicht.
„Alles klar, dann lass uns runtergehen. Mach unserem Täubchen Feuer unter den Flügeln. Wir suchen im Zickzack-Kurs nach den Schloten - oder was auch immer wir bis morgen früh dort finden können."
Mit einem grimmigen Nicken warf sich ihr Forschungspartner auf seinen Stuhl und öffnete klickend die nächste Dose. Surrend sprang die Seilwinde am Heck an und ließ ihren Roboter in Schwärze hinabsinken.
🦀🦀🦀
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die verschmierten Bullaugen und blendeten Medea, die mit schmerzenden Augen auf den Monitor starrte. Neben ihr stapelten sich die leeren Dosen des inzwischen aufgebrauchten Vorrats an Energydrinks. Ihr Magen knurrte und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als den Kopf auf die Arme zu legen. Nur für ein paar Sekunden.
Der Walarsch war gestern Nachmittag schnell einer scheinbar endlosen Einöde gewichen. Im engen Zickzack rauschte ihr Täubchen über eine tote Unterwasserwüste. Hier lebte buchstäblich nichts. Auch das war eine faszinierende Entdeckung. Bisher hatte sie nicht gewusst, dass es am tiefsten Punkt des Vulkans so große Flächen gab, die von glatter, erkalteter Lava bedeckt waren. Doch das brachte sie ihrem Ziel keinen Schritt näher. Und für sie als Biologin war diese Steinwüste mehr als uninteressant.
„Jason", sagte sie mit belegter Stimme, „ich gebe auf. Hier gibt es nichts als Steine. Vielleicht kannst du später ..." Sie hielt inne. Hatte sich da unten gerade etwas gerührt?
„Später kann ich was?", hakte ihr Partner genervt nach, als sie nicht weitersprach.
„Halt! Zwei Meter zurück! Da hat sich was bewegt."
Grummelnd drückte Jason ein paar Knöpfe, dann stoppte das Bild und ihre Taube schwebte rückwärts. Zum Glück war es kein echter Vogel, sondern ein hundert Kilo schwerer Tauchroboter, dessen elektrischer Antrieb ihn wie im Weltall schweben ließ.
„Siehst du das? Da!", rief sie. Ihre Stimme überschlug sich fast, als sie mit dem Finger auf das Display tippte, als könnte sie damit die fragliche Stelle am Meeresgrund direkt berühren.
Eine Steinplatte am Boden schien sich zu heben. Der Rand glühte sichelförmig auf, als befände sich wenige Millimeter unter der schwarzen Schicht glühendes Magma. In dieser Tiefe konnte das Wasser wegen des enormen Drucks nicht mehr verdampfen, und so war das Schauspiel auf dem Monitor klar zu erkennen. Wie ein Deckel hob sich ein Stück Boden. Flüssige Lava glühte auf und quoll minimal aus dem Rand heraus. Und mittendrin ... krabbelte eine schwarze Krabbe mit feurigen Streifen auf dem Panzer hervor. Als wäre es das Normalste der Welt, erst in tausend Grad heißem Magma zu schwimmen, um sich dann im Ozean abzukühlen, der hier fast den Gefrierpunkt erreichte.
„Jason?", hektisch tastete sie nach ihrem Forschungspartner, ohne den Monitor aus den Augen zu lassen. „Haben wir das auf Video? Bitte sag mir, dass wir das aufgenommen haben."
„Ja, alles gut. Wir haben es auf Band. Keine Sorge", kam seine Stimme von hinten. Trotz der beruhigenden Worte schwang ein aufgeregtes Tremolo mit.
Das war der Wahnsinn. Das Tierchen kroch hinaus und kurz darauf erkaltete das Magma. Es erstarrte zu fester Lava und war am Ende nicht mehr als einer von Hunderten flachen Steinhaufen, die diese Einöde bedeckten. Moment mal ... heißt das etwa ...? Und tatsächlich, die Dunkelfeuer-Krabbe bewegte sich nur wenige Zentimeter weiter und grub sie sich mit ihren kräftigen Scheren in den Boden. Noch einmal quoll glühende Lava hervor, dann verschwand das Tierchen im flüssigen Stein. Kurz darauf lag eine leere, erkaltete Steinwüste vor ihnen. Wahnsinn. Das sollte physiologisch unmöglich sein. Kein bisher bekanntes Lebewesen konnte diese extremen Temperaturen aushalten.
„Jason?" Sie drehte sich zu ihrem Partner um und breitete die Arme aus. „Weißt du, was das bedeutet?"
Er starrte sie nur an. „Tja, haben wir eine neue Tierart entdeckt?"
„Nein. Was wir gerade gesehen haben, ist ein biologisches Wunder!" Sie sprang auf und lief durch die enge Kabine. „Wir müssen uns unbedingt den Panzer der toten Krabbe im Netz genauer untersuchen. Wenn sie diese Temperaturen aushält, stellt das alles infrage, was wir bisher über die Tierwelt wussten. Ihr Exoskelett könnte widerstandsfähiger sein als alle natürlichen Materialien, die der Mensch kennt. Und wie ihre Organe das überstehen ... dafür fehlt mir die Fantasie." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Jason, wenn wir das der Öffentlichkeit präsentieren, ist uns der Nobelpreis sicher!"
Auch er sprang auf und starrte sie an. „Im Ernst?"
Spontan umarmte sie ihn und gab ihm einen Kuss auf die kratzige Wange. „Ganz sicher! Und jetzt lass uns mehr Aufnahmen machen. Ich will auch noch eins von diesen kleinen Wundertieren einfangen. Gib Gas!"
„Okay, aber du weißt schon, dass es fast neun ist? Wenn wir nicht bald zurück sind, verlieren wir unsere Kaution."
„Egal. Mensch, Jason! Der Nobelpreis! Was kümmert mich da eine blöde Kaution?"
🦀🦀🦀
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