KAPITEL 9
Noah
„Was habt ihr beiden denn die ganze Zeit geflüstert?", fragt mich Judi, während wir alle langsam nach Hause laufen. „Nichts besonderes.", murmle ich. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was eben passiert ist. Ich kann nicht sehen was er denkt, weder fühle ich irgendwas.
Nach dem... was auch immer das war, hat er sich wieder zurückgelehnt und den Film geschaut. Bisher hat er absolut nichts mehr zu mir gesagt. Und langsam fange ich an, daran zu zweifeln, ob das wirklich passiert ist. Immerhin albert er mit Betty rum, als hätte er mich nicht eben noch zum Orgasmus gebracht. Apropo Orgasmus, meine Shorts kleben eklig an mir und sonst ist das auch wirklich kein tolles Gefühl. Doch bis ich zu Hause bin, dauert es noch eine Weile. „Macht's gut Jungs.", verabschieden sich die zwei kichernd. Als Betty schon ein Stück gegangen ist, dreht sie nochmal um und schmeißt sich um den Hals von Jordan. Am liebsten würde ich kotzen. „By, by Mädels.", lacht er. Langsam laufen wir die Straße weiter hoch. „Jordan...", will ich das Gespräch anfangen, da mich diese Stille beinahe umbringt. „Was... was war das eben?" Ich bleibe stehen, als wir kurz vor meinem Haus sind und sehe in die Richtung, wo ich denke, dass er ist, denn es ist viel zu dunkel, als das ich noch Umrisse erkennen könnte. Seufzend bleibt er ebenfalls nach ein paar Schritten stehen und dreht sich zu mir. „Was meinst du?", brummt er gelangweilt. Das alles verunsichert mich so sehr, dass ich beinahe zu zittern anfange. „Das was im Kino passiert war..."
„War Spaß.", unterbricht er mich sofort. Verwirrt sehe zu ihm. Spaß?
„Wie meinst du-..." „Hör mal Noah..." Ich höre Schritte, bis ich ihn ganz deutlich vor mir spüren kann. Seine Wärme umhüllt mich und gibt mir Sicherheit. „Ich wollte dir einfach einen Gefallen tun. Außerdem war es doch lustig oder nicht?" „Lustig?", frage ich ihn verständnislos. Er seufzt aus und macht wieder einen Schritt von mir weg. „Ich habe keinerlei Interesse an Kerlen, Noah. Weder an dir, noch an jemanden anderen. Das wird sich auch nie ändern. Niemals. Und ich finde es okay, wenn du dir dabei irgendein Mädchen vorgestellt hast, was du ansprechend findest. Immerhin kannst du solche Erfahrungen nicht einfach machen und ich wäre ja nicht dein bester Freund, würde ich dir dabei nicht helfen."
„Und dann holst du deinem besten Freund einfach mal einen runter?", frage ich ihn monoton, da mich gerade so viele Gefühle überfluten, dass ich einfach dicht machen muss. Er schnauft. „Ich habe dir doch keinen runtergeholt, nur etwas nachgeholfen." „In einem Kino??"
„Ja, verdammt. Ich dachte du würdest das verstehen, wenn du dich aber jetzt so reinsteigern willst, dann bitte.", fluchend dreht er sich um und will gehen. „Ha-Hat es dich erregt?", frage ich leise und höre, wie er abrupt stehen bleibt. „Was?"
„Hat es dich erregt?" Es folgt Stille, Stille die ich kaum ertrage. „Geh nach Hause Noah. Rechts und dann etwa fünfzig Schritte.", brummt er und verschwindet. Und dann, ganz plötzlich, breche ich in Tränen aus. Heftig schluchze ich auf und fange an zu zittern. Warum tut er das? Warum tut er mir diesen Schmerz an? Natürlich habe ich durch die Aktion Hoffnung bekommen, doch jetzt? Jetzt bin ich am Ende. Spaß? Spaß? Verdammt! Wie konnte er nur-... „Spätzchen?", höre ich die Stimme meiner Mutter, die gerade unsere Haustür geöffnet hat. Beschämt neige ich den Kopf, doch an ihren hektischen Schritten weiß ich, dass sie meine Tränen längst bemerkt hat. Sofort schlingen sich ihre Arme um mich und ich sauge tief ihren süßen Geruch in mir auf. Geborgenheit, Liebe und Wärme überschwemmen mich. Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht in ihrem Pulli. „Mein Schatz, alles wird wieder gut.", flüstert sie. Nichts wird wieder gut!
Rein gar nichts!
~
Es sind ein paar Tage vergangen, seit ich im Kino war. Jordan bin ich seitdem nicht mehr begegnet. Das lag aber definitiv an mir, denn er hat unendlich viele Nachrichten geschickt und war auch ein paar Mal bei uns zu Hause, doch als ich meiner Mam sagte, dass wir uns gestritten haben und ich ein paar Tage Auszeit brauche, hat sie verstehend genickt. Trotzdem habe ich irgendwie im Gefühl, dass sie mehr weiß, als sie mich glauben lässt. Sie ist wirklich außerordentlich schlau und sie kombiniert Dinge gut. Es würde mich nicht wundern, wenn sie meine Schwärmerei für Jordan längst mitbekommen hat. Doch hoffe ich noch, dass ich mich irre und keiner davon weiß. Mir ist es so unendlich peinlich und ich will nicht, dass andere davon mitbekommen. Das ist mein Problem und damit muss ich ganz alleine fertig werden. Einsam, ein momentan ständiger Begleiter, drehe ich mich in meinem Bett um und ziehe die Decke über meinen Kopf. Am liebsten würde ich die ganze Welt auf stumm oder noch besser auf stop schalten. Wieder ein eingehender Anruf. Diesmal warte ich gar nicht, bis er ihn beendet, ich drücke gleich auf ablehnen. Er soll ruhig wissen, dass seine Aktion scheiße war. Verdammt scheiße!
Ein Poltern erklingt und verwirrt zucke ich nach oben. „Alexa, wie spät ist es?", frage ich meine Sprachassistentin. „Es ist siebzehn Uhr sechsunddreißig.", verwirrt sehe ich umher, als erneut dieses Poltern ertönt. Ein Windzug streift mein Gesicht. Schritte, wie jemand ungeschickt durch mein Fenster stolpert. „Wer ist da?", frage ich leicht verunsichert und ziehe die Decke etwas höher. „Hey Kumpel..." Erleichtert seufze ich aus, ehe sich Wut in mir breit macht. „Verschwinde!", grummle ich und drehe mich zur Wand, ehe ich meine Decke über den Kopf ziehe. Wieder höre ich Schritte, dann wie jemand Dinge auf den Boden wirft. Wahrscheinlich Schuhe, ehe die Decke angehoben wird und Jordan sich neben mich legt. „Ich sagte ‚verschwinde' und nicht ‚steig in mein Bett'." „Noah...", seufzt er und berührt mich an meiner Schulter. Sogleich zucke ich zusammen. Jedoch nicht wegen Abscheu, sondern eher wegen den kleinen elektrischen Stromschlägen, die durch meinen Körper jagen. „Was ist denn los?" Genervt seufze ich auf und drehe mich auf den Rücken. „Du bist los.", knurre ich und sehe zu ihm. Ich hoffe zutiefst, dass ich ihm in die Augen sehe. „Wie... wie meinst du das?" „Du verstehst es echt nicht oder?!" „Noah ich-...", will er anfangen doch ich unterbreche ihn. „Nein! Du kannst doch nicht einfach sowas mit mir machen und dann einfach sagen, es war ein Spaß! Verdammt Jordan! Es tut weh, wenn du mir das ständig antust. Wenn du mir eine Freundin suchen willst, mich im gleichen Moment aber so berührst. Mit Betty rummachst, im anderen Moment sagst, dass ich die wichtigste Person in deinem Leben bin!", brülle ich ihn an. „Aber das bist du doch auch!", wirft er ein. „Checkst du's nicht!?" „Was soll ich denn checken?!", fragt er mich nun auch lauter. Meine Hand ertastet schnell seine Lippen, ehe ich sie fast gewaltsam auf meine presse und aufseufze. Fest nehme ich seinen Kopf in meine Hände und ziehe ihn zu mir, bewege meine Lippen auf seinem erstarrten Gesicht. Als er wieder zu sich kommt, packt er mich an den Schultern und schiebt mich von sich. „Was soll das?", Verständnislosigkeit schwingt in seiner Stimme. „Ich bin schwul, Jordan.", flüstere ich etwas außer Atem. „Was!?" Hektisch springt er aus dem Bett und mein Herz bricht. „Jordan...", verzweifelt strecke ich meine Hand nach ihm aus. „Du lügst! Du... bist unmöglich schwul." Ich höre, wie er hektisch hin und her geht, als er abrupt stehen bleibt. „Warum küsst du dann mich?" „Jordan... ich...", ich kann es einfach nicht sagen. „Wir vergessen einfach was gerade passiert ist, ja?"
„Das kann ich nicht.", denn es wäre unmöglich. „Ich bin mit Betty zusammen, Noah. Ich stehe auf Frauen.", sagt er zum Ende hin kühl. Traurig sacken meine Schultern in sich zusammen. „Ich weiß..." „Du bist mein bester Freund." „Ich weiß." „Da wird nie etwas sein." „Ich weiß." Mir ist zum Weinen zu mute. Ich würde ihn gerne anschreien, ihm ins Gesicht sehen und sagen, dass ich ihn liebe. Das ich ihn so sehr liebe, dass ich Schmerzen erleide, die sich kein Mensch im Leben wünscht. Ich will ihn an mich reißen. Doch ich kann es nicht. Ich würde ihn verlieren, wenn ich das denn nicht schon bereits geschafft habe. „Du bist die wichtigste Person in meinem Leben, aber nur als Freund." „Ich weiß.", Tränen rollen meine Wange hinab, während ich unablässig an meiner Decke zupfe. Endlich spricht er das aus, was ich sowieso schon die ganze Zeit wusste. „Wird das jetzt zwischen uns stehen?", frage ich ihn mit bebender Stimme. Stille. Schritte folgen, ehe ich spüre, wie dass Bett sich langsam neben mir senkt. Er atmet laut ein und streicht durch mein Haar. Bitte tu das nicht, flehe ich ihn stumm an. Berühre mich nicht so. „Nein.", sagt er dann. „Es ist ja üblich, dass, wenn man schwul ist, sich ein bisschen in den besten Kumpel verknallt.", lacht er. Ich bin nicht verknallt, ich liebe dich mehr als alles andere auf diesem gottverdammten Planeten und es ist verdammt nochmal nicht üblich! Aber ich erwidere darauf nichts, genieße einfach seine versöhnlichen Berührungen.
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