Kapitel 70 - Schlussfolgerungen
Die gelb, roten Tupfen lagen auf den dunklen Dielen ausgebreitet wie ein Teppich. Hinter ihm schnappte Dylan nach Luft. Doch Rykers Hand umklammerte das Holz in seiner Hand fester. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, als er sich zwang nicht vor Wut aufzuschreien und den Stock, in einer Geste der Verzweiflung und des Frustes, gegen das nächst Beste zu schlagen, was ihm in den Weg kam.
„Was zur Hölle?", keuchte Dylan neben ihm und ein Muskel an dem kantigen Kiefer zuckte, aks Dylan einen Schritt nach vorn machte. Ryker aber griff erneut nach dem Soldaten und schüttelte den Kopf. Er deutete vielsagend auf die Treppenstufen in das obere Stockwerk.
Einen kurzen Moment sahen sie sich angespannt in die Augen. Beide wichen nicht zurück und führten einen stummen Kampf aus.
Dylan sah sich immer noch als Eves Mann. Therapie und Versprechen hin oder her, er wollte sie weiterhin zurück – und entsprechend sah er sich auch als Beschützer. Ryker auf der anderen Seite hatte nicht vor, ihm diese Position zu überlassen, denn Dylan hatte in seinen Augen jedes Recht darauf verspielt!
Als Dylan ein leises Knurren ausstieß, war die Botschaft darin klar: 'Das ist noch nicht final ausdiskutiert!" Doch scheinbar verstand sogar der Dickschädel, dass es jetzt wichtiger war, Eve und den Rest der Familie zu finden. Dylan, schlüpfte an ihm vorbei. Er hielt an der Ecke zum Treppenaufgang inne, spähte herum und erst als seine Schritte die Treppen knarzen ließen, wandte sich Ryker nun Eves Zimmer zu.
Mit den Zähnen knirschend, zitterten seine Hände, als er den Blick von dem Meer aus Blumen wegriss und die angelehnte Tür zu seiner Rechten krachend aufstieß. Sich noch mehr hellen Farbtupfen gegenübersehend, spürte er, wie etwas in ihm brach. Der Damm, der seine Gefühle zurückhielt, gab unter dem Druck nach, als er den roten Strauß inmitten der weichen Laken in Eves Bett entdeckte und Ryker... sah im wahrsten Sinne rot. Polternd schleuderte er seine provisorische Waffe in die Ecke des Zimmers und stieß ein tiefes Knurren aus, als wäre er ein wildes Tier.
Zornig stapfte er geradewegs zu dem Bett, in dem er erst letzte Nacht mit Eve geschlafen hatte und griff nach dem neuen Präsent, welches ihm die Galle in den Rachen trieb. Sofort stieg ihm der schwere Geruch der Rosen in die Nase, während er voller Zorn auf die roten Blüten starrte. Seine Hände bebten, als er nach der Karte griff, die auf dem Bett lag. EVE, stand auf einer Seite und aus der anderen: 'Es ist an der Zeit, dich nach Hause zu holen, mein Herz'.
Ryker war, als müsste er sich übergeben. Sein Herzschlag rauschte wie Kriegstrommeln in seinen Ohren. Er spürte, wie die Muskeln in seinem Gesicht zuckten, er Grimassen schnitt, ehe seine Verzweiflung überhandnahm und er den Strauß mit einem wütenden Aufschrei durch den Raum warf.
„Was ist das für eine kranke Scheiße!", keuchte er zwischen schweren, stoßartigen Atemzügen, als er auf die Knie sank und die weiche Decke mit einer Hand zerknüllte, weil er ein Ventil für seinen Frust benötigte. „Warum... warum ausgerechnet du?", fragte er und versuchte... Antworten auf die tausenden Fragen zu finden, die in seiner Kehle und seiner Brust einen harten Knoten bildeten. Nach Hause. Was hieß nach Hause? Ein Haus? Welches Haus? War es jemand aus der Stadt? Aber wer?
„Wo bist du...?", stellte er leise die Frage, auf die er keine Antwort fand. Seine Finger glitten fahrig in die braunen Haare und krallten sich darin fest, als wären sie sein Rettungsanker. Selbst der Schmerz drang nur dumpf zu ihm durch, alles drehte sich. Dabei bemerkte er nicht einmal die eiligen Schritte, welche die Treppe aus dem Dachgeschoss wieder hinabstiegen. „Es muss doch etwas geben... irgendetwas, was mir einen Hinweis gibt, wo du bist...", flehte er, als sich plötzlich eine Hand auf seine bebende Schulter legte.
„Ryker...", hob die Stimme leise an und zog ihn aus seiner Verzweiflung. „Sie ist tot..."
Die Worte ergossen sich wie eiskaltes Wasser über ihn. In seiner Brust stolperte sein Herzschlag und er spürte, wie sich sein ganzer Körper zusammenzog. Blinzelnd brauchte er einen Moment, um zu verstehen, was Dylan sagte. Erst als dieser seine andere Hand ausstreckte und die Schrot-Patronen enthüllte, wurde ihm klar, dass Dylan von Edna und nicht von Eve sprach.
'Eve ist nicht tot. Er meint nicht Eve', sagte er sich, wieder und wieder. Es hallte in seinem leeren Verstand wie ein Echo von allen Ecken wieder.
„Wie...?", schaffte er es nach einer gefühlten Ewigkeit zu krächzen und blinzelte mehrmals.
„Keine Ahnung, aber sicher keines natürlichen Todes", setzte der Soldat leise fort. „Wir benötigen unbedingt das Gewehr... und wir müssen Eve, Riona und Liam finden. Schnellstens."
Das Gewehr?
Sein Blick flog durch den Raum und entdeckte die alte Waffe, die unverändert an dem Schrank lehnte. Sie stand einfach dort, vollkommen unangetastet. Hatte Eve keine Gelegenheit gehabt, sie zu holen? War der Weg zu Edana zu weit gewesen? Oder hatte derjenige, der sie attackierte, vielleicht sogar oben auf sie gelauert?
„Gewehr...", murmelte er leise, als die verklebten Räder seines Verstandes begannen, wieder ineinanderzugreifen. „Gewehr... Natürlich..." Ryker kam nur stolpernd wieder auf die Beine. „Warum bin ich nicht früher darauf gekommen!", stieß er knurrend aus, als er nach der Waffe griff und den Riemen schulterte. Hinter ihm sah Dylan ihn an, als hätte er den Verstand verloren – kein Wunder, er konnte seinen Gedanken und dem zusammenhanglosen Gebrabbel nicht folgen.
„Der Einsiedler!" Ryker griff fast schon grob nach der Munition in Dylans Händen. Er drückte zwei der Patronen in die Flinte, dann schob er die kleine Schachtel mit der Munition wieder zu, um sie in seine Jackentasche zu stopfen. Dylan sah ihn immer noch vollkommen verwirrt an. Natürlich wusste er nichts von dem Mann, der die Frauen die ganze Zeit über mit Holz und Fleisch versorgt hatte und als sonderlich galt. Wie sollte er auch. Mehr als einmal hatte sich Ryker schon gedacht, dass der Mann auffallend oft zur Hütte gekommen war und eine große Menge von Beute heranschaffte.
'Dir hat es wohl Spaß gemacht, schon mal fleißig schießen zu üben... was hast du vor? Sie zu jagen wie Vieh?', dachte Ryker und wünschte sich, er hätte dem Kerl schon damals im Wald das Genick gebrochen.
Wie hatte er so dumm sein können?
Der Kerl hatte Eve und ihn sogar im verdammten Wald aufgelauert! Jetzt schien sich alles zusammenzusetzen. Liam hatte auch gesagt, er hätte ihn gestoßen. Hatte der Kerl aus Liam eine Falle für Eve machen wollen? Und das Ryker dabei war, machte ihm einen Strich durch die Rechnung? Das klang einfach zu passend, um ein Zufall zu sein.
„Im Wald gibt es ein paar abgelegene Hütten", hob er endlich zur Erklärung an, „In einer von ihnen lebt ein Mann, ein Jäger. Alle sagen, der Kerl sei verrückt geworden, weil ein Bär seine Ehefrau getötet hat."
„Ein Bär?", wiederholte Dylan und Ryker konnte die Gedanken in seiner Miene ablesen, ehe er sie aussprach. „Denkst du, er tötet die Frauen deshalb?"
„Keine Ahnung", grollte Ryker, „Aber er hat Riona und Eve mit Brennholz und Wildfleisch versorgt, bevor ich hierherkam. Er war ständig hier, kennt das Haus und die Umgebung. Und er hat Liam schon einmal im Wald angegriffen."
Noch während er sprach, wurde Dylans Ausdruck finsterer. Besonders als er den Übergriff auf den kleinen Jungen erwähnte. Wenn man einen Mann fürchten sollte, dann in dem Moment, in dem man seine Familie bedrohte oder verletzte.
„Der Kerl ist groß und kann mit Waffen umgehen. Riona, Eve, Liam... Edana. Sie sind nichts weiter als leichte Beute für ihn", erzählte Ryker weiter und ballte seine Faust. „Ich weiß, wo seine Hütte steht."
Als ihre Blicke dieses Mal aufeinandertrafen, war darin keine Uneinigkeit. Dylan wollte den Mann tot sehen – und ihm ging es nicht anders.
„Worauf warten wir dann noch?"
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