Kapitel 62 - Geständnisse
Leise knisterte das Feuer im Kamin, ein Stück Holz rutschte nach und sprühte kleine Funken. Der wärmende Schein legte sich wie ein Mantel um seinen Körper und versuchte, die Kälte aus seinen Gliedern zu vertreiben. Doch die Kälte klebte in seinen Gliedern, als stecke er bis zum Hals in Morast. Er war nervös, knetete unruhig seine Hände und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Der abwartende Blick, den Eve ihm von der Seite zuwarf, half ihm nicht gerade, sich zu sammeln.
Jetzt hatte er die Chance, sich auszusprechen, aber er wusste beim besten Willen nicht, wo er anfangen sollte. Seine Gedanken schienen mit einem Mal wie leer gefegt, die Zahnräder seines Verstandes verklebt. Tausend Sätze hatte er sich überlegt, die Worte hin und her gerollt und durchgespielt, wie sie reagieren könnte. Und nun?
Wo sollte er anfangen? Wie könnte sie ihn verstehen?
Ganz am Anfang?
Wie er Dylan kennengelernt hatte?
Was sie einst verband und warum er ihm vertraute?
Nein, das würde den Rahmen sprengen.
Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Aber wo begann alles und wo hörte es auf?
Verdammt, wieso war er nur so durcheinander?
Am liebsten hätte er seinen Frust herausgeschrien, während er sich weiter nach vorn beugte und das Gesicht in den Händen vergrub. Fühlte man sich so, wenn man dabei war, alles zu verlieren, was einem etwas bedeutete? Wenn man liebte und ... der Schmerz eines dummen Fehlers einen auffraß?
„Ich wollte nie, dass du es so erfährst", brach er schließlich das Schweigen, nachdem er tief durchgeatmet hatte und wandte seinen Blick wieder Eve zu. Es fiel ihm schwer, ihr in die Augen zu sehen. Am liebsten hätte er den Blick gesenkt gehalten wie ein Hund, der Scheiße gebaut hatte. „Ich wollte es dir sagen. Schon lange ... aber jedes Mal ...", Ray stockte und fühlte sich einen Herzschlag lang wie ein Fisch an Land, der verzweifelt nach Luft schnappte, während er nach den richtigen Worten suchte. Am besten solche, mit denen er nicht ins nächste Fettnäpfchen trat oder alles noch schlimmer machte. „Die richtige Gelegenheit hat sich einfach nie ergeben", seufzte er schließlich und beobachtete, wie Eves Gesicht sich verzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
„Was keine Entschuldigung sein soll", warf er schnell ein, als die junge Mutter schon den Mund zu einer bissigen Erwiderung öffnete. „Es hätte überhaupt nicht so weit kommen dürfen. Es war ein großer Fehler. Das weiß ich. Und es war meine Schuld - ganz allein."
Eve drehte den Kopf zu ihm, sah ihn eine Sekunde lang an, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst, und wandte dann abrupt den Kopf ab. „Autsch...", keuchte Eve in der kurzen Pause, die seinen Worten folgte. Ihre leise Stimme triefte vor Bitterkeit und jagte ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken. „Ein Fehler also...", wiederholte sie. Ihr Blick blieb irgendwo auf dem Boden hängen, und ihre Lippen verzogen sich zu einer harten Linie. „Ich verstehe."
'Hä? Moment. Was?' Rays Verstand benötigte einen Moment, um zu begreifen, was sie meinte. Oder eher: um zu begreifen, was er gesagt und wie sie es verstanden hatte.
'Oh nein, nicht schon wieder', verfluchte er sich im Stillen und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, weil er einfach nicht genug über seine Worte nachgedacht hatte. Fast hektisch sprang er von seinem Platz vor dem Kamin auf. Eve hatte die Finger steif in den Stoff ihrer Hose gekrallt, als er sie ergriff und seine rauen Finger über ihre legte. „Nein, warte. So habe ich das nicht gemeint!"
Eve wollte ihre Finger von seinen wegziehen, wahrscheinlich instinktiv und weil sie verletzt war. Doch diesmal ließ er es nicht zu, sondern umfasste jene etwas fester und zog sie wieder ein Stück zu sich heran. Nein... er würde nicht zulassen, dass Eve ihn missverstand und sich hinter ihrer Mauer verschanzte. Er würde sie nicht einfach mit diesem Missverständnis gehen lassen.
„Mein Fehler war, dass ich nicht mit dir gesprochen habe, als ich die Chance hatte, reinen Tisch zu machen. Ich wollte dir nie wehtun, Eve. Es ..." Er stockte. „Ich hatte Angst davor, was passieren würde, wenn du es erfährst", gestand er mit rauer Stimme. Seine Hände um ihre zuckten unruhig unter der Nervosität, die sich bis in seine Fingerspitzen ausbreitete.
„Es ist wahr, dass Dylan mich angeheuert hat, euch zu finden. Das war vor ein paar Monaten", begann er schließlich zu erzählen. „Ich habe einige Zeit lang mit ihm gedient, bis meine Verletzung mich zwang, den Dienst zu quittieren. Wir waren wie Brüder... ich hätte niemals gedacht, dass er mich verraten könnte. Nach all den Behandlungen und dem Tod meiner Eltern kehrte ich in meine Heimatstadt zurück – Echo Bay."
Er wusste nicht, warum er ihr das alles erzählte. Aber es fühlte sich richtig an. Vielleicht half es ihr zu verstehen, dass er jedes seiner Worte ernst meinte und nicht versuchte, sich hinter Ausreden zu verstecken.
„Dylan hat mir damals nicht viel erzählt. Nur eure Namen, dass ihr verschwunden seid und dass du Liam wegen der Scheidung mitgenommen hättest. Er stellte dich als schlechte Mutter dar, und da mir Informationen fehlten, musste ich vom Schlimmsten ausgehen."
Die Worte schmeckten widerlich auf seiner Zunge und wurden noch bitterer, als Eve neben ihm scharf die Luft einatmete. Er konnte förmlich spüren, wie Schmerz und Wut ein gefährliches Gemisch bildeten. Unter seinen Händen ballte sie die Hände zu Fäusten.
„Das sieht ihm ähnlich. Dylan hat schon immer die Tatsachen verdreht, bis es ihm passte." Die Worte klangen hart und abgehackt. Es klang wie ein Gebirgsbach, der sich seinen Weg mühsam über Stock und Stein bahnen musste.
Ja, sie hatte recht. Er war selbst darauf hereingefallen und hatte Dylan vertraut. Was er davon hatte, lag offensichtlich vor ihm: All die Lügen und all die verdrehten Wahrheiten hatten sie schließlich genau an diesen Punkt geführt.
„Damals wusste ich das leider nicht. Glaub mir, ich wünschte, ich hätte es geahnt."
Allerdings war das leichter ausgesprochen als ehrlich gemeint. Hätte er es geahnt, hätte er den Fall wahrscheinlich nie angenommen. Eve hätte ihr Leben friedlich gelebt – sicher hier in Kanada. Er hingegen hätte sie nie kennengelernt, wäre seinen Aufträgen in Echo Bay nachgegangen und hätte sein eintöniges Leben weitergeführt. Vielleicht wäre Dylan eines Tages hier aufgetaucht und ... er wäre nicht da gewesen, um Eve zu helfen. Nein... so schlimm die Situation nun auch sein mochte... das wäre schlimmer gewesen. Ray räusperte sich, weil ihm das alles die Kehle zuschnürte.
„Mir wurde schnell klar, dass Dylans Version der Geschichte nicht der Wahrheit entsprach. Jedenfalls nicht in Gänze ... Und damit meine ich nicht nur die Narbe", fuhr er schließlich fort, und seine Worte mischten sich mit einem Grollen des Donners, als wolle die Natur selbst seine Aussage unterstreichen. „Ich habe dich beobachtet. Wie Liam gelacht hat, wie du mit ihm durchs Haus getobt bist. Wie du dich um ihn gekümmert hast... Du bist keine schlechte Mutter. Im Gegenteil... Liam geht es gut. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du ihm wehtun könntest. Also habe ich angefangen, in andere Richtungen zu ermitteln."
Noch mit offenem Mund brach seine Stimme, als vor dem Fenster wieder ein greller Blitz zuckte. In seiner Brust schlug sein Herz schnell und hektisch, als wäre er einen Sprint gelaufen, und seine Zunge fühlte sich trocken an. Zwischen all den ernsten und wahren Worten fühlte er sich wie ein pubertierender Teenager, der nicht wusste, wie er seine Gefühle ausdrücken sollte. Aber... es war an der Zeit, reinen Tisch zu machen.
„Als ich herausfand, dass etwas nicht stimmte und was wirklich vorgefallen ist, war es schon zu spät. Dylan war auf dem Weg und ich... wusste nicht, was ich tun sollte", gestand er schließlich leise. „Ich war hin- und hergerissen. Einerseits war ich wütend, weil ich belogen und betrogen worden war. In jedem anderen Fall hätte ich die Karten auf den Tisch gelegt, den Vertrag gekündigt und wäre sofort gegangen. Aber gleichzeitig habe ich mich hier, mit euch allen, immer ... wohler gefühlt."
Seine Schultern sackten unter diesem Geständnis tiefer, und vorsichtig wagte er es, ihr mit dem Daumen über den Handrücken zu streichen.
„Ich habe viele Jahre mit unzähligen Rollen gelebt. Mein... wahres Ich hinter Masken versteckt, weil ich niemanden an mich heranlassen wollte. Ich... habe mich lieber um die Probleme anderer gekümmert, weil ich mich so meinen eigenen nicht stellen musste. Aber als ich hierherkam, war alles anders... Ihr habt mich einfach aufgenommen, trotz der anfänglichen Schwierigkeiten. Du hast mir geholfen, als ich am Boden lag und ..." Ray schluckte schwer. Er hatte diese Worte so lange in sich verschlossen, dass sie jetzt, da er zu sprechen begann, förmlich aus ihm heraussprudelten.
„Du hast Gefühle in mir geweckt, von denen ich dachte, ich könnte sie nie empfinden."
Er spürte die weiche Haut unter seinen Fingern, ohne dass Eve sie dieses Mal zurückzog. Ihr Kopf hatte sich kaum merklich gehoben, sodass sich der Schein des Feuers in ihren Augen verfing. Goldweiße Flämmchen, die sich mit dem Blaugrün mischten und selbst der trüben Farbe eine besondere Schönheit verliehen. Eve war schön. Das war sie für ihn immer gewesen, und keine Narbe konnte das trüben.
Aber er sah auch den Kampf in ihren Zügen. Eve war so oft verletzt worden und auch Dylan hatte sicher reichlich Ausreden gehabt. Ausflüchte, Rechtfertigungen, Entschuldigungen. Sie hatte Angst ... und er verstand das, auch ohne die Tränen sehen zu müssen, die sich in ihren schönen Augen sammelten.
„Ray, hör zu, ich...", begann sie leise, doch er unterbrach sie schnell.
„Ryker. Mein Name ist Ryker, Ray ist ein alter Spitzname. Aber wenn ihn jemand benutzen darf, dann du. Aber bitte warte. Ich bin noch nicht fertig, hör mir noch einen Moment zu, ja?" Noch während er sprach, löste er seine Hände von ihren. Vorsichtig und zögernd ließ er sie über ihre Oberarme wandern, über den dunklen Stoff der Decke, bis er ihre Schultern erreichte. Er wollte sie berühren, streicheln ... ihr zeigen, dass er ihr niemals wehtun wollte, was sie ihm bedeutete, und gleichzeitig wollte er jede Gelegenheit nutzen, die Frau, die er liebte, noch einmal zu berühren. Vielleicht würde es das letzte Mal sein, und dieser Gedanke lenkte seine Hände in einer verzweifelten Sehnsucht, wie ein Puppenspieler an Fäden seiner Marionette zog. Mit dem Zeigefinger streifte er leicht über die Unterseite ihres Kinns, bevor sein Daumen dem Schwung ihrer Wange folgte.
„Meine Gefühle für dich waren nie gespielt. Du bist eine wundervolle Frau, und jeder, der das nicht erkennt oder zu schätzen weiß, ist ein Idiot, der dich nicht verdient", sagte er und hörte, wie seine Stimme zitterte.
Der nächste Atemzug fiel ihm noch schwerer. Die Brust zog sich zusammen, die Nervosität schien ihm die Lunge abzuschnüren. Die Hitze, die er auf seinem Gesicht spürte, kam nicht nur von dem prasselnden Feuer im Kamin, aber im Moment war er nicht einmal verärgert oder verlegen darüber.
„Ich liebe dich, Evelyn – oder Kaylen. Welchen Namen du dir auch aussuchst, es ist mir egal. Ich liebe die Frau, die ich hier gefunden habe. Die Mutter des kleinen Wirbelwinds, der so viel Freude in mein Leben gebracht hat. Die Bäckerin, der ich sicher mindestens fünf Kilo mehr zu verdanken habe – Und ich bereue es nicht. Ich liebe die Frau, die wie eine Löwin kämpft, weil das Leben ihr nichts schenkt. Wenn ich etwas bereue und mich dafür hasse, dann ist es das, was ich dir angetan habe und dass ich nicht viel früher die Wahrheit gesagt habe. Aber ich bereue keinen einzigen Moment, den wir zusammen verbracht haben."
Gott, warum musste es so schwer sein, sich alles einzugestehen und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen? Er hatte in Schlachten gekämpft, und doch schien ihm dieses Gespräch mehr abzuverlangen als jede seiner Prüfungen zuvor. Nicht, weil er sich schämte. Aber diese Dinge offenzulegen und zu hoffen, dass Eve ihm seine Fehler verzeihen könnte... nein, mehr noch: dass sie seine Gefühle erwidern würde. Ray hatte ihr die Wahrheit gesagt. Wer er war, was er fühlte ... und jetzt hing alles von ihr ab.
Umso bedrückender war es, nichts zu hören, außer dem Heulen des Windes, dem Knistern der Flammen und dem Grollen des Sturms. Kaylen schwieg und pflanzte damit eine quälende Ungewissheit in seine Glieder, die mit jedem Atemzug zu wachsen schien.
Diese wenigen Augenblicke erschienen ihm wie eine grausame Ewigkeit.
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