Kapitel 3 - Kollision
Mit einem herzhaften Gähnen stellte Evelyn ihren Teebecher zurück in den Getränkehalter und lehnte sich im Fahrersitz des Pick-ups zurück. Die vielen alten Baumriesen, die unangefochten über dieses wilde, farbenprächtige Land herrschten, zogen als verzerrte Silhouetten an ihrem Fenster vorbei. Alles war noch feucht und klamm, denn es hatte die ganze Nacht geregnet.
Aus dem Radio dröhnte Musik - Adele mit Love in the Dark.
„Tᴀᴋᴇ ʏᴏᴜʀ ᴇʏᴇs ᴏғғ ᴏғ ᴍᴇ sᴏ I ᴄᴀɴ ʟᴇᴀᴠᴇ.
I′ᴍ ғᴀʀ ᴛᴏᴏ ᴀsʜᴀᴍᴇᴅ ᴛᴏ ᴅᴏ ɪᴛ ᴡɪᴛʜ ʏᴏᴜ ᴡᴀᴛᴄʜɪɴɢ ᴍᴇ.
Tʜɪs ɪs ɴᴇᴠᴇʀ ᴇɴᴅɪɴɢ﹐ ᴡᴇ ʜᴀᴠᴇ ʙᴇᴇɴ ʜᴇʀᴇ ʙᴇғᴏʀᴇ
Bᴜᴛ I ᴄᴀɴ′ᴛ sᴛᴀʏ ᴛʜɪs ᴛɪᴍᴇ
′ᴄᴀᴜsᴇ I ᴅᴏɴ′ᴛ ʟᴏᴠᴇ ʏᴏᴜ ᴀɴʏᴍᴏʀᴇ..."
»Please, stay where you are, Don't come any closer, Don′t try to change my mind«, sang die helle Stimme leise mit und fühlte dabei einen bitteren Stich in der Brust. Es tat immer noch weh. Aber es wurde besser. Es zerriss sie nicht mehr und bald würde sie wieder durchschlafen können. Dessen war sie sich sicher.
Leise seufzend griff die junge Frau nach dem Rückspiegel und drehte ihn ein wenig, damit sie besser sehen konnte. Aus dem Spiegel blickte ihr ein erschöpftes Ebenbild entgegen. Das blonde Haar fiel ihr in wilden Wellen um das rundliche Gesicht und die Schultern. Das linke Auge blieb unter dem Pony verborgen, der quer über die Stirn an der Wange kitzelte - besser so, denn so musste sie nur zu einem Teil sehen, welche Augenringe es schon zierten. Es passte zu ihrem blassen Teint und den Lippen, die in letzter Zeit allzu oft in den Winkeln nach unten gebogen waren.
»Es wird leichter.«
Oh Mann, jetzt versuchte sie schon, ihr Spiegelbild zu überzeugen.
Neben ihr erklang ein leises Winseln und die junge Frau streckte die Hand zur Seite, um dem großen Schäferhund über den Kopf zu streicheln. Dann setzte sie den Blinker und bog um die Ecke. Der Schotter knirschte leise unter den Rädern.
»Wir schaffen das. Nicht wahr, Chief?«
Evelyn lachte brüchig, schüttelte leicht den Kopf ... und sog dann erschrocken die Luft in die Lungen.
Auf der verdammten Straße stand plötzlich ein Mann und starrte wie ein Reh im Scheinwerferlicht auf das Auto, anstelle sich zu bewegen.
Dann, so schien es, geschah alles gleichzeitig: Ihre Hand fuhr auf die Hupe, und der tiefe Ton schwappte wie eine unerwartete Flutwelle zwischen die Baumreihen. Ihr ganzer Körper versteifte sich, als sie in die Bremsen trat und mit der Vollbremsung auf dem rutschigen Untergrund das Antiblockiersystem auslöste. Die Trucknase zog zur Seite, sie steuerte gegen und versuchte zu verhindern, dass der Wagen von der Straße abkam und mit ihr am nächsten Baum oder im Straßengraben landete. Die dicken Reifen hinterließen eine Spur aus aufgewirbelten Steinen im Kies. Der Sicherheitsgurt spannte sich und drückte schmerzhaft gegen ihren Oberkörper, als sie von der Wucht des Aufpralls nach vorn geschleudert wurde.
Dann endlich kam der dunkelblaue Pickup ruckartig zum Stehen.
Ihre Hände umklammerten noch immer das zerschlissene Leder des Lenkrads, während ihr Herz förmlich aus der Brust zu springen und davonzurasen schien. Die Fingerspitzen der jungen Frau waren steif und fühlten sich an, als wären sie am Lenkrad festgefroren, als sie sie langsam löste. Ihr erster Blick ging zur Seite, wo Chief winselte und verstört knurrte, von der Vollbremsung nicht weniger erschüttert als sie selbst.
»Scheiße. Chief! Hey, Junge, alles in Ordnung?« Ihre Stimme war dünn und zittrig, als sie nach dem Hund tastete, um ihn zu beruhigen und zu sehen, ob er okay war. Chief schien zum Glück unverletzt zu sein, aber das beruhigte ihre aufgewühlten Gefühle nur für einen kurzen Moment. »Bleib hier. Setz dich«, befahl sie heiser. Die rostigen Scharniere des Schrotthaufens, den Ri so stolz 'Rusty' nannte, quietschten empört, als sie die Tür aufriss und aus dem Wagen sprang.
Das Dröhnen ihres Herzschlags in Eves Ohren war so laut, dass sie ihre eigenen Gedanken kaum hören konnte. In ihrer Brust herrschte ein unheimliches Chaos. Es war, als hätte man ein Regal voller Emotionen in dünnem Glas umgestoßen, und nun lag alles durcheinander. Schreck, Angst, Ärger, Sorge, Schuld, Erleichterung.
»Was zum Teufel ist mit Ihnen los? Sind Sie total bescheuert oder was?«, es war, als würde ein Haufen Steine in ihr zusammenbrechen, der schon viel zu lange aufgetürmt worden war. »Ich hätte Sie überfahren können! Was zum Teufel machen Sie auf dieser verdammten Straße?«, blaffte sie den Idioten im Straßengraben an, wegen dem sie gerade beinahe einen Unfall gebaut hätte.
Scheiße! Ihr hätte etwas passieren können! Oder Chief und ihm hätte etwas passieren können! Hatte er überhaupt eine Ahnung, wie lange es in diesem Loch dauerte, bis vielleicht Hilfe kam? Wahrscheinlich hätte sie seinen blutigen Körper auf die Ladefläche hieven und ins nächste Krankenhaus fahren müssen.
»Tut mir ja leid, aber den gemütlichen Fußweg nach Silvershore hab' ich leider nicht gefunden.«
Der beißende Sarkasmus war nicht zu überhören. Laub und Schmutz klebten an einem Kerl mit dichtem Bart, der etwas älter war als sie selbst. Eve schätzte ihn auf Anfang bis Mitte dreißig. Der Idiot sah aus wie die typischen Wanderer, die ohne Kopf und Verstand durch die Wälder streiften und über die sich die anderen im Dorf immer so gern lustig machten. Er trug eine dunkelgraue Wanderhose mit Seitentaschen und einen dunkelbraunen Anorak mit einem leichten Grünstich. Dieser klaffte leicht auf und gab den Blick auf ein schwarzes Hemd frei. Alles in allem die perfekten Farben, um im Wald übersehen zu werden. Toll.
Aber zuerst ...
»Alles in Ordnung?«
»Ja, geht schon. Nichts Ernstes.« Der Typ war inzwischen auf die Beine gekommen und wühlte zwischen den Blättern herum, als würde er etwas suchen. Seine Stimme klang gepresst, und Eve öffnete gerade den Mund, um sich zu vergewissern, dass er wirklich unverletzt war, als der Kerl fortfuhr: »Wer in aller Welt fährt um eine Kurve, als wäre er vom Henker verfolgt?«
'Beruhige dich. Er ist ein Idiot. Und du bist müde und gereizt. Atme tief durch', versuchte Eve sich zusammenzureißen und das Brodeln im Zaum zu halten.
»Ich bin nicht gerast. Und Sie standen nur plötzlich mitten im Weg! Noch dazu in solchen Klamotten.«
Ein Rucksack lag neben dem Kerl im Laub, und als sie ein paar Schritte näher kam, stieß sie mit der Stiefelspitze gegen eine kleine silberne Dose.
Der Kerl fluchte leise vor sich hin, schwang den Rucksack über eine Schulter und kletterte den laubbedeckten Graben hinauf, während Eve sich nach dem glänzenden Ding bückte. Eine Strähne ihrer blonden Locken rutschte ihr über die Schultern und der Pony fiel ihr wie ein Vorhang über Stirn und die blaugrünen Augen. Die ovale Dose sah aus wie eine gewöhnliche Pfefferminzdose. Das Silber war matt und an einigen Stellen leicht korrodiert. Auf dem Deckel war ein Tier eingraviert. Ein Vogel? Nein, eher ein Adler oder ein Rabe. Sie richtete sich auf und wollte ihm das Ding schon hinhalten.
»So ein Quatsch«, entgegnete der Mann in diesem Moment ruppig und schürte damit ihr gerade etwas erlahmtes Feuer wieder an. »Man kann doch mitten auf dem Weg einen Menschen sehen. Sind Sie blind oder was?«
Das traf Eve wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Für ein paar Herzschläge hörte sie nur das Pochen ihres eigenen Pulses und das unnatürlich laute Rascheln der Blätter unter den Stiefeln des Mannes. Ein Kloß schnürte ihr die Kehle zu, und ein unangenehmes Pochen hinter ihrer Schläfe setzte ein, als sie zwei steife, schnelle Schritte auf den Kerl zu machte. Ihre Finger schlossen sich so fest um die silberne Dose, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, als Evelyn sie ihm hart gegen die Brust drückte.
Sie hörte, wie er mit einem überraschten »Was zum-?« reagierte, während sie schon auf ihr Auto zuging und wütend einstieg. Der alte Motor heulte auf, und sie ließ den Fremden mit einem gezischten »Arschloch!« am Straßenrand stehen.
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