Oneshot #5 (1)
Dieser Oneshot ist für einen Adventskalender entstanden. Wundert euch also nicht, dass er überhaupt nicht in unsere Zeit passt😂
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"Komm schon, Janina, wir sollten jetzt echt los!", nehme ich die gestresste Stimme meiner Mutter wahr. "Wir müssen die Geschenke und deine Klarinette bei Opa abladen und dann schauen, dass wir noch einen Platz in der Kirche bekommen."
Ich gebe ja zu, dass der Gottesdienst heute an Heiligabend immer besonders gut besucht ist, weil die kleinen Kinder wie jedes Jahr das Krippenspiel vorführen. Doch bisher mussten wir noch nie am Rand stehen, weswegen ich davon ausgehe, dass wir es diesmal auch nicht müssen, und mir etwas Zeit lasse.
Allerdings möchte ich meine Mutter nicht auch noch unnötig aufregen, und so laufe ich zu der Türe meines Zimmers, in dem ich mich gerade befinde, öffne sie und rufe die Treppen nach unten: "Ich bin auf dem Weg!" Danach mache ich meine Anlage aus, mit der ich bis vor ein paar Minuten Weihnachtslieder von Disney gehört habe, und schnappe mir den Klarinettenkoffer.
Dass ich ein paar Lieder spiele, bevor es ans Auspacken der Geschenke geht, ist mittlerweile zur Tradition geworden. Früher war ich ziemlich aufgeregt und habe nur mit Mühe einen Ton herausbekommen, aber heute sehe ich das ganz gelassen. Das einzige Problem ist, dass ich manchmal nicht mehr weiß, was ich spielen soll, da meine Familie alles bereits gehört hat. Na ja, im Moment tut das nichts zur Sache.
Nachdem ich die Treppen heruntergegangen bin und meine Schuhe angezogen habe, ziehe ich meine dicke Winterjacke an. Gerade als ich fragen möchte, wo mein Vater ist, kommt dieser aus dem Keller - wobei man es eigentlich gar nicht so nennen kann, da es eher einer Werkstatt gemischt mit einem Wohnbereich gleicht - und nimmt die Dose mit Plätzchen, die meine Mutter ihm hinhält, entgegen.
"Die anderen warten bestimmt schon", sagt sie und schaut kritisch auf ihre Armbanduhr. "Das ist echt komisch. Jetzt haben wir Mike extra früher zu meinen Leuten geschickt und schaffen es trotzdem nicht pünktlich." Aufgrund dieser Aussage muss ich lachen. Mein Bruder ist meistens der Grund, warum wir zu spät kommen.
"Mama, mach dir nicht solche Gedanken, das wird schon", entgegne ich nun, worauf ich auf die Haustür zulaufe und sie öffne. Sofort kommt mir kalte Luft entgegen, die mir eine leichte Gänsehaut verpasst. Eigentlich hätte es ja die passende Temperatur für Schnee, aber irgendwie will es einfach nicht schneien.
"Und wieder kein weißes Weihnachten", murmelt mein Vater beinahe deprimiert vor sich hin. Leider ist das bei uns schon seit ein paar Jahren der Fall. Jedes Jahr wünschen wir uns auf's Neue, dass wir aus der Kirche kommen und dann leichte Flocken vom Himmel fallen. Bisher wurde uns dieser Wunsch jedoch nicht erfüllt. Doch man sollte niemals die Hoffnung aufgeben.
Ein paar Augenblicke später sitzen wir schließlich im Auto und machen uns auf den Weg zur Wohnung meiner Großeltern. Da sie im selben Dorf wohnen, dauert es nicht lange und wir sind angekommen. Wie bei uns auch hängen im Außenbereich Lichterketten und sogar ein kleiner Weihnachtsmann. Das sind die Dinge, die mich, wenn es keinen Schnee gibt, in Weihnachtsstimmung bringen.
Im Wohnzimmer ist das erste, was meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, natürlich der Baum. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass er von Jahr zu Jahr kleiner wird, ist er immer noch unglaublich schön geschmückt. Erst dann bemerke ich Oma und Opa, die es sich auf dem Sofa und in einem Sessel gemütlich gemacht haben.
"Ach, da seid ihr ja", sagt Oma, nachdem sie uns wahrscheinlich durch die Geräusche unserer Schuhe bemerkt und sich zu uns umgedreht hat. Meine Mutter wirft mir darauf einen Blick zu, der so etwas sagt wie: Ich hab dir doch gesagt, dass wir schon erwartet werden. Doch ich verdrehe nur meine Augen.
Ich gebe ja schon zu, dass wir diesmal echt sehr viel später dran sind als sonst und aufpassen müssen, dass wir nicht mitten im Gottesdienst mit einem Krach hereinplatzen, weswegen wir uns gleich auf den Weg machen. Einen Platz bekommen wir zum Glück trotzdem, da meine ganzen anderen Verwandten schon früher los sind und uns einen gemacht haben. Hoffe ich zumindest.
In der Kirche angekommen, finden wir den Rest der Familie in der vierten Bankreihe. Weil mein Vater, meine Mutter, meine Oma und ich die Letzten sind - Opa kocht in der Zeit immer das Essen -, müssen wir ganz außen sitzen, wo die Sicht leider nicht ganz so prickelnd ist. Mir macht das allerdings nichts aus, immerhin kenne ich das Krippenspiel mittlerweile in- und auswendig, nachdem ich ganze drei Mal den Erzähler gespielt habe.
Der Gottesdienst startet wie immer mit dem Lied "Macht hoch die Tür". Das ist das Schöne am heutigen Gottesdienst, wie ich finde. Man kennt wirklich alle Lieder und muss nicht rätseln, wie schnell etwas gesungen werden muss. Weil ich in das kleine Heftlein mit dem Text schaue, schenke ich dem Kaplan und den Ministranten erst einmal keine Beachtung.
Bei der Begrüßung und der Überleitung zum Krippenspiel höre ich nur mit einem Ohr zu, weil auch das jedes Mal dasselbe ist. So richtig dabei bin ich eigentlich nur beim Singen. Dabei passiert es meinem Vater, mit dem ich das Heftlein teile, immer wieder, dass er mit seiner Stimme nicht ganz hoch kommt, weswegen ich öfters schmunzeln muss.
Doch als die kleinen Mädchen, die Engel darstellen, aufstehen und in den Reihen vor uns Platz für die Ministranten machen, fällt mir einer ganz besonders auf: Tobi aus meiner Stufe. Auf einmal beschleunigt sich mein Herzschkaf, obwohl ich es mir eigentlich fast hätte denken können, ihn heute hier zu sehen.
Tobi kenne ich schon seit dem Kindergarten und wir waren immer in der gleichen Klasse. Er wurde zu meinem besten Freund, allerdings ist er der einzige Junge, mit dem ich nicht nur über die Hausaufgaben rede. Nur in letzter Zeit hat sich irgendetwas verändert. Immer wieder versuche ich, ihn auf irgendeiner Weise zu beeindrucken, und meine Hände werden ganz schwitzig. Ich bin mir nicht sicher, weil ich noch nie in der Situation war, aber ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt.
Blöderweise habe ich keine Ahnung, ob er genauso empfindet. Ich weiß ja nicht einmal, ob er mit mir redet, weil er es will, oder es nur tut, weil wir im selben Dorf wohnen und unsere Eltern miteinander befreundet sind. Immerhin bin meist ich diejenige, die das Gespräch einleitet. Dass er auch Gefühle für mich hat, erscheint mir eher unmöglich.
Dabei wäre es so schön. Wenn ich mir vorstelle, wie wir beide durch den Weihnachtsmarkt laufen, Hand in Hand und all die Lichter über uns... Es wäre wie im Traum.
"Ich hab schon wieder ganz kalte Hände", reißt mich mein Vater aus meinen Gedanken und verwirrt mich zunächst total damit. Nachdem ich aber kurz meinen Kopf geschüttelt habe, bin ich geistig wieder voll da und mir fällt ein, dass es meinem Vater jedes Jahr auf's Neue kalt in der Kirche ist.
Da niemand von meinen Gefühlen für Tobi weiß - nicht einmal meiner besten Freundin habe ich es erzählt -, spiele ich schnell mit, um nicht komisch aufzufallen. Deshalb flüstere ich lächelnd: "Ich nicht." Arg viel mehr reden wir nicht.
Den ganzen Gottesdienst über beobachte ich mehr oder weniger die Kinder, die uns die Geschichte von Maria und Josef vorstellen. Na ja, eher weniger, da ich doch sehr oft zu dem Jungen ein paar Reihen vor mir schaue. Aber was kann ich schon dafür? Er ist einfach sehr viel interessanter.
Als am Ende schließlich der Kaplan und alle Ministranten aus der Kirche gehen und die Gemeinde ein letztes Mal aufgestanden ist, lächele ich Tobi zu, doch er zeigt keine Regung. Wahrscheinlich hat er mich gar nicht bemerkt.
Bis wir schlussendlich draußen sind, dauert es eine Weile, weil es an den Türen einen kleinen Stau an Menschen gibt. Viele warten auf ihre Angehörigen oder gesellen sich zu ein paar Bekannten, um ihnen eine fröhliche Weihnacht zu wünschen.
Doch als wir das Gebäude endlich komplett verlassen haben, kann ich meinen Augen kaum trauen. Um mich zu vergewissern, blinzele ich mehrmals, aber das Bild verändert sich nicht. Es kommen tatsächlich kleine, weiße Flöckchen vom Himmel. Nach weiß Gott wie vielen Jahren ist die Vorstellung von meinem Vater und mir wirklich eingetroffen.
Meine Mutter interessiert das jedoch nicht sehr, weshalb sie wie jedes Jahr zu ihren Freundinnen geht. Da mein Vater sich zu ihr hinstellt und alle anderen bereits loslaufen, bleiben mein Bruder und ich alleine zurück.
"Ich will jetzt gehen und die Geschenke auspacken", murmelt Mike vor sich hin und starrt auf seine Armbanduhr. "Und ich hab Hunger." Das ist mein Bruder, wie ich ihn kenne. Bekommt nie genug zum Essen und ist sehr ungeduldig, was manchmal ziemlich nerven kann. Allerdings sind kleine Brüder ja dafür bekannt.
"Ich auch", sage ich, doch im Gegensatz zu ihm könnte ich noch gut eine Stunde aushalten. "Ich hoffe so sehr, dass ich das neue Album von Shawn Mendes und den einen Hoodie mit ihm drauf bekomme." Ja, ich bin auch ein kleines Fangirl, doch in der Schule behalte ich es eher für mich. Früher habe ich nämlich fast schon zu oft von meinen Lieblingsstars erzählt, sodass manche Leute, darunter auch Tobi, ziemlich genervt waren.
Auf meine Aussage hin verdreht mein Bruder seine Augen und wendet sich etwas von mir ab. Dabei scheint er wohl einen seiner Freunde entdeckt zu haben, denn mit einem "Ich geh zu Samu" macht er einfach die Fliege. Jetzt stehe ich alleine inmitten von gemeinsam redenden und lachenden Leuten.
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Fortsetzung folgt...
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