Kapitel 27 - Selbstzweifel
Es kam nun immer öfter vor, dass Harry Dinge absagte. Zu Beginn war ich noch nachsichtig. Sein Job verlangte eben nach einer gewissen Flexibilität und Mandanten konnte er nur treffen, wenn die eben auch da waren und Harry war nie der Typ gewesen, der um eine bestimmte Uhrzeit sofort den Stift fallen ließ. Aber inzwischen kam er nahezu nie mehr pünktlich. Als er letztens im 7pm plötzlich in der Tür stand hatte ich mich total erschreckt, weil ich eben noch gar nicht mit ihm gerechnet hatte. Wir unternahmen quasi nichts mehr zusammen. Weil wenn er dann Mal da war, war er müde. Gut, hatte ja auch lange Tage, aber ich vermisste ihn eben schrecklich.
"Lou, er ist stolz drauf, sich endlich einen eigenen Namen machen zu können. Du musst da wirklich keine Gespenster sehen.", Meinte Niall aufmunternd. Zwei Mal hatte ich abgesagt. Aber nun saß ich eben allein bei unserem Abend. Ohne Harry.
"Wisst ihr was von einer blonden Frau?"
"Taylor ist blond. Seine Ex."
"Oh, die war so süß.", Fiel es Louis wieder ein.
"Ja, nettes Mädchen.", Kams von Liam nickend.
"War er... Glücklich... mit ihr?"
"Hm... Keine Ahnung. Schätze schon. Wieso?"
"Naja, weil sie eben lang und dünn und blond und hübsch und lieb war und eine Frau .. und ich bin das Gegenteil."
"Du bist auch lieb."
"Du weißt, was ich meine..."
"Mach dir keinen Kopf. Harry liebt dich. Punkt.", Kams von Liam sanftmütig lächelnd.
"Dann hat er in letzter Zeit eine komische Art das zu zeigen..."
-
Harry war etwa ein halbes Jahr komisch, als es dann passierte. Wir saßen bei einem verspäteten Frühstück. Alles war gut. Und dann klingelte sein Handy.
"Tschuldige Schatz. Ich muss da kurz dran gehen."
Ich hatte den Mund voll Brötchen und gestikulierte ihm daher nur, dass das okay war.
Er lächelte kurz, stand auf und verließ den Raum, nur um in sein Büro zu laufen und dort erst das Gespräch anzunehmen.
Ich saß da wie vom Donner gerührt. Bislang hatte er nie ein Problem damit gehabt vor mir zu telefonieren.
Ich tat, was jeder normale Mensch wohl auch getan hätte: ich beendete in aller Seelenruhe das Frühstück und trank noch eine Tasse Tee.
Natürlich nicht. Ich flitzte leise hinterher und lauschte.
"Ja, Olivia.... Ja ich freue mich auch schon sehr... Ja genau .. Ne, der merkt nichts... Gewisse Dinge kann man eben nicht ändern..."
Ich stand vor der Tür und wollte weiter lauschen. Aber es ging nicht. Mein Blut war plötzlich viel zu laut in meinen Ohren. Blonde Frau hatte Kendall gesagt, Taylor war blond. Blonde Frau war Harrys Typ und Olivia... Dürfte dann wohl die blonde Frau sein.
Ich ging wieder runter. Ich aß nichts mehr.
-
Tagelang grübelte ich, wie ich damit nun umgehen sollte. Ich wusste es einfach nicht. Ich hatte immer gesagt, dass ich einem Partner niemals nachschnüffeln wollen würde. Wirklich. Und doch hatte ich an der Tür gelauscht. Und nur wenige Tage später fand ich mich plötzlich mit seinem Handy in der Hand im Flur wieder. Harry war duschen. Ich hatte keine Ahnung, wie das Handy in meine Hand gekommen war. Ich entsperrte es und... Es klappte nicht. Harry hatte den Code geändert.
Ich war an diesem Abend kaum ansprechbar. Ich war offensichtlich zu einem Freund geworden, der seinem Freund nach spionierte und Harry zu einem, der etwas zu verheimlichen hatte. Was war passiert? Gut, Harry hatte sich in letzter in letzter Zeit deutlich weniger über seine sexuelle Orientierung gewundert, aber wenn das daran lag, weil er hinter meinem Rücken irgendeine Frau bestieg war ich mir nicht so sicher, ob ich das so gut fand. Doch. Ich war mir sicher. Hinterm Rücken ging für mich einfach nicht. Das war nicht akzeptabel für mich.
"Harry?"
"Hm?"
"Gibt es jemand anderes?"
"Hä? Was?", Fragte Harry und blickte noch immer zum Fernseher.
"Du weißt was ich meine..."
"Blödsinn."
"Sicher?"
"Natürlich."
Noch immer sah er mich nicht an.
Ich fragte nicht weiter.
-
Was sollte ich sagen? Die Hinweise häuften sich. Ich überlegte, was er in unserer Beziehung vermissen könnte. Vielleicht hatte ich etwas grundlegend falsch gemacht? Vielleicht hatte ich ihn dazu getrieben? Harry war immer lieb. Wieso sollte er so etwas einfach so machen?
Die Fragen, von denen man aus Filmen wusste, dass man sie sich in so einem Fall dringend stellen musste ratterten durch meinen Kopf.
Bin ich zu fett? Bin ich nicht gut im Bett? Bin ich langweilig? Bin ich ne blöde Grätzkuh oder sowas?
Das Gemeine bei diesen Fragen war einfach: man konnte nie eindeutig nein sagen. Wer wollte nicht gern ein wenig weniger haben? Oder je nach Figur vielleicht mehr? Oder an einigen Stellen mehr und an anderen weniger? Die wenigsten waren mit ihrem Körper doch so wirklich glücklich und zufrieden... Und wenn es nicht das Gewicht war, dann war es das Gesicht, oder die Haare oder oder oder.
Gut im Bett? Keine Ahnung? Ich war ja immer dabei... Hatte ja keinen Vergleich wie es wäre, wenn ich nicht dabei wäre. Ich hatte nicht unendlich viele Bettpartner gehabt, aber die, die ich hatte waren meines Wissens nach ganz zufrieden gewesen...
Bin ich langweilig? Es gab bestimmt spannendere Menschen als mich. Ich konnte nicht von mir behaupten schon sonderlich viel erlebt zu haben. Aber musste man das um nicht langweilig zu sein? Selbst wenn, Harry wäre in dem Fall mehr oder minder genauso langweilig wie ich.
Ne blöde Grätzkuh... Hm... Ganz schwierig. Würde man meine Musiklehrerin in der ersten Klasse fragen garantiert. Aber ich würde sie auch so nennen. Ich war eigentlich ein umgänglicher Mensch. Ich machte keinen Stress und grüßte immer lieb.
Grob zusammengefasst: Die Selbstzweifel zerfraßen mich. Ich versuchte mehr Sport zu treiben, weil ich Angst hatte, dass das das Problem war. Ich versuchte besonders aufmerksam zu sein und Harry zu zeigen, wie sehr ich ihn doch liebte und begehrte. Ich organisierte mich um ihn herum, damit er alles bekam, was er wollte. Sobald er durch die Tür kam, scheiß egal um welche Uhrzeit, stand ich für ihn bereit. Bereit um genau das zu tun, was er wollte. Wenn er, was nicht mehr sehr oft vorkam, Sex wollte, hatten wir Sex. Wenn er schlafen wollte, verhielt ich mich leise, wenn er spazieren wollte, gingen wir spazieren.
Aber mir wurde klar, dass es nicht gesund sein würde auf der Suche nach Harry mich selbst zu verlieren.
Oh weh..
Bis dann.
Viele Grüße ^_^
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