S I E B E N U N D Z W A N Z I G
Je länger die Party dauert, desto feuchtfröhlicher wird sie. Der Alkoholpegel steigt parallel zu der verstreichenden Zeit, doch ich klammere mich seit drei Stunden an dem selben Bier fest. Wenn ich mir so die ganzen besoffenen Idioten um mich herum ansehe, halte ich meine Entscheidung, mich nicht zu betrinken, für eine wirklich gute. Vor Allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht zum Spaß hier bin, sondern um Informationen zu sammeln.
Auch Martin hat, wie von ihm angekündigt, kaum etwas getrunken. Er steht gerade einige Meter entfernt in der Nähe der Nadelbäume und unterhält sich mit Trent. Im Laufe des Abends konnte ich nicht viel Nützliches aus diesen Schluckspechten um mich herum herausbekommen, zumal nicht einmal alle im Krankenhaus arbeiten. Hayes wird enttäuscht sein.
Genervt setze ich mich auf einen der flachen Felsen am Rand und nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Ich frage mich, ob es dumm wäre, jetzt schon zu gehen...
Plötzlich sehe ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel und drehe mich zur Seite. Mein Blick begegnet dem eines jungen Mannes, der mich breit angrinst. »Du siehst irgendwie gelangweilt aus«, sagt er und setzt sich neben mich. »Ich bin gelangweilt«, brumme ich und sehe mir den Kerl etwas genauer an.
Er trägt Chinos und ein Polohemd, was genau so versnobt ausschaut wie es klingt. Seine dunkelblonden Haare sind ordentlich nach hinten gekämmt und ein Hauch teuer riechendes Rasierwasser steigt mir in die Nase. Ein wandelndes Klischee.
»Warum schaust du so?«, fragt er immer noch lächelnd, kann die Irritation aus seiner Stimme allerdings nicht ganz heraushalten. Ich zucke ungerührt die Schultern und antworte: »Damit ich dich einschätzen kann.«
»Und was hat deine Beobachtung ergeben?«, kommt es keck zurück.
Mit skeptisch gerunzelter Stirn wende ich mich ihm mit dem Oberkörper zu. »Willst du das wirklich wissen?«
Auch wenn er durch meine Worte eindeutig verunsichert ist, reckt er leicht das Kinn und nickt entschlossen.
»Du siehst aus, als hätten deine Eltern Tonnen an Geld. Du noch nicht, dafür bist du wahrscheinlich zu jung. Außerdem glaube ich, du bist... hm, lass mich nachdenken... Assistenzarzt?« Dass ich ihn auch für einen selbstgerechten Trottel halte, der sich selbst gern reden hört, verschweige ich. Denn diese Tatsache kann ich gerade zu meinem Vorteil nutzen.
Er breitet die Arme aus und zeigt mir erneut sein breitestes Grinsen. »Du hast mich erwischt. Alles, was du gesagt hast, stimmt.« Überraschung.
Ich nehme einen weiteren Schluck aus meiner Bierflasche und bette das Kinn auf meinen angewinkelten Knien. »Mit wem bist du hier?«, fragt er. »Martin Bold«, sage ich ohne ihn anzuschauen.
»Er ist nett«, ist alles, was der Typ neben mir zu ihm zu sagen hat. Für mich klingt das ehrlich gesagt, als würde er ihn nicht besonders gut kennen. »Ich begleite ein paar Kolleg*innen.«
»Uh, gegendert, nicht schlecht«, sage ich mit einem anerkennenden Lächeln, welches er stolz erwidert. Mir war klar, dass ein Mann von Welt, wie er es ist, sich beliebt zu machen weiß. Dass ihm das Gendern tatsächlich am Herzen liegt, glaube ich eher weniger.
»Ist Martin eigentlich dein Freund?«, will er jetzt wissen. Ich schüttle den Kopf. »Nein, aber ich bin auch nicht auf der Suche nach einer Beziehung.«
»Mal sehen, ob ich dich vom Gegenteil überzeugen kann.« Als er zu diesen Worten auch noch zwinkert, kommt mir fast das Abendessen hoch. Doch ich versuche, die Abscheu aus meinem Gesichtsausdruck zu halten.
»Ich bin übrigens Cole.« Interessiert mich nicht.
»Uma«, entgegne ich knapp.
Ab hier muss ich im Prinzip nicht mehr viel tun. Sein Drang sich mitzuteilen ist so groß, dass ich keine fünfzehn Minuten später gefühlt seine gesamte Lebensgeschichte kenne. Doch jetzt sind wir beim spannenden Teil angelangt: seiner Tätigkeit als Assistenzarzt.
»Ehrlich gesagt ist es hart, so viel zu arbeiten und quasi null Anerkennung dafür zu kriegen. Ich habe fast das Gefühl, dass man erst richtiger Arzt werden muss, um wirklichen Respekt entgegengebracht zu bekommen. Wir Assistenzärzte werden rumgeschubst und behandelt wie bockige Teenager. Verdammt nervig, das sag ich dir.« Ich denke die ganze Zeit nur ›Hör auf zu heulen‹, kann es mit ganz großem Kraftaufwand aber für mich behalten. Ich sollte Cole nicht jetzt schon vergraulen, bevor ich überhaupt etwas Interessantes aus ihm herausbekommen habe.
»Weißt du, Uma, es ist nicht einfach. Wirklich nicht. Bei dem ganzen spannenden Zeug werden wir nicht mit einbezogen, aber die Drecksarbeit in der Notaufnahme dürfen wir machen.«
»Was für spannendes Zeug meinst du? Wahrscheinlich Herz-OPs und sowas«, sage ich in einem gleichzeitig unbeteiligten und arglosen Ton. Doch irgendwas sagt mir, dass wir der Sache auf der Spur sind.
Er winkt ab. »Ja, das auch, aber...« Mit funklenden Augen schielt er um uns herum, dann beugt er sich zu mir nach vorne. Sein Rasierwasser kitzelt mich in der Nase, als er raunt: »Willst du was echt Verrücktes hören?« Okay, jetzt muss ich vorsichtig sein. Ich darf nicht zu neugierig wirken, aber doch interessiert genug, dass der Trottel weiterspricht.
Mit leicht gehobenen Brauen nicke ich also. Er reibt sich vorfreudig die Hände. »Also gut, mach dich auf 'ne Story gefasst, die dir den Boden unter den Füßen wegzieht!« Was für eine verdammte Drama-Queen.
»Ich und die ganzen Anderen...«, er deutet in einer ausladenden Bewegung zum Strand, »... sind eigentlich nur aus einem einzigen Grund ins Bonding Hills Hospital gekommen. Irgendeine Idee?« Ich kann ein Augenrollen gerade noch unterdrücken. Was zur Hölle wird das hier, ›Quizduell‹?!
Doch ich gehe darauf ein und antworte grinsend: »Ich gehe nicht davon aus, dass es mit der pittoresken Kleinstadt und der tollen Atmosphäre hier zusammenhängt.«
Cole lacht schallend los und klopft mir dabei auf die Schulter. »Uma, du bist echt witzig!« ›Dir hat doch einer ins Hirn geschissen‹, denke ich entnervt. Doch trotzdem ringe ich mir ein kleines Lächeln ab, schließlich will ich sein aufgeblasenes Ego nicht zum Platzen bringen, sodass er womöglich aufhören könnte zu reden.
»Also, wo war ich? Ah, genau. Es hat sich... sagen wir, herumgesprochen, dass im Krankenhaus hier etwas ganz Besonderes vonstatten geht. Eine Art revolutionäre Therapie, die unter strengster Geheimhaltung durchgeführt würde. Natürlich konnten wir uns das nicht entgehen lassen.«
»Therapie wofür?«, frage ich.
Als hätte er nur auf diese Frage gewartet, beugt er sich mit glänzenden Augen zu mir vor und flüstert: »Krebs!« Ich glaube, er erwartet jetzt von mir, dass ich fasziniert, überrascht, oder beides reagiere – deshalb tue ich ihm den Gefallen. »Oh, ehrlich? Das ist ja krass!«
Heftig nickt er. »Ist es echt! Nur leider kriegen wir Neuen rein gar nichts davon mit. Es ist fast so, als würden sie uns absichtlich von dem ganzen Geschehen fernhalten. Das macht uns natürlich nur noch neugieriger. Oder das Ganze war von vornherein nur ein Gerücht, keine Ahnung.«
»Kann ich mir vorstellen«, murmle ich während mein Verstand auf Hochtouren läuft. Eine Heilung für Krebs?! Das klingt fast schon zu gut, um wahr zu sein. Allerdings würde das auch erklären, warum das Krankenhaus so ein Geheimnis aus der Sache macht. Sobald das in den Medien herauskäme, würde das Krankenhaus praktisch überlaufen werden – die Gefahr, dass das Bonding Hills Hospital von Spionen durchwandert würde, die sich die Idee zur Heilung von Krebs zu Eigen machen könnten, um sie als ihre eigenen zu vermarkten, wäre hoch.
Ehrlich gesagt wundert es mich, dass es sich bereits in verschiedenen Bundesstaaten herumgesprochen hat, aber Unfälle passieren. Doch wie Cole gerade gesagt hat, kann man es immer noch als Gerücht abtun.
Stellt sich bloß die Frage, ob es auch eines ist.
Die Party geht noch eine ganze Weile weiter, doch außer Cole, dem Plappermaul, konnte ich niemanden zum Singen bringen.
»Alles gut bei dir, Uma?«, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Martin steht vor mir, leicht müde wirkend. Ich nicke. »Klar, alles bestens. Langsam würde ich mich aber auf den Heimweg machen. Wie sieht's bei dir aus?«
»Genau so. Lass mich dich begleiten.«
Nachdem er sich von seinen Freunden und Kollegen verabschiedet hat, gehen wir in Richtung Straße. Obwohl es eine relativ laue Nacht war, beginnt es langsam etwas kühl zu werden. Martin merkt, dass ich friere und will mir seine bunte Windjacke geben, doch ich lehne ab.
»Bist du dir sicher? Ich will nicht, dass du eine Erkältung kriegst.«
»Ja, ja, ja, passt schon. Mach dir keinen Kopf, ich wohne doch sowieso nicht weit von hier. Die paar Meter halte ich es auch noch aus.« Er wirkt nicht überzeugt, lässt mich jedoch in Ruhe.
Als mein Haus in Sicht kommt, räuspert Martin sich und sagt: »Es tut mir leid, dass ich dich heute ziemlich allein gelassen habe. Irgendwie war ich ständig in einem Gespräch und habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist.«
Ich winke ab. »Kein Ding, ich bin sowieso eher Einzelgängerin.«
Vor der Auffahrt bleiben wir stehen, dann umarmen wir uns flüchtig. »War schön, dich heute dabei zu haben. Auch wenn ich dich weniger zu Gesicht gekriegt habe, als mir lieb ist.«
»Mach dir keinen Kopf. Ich fand's auch nett.«
Meine Eltern schlafen bereits, als ich das Foyer betrete. Leise tapse ich die Treppen nach oben und gehe in mein Zimmer, wo ich mir die sandigen Sneakers von den Füßen trete.
Als ich wenig später Zähne geputzt habe und in meinen Schlafsachen im Bett liege, kann ich nicht einschlafen. Also beschließe ich, den Bürgermeister ein weiteres Mal aus dem Schlaf zu klingeln.
★★★★★★★★★★★★★★★★★★
Ring Ring ☎️ Ich bin mir sicher, Hayes freut sich RiEsiG auf Umas Anruf mitten in der Nacht 🤡
Was haltet ihr denn so von dem was Cole da erzählt hat? 👀
Stay safe & fancy,
Cady
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