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Die Zeit bis zu meinem ersten Tag als Praktikantin vergeht wie im Flug. Ich habe das Gefühl, kaum einmal zu blinzeln, und schon stehe ich mit der grauenvollen hellrosa Uniform des Pflegepersonals in den Händen vor dem Spiegel der Umkleiden.
Mit missmutiger Miene betrachte ich das Bündel bestehend aus Stoffhose, sowie dem für medizinisches Personal typischen kurzärmeligen Hemd. Da ich Martin draußen nicht zu lange warten lassen will, schlüpfe ich schnell in ein weißes langärmliges T-Shirt und ziehe mir die Uniform über. Das kinnlange Haar an den Seiten hefte ich mit Hilfe von einigen Bobbypins an meinen Hinterkopf.
Als ich fertig bin, verstaue ich meine persönlichen Sachen in einem der Spinde (mir wurde natürlich der ramponierteste zugewiesen, den man nur mithilfe eines gezielten Trittes in die untere Ecke der Blechtür öffnen kann) und gehe dann nach draußen.
Martin wartet im Flur am Rand, scheinbar ein Krankenblatt studierend. Er blickt auf und mustert wohlwollend meine Erscheinung. »Passt ja wie angegossen!«
»Fehlen noch die Glitzerflügel und ich kann als verdammte Fee durchgehen«, grummele ich. Die Farbe meiner Uniform ist einfach scheußlich.
Martin zuckt die Schultern. »Also, ich finde, die Farbe steht dir. Betont deine grünen Augen.« Er schenkt mir ein Lächeln, welches ich schmal erwidere.
Bemerkungen dieser Art sind es, die mich daran zweifeln lassen, dass er wirklich nur an einer Freundschaft mit mir interessiert ist. Hayes hat mir geraten, die Gefühle des jungen Doktors zu meinem – beziehungsweise unserem und damit auch Bonding Hills' – Vorteil zu nutzen. Die alte Uma hätte vermutlich nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Und die Frau, die ich jetzt bin, tut es auch nur bedingt. Jedoch kann ich nicht leugnen, dass es mir die Aussicht darauf zumindest ein bisschen Schuldgefühle bereitet.
Wir gehen nebeneinander den mit Linoleumboden ausgekleideten, bläulich weißen Flur entlang. Während wir immer wieder geschäftigen Mitarbeitern des Krankenhauses ausweichen müssen, erklärt er mir, was heute auf mich zukommen wird.
»Der heutige Tag ist hauptsächlich dazu da, damit du das Krankenhaus etwas besser kennenlernen kannst. Natürlich sind wir im Vergleich zu manch anderen Krankenhäusern eine relativ kleine Einrichtung, aber dennoch gibt es hier was zu Sehen und Lernen.«
Wir betreten den Fahrstuhl und Bold drückt den Knopf fürs Untergeschoss. »Leider ist das Bonding Hills Hospital in mancherlei Hinsicht noch etwas rückschrittlich. So befindet sich die Radiologie noch immer im Erdgeschoss, da die Geräte unglaublich riesig sind. Sprechzimmer und andere ambulante Einrichtungen sind im ersten Stock, der OP ebenfalls.« Die Türen des Aufzuges schließen sich, ohne dass noch jemand einsteigt.
»Im zweiten Stockwerk befindet sich die Bettenstation, im dritten Stock sind die Bibliothek, Büros und, wie du mittlerweile weißt, die Umkleiden.«
»Und wo gehen wir jetzt hin?«, will ich wissen. Martin räuspert sich. »Ins erste Untergeschoss, dort befindet sich die Großküche und eine kleine Kapelle. Ich will es dir nur kurz zeigen, damit du das einmal gesehen hast.«
»Gibt es auch ein zweites Untergeschoss?« Er nickt.
»Ja, das gibt es, aber dort befindet sich nur die Leichenhalle. Ich bezweifle, dass du das unbedingt sehen willst.« Murmelnd stimme ich ihm zu, in Gedanken wandere ich allerdings zurück zu dem Moment, als ich dieses Ehepaar im Wartebereich belauscht habe.
»Er sagte, er holt uns direkt ab«, murmelt der Mann und sein Tonfall ist längst nicht mehr gestresst. Er wirkt, als wäre der Teufel hinter ihm her. ›Gehetzt‹ ist gar kein Ausdruck.
Misstrauen macht sich in mir breit, wovon ich mir nichts anmerken lassen will. Möglichst unbeteiligt verschränke ich die Arme, lehne mich zurück und lasse das Kinn auf die Brust sinken, als würde ich dösen.
»Keine Sorge, Schatz, das wird schon. Diesmal ganz bestimmt.«
»Wir haben schon so viele Enttäuschungen erlebt... du hast so viele erlebt. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn –«
»Liebling! Bitte, bleib ganz ruhig. Das wird schon!«
Dann sagt sie noch etwas, das ich nicht ganz verstehen kann, weil es zu leise ausgesprochen wird. Aber es klang sehr verdächtig nach ›Keiner wird je davon erfahren‹. Trotzdem gut möglich, dass ich mich geirrt habe und die beiden nichts Merkwürdiges im Schilde führen. Mein Instinkt ist zwar gut, aber nicht unfehlbar.
Doch bei den folgenden Worten des Mannes, verflüchtigt sich jeder meiner Zweifel an besagtem Instinkt. »Mir ist das hier nicht geheuer, Tara. Ich meine, allein die Tatsache, dass wir niemandem was sagen dürfen, und dass es im Keller stattfindet, ist –«
»George! Bitte... alles wird gut. Vertrau mir.«
»Dir vertraue ich doch, nur denen nicht!«, zischt er jetzt.
Als ich Martin danach darauf angesprochen habe, wirkte er ehrlich verwundert. Trotzdem macht mich die Tatsache etwas stutzig, dass ich das zweite Untergeschoss nicht zu sehen bekomme. Auch wenn die Erklärung dafür plausibel scheint.
Etwa eine Stunde später stehen wir im Gang vor den Ärztebüros und haben unsere Tour fast beendet, da geht sein Pieper plötzlich los. Er stammelt: »Oh, ich muss sofort in die Notaufnahme... geh doch in die Cafeteria, was essen. Hier, meine Guthabenkarte. Iss, was du willst, hau ordentlich rein!«
Mit den Worten drückt er mir besagtes Plastik in die Hand, dreht er sich auf dem Absatz um und rennt zum Fahrstuhl. Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich nun hier. Seufzend verstaue ich die Karte in meiner Brusttasche und schlage schließlich ebenfalls den Weg zum Aufzug ein, der Martin vermutlich bereits nach unten transportiert.
Zuerst suche ich die Mensa im ersten Untergeschoss, wo Martin und ich uns zuvor nur kurz aufgehalten haben. Ich stelle fest, dass sich hier zwar die Küche befindet, die unter anderem das Essen für die Patienten zubereitet, jedoch nicht die Mensa.
Ich will schon seufzend den Knopf zum Erdgeschoss drücken, um an der Rezeption nachzufragen, halte jedoch inne. Mein Finger schwebt über dem Knopf darunter, welcher die Aufschrift ›-2‹ ziert. Ich meine, mich nicht zu erinnern, dass mir jemand verboten hat, dort runter zu gehen... das kann ich zumindest zu meiner Verteidigung hervorbringen, sollte ich erwischt werden.
Doch ist es wirklich so schlau, es mir schon an meinem erstem Tag hier zu verscherzen?
Letzten Endes siegt die Neugier und ich presse meinen Finger auf den Kunststoffkreis, welcher daraufhin in einem kalten Weißton leuchtet.
Als sich die Türen mit einem leisen ›Ping‹ öffnen, trete ich vorsichtig auf den von grellen Neonröhren beleuchteten Gang hinaus. Nichts regt sich. Tatsächlich ist es hier unten so ruhig, dass es schon unheimlich ist. Einzig das leise Brummen irgendwelcher Generatoren durchbricht die totale Stille.
Langsam setze ich einen Schritt vor den anderen und balle die Hände an meinen Seiten zu Fäusten. Mit wild pochendem Herzen blicke ich mich um.
Die Atomsphäre hier ist nicht direkt mit der auf einem Friedhof zu vergleichen, denn der ›friedliche‹ Aspekt fehlt hier komplett. Einzig und allein den Tod kann ich deutlich spüren. Er klebt an den Wänden, wabert im Licht und liegt in der Luft. Ein Schauer nach dem anderen läuft mir über den Rücken und ich fange bereits an zu bereuen, dass ich hier runtergekommen bin.
Außer einer Menge verschlossener Türen gibt es hier unten offensichtlich nichts zu sehen. Ich sollte schleunigst wieder verschwinden und das nächste Mal (falls es das überhaupt geben wird) mit einem Generalschlüssel wiederkommen.
Doch gerade als ich auf dem Absatz kehrtmachen will, lässt mich ein Geräusch innehalten. Mit weit aufgerissenen Augen lausche ich.
Erneut ertönt eine Art Scheppern, diesmal lauter. Mit angehaltenem Atem bewege ich mich langsam in Richtung der Geräuschquelle.
Ich höre wieder etwas und erstarre vor Schreck so plötzlich, dass meine weißen Schuhe auf dem Boden quietschen. Stimmen! Das waren definitiv Stimmen!
Leider bin ich zu weit weg, als dass ich sagen könnte, ob sie männlich oder weiblich sind und den genauen Wortlaut verstehe ich erst recht nicht.
Jetzt da ich weiß, dass ich nicht allein hier unten bin, spiele ich kurz mit dem Gedanken, mir die Schuhe auszuziehen, um mich leiser fortbewegen zu können. Doch dann verwerfe ich die Idee schnell wieder. Zum Einen bereitet mir die Vorstellung, in Socken über diesen Boden zu laufen, Unwohlsein – wer weiß schon, was da alles klebt?! Zum Anderen ist es nicht gerade praktisch mit zwei Schuhen in der Hand zu spionieren...
Auf einmal höre ich Schritte hinter mir und bleibe wie angewurzelt stehen.
»Was um alles in der Welt haben Sie hier verloren?«
★★★★★★★★★★★★★★★★★★★
Willkommen zu einer neuen Episode ›Cady's Crazy Cliffhangers‹ (☞ ͡° ͜ʖ ͡°)☞
Wer könnte das denn hinter ihr sein? Und denkt ihr, Uma kommt aus der Nummer wieder raus? 👀
Grüße,
Cady
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