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Junhui kam jeden zweiten Tag in den kleinen Buchladen.
Er sprach mit Minghao, las an seiner Seite Bücher. Sie standen gemeinsam an dem Gelände aus Stein gelehnt und lauschten dem Wind und den Wellen. Minghao ließ sich immer mehr in Junhuis Gegenwart fallen. Doch Junhui nahm keine weiteren Bücher an, selbst wenn er sich einige aus den Regalen nahm, die Beschreibungen und die Biografien der Autoren durchlas. Die Begründung dessen war, er hätte das Buch, welches er an sich genommen hatte, als sie sich das erste Mal getroffen hatten, noch nicht zu Ende gelesen. Dennoch las er immer wieder die ersten Kapitel, wenn er den Vormittag mit Minghao im Buchladen verbrachte.
Minghao interessierte Junhuis Leben. Doch dieser beantwortete keine Fragen, sondern erzählte nur, was er für nötig hielt. Er stellte Minghao ebenfalls Fragen, jedoch welche, auf die Minghao keine Antwort hatte und auch keine finden Würde, selbst, wenn er scharf nachdachte.
Minghao erzählte ihm über seine Einsamkeit. Über den ewigen Kreislauf der Tage, des nie endenden Kreises. Das Meer war der einzige Bestandteil seines Lebens, was nie dieselbe Form, dieselbe Struktur hatte. Niemals so wie sein einseitiger Tag, der immer nur aus den gleichen Dingen bestand: aufstehen, sich frisch machen, etwas essen, ans Meer gehen, kurz darauf in den Buchladen und nach dem Mittagessen sich bis zum späten Abend an dem Strand entlangzuwandern.
Junhui fragte ihn Dinge, die Minghao nicht beantworten konnte. Er fragte ihn Fragen über die Gründe des Lebens, des Schweigens und des Schiksals. Doch Minghao konnte keine Antworten dieser Fragen finden. Und jedes Mal, wenn Minghao sagte, er wüsste darauf keine Antwort, entgegnete Junhui: »Die braucht Ihr auch nicht zu haben.«
Sie sahen sich Sonnenuntergänge an, welcher Minghao sich wie in einer anderen Welt fühlen ließ. Junhui streifte Minghaos Handschuhe ab, küsste seine Hände, welch Küsse wie eine Brise am Meer auf ihn wirkten.
Die Dunkelheit verschluckte jeglich wahrnehmbares. Es war spät, die Kraft der Wellen war stärker, der volle Mond schien silbern auf das schimmernde Wasser. Ein kleines Licht brannte. Minghao saß in einem weichen Stuhl, in das Buch versunken, die Zeit nicht wahrnehmbarend. Nur die Geräusche des wilden Meeres, des Windes, welcher gegen die Fenster peitschte und sein eigener ruhiger Atem waren für ihn hörbar.
Ein sanftes, doch als Vergleich zur Stille zuvor lautes Klopfen ertönte an der Türe. Minghao schrak zusammen und sah sich mit geweiteten Augen um, obwohl er wusste, dass niemand mit ihm in diesem Raum war. Ob diese Tatsache die Situation besser machte, war ihm nicht klar.
Wer war um diese späte Stunde noch hier?
Einige Sekunden geschah nichts weiteres.
Hatte Minghao sich das Klopfen nur eingebildet?
Leise ertönte erneut ein Klopfen an der Türe.
Mit klopfendem Herzen legte Minghao das Buch beiseite, stand auf und näherte sich schleichend der Türe. Langsam öffnete er sie.
Ein vertrautes Gesicht kam zum Vorschein. Junhui. Minghao atmete erleichtert auf und öffnete die Türe vollends.
Ein Schauer lief über Minghaos Rücken, als er Junhui komplett sah. Seine Augen waren eisblau und die Pupillen glichen deren Katzen. Seine Haare waren nass, die Kleidung die er trug jedoch trocken, die Nässe des Körpers die sich unter der trockenen Kleidung befand, durchnässte nach und nach seine Kleider. In seinen Armen trug er ein Kind. Es war bewusstlos, war triefnass und lag leblos in Junhuis Armen.
Einige Sekunden geschah nichts. Dann trat Minghao zur Seite, um Einlass zu gewähren.
»Kommt herein.«
Junhui trug das junge Mädchen hinein, an Minghao vorbei, welcher geschwind einige Pölster des Sessels zu Boden legte, damit Junhui das Kind hinlegen konnte. Minghao fühlte nach dem Puls des Kindes und atmete erleichtert aus, als er einen regelmäßigen Herzschlag wahrnehmen konnte.
Einige Sekunden vergingen, in welchen sich Minghao und Junhui hoffnungsvoll neben das Kind knieten und darauf warteten, dass etwas passierte. Dann endlich – das Kind fing an zu husten, Wasser drang aus dem Mund des Kindes und es drehte sich zur Seite, damit das Wasser seinen Mund verlassen konnte. Danach atmete es einige Male schwer, bevor sich der Atem verrägelmäßigte. Einen Augenblick später schlief das Kind ein.
Junhui verließ mit einem leichten dankbaren Nicken den Buchladen. Minghao hatte keine Zeit mehr, sich verabschieden zu können.
Minghao warf dem Mädchen noch einen kurzen besorgten Blick zu, dann setzte sich in seinen Sessel und schlief ein.
Früh am Morgen erwachte er und sah auf den ersten Blick das noch immer schlafende Mädchen. Wie in einem Traum erinnerte er sich an den vergangenen Abend und an die nassen Haare und Kleider des Kindes, die mittlerweile getrocknet waren. Die blauen katzenartigen Augen Junhuis erzeugten nur einige verwirrte Blicke ins Nichts. Als wäre es tatsächlich nur ein Traum gewesen.
Er seufzte erneut und ging durch eine schmale Türe in seinen Wohnbereich, in welchem er Tee machte und zwei Tassen mit sich zurück nahm.
Als er wieder zwischen den vielen Büchern stand, war das Kind schon erwacht. Minghao überreichte dem Mädchen eine der warmen Tassen mit Tee, aus der anderen trank er selbst. Dankbar wurde der Tee angenommen.
Das Mädchen sah sich um. Dann fiel ihr Blick wieder auf Minghao. »Danke für letzte Nacht. Ich dachte nicht, dass ich...« Das mädchen musste den Satz nicht zu Ende sprechen, damit Minghao verstand, was sie sagen wollte, also nickte er ihr zu, als Zeichen, sie müsse es nicht aussprechen, damit er verstand.
»Haben Sie vielleicht... Bücher über Meerjungfrauen?«, fragte sie.
Überrascht beäugte Minghao sie, unbeabsichtigt versteifte sich sein Körper plötzlich. »Ja.« Er suchte einige Bücher für sie heraus, übergab sie ihr und ließ das kleine Mädchen die Bücher durchblättern.
»Danke«, sagte sie, nachdem sie da letzte Buch zugeklappt hatte und den Blick von den Büchern löste. Dann stand sie auf und mit einem kleinen Winken verabschiedete sie sich, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machte und Minghao alleine zurückließ.
Der Sonnenuntergang zog sich über den gesamten Horizont. Minghaos Augen fielen vor Müdigkeit beinahe schon zu, doch immer wieder zuckte er auf und blinzelte, als würde er nicht einschlafen wollen. Eine Bewegung einer Gestalt neben ihm ließ ihn zusammenfahren, doch als er sah, wer es war, beruhigte sich sein Herzschlag wieder.
»Was tut Ihr hier?«, fragte Minghao und sah Junhui interessiert an.
»Ich wollte mit Euch den Sonnenuntergang betrachten.«
Minghao Blick folgte dem Junhuis in die Ferne.
»Sie ist wunderschön«, gab Junhui von sich.
»Wen meint Ihr?«
»Die Freiheit.«
»Seht Ihr den Ozean als Freiheit an?«
Junhui drehte sich zur Seite, um Minghao direkt ansehen zu können, dann trat er einen Schritt auf ihn zu.
»Ja.«
Sanft legte er seine rechte Handfläche an Minghaos Wange.
»Der Ozean ist wunderschön, doch ich kann mich nicht für immer in den Wellen des Meeres schweben lassen.« Diese Möglichkeit war Minghao schlichtweg untersagt. Wie eine Klette klebte er an der Erde, ohne je eine Wahl gehabt zu haben.
»Die Freiheit ist kein Ort an welchen man gehen könnte. Man spürt sie – hier.« Junhui entfernte seine Hand von Minghaos Wange und legte sie an die Stelle, an welcher sein Herz regelmäßig gegen seine Rippen schlug. »Sie ist ein Empfinden, das aus dem Herzen kommt.«
Junhui ließ von ihm ab und machte einige Schritte rückwärts, fort von Minghao, bevor er sich umdrehte und ging. Seine Augen blitzten in den letzten Sonnenstrahlen, als er sich fortdrehte, seine weißen Haare wehten im Wind, während er sich Schritt für Schritt weiter entfernte und irgendwann aus seinem Sichtfeld verschwand.
Am nächsten Morgen öffnete Minghao die Türe und sofort kam ihm ein Schwall frischen Windes entgegen. Zu seinen Füßen lag ein eingebundenes Buch, darauf verschnörkelte silberne Schrift. Vorsichtig nahm er das Buch vom Boden herauf. Silence of the Sea. Darauf lag eine blaue Schuppe, und obwohl sie auf den ersten Blick nur blau aussah, so schimmerte sie im Sonnenlicht, als wären tausende Farben in ihr versteckt.
Und Minghao wusste: Junhui war fort.
Ende
–
Ja, das wars mit dieser Story :)
Diese Story ist (wenn ich drüber nachdenke) schon ziemlich lange geplant. Zuerst konnte ich mich nicht entscheiden, welchen Ship ich nehmen möchte (ich habe überlegt, die Story mit Joshua und Jeonghan zu schreiben). Am Anfang war die Story mit einem Buchhändler in Seoul geplant mit einem Schüler im Auslandsjahr, da hätte Jihan besser gepasst, da China nicht so weit von Korea entfernt ist und Minghao vermutlich selbst eine Familie in China hätte, zumindest einen kleinen Teil dieser. Dann habe ich den Ort auf Italien verlegt und habe mich dann für Junhao entschieden. Dass Jun ein Meermann ist, habe ich mir erst während des Schreibens überlegt und auch, dass Minghao es nur indirekt herausfindet, wie die Leser/Leserinnen auch. Ich wurde erst einmal bei einer Story so emotional wie bei dieser und das verwundert mich, da ich das sonst kaum erlebe. Aber vermutlich ist es gut, meine Gefühle irgendwo hinzuschieben und sie auszudrücken haha
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