34 - Karten neu mischen
Aus der Sicht von Kaden
„In Ordnung. Ich hätte hier ein paar klassische Kartenspiele. Es ist mir egal, was ihr spielen wollt; ich kann fast alle. Muss mich nur bei ein paar wenigen wieder einspielen." Jakub legt etliche Verpackungen auf den Tisch. „Sagt mal: Mutiert ihr etwa zu Alkoholikern? Ich meine, bei dir kann ich es noch nachvollziehen, Jevhen, aber bei dir, Kaden ..." Er schmunzelt, als Kaden einen langen Zug aus der Flasche nimmt. „Ich glaube, die osteuropäische Kultur tut dir nicht gut."
„Hallo? Ich bin Berliner. Das ist quasi wie Osteuropa." Er begutachtet die Schachteln. „Ihr könnt Poker?"
„Stimmt. Russland hatte einen Teil von euch Deutschen im Griff. War eine ziemlich interessante Zeit", meint Jevhen etwas gedankenverloren und bedient sich an den Knabbereien, die Kaden in einem herausziehbaren Fach entdeckt hat. „Logo." Ein verschmitztes Grinsen bildet sich auf den Lippen. „Strip-Poker? Darauf hätte ich gerade ziemlich Lust." Er lacht sofort los, als Jakub einen harschen Widerspruch gegensteuert. „War mir klar, dass du das nicht willst. Einer muss ja die Spaßbremse spielen." Er bewegt mehrere Salzstangen umher. „Poker hört sich sehr gut an."
„Es gibt Dinge, die niemand sehen will, Mann", brummt Jakub und setzt sich neben Kaden. „Meine Güte, die Sachen bleiben an." Er denkt nach. „Ach, kommt. Dann lasst uns erst 'ne Runde Rommé spielen."
„Oh, Gott. Das liegt ziemlich lange zurück. Ich hab' dagegen nichts einzuwenden. Du solltest höchstens berücksichtigen, dass ich etwas eingerostet bin." Jevhen beugt sich etwas vor und schiebt das schwarze Kästchen zu Jakub. „Dann teile du die Karten aus."
„Streng' deine letzten Gehirnzellen an, und du wirst es hinkriegen", schlägt Kaden amüsiert vor und beobachtet den Polen, wie er beginnt, die Karten auszulegen. „Meine Tochter ist darin verdammt gut. Keine Ahnung, wie sie das ständig macht." Er holt die Schale zu sich heran. „Friss nicht alles weg, denk' auch an die anderen."
„Hallo? Die Massephase steht an", erwidert Jevhen gespielt ernst, „da kann gerne noch etwas mehr 'raufgepackt werden." Er macht Anstalten, die Schale zurückzuholen, doch Kaden hindert ihn daran, indem er ihm einen warnenden Blick zuwirft.
„Mal' dich noch grün an, und du hast die nächste Filmrolle sicher", schlägt Jakub resigniert vor und teilt die Karten aus. „Jeder fünf. Verlieren werden wir nachher so oder so."
„Grün? Nein, wenn schon, blau und gelb. Ich wäre der ukrainische Hulk." Die Karten sind ausgelegt worden. „Der Älteste fängt an."
„Ja, weil du auch mehr Zeit zum Nachdenken brauchst", zieht Kaden ihn scherzend auf und erntet einen scharfen Blick von Jevhen. „Jakub, kannst du irgendwie Musik anmachen? Ich find's blöd, dass es so still ist."
„Und du bist dir sicher, dass wir kein Strip-Poker spielen wollen, Jakub?" Jevhen spielt eine Karte aus. „Meine Güte, ich habe blöde Karten. Oder aber, die auf dem Tisch sind scheiße."
„Mehr als sicher. Und wenn ich eure Sachen mit Klebeband festkleben muss; ich will hier niemanden nackig auf dem Tisch 'rumtanzen sehen." Er steht auf, behält die Karten bei sich. „Klar doch. Du kannst sogar entscheiden, was wir hören werden." Kaden ist erst jetzt die kleine Anlage bei den Wandschränken aufgefallen. Er findet es lustig zu sehen, wie Jakub sich ein wenig auf die Zehenspitzen erheben muss, um an sie zu gelangen. „Die hat Bluetooth. Logg' dich ein."
„Na? Braucht der Kleine Hilfe?" Jevhen hat sich nach ihm umgedreht. „Ich weiß noch, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, habe ich nicht schlecht gestaunt, als du aus dem Porsche gestiegen bist. Ich habe mich ohne Scherz gefragt, wo denn der Kindersitz sei." Kaden prustet los. „Sasha hat damals auch angenommen, du seist ein verrückter Teenager, der von irgendwem das Auto geklaut hat."
„Ich darf mir sogar anhören, dass ich der Sohn meiner Ehefrau bin", erwidert Jakub ungerührt und kehrt zu Kaden zurück, „oder dass man wissen will, warum ich nicht in der Schule sei. Weil ich auch wie ein Zwanzigjähriger aussehe, weißt du?" Er schüttelt den Kopf. „Da ist nichts dabei, das ich bisher noch nicht gehört habe." Jakub linst auf Kadens Handy. „Ja, du siehst richtig: Wummsbums heißt die. Miko hat sich den Namen ausgedacht."
„Wundert mich nicht, wenn die sich auch ständig mit jedem Gerät verbinden will." Kaden grinst etwas und verbindet die Geräte miteinander. „Du bist immer noch der Rock-Freak von früher?"
„Wummsbums", wiederholt Jevhen belustigt, „passt zu deinem Sohn. Ziemlich kreativ."
Jakub überhört den Sechzigjährigen.
„Ich wäre enttäuscht gewesen, hättest du etwas anderes gedacht", räumt er die indirekte Bestätigung ein. „Warum? Was gibt's denn Schönes zu hören?"
„Eins der besten deutschen Lieder, die du vermutlich kennst", offenbart Kaden geheimnisvoll und tippt es an. „Ich weiß, dass du es kennst." Jakubs Augen werden vor Überraschung groß, als die ersten kraftvollen Töne erklingen. „Ich liebe es. Drei Stunden durchgehend gehört. Wunderbare Melodie, die während des Sports extrem motiviert."
„Als ob", haucht er sprachlos und scheint sich über die Auswahl zu freuen, „da kommen Erinnerungen hoch." Man merkt ihm an, dass er sich mächtig zusammenreißen muss, um nicht laut los zu singen. „Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll." Seine Euphorie kommt sichtbar zum Vorschein. „Egal. Lasst uns weiterspielen."
„Lustig. Das kenne sogar ich. Und das mag etwas heißen, wenn es um deutsche Lieder geht." Jevhen verfolgt Jakubs nachfolgende Gesten, denn er singt kaum hörbar los und bewegt sich im Takt der Melodie. „Du bist keine zwanzig, sondern fünfundzwanzig."
„Er sowieso", nickt Kaden und spielt mehrere Karten aus, „der ewig junge Kerl."
„Es ist kein Segen, das kann ich euch sagen." Neue Blätter werden aufgenommen. „Nicht, wenn du viel zu oft als der Bruder deiner Kinder gehalten wirst. Das war Anfang des Jahres, glaube, so um Neujahr; wir sind hoch nach Swinemünde gefahren, weil es am Strand ein ziemlich hübsches Feuerwerk gegeben hat. Mikołaj und ich wollten etwas zu trinken holen. Bedenke: Wir haben uns beide ein bisschen hübsch gemacht. Normales weißes Hemd, dunkle Jeans. Nicht zu overdressed, aber auch nicht zu wenig. Wie dem auch sei: Ich weiß nicht, wie viel die Mädels, die plötzlich auf uns zugekommen sind, getrunken haben. Sie haben uns also angesprochen, und dann kam die Frage an mich, ob er denn mein älterer Bruder sei. Ich habe nicht schlecht gestaunt, und Mikołaj hat das natürlich lustig gefunden." Jakub seufzt kurz. „An diesem Abend durfte ich die Frage dreimal hören. Ich sag'; es ist keine schöne Sache, statt wie Anfang vierzig wie Mitte zwanzig auszusehen. Es ist schrecklich. Man wird nicht ernstgenommen."
„Hat die Droge sich eigentlich nur auf dein Aussehen ausgewirkt?", bohrt Kaden amüsiert nach. „Ich habe es ja am Ende nicht mehr mitbekommen." Jakub verstellt seine Stimme und antwortet etwas. In diesem Augenblick hört er sich wie ein Heranwachsender an. „Du solltest Vorteile daraus ziehen."
„Wenn man es aus ganz anderen Augen sieht, kann man schon sagen, dass hier Vater und Sohn sitzen", wirft Jevhen plötzlich wie selbstverständlich ein, während er den Blick zwischen Jakub und Kaden pendeln lässt. „Jakub, der entweder zu sehr nach seiner Mutter kommt oder der Sohn aus einer letzten Beziehung ist." Der Pole bedeckt mit beiden Händen das Gesicht und räuspert sich geräuschvoll. „Neunzehn finde ich ein recht frühes Alter, aber wer hat, der kann, hm?"
„Super. Dieses Bild werde ich nicht mehr los." Kadens Augenbrauen schieben sich etwas zusammen. „Oh, Gott. Nein. Es reicht mir, dass wir Freunde sind."
„Da bin ich lieber der jüngere Bruder meines Kindes." Der Pole legt die Hände um seinen Hals. „Auf was für Gedanken kommst du, Jevhen?" Er schüttelt behutsam den Kopf. „Dass du komisch bist, wusste ich schon. Aber dass du wieder selbst das toppst – Respekt." Sie nehmen das Spiel von Neuem auf. „Wie ist das eigentlich bei dir? Weiß das Umfeld deiner Tochter, dass du ein ehemaliger Drogenhändler gewesen bist?"
„Nur ihr engster Kreis", antwortet Jevhen entspannt und räumt einen dünnen Stapel fort. Platziert stattdessen neue Karten auf den Tisch. „Die wissen Gott sei Dank, dass ich mittlerweile keiner Fliege etwas zu leide tue. Vorsichtig sind sie trotzdem, obwohl ich ihnen immer wieder weiß gemacht habe, dass sie sich ruhig so verhalten können, wie sie wollen." Er neigt ein wenig den Kopf zur Seite. „Die wissen aber, dass ich wieder als vielversprechender Rechtsanwalt tätig bin. Wie sieht das bei euch aus? Gerade bei dir, Kaden?"
„Es gibt eine Person im Umfeld von Mikołaj, die mich bisher gesehen hat und mich so hinnimmt, wie ich bin. Der Kerl hat Mikołaj zum Teil groß werden gesehen und hat eine Zeitlang im polnischen Teil von Frankfurt Oder gelebt. Kurioserweise ist er Polizist." Jakub lächelt leicht. „Martin ist ein sehr korrekter Kerl und der Einzige von den Freunden der Jungs, die auch gerne zu mir können."
„Haben wir uns irgendwie abgesprochen?", wendet sich Kaden an Jakub und schmunzelt. „Ich habe auch einer Person erlaubt, zu uns zu kommen. Ihre Freundin Elise. Hat mir eine gewisse Überwindung gekostet, sie in meinem Reich zu akzeptieren. Ich will aber auch nicht, dass Jess unglücklich ist. Das könnte ich nicht über mich bringen." Zwei Karten. „Jess hat mir 'mal erzählt, dass gerade in den letzten Jahren die Gerüchteküche ordentlich angefacht wurde. Da trage ich leider Mitschuld, weil man mich im Hafen von Rotterdam erwischt hat. Ich habe die Ware von knappen hundertfünfzig Kilogramm fallengelassen und zugesehen, dass ich mich aus dem Staub mache. Ja, doch. Zwei Leute sind gestorben – die haben nämlich versucht, auf mich zu schießen." Er spielt mit den Erinnerungen. „Ich war 'mal wieder groß in den Nachrichten. Die haben vielleicht ein Drama daraus gemacht. Jess fand es natürlich nicht gut, sie hat mich indirekt zur Rede gestellt. Ich mache ihr so oder so keinen Vorwurf; ich kann es verstehen, dass man es gerade als Kind eines Schwerverbrechers nicht gerade einfach hat."
„Die sehen also die Gemeinsamkeiten zwischen dir und deiner Tochter?", hakt Jevhen nach.
„Ist ja wohl schlecht zu übersehen, dass sie meine Tochter ist", erwidert Kaden ungerührt. „Bisher hat es aber nie jemand zu einhundert Prozent herausgefunden. Sie reden nur, und Jess ist mittlerweile so clever, dass sie ständig eine passende Antwort parat hat." Da sind doch drei Karten hinzugekommen. „Ich präsentiere mich gern auf Instagram und so, dazu stehe ich auch. Aber ohne meine Familie. Ich habe keine Lust, wenn sie plötzlich als Geiseln genommen werden. Bisher weiß niemand, so gar kein Schwein, dass ich inzwischen verheiratet bin und eine Tochter habe."
„Ein paar aus seiner Schule haben mich gesehen, auch als ich die Jungs zur Schule gebracht habe. Es interessiert sie komischerweise nicht, sonst würden sie Łukasz nie schikanieren. Ich kann da leider nichts machen, denn dann heißt es wieder: Die sind doch alle kriminell aus dieser Sippschaft. So kurz, ja?" Als würde er einen Sandkorn zwischen Daumen und Zeigefinger halten. „So kurz stand ich davor, den Typen eine ordentliche Lektion nach meinen Spielregeln zu erteilen. Mikołaj hat dafür die Rolle übernommen."
„Interessant." Jevhen hat es tatsächlich geschafft, alle Karten abzuspielen. „So, gewonnen." Er erlaubt sich einen ordentlichen Zug aus der Flasche. „Ihr seid dran."
„Hm, das habe ich nicht wirklich mitgeschnitten." Jakub starrt stirnrunzelnd die Musikanlage an. „Wirklich, Kaden? Bist du immer noch Mitte zwanzig?" Er grinst leicht los. „Ach du Scheiße."
„Na, was denn? Nur weil ich körperlich älter werde, bedeutet das noch lange nicht, dass ich es geistig auch werde. Meine Fresse, wenn ich eine Sache zum Tod nicht ausstehen kann, dann so etwas. Auch wenn ich sechzig sein werde, werde ich mir trotzdem diesen Scheiß anhören. Und irgendwie muss ich meine ostdeutschen Wurzeln zum Ausdruck bringen."
„Da hast du recht." Jevhen bedient sich erneut an der Schale mit den Knabbereien. „Ich bin immer noch ein sehr großer Anhänger von russischem Schrägstrich ukrainischem Rap. Werde ich mir anhören, bis ich unter der Erde liege." Es sieht ganz danach aus, als würde Jakub den Sieg für sich verzeichnen dürfen. „Außerdem passt er gut zum Dicken."
„Das ist dein Spitzname deines Audis?", sucht Kaden die Bestätigung.
„Klar doch. Der ist auch relativ dick. Etwas anderes kann man von einem V10er auch nicht erwarten." Das Blatt wendet sich jäh, als Jakub feststellt, dass er allmählich in eine Sackgasse läuft. Kaden prüft die eigenen Karten. „Ich hätte niemals gedacht, dass er noch gute zwanzig Jahre läuft."
„Es kommt eben ganz darauf an, wie man mit seinen Schätzen umgeht", murmelt der Dreiundvierzigjährige etwas konzentriert. Lehnt sich allerdings zurück und wirft die Karten auf den Tisch. „Ich gebe auf. Das sieht nach nichts aus. Du hättest eh gewonnen, wenn du den Joker ausgespielt hättest und ich die sieben angelegt hätte."
„Was guckst du mir in die Karten?", will Kaden mit einem Hauch Empörung wissen.
„Junge, wenn du mir die Karten auch halb ins Gesicht hältst, kann ich nicht anders, als zu gucken. Meine Fresse, dann deck' die mehr zu und stell' dich nicht wie der letzte Lachs an."
„Trink' Bier, das beruhigt die Nerven."
„Das Einzige, was mich bei dir beruhigt, wäre Spirytus. Pur, wohlbemerkt." Jakub und Kaden beginnen, sich gegenseitig aufzuziehen und zu ärgern.
„Also ich wäre dafür, dass wir etwas anderes anfangen." Jevhen lacht für einige Sekunden los. „Jungs, reißt euch doch etwas zusammen. Oh, Mann." Jakub funkelt Kaden an, der den Blick mit einem einfältigen Grinsen quittiert.
„Finde ich auch. Gleich verliert oder wie es in meinen Kreisen heißt, Arschloch, wäre eine Idee."
„Heißt das, wir können dich ärgern?", führt Jakub die Sticheleien fort.
„Nein, Jakub. Wir setzen dich auf den Tisch und spielen die Karten um dich herum aus."
„Du hast auch für alles eine Antwort parat, oder?"
„Ich wäre nicht ich, wenn ich die nicht hätte." Kaden schielt zu Jevhen. „Kurze Erklärung: Die Karten werden willkürlich auf dem Tisch verteilt. Jeder zieht irgendeine Karte und wirft sie auf den Tisch. Ziehe ich zum Beispiel eine sieben, und auf dem Tisch liegt eine, nehme ich die Karten vom Tisch und muss versuchen, die wieder abzuspielen. Normalerweise spielt man das nach Farben. Rot auf Rot oder Schwarz auf Schwarz – dann musst du immer den Stapel an dich nehmen. Wenn man es etwas lustiger haben will, dann spielt man das mit den Zahlen."
„Ich kriege es schon irgendwie hin." Der Ukrainer nickt und sammelt alle Karten ein. Mischt sie geschickt durch. „Und wer die meisten Karten hat, ist das Arschloch."
„Das sitzt zwar neben mir, aber ja." Er kassiert einen festen Schlag auf den linken Arm. „Jakub, du weißt, dass meine Liebe zu dir endlos ist."
„Lass' einfach stecken, Kaden." Er langt nach mehreren Salzstangen. „Verliererehre." Kaden nimmt die erste Karte und legt sie aufgedeckt hin. „Spielen wir eigentlich nach Farbe, Muster oder Zahl?"
„Erst 'mal nach Farbe", legt Jevhen fest und beobachtet, wie Jakub eine rote beifügt. „Mir ist gerade aufgefallen, dass das mit diesen Uno-Karten mehr Spaß machen würde. Da gibt's viel mehr Farben."
„Gute Idee, wird aufgenommen." Jakub deutet auf die Verpackungen, die er zur Seite geschoben hat. „Wir haben insgesamt drei Sets in diese eine Schachtel kriegen können. Idee von Łukasz, nicht von mir."
„Sollen wir hier bis morgen früh sitzen, oder was?" Kaden unterdrückt sein Gelächter, als Jevhen die ersten Karten an sich holen darf. „Und genau diese Karten versuchst du jetzt, abzuspielen. Erst danach kannst du welche vom Kreis nehmen."
„Ah, verstehe. Okay."
„Daran hätte ich gedacht. Oder willst du wieder nach Hause fahren?"
„Ich habe Bier getrunken. Vergiss es, ich fahre heute nirgendwo mehr hin. Bei mir herrscht ein Leben lang Null Komma Null Promille."
„Das ist die richtige Einstellung." Jakub holt sein Handy hervor. „Denkst du, man weiß, dass wir uns wieder verstehen?" Kaden verneint die Frage. „Was hältst du von einem kleinen Bild? Jevhen, du bist natürlich auch mit drauf."
„Ich hätte darauf bestanden." Er legt die Karten mit dem Rücken nach oben auf den Tisch. „Wie heißt du eigentlich auf deinen ganzen Konten?"
„Hier." Kaden schiebt ihm sein Smartphone zu. „Ich habe von den ganzen Fake-Konten den blauen Haken ... und eben die knappen siebzig Millionen Follower." Jevhen sucht anscheinend den Benutzernamen. „Stell' dich nicht so kompliziert an; such' deinen Namen bei mir und tippe auf Folgen."
„Uns trennen ungefähr zwanzig Millionen", stellt Jakub neutral fest. „Ich sehe gerade, dass ich dir nie entfolgt bin. Siehst du? Genau das unterscheidet uns von den ganzen Idioten; wir tragen den Krieg nicht im Internet aus, sondern auf die gute alte Weise."
„Bin ich dir auch nie. Warum auch? Während der Zeit, als ich versucht habe, dich zur Strecke zu bringen, habe ich ... kein einziges Mal dein Konto kontrolliert. Da hätte es so oder so nichts zu sehen gegeben."
„So. Jetzt hast du siebzig Millionen und einen Follower", grinst Jevhen und gibt ihm sein Handy zurück. „Ich finde, dass du dich kaum verändert hast, was das Aussehen betrifft. Klar, du bist älter geworden, aber da gibt's eine Menge Dinge, die gleich geblieben sind."
„Ich bin auch nie auf die Idee gekommen, deine Konten zu prüfen." Der Pole schnaubt leise. „Man muss auch nicht alles berücksichtigen, wenn man schon sehr gute Möglichkeiten besessen hat." Kaden betrachtet die Aufnahmen von Jevhen. Anerkennung kleidet die Gesichtszüge aus; Jevhen hat, wie er findet, völlig zurecht den Titel als stärksten Mann der Ukraine verdient. Er hebt Gewichte empor, die Kaden nicht einmal im Traum hätte stemmen oder heben können. Bis zu vierhundert Kilogramm – nichts ist unmöglich, und Jevhen hat es ihm gerade bewiesen.
„Jevhen, du siehst wie ein richtiges Tier aus", gestattet er sich die Bemerkung und markiert etliche favorisierte Bilder. „Beeindruckende Leistungen, wirklich. Da soll man mir immer noch sagen, du seist auf Steroiden."
„Danke dir." Der Sechzigjährige lächelt. „Das ist alles hartes Training. Okay, vielleicht auch Wut, Ärger, Zweifel und Ungeduld. Aber, wie du siehst: Alles wird sich irgendwann auszahlen." Im Gegensatz zu Kaden hat er genau wie Jakub Fotos mit seiner Ehefrau hochgeladen. Nur die Kinder sind aus dem Spiel gelassen worden. „Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mir deine Frau anders vorgestellt."
„Lass' mich raten, nicht so in Anführungszeichen normal?" Das Kartenspiel gerät allmählich in Vergessenheit. „Gegensätze ziehen sich bekannt an. Anastazia ist in jeder Hinsicht wie für mich geschaffen. Da interessiert es mich nicht, dass sie keinen Sport treibt."
„Wie alt ist sie eigentlich?", will Kaden neugierig erfahren.
„Sie ist jetzt neunundfünfzig Jahre alt." Jevhen bemerkt Neo. „Kaden, deine Kratzbürste ist wieder da." Er hebt das Tier hoch und setzt es auf seinen Schoß. „Na, du kleiner Fellfreund. Keine Lust mehr, allein zu sein?" Der Kater schnurrt laut los und knetet Jevhens Arme mit den Samtpfoten.
„Deine ist älter als du, richtig?", wendet sich Kaden an Jakub.
„Sieben Jahre."
„Sieben Jahre?", wiederholt er verblüfft.
Jakub zieht eine Augenbraue hoch.
„Du hast nichts mit den Ohren. Ja, sieben Jahre, zum zweiten Mal. Es gibt genug Ehen, wo der Mann älter als die Frau ist. Da sagt komischerweise niemand etwas."
„Du bist der Erste, den ich kenne, dessen Ehefrau älter ist."
„Irgendjemand muss ja den Anfang machen."
„Auch wieder wahr." Kaden nimmt den Ring von seinem Finger. „Man braucht nicht zu sehen, dass ich verheiratet bin. Komische Gedanken und so, kennst du doch." Jevhen kaut genüsslich auf mehreren Brezeln herum, während er Neo mit Streicheleien verwöhnt. „Warte." Der Ring verschwindet in der Hosentasche, und Kaden gesellt sich zu Jevhen. „Damit die sehen, dass wir uns auch sehr gut verstehen." Anders als bei Kaden hat Neo die Augen geschlossen und hält nun die Vorderpfoten neben dem Kopf. „Lass' die Leute reden. Ich wette mit euch, dass das noch in den Zeitungen stehen wird."
„Ich hoffe, du weißt, was du da tust. Ich habe nicht unbedingt Lust, wenn einer deiner Feinde vor meiner Haustür steht", murmelt Jevhen.
„Ich denke nicht, dass die so schlau sind, um auf meine Konten zurückzugreifen", entgegnet Kaden genauso leise. „Und wenn, werde ich die persönlich aufsuchen und jeden einzelnen niedermetzeln, bis sogar das letzte Familienmitglied verreckt ist."
„Dann werde ich dich dabei lieben gern unterstützen wollen." Kaden beschließt, sich gleich neben den Ukrainer zu setzen.
„Komisch. Als ich ihn gestreichelt habe, sah er nicht so aus. Da hat er mich ein paar Mal gekratzt." Auf den beiden Unterarmen sind rote Linien zu erkennen. „Eben beim Spielen." Kaden kann nicht länger widerstehen und greift nach der inzwischen halbvollen Schale. „Kriegst du zu Hause nichts zu essen oder warum isst du hier alles allein weg?" Gerade, als er die erste Brezel essen will und zu Jakub schielt, wird das Foto aufgenommen. „Na? Auf einer Skala von eins bis elf: Wie sieht's aus?"
„Ist in Ordnung. Jevhen, du siehst aus, hättest du gerade eine Erleuchtung." Jakub hält ihnen das Handy entgegen. „Passt das euch?"
Ein knappes Grinsen bildet sich auf den Lippen von Jevhen.
„Entspricht einer elf Komma fünf", tut er das Foto ab und nimmt Kaden die Schale weg. „Hey, solange ich hier bin, muss ich das Gratisessen ausnutzen."
„Ich sehe aus, als würde ich einen halben Orgasmus beim Brezeln essen bekommen." Jakub prustet los. „Ach, mir doch egal. Ich kann auch witzig sein – zwar nicht immer, aber ich kann es. Lad' es ruhig hoch." Er blinzelt langsam. „Ihr braucht, so ganz unter uns gesagt, keine Angst haben, dass ich euch meine Feinde an die Wäsche wollen. Gerade bei euch würden die es sich zweimal überlegen. Du, Jakub, wegen deiner ehemaligen Drogensucht und deiner kaltblütigen Brutalität und Jevhen ... wegen des Handels und dem Zweiten wie beim Quotenpolen."
„Warum soll ich davor Angst haben? Ich persönlich habe sie nicht. Nicht mehr", korrigiert Jakub sich selbst. „Es gibt Dinge, die man nie verlernt. Mit der Angst umgehen, zum Beispiel." Eine Benachrichtigung ploppt auf. Kaden späht auf das Handy. Jakub hat es dann doch getan. „Und wenn die meinen müssen, mich oder meine Familie zu bedrohen, werde ich nicht davor zurückschrecken, sie eigenhändig umzubringen." Er seufzt kurz. „Da werde ich gern wieder zum Mörder, wenn es um das Wohl meiner Familie geht." Kaden verfasst einen aufziehenden, doch herzlichen Kommentar. „Kaden, warum?"
„Weil du mein Lieblingspolacke bist", gibt er ungerührt zurück. „Und schon gehen die Kommentare los. Nicht schlecht."
„Die sind spannender als das Spiel." Jevhen späht auf Kadens Gerät. „Los, komm'. Raff' dich zu Antworten auf."
„Soll ich so lange schreiben, bis ich einen grauen Bart kriege, oder was? Fange ich einmal an, werden die erst recht ohne Ende Fragen stellen." Er verdreht die Augen. „Also schön. Eine. Mehr auch nicht." Die erstbeste muss herhalten. Wie käme es zu diesem Zusammentreffen? „So, das ist ganz einfach." Kaden beginnt zu tippen. Transferiert die Überlegungen ins Englische. „Wir haben uns wieder versöhnt und haben ein neues Leben begonnen. Und man wird außerdem älter. Punkt." Kaden schiebt das kostbare Schmuckstück auf den rechten Ringfinger. „Du kannst die gerne beantworten. Ich habe dazu keine Lust."
„Och, nein. Lass' lieber. Ich bin nicht der Typ, der ein sehr sicheres Englisch beherrscht." Jevhen winkt ab. „Hübsches Auto." Er holt das Smartphone mehr zu sich. „Pur Sport?"
„Logo. Der hat ein eigenes Highlight. Aktualisiere ich regelmäßig." Jakub hingegen hat ein neues Konto für seinen tiefroten Porsche eröffnet. Manchmal lässt er sich dort mit ablichten. „Jakub, hast du schon 'mal überlegt, als Model zu arbeiten? Erlaube mir die Bemerkung: Auf eigenen Fotos siehst du verdammt attraktiv aus."
„Sehe ich danach aus? Vergiss es. Ich halte meine Brust nicht in die Kamera oder ziehe mich auf Zwang blank aus. Nein, ohne mich. Die paar Bilder von mir, natürlich oben ohne, reichen. Sarah findet es auch nicht so gut, wenn ich mich halbnackt im Internet präsentiere." Der Dreiundvierzigjährige ist auf Wasser umgestiegen. „Sollen die sich die Bilder von mir mit meinem Porsche ausdrucken und die an die Wand hängen. Soll ich als Wichsvorlage dienen, ist mir scheißegal." Kaden schüttelt lachend den Kopf. „Ja, meine Fresse, noch deutlicher kann ich es nicht auf den Punkt bringen."
„Immer ein Freund der ehrlichen Worte", meint Jevhen belustigt. „Da kannst du noch so alt sein."
„Selbst wenn ich achtzig plus bin oder schon aus dem Grab gucken darf, werde ich sagen, dass Kaden ein kleiner Hurensohn ist, der auf Männerärsche steht."
„Kannst du auch ein Mal deine Fresse halten?"
„Willst du, dass ich dir das Fressbrett poliere?"
„Schon 'mal eine Zahnreinigung nach meiner Art bekommen?" Jakub ist perplex. „Ja, damit hast du nicht gerechnet, was?" Er reckt ein wenig das Kinn triumphierend nach vorn.
„Mein Gott", brummt Jakub.
„Du kennst mich jetzt seit fast dreißig Jahren. Eigentlich müsstest du dich an meine Art gewöhnt haben." Kaden klopft Jevhen auf den Rücken. „Dich werde ich nicht ärgern, weil wir uns noch nicht so gut kennen."
„Soll ich jetzt Angst haben?"
„Ja, das wäre ratsam."
„Äh ... Jakub?", wendet Jevhen sich etwas hilflos an ihn.
„Nein, ich bin nicht dein Ansprechpartner. Komm' mit dem Spinner allein klar." Er hebt etwas die Hände, als würde er kapitulieren wollen. „Bin gleich wieder da." Jakub schiebt sich vom Hocker und sucht vermutlich das Bad, denn er geht nicht nach unten in den Keller. Kaden fällt ein kleiner Stein der Erleichterung vom Herzen.
„Also sooo schlimm bin ich nicht", nimmt Kaden sich selbst in Schutz. „Ich bin harmlos geworden. Ja, ich gehe meinen Liebsten gern auf den Sack, aber nur, weil ich es gern tue." Er grinst verschmitzt. „Du darfst dich späterhin sehr geehrt fühlen, wenn ich dir permanent auf die Eier gehe."
„Solange du sie da lässt, wo sie sind ..."
„Ach, keine Sorge. Die werden da bleiben." Er räuspert sich. „Das ist noch nicht alles. Warte 'mal ab, wie ich nachher sein werde, wenn wir am Spielen sind."
„Und Jakub ist ganz sicher gewaltfrei?", senkt Jevhen seine Stimme und stimmt einen scherzhaften Ton an.
„Nein, Arschikaski doch nicht." Kaden schielt zum Flur. „Dem gehe ich nachher so dermaßen auf die Eier, dass er danach keine mehr haben wird."
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