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26 - Sein Engel

Heute ist der fünfte November. Es sind seit dem Vorfall auf der Party knappe zwei Monate vergangen. Ich habe in der Zeit kein einziges Mal mit Mikołaj gesprochen. Ihn gar nicht mehr beachtet. Deshalb habe ich seine schleichende Veränderung nicht mitbekommen. Zwei Monate. Ein weitläufiger Raum für verdammt viele Möglichkeiten. Sowohl für gute als auch schlechte. Die guten: Vincent und ich haben uns ziemlich angenähert. Ich mag ihn sehr, daraus mache ich kein Geheimnis, aber ich stelle mir nichts weiter vor. Es beruht auf der soliden Basis einer innigen Freundschaft. Wir haben uns so oft es geht getroffen. Mal in Fürstenwalde oder in Berlin. Einmal sogar in Frankfurt Oder. Wir haben ziemlich viel unternommen: Baden, ins Kino gehen. Lange Spaziergänge. Die Nächte zu Tagen machen. Ein bisschen über die Stränge geschlagen, indem wir mit Bierflaschen durch die Stadt gelaufen sind und laute, schlechte Schlagermusik gehört haben. Wir haben viel gelacht, selten leise Töne angestimmt, wenn es um etwas Ernstes gegangen ist. Ich habe ihn sogar zu einigen Wettkämpfen begleitet. Verdammt, wie gut er sich angestellt hat. Techniken, die ich nach all den Jahren nicht kenne. Worauf ich etwas stolz gewesen bin: Vincent hat einige meiner Techniken angewendet, welche sogar Erfolg versprochen haben. Elise und er verstehen sich gut. Wie ich gehofft habe, sogar auf Anhieb. Daniel hat ihm anfangs etwas misstrauisch gegenübergestanden. Inzwischen hat es sich einpendelt. Sie haben Andeutungen gemacht, vor allem Elise. Ich habe verlegen erklärt, dass ich mir nichts Festes mit Vincent vorstelle.

Zumal er sieben Jahre älter ist als ich. Da ist mir die Spanne doch etwas zu groß.

Die Ferien sind längst vorbei. Die Klausurphase steht an. Morgen werde ich Deutsch schreiben. Ich fühle mich nicht schlecht aufgestellt. Dafür habe ich die Hälfte meiner Ferien geopfert. Vincent hat mir, sofern er gekonnt hat, geholfen. Mir Tipps gegeben. Seine alten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Vom Kern her unterscheiden sie sich nicht von meinen. Na ja, okay. Seine sind um Welten verständlicher. Eine Sache kann ich noch erwähnen. Vincent hat mir vor einigen Wochen mitgeteilt, welcher Dienststelle er offiziell angehört. Storkow. Die halbe Stunde Fahrt, die für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen sind. Vincent hat es anders gesehen. Man hat ihm regelrecht die Freude angesehen, als ich am Empfang nach ihm gefragt habe. Ich habe es mir, wenn ich ehrlich bin, schlimmer vorgestellt. Wenigstens habe ich Glück gehabt, dass er nicht durch das Städtchen gefahren ist. Nach Feierabend – er hat fast anderthalb Stunden Überstunden gemacht wegen etlicher Berichte –, sind wir essen gefahren. Ein Döner ginge immer. Mir ist keineswegs langweilig gewesen; da er sich allein im Büro aufgehalten hat, habe ich mich bei ihm aufhalten können. Ich habe den Statusmeldungen zuhören dürfen.

Nun denn, jetzt bin ich wieder in der Schule. Nicht mehr lange, und die ersehnten Abschlussprüfungen fangen an. Ich habe inzwischen meine Kombinationen der zuständigen Lehrkraft mitgeteilt. Ein Sprachmodul – Schwerpunkte werden Englisch, Deutsch und Polnisch sein. Mathematik muss wohl oder übel mit hinein. Als Präsentation habe ich mich für Geschichte entschieden. Schuld hat mein Vater. Er hat sämtliche Geschehnisse so interessant und logisch nachvollziehbar erklärt, dass ich gar nicht anders gekonnt habe, als ihm an den Lippen zu hängen. Und mein Leistungsstand ist außerdem nicht der Schlechteste. Ich weiß, dass Elise sich für einen rein naturwissenschaftlichen Weg entschieden hat. Was habe ich gesagt? Dieses Mädel ist irre. Aber dafür liebe ich sie.

Sie hat uns gefahren. Vor den Ferien habe ich uns kutschieren dürfen. Ihr blassgelber 1.4er Golf hat ziemlich oft besorgniserregende Geräusche von sich gegeben. Mal hat die Kupplung hartnäckig nachgelassen oder der Motor hat ganz plötzlich gestottert. Elise hat daraus kein Drama gemacht; was soll man schon von einem Auto erwarten, das bereits neunzehn Jahre hinter sich hat? Neunzehn Jahre, und das Urinmobil, wie wir das Auto oft nennen, fährt noch.

Sie ist in die Kantine gegangen, um sich etwas zu essen zu holen. Es ist Pause. Die lange. Nach draußen geht kaum einer, denn es ist ziemlich kalt. Ich bin froh, dass diese Heizungen funktionieren, obwohl mir im Pullover (Den habe ich mir von Vincent spontan ausgeliehen.) kalt ist. Ich finde ihn hübsch – ein schwarzer mit großer Kapuze und einem Spruch, der meine Gemütslage gut widerspiegelt. Schwarz ist bunt genug. Ich habe Elise nebenbei aufgetragen, mir etwas mitzubringen. Das Geld habe ich ihr gegeben. Vier Euro. Ich habe nicht konkret gesagt, was ich will. Sie soll mich überraschen. Wobei ... auf einen Becher Nudeln hätte ich gerade Lust.

Ich habe mich mit dem Rücken an die lauwarme Heizung gelehnt. Noch unglaubliche fünfundzwanzig Minuten, bis der Deutschunterricht beginnt. Klausurvorbereitung. Na ja, wer es glaubt ... Manchmal luge ich vom Gerät auf. Lausche mehr oder weniger freiwillig dieser plärrenden elektronischen Musik, die von den Jungs kommt. Victor, Eric, Dennis, Jonas und der Rest der Idioten. Victor hat inzwischen eine üble Narbe oberhalb der linken Schläfe. Wer die verursacht hat? Es geht das Gerücht herum, dass Mikołaj derjenige gewesen ist. Wegen des Aschenbechers. Bestätigt hat sich dieses Gerücht nie.

Er hat sich verändert. Seit er aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, hat er mit keinem einzigen Mädchen gesprochen. Er ist ihnen aus dem Weg gegangen, auch wenn sie ihn weiterhin genervt haben. Mich sieht er kaum noch an. Und wenn, dann mit einem sehr merkwürdigen Blick. Ich fühle mich nie ganz wohl dabei, jedoch spiele ich es herunter und widme mich wieder meinem Handy oder den Unterlagen. Ob ich über ihn hinweggekommen bin? Ich fürchte nein. Da gibt es hier und da einige Gedanken, die sich um ihn drehen. Er sitzt ganz hinten in der Ecke. Dort, wo vorher Amélie und Laura gesessen haben. Eine gereizte Geste und eine klare Ansage, und sie haben ihm diese Bank überlassen. Ich habe einmal mitbekommen, wie er Delilah teilweise aggressiv angebrüllt hat. Was ist da durch ihn gegangen? Sie hat beinahe geweint. Seitdem meidet sie seinen Weg.

Ich stelle das Schreiben mit Vince ein. Liegt zudem daran, dass er los müsse. Elise ist bisher nicht zurückgekehrt. Die Kantine ist zu der Zeit unglücklich gut besucht. Ein flüchtiger Blick zu Mikołaj. Allein in der Ecke. Hat die muskulösen Beine auf den freien Stuhl gelegt. Die Augen etwas zusammengekniffen, als müsse er über etwas nachdenken. Die Augenbrauen verstärken das Aussehen von jemand, der binnen weniger Augenblicke auf einen anderen Menschen losgehen will. Er hat in der ersten Pause eine Tablette eingenommen. Scheinbar muss er miese Schmerzen haben. Nur ... Eine Sache ist verdächtig – den anderen ist sie nie aufgefallen. Noch nicht einmal den Lehrkräften. Mikołaj nimmt seit dem neunzehnten September (Den Tag habe ich mir tatsächlich auf ein Blatt gekritzelt.) diese Tabletten. Jeden Tag mindestens eine. Seit gut zwei Wochen sogar drei, über den Tag verteilt. Ich habe ihn nicht darauf angesprochen. Ich traue mich nicht. Aus Angst, er würde mich ebenso anbrüllen wie Delilah. Wenn nicht sogar auf mich losgehen. Und mit jedem verstrichenen Tag ist seine schlechte Laune sichtbarer geworden. Der Neunzehnjährige vermittelt einen passiv-zornigen Eindruck. Wenn er spricht – dann nur unfreiwillig –, dann stechen die Ungeduld und Dunkelheit hervor. Die Antworten sind sehr kurz. Auf Nachfragen reagiert er kaum noch.

Und er fährt seit dem Tag nicht mehr mit dem Audi. Nur noch mit dem Bus. Dann hört man sagen, dass alle Sitze um ihn herum unbesetzt bleiben. Da stünde man lieber. Was ist los mit ihm? Ich mustere ihn weiter. Die Knöchel seiner Hände werden von leichten Blessuren geziert. Seine dunkelblonden Haare sind etwas länger geworden. Sanfte Wogen sind in ihnen erfroren. An sich sieht er ansehnlicher aus – nicht zuletzt wegen des Körperbaus. Da hat er sich in der Zeit etwas steigern können. Plötzlich sieht Mikołaj auf, direkt zu Dennis. Er hat seinen Namen erwähnt. Hat wohl gehofft, Mikołaj würde ihn nicht hören. Falsch gedacht. Mikołaj erhebt sich. Legt gefährlich langsam das Handy auf den Tisch. Geht lautlos und ohne Aufsehen zu der Gruppe. Mein eigenes Gerät segelt in die Tasche. Ich richte mich mehr auf.

„Hast du 'n Problem?", verlangt Mikołaj zu erfahren und drängt den Jungen aus der Gruppe. „Du hast meinen Namen gesagt." Dennis reagiert gar nicht; ist sichtlich perplex. Er zuckt höchstens zusammen, als der Pole den Kragen des Shirts packt und ihn etwas herumreißt. „Sag' schon. Na, los. Was ist dein Problem?" Diese Fassade wird nicht lange aufrechterhalten. Die wird schnell zusammenbrechen. Zu grobem Staub. Und inmitten dieser dicken Wolke wird Mikołaj stehen. Aber nicht der, der er einmal gewesen ist. „Meine Fresse. Sag', verdammt noch 'mal, warum du meinen Namen erwähnt hast!"

„Alter, was is' los mit dir?" Jonas und Eric kommen ihm zu Hilfe. Die Musik erfüllt nicht mehr den Raum. Eine Handvoll Mitschüler geht aus dem Raum. Mit den Jungs sind wir höchstens neun Leute. „Junge, krieg' dich ein. Du bist echt komisch geworden." Sie kriegen Dennis los. Ein hörbares Ausstoßen der angehaltenden Luft. Mikołaj regt sich nicht. Hat ein wenig den Kopf gesenkt. Sorgen treten in meinen Augen, als ich die Szene verfolge. „Beruhig' dich."

„Ich geb' dir gleich ‚komisch'." Ich kann nicht einmal richtig hinschauen, als Mikołaj, ausgebrochen in seiner gefährlichen Wut, auf Jonas losgeht. „Du wirst komisch aussehen, nachdem meine Faust deine hässliche Fresse kennengelernt hat!" Ein fester Schlag, und Jonas befindet sich unter Mikołaj, der wie ein Besessener auf ihn einprügelt. „Verdammte Scheiße, Mann!" Meine Augen werden groß vor Schreck, als Jonas anfängt, vor Schmerz zu schreien und irgendwie versucht, Mikołaj von sich zu stoßen. „Ich werde ..." Victor hat sich zügig eingeschaltet. Der erfahrene Kampfsportler zerrt Mikołaj vom blutenden Jonas herunter und stellt sich schützend vor ihm. „Was is', hm? Stehst wohl drauf, wenn ich 'ne Gesichtsgrätsche aus dir mache?!" Allerdings hält er sich zurück, als Mikołaj feststellt, dass Dennis und Eric sich neben Victor gesellen. „Du wirst es noch bereuen, du Arschloch. Beim nächsten Mal wird es nicht bei blauen Flecken und einer blutigen Nase bleiben." Er tritt einige Schritte zurück. Wischt das Blut an der schwarzen Hose ab. „Ihr alle." Er atmet ungewöhnlich schnell. Schimmernde Perlen haften auf seiner Stirn. „Ach, verdammt." Ein unangekündigter Ruck erschüttert den starken Körper. Dann ist er aus dem Klassenraum verschwunden.

Ich blinzele langsam. Schaue zu den Jungs. Victor hat mir den breiten Rücken zugedreht und hilft Jonas, sich zu erholen. Sie reden untereinander. Ich kann kein Wort verstehen. Lena hat ihm mehrere Tücher überreicht. Jonas wimmert, einige Tränen schillern in den Augen, lösen sich schließlich. Ich sollte etwas machen. Sämtliche Befürchtungen fangen an, sich zu bestätigen. Unkontrollierte Ausbrüche, willkürliches Losgehen auf Menschen. Die gelegentlichen Dinge, die er sich einredet und fest entschlossen behauptet, sie würden existieren. Er hat für viele Lacher gesorgt. Kotzende Einhörner? Wo sollen die denn sein? Explodierende Kröten? Hat er an einer geleckt? Was ist los? Mikołaj ist häufig mitten im Unterricht eingeschlafen. Man hat ihn schnarchen gehört.

Ich schiebe mich aus der Reihe. Husche ohne Handy aus dem Klassenzimmer. Fliege förmlich durch den breiten Flur. Allerdings halte ich zügig wieder inne, als mir ein Mädchen auffällt, dessen Nase blutverschmiert ist. Sie ist in Tränen ausgebrochen, zittert leicht. Ich kann mich nicht bremsen. Wende mich an eine ihrer Freundinnen – die Rothaarige schildere harschen Tones, dass es mich nichts anginge. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, lasse mich so schnell nicht abwimmeln. Sie bleibt auf ihrem Standpunkt. Anders als die Braunhaarige. Ein völlig geistig verwirrter Typ. Was für einer? Ja, der hätte komische Augen gehabt. Wohin sei er abgehauen? Keine Ahnung. Bestimmt nach draußen. Wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, ist dieses Mädchen die Blonde aus der zehnten Klasse gewesen. Die mit Mikołaj rumgemacht hat.

Sorgen wachsen an, Ängste sprießen aus diesem fauligen Boden, als ich hastig in den kalten Vormittag stürme. Instinktiv suche ich den Weg zum hinteren und etwas abgelegenen Teil des großen Schulhofs auf. Ich darf keine weitere Zeit verlieren. Mikołaj gerät zunehmend aus allen Fugen. Er wird jemand, der einst für tosende Wellen in Deutschland geschlagen hat. Der das abgrundtiefe Böse des Menschen ans Tageslicht befördert hat.

Ein spitzer Schrei, der jäh abbricht. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich wirbele um die Ecke. Die Wut hat die Sinne überflutet. Steuert sie. Lenkt den eigentlich willenlosen Neunzehnjährigen. Er ist nicht mehr Herr seines Bewusstseins. Eine sehr düstere Macht hat ihn nun im Bann. Er hockt auf jemanden. Die Fäuste fliegen geradewegs und grausam auf den wehrlosen Schüler unter ihm. Blut beginnt zu spritzen. Die wenigen Schreie stimmen klägliche und gequälte Lieder an. Ein fieser Stich attackiert mich.

„Mikołaj!", schreie ich panisch und laufe Hals über Kopf zu ihm. „Lass' ihn sofort in Ruhe! Verdammt, willst du ihn totschlagen?!" Ich versuche vergeblich, ihn vom inzwischen bewusstlosen Jungen herunter zu zerren. Der kann höchstens in die Neunte gehen. „Was ist denn los mit dir?! Warum tust du so etwas?" Ich weiche unruhig nach hinten. Mikołaj hält inne. Die Schultern zucken, der Körper bebt erkennbar.

„Was fällt dir ein, dich hier einzumischen?", knurrt er und steht auf. Doch ehe er sich mir vollständig zuwendet, verpasst er dem reglosen Kerl einen festen Tritt zwischen die Rippen. Ein widerliches Knacken. Der verletzte Junge stöhnt laut, rollt sich, vor Schmerz wimmernd, halb zusammen. Blut tritt aus Wunden in seinem Gesicht, aus der Nase. Teils aus dem Mund. „Willst du die Nächste sein?" Ein wilder Funke brennt in den kalten Augen. „Diesen Wunsch kann ich dir gerne erfüllen." Mikołaj zieht sich taumelnd zurück. Ich zittere vor Angst. „Fuck. Bleib' mir fern. Bleib' ... weg." Er beugt sich halb, hält die blutüberzogenen Hände vor sich. Als würde er sich vor etwas schützen wollen. „Lass' mich in Ruhe!" Wie ausgewechselt. Blanke Furcht kleidet die panischen Gesichtszüge aus. „Nein!" Er taumelt weiter, stolpert sogar fast.

„Mikołaj, lass' ..." Ich komme nicht dazu, meinen Satz zu beendet. Der Neunzehnjährige ergreift die Flucht. Vor was auch immer. „Bleib' ... Mann!" Ich schüttele das klamme Gefühl von mir. Egal. Das spielt keine Rolle mehr. Ich muss diesem Kerl helfen. Der Krankenwagen sei bereits gerufen worden. Ich blende die Umwelt aus, versuche irgendwie, die Wunden zu versorgen. Die drei anderen, welche dazu gestoßen sind, reden auf mich ein. Fragen über Fragen, doch jede einzelne geht an mir vorbei. Mikołaj, was hast du nur getan? Ich fühle mich wie benommen. Verliere sämtliches Zeitgefühl. Ich blinzele träge, die Sicht verliert ihre Konturen. Irgendwann sind die Rettungskräfte und zwei Streifenwagen aufgetaucht. Sie stoßen mich behutsam beiseite. Ich reagiere nicht wirklich. Erst, als ein Beamter mich befragen will, segele ich in die Realität zurück. Brauche ein paar Sekunden, um mich an den Boden unter meinen Füßen zu gewöhnen. Ich schildere ihnen nur, was ich beobachtet habe. Nicht, was ich erahne und in welchem Kontext die Aggressionen entstanden sind. Ich will Mikołaj vor weiteren Schwierigkeiten bewahren.

Er ist nicht mehr wiedergekommen. Ist das Gesprächsthema schlechthin geblieben. Neue Gerüchte werden geflüstert, späterhin gemurmelt. Er solle Drogen nehmen, deshalb soll er so erbost sein. Sie erinnern ihn sehr stark an Jakub. An den früheren. Wird er genauso wie er sein? Ist gar nicht unwahrscheinlich. Die Angst vor Mikołaj wächst parallel an. Je emsiger die Köche in der Küche, umso spektakulärer das versprochene Gericht. Man will von uns wissen, wo er hin sei. Was mit ihm passieren würde. Unser Klassenlehrer und der Direktor, beide haben uns zeitgleich aufgesucht, haben uns zu Sillschweigen verdonnert. Keine Details dürfen nach außen getragen werden. Man werde ein Gespräch mit seinen Eltern suchen. Über eine mögliche Suspendierung nachdenken, wenn nicht sogar Verweis. Hannes Schlüter, das Opfer, habe eine gebrochene Rippe, zwei abgebrochene Schneidezähne und etliche Wunden im Gesicht. Es hat erst geheißen, seine Nase sei ebenfalls gebrochen. Das hat man Gott sei Dank ausschließen können.

Ich habe mich bereiterklärt, seine Sachen mitzunehmen. Nein, ich führe keine Beziehung mit ihm. Nein, ich habe nichts mehr mit ihm zu tun. Ich kenne seine Eltern. Na ja, das sollen sie annehmen. Ich werde wahrscheinlich zu Oliver fahren. Er weiß bisher nichts von der schrecklichen Tat. Aber vom Verdacht? Ich weiß es nicht.

Elise und ich haben mehr geschwiegen als gesprochen. Der Schock sitzt bei uns tief. Ich hole Mikołajs Rucksack auf meinen Schoß. Er ist nicht schwer. Ein Schreibblock, Federmäppchen, zwei Bücher. Handy, Auto- und Wohnungsschlüssel und Portemonnaie in einem versteckten Fach. In einem zweiten Fach etwas zu essen und eine angebrochene Wasserflasche. Nahezu voll. Ich lange hinein. Ertaste einen weißen schlichten Behälter.

„Denkst du, da ist 'was dran?", bricht Elise die bedrückende Stille im Auto. Wir haben den Parkplatz der Schule verlassen. Ihr Auto fährt noch reibungslos. „An den Gerüchten?" Sie wirft mir einen kurzen Blick zu. „Was ist das?"

Ich klappe den Deckel auf. Weiße Tabletten. Ich hole eine hervor. Betrachte sie wortlos. Wenn man ganz genau hinsieht, kann man ineinander verschlungene Linien erkennen. Ich drehe sie leicht umher, als wäre ich ein Kenner. Linien, die von einer künstlerischen Hand stammen. Ein K, dann ein L.

„Seine Tabletten", antworte ich abwesend und lasse sie zu den anderen fallen. Schließe den Behälter und stecke ihn wieder ein. „Die er gegen seine Kopfschmerzen verwendet, wie er gerne behauptet." Ich sage erst einmal nichts. „Keine Ahnung. Ich will es nicht wissen. Ich hoffe einfach ... dass es eine Art Phase ist." Natürlich halte ich an den Gerüchten fest. Ich bin jemand, der teils nervös und gespannt auf das Gericht wartet, das unter Stress zubereitet wird.

„Hm." Elise hüllt sich in die dünne Decke des Schweigens. „Man wird dieses Mal nicht zimperlich mit ihm umgehen. Ich meine, er hätte den Kerl fast zu Tode geprügelt. Sie sagen, dass es sein Ziel gewesen sein soll." Was würde ich gerade dafür geben, um aus diesem Auto zu entkommen. Mir wird es allmählich zu viel. „Er wird fliegen. Da bin ich mir sicher."

Wird er nicht. Es darf nicht so weit kommen. Ich beschließe, nichts mehr zu sagen. Es liegt an dem Vorfall in der Schule. An diesem Meer aus Gerüchten, in dem ich bis jetzt keine Orientierung gewonnen habe. An den gesenkten Stimmen draußen, in den Fluren und im Aufenthaltsraum. An den hartnäckigen Parallelen zu dem früheren Ich seines Vaters. Ob Jakub diese Veränderung festgestellt hat? Aber dann hätte er ja etwas unternommen, oder nicht? Er hätte nicht zugelassen, dass sein Sohn auf diese Bahn gerät.

Was ich mich aber frage, ist, wie Mikołaj dieses aggressive Verhalten vor Oliver verborgen gehalten hat. Besitzt er also einen letzten Rest Selbstbeherrschung? Muss ja.

Wir sind bei mir angekommen. In ihren grünen Augen glitzert Besorgnis, jedoch kommentiert sie mein Auftreten nicht. Eine trostspendende Umarmung, ein paar letzte Worte, welche tief in meine Ohren eindringen. Und mir ein winziges Lächeln entlocken. Ich nehme beide Taschen an mich und steige aus. Ihr Auto hat sich des Öfteren beschwert. An einer Kreuzung sind wir nicht rechtzeitig fortgekommen. Wir haben uns daraus Scherze gemacht. Nicht mehr lange, und sie würde sich einen Neuwagen besorgen. Dafür habe sie immerhin gutes Geld beiseitegelegt. Ihr Wagen ist abgebogen. Dunkler Rauch hat sich aus dem Auspuff gequetscht. Alt und Diesel. Na, da freuen sich welche. Ich wende mich um. schreite voller Gedanken zum Tor. Meine Mutter ist bis Freitag in Köln. Nachdem sich das Tor geöffnet hat, betrete ich den weiten Hof. Nicht nur der Himmel ist grau – genauso eintönig ist mein Gemüt. Einfarbig, bedrückend, keine fröhliche Atmosphäre schaffend.

„Papa?", rufe ich durch das Haus, als ich hineingegangen bin. Es ist draußen zu kalt. Der Wind ist fies, der sucht sich einen Weg unter die Klamotten, nur um provokant über die nackte Haut zu streichen. „Wo bist du? Ich muss ganz dringend mit dir reden." Er ist da, sonst würde der Audi oder mein Golf hier nicht parken. Ich schäle mich aus der Jacke, schlüpfe aus den Stiefeln.

„Ich bin oben", antwortet er nach einigen Sekunden. Ich hole beide Rucksäcke zu mir und mache mich auf dem Weg zu ihm. Eine kuschelige Wärme hat sich im Haus ausgebreitet. Sie vermittelt ein Gefühl von Geborgenheit. Wahrscheinlich knistert das Feuer im Kamin. Meine Tasche bleibt achtlos vor der Zimmertür stehen. Ich luge in sein Büro. Er hat sich zu mir gedreht. „Lief der Start nicht so gut?" Er entdeckt Mikołajs Rucksack. „Das ist aber nicht deiner." Mein Vater deutet auf den freien Stuhl zwischen den vollen Regalen. „Setz' dich."

Ich tue es. Platziere die Tasche zwischen den Füßen. Lange in das Fach und hole den Behälter heraus. Behalte ihn in der Hand.

„Die Schule lief perfekt. Da hat's nichts gegeben, dass mir gegen den Strich gegangen ist. Ich muss mit dir über das hier reden. Und über Mikołaj." Ich gebe ihm diesen. Er nimmt ihn ruhig an sich. Prüft ihn. „Mikołaj hat sich seit September – seit der Entlassung aus dem Krankenhaus – ziemlich verändert. Ist aber nie jemanden aufgefallen, weil sie schleichend ist. Man hat's nur mitbekommen, wenn er diese Tabletten geschluckt hat. Er hätte angebliche Kopfschmerzen, die nicht zu ertragen seien." Er hat eine hervorgeholt. Die Augenbrauen ein wenig verzogen, der dunkle Blick ernst. „Aber muss man dann drei Stück über den Tag verteilt einnehmen? Auffällig ist jedes Mal, dass seine Stimmung sich verändert. Mikołaj wird schlecht gelaunt, gereizt und teilweise aggressiv. Niemand schert sich darum, weil man davon ausgeht, seine Ferien seien beschissen gewesen. Es sei nur eine Phase." Er wendet sie leicht und hält sie unter hellem Licht. Dann erwidert er meinen Blick. Ich finde die Gewissheit in der nahezu schwarzen Farbe. „Er ist heute auf drei Personen losgegangen." Ich schlucke laut. Es fällt mir zunehmend schwer zu reden. „Beim dritten hat er vorgehabt, ihn ... ihn ..." Ich schüttele den Kopf. „Mikołaj ist abgehauen. Ich habe seine Sachen mitgenommen."

Mein Vater seufzt leise und stellt die kleine Dose auf den Tisch.

„Du hast eine Ahnung, warum er so ist, nicht wahr?"

Ich traue mich fast nicht, nachzufragen: „Sind das deine?"

„Ja. Die Tabletten gehören mir. Werden unter meinem Namen verkauft." Er erhebt sich und tritt zu einem Regal. „Das kannst du gut an den Linien auf der Vorderseite erkennen. Die Hersteller haben meine Initialen eingeprägt." Ich verschränke die Finger ineinander und stemme die Ellenbögen auf die Knie. Ich sehe aus, als würde ich beten. Vielleicht tue ich das gerade auch. „Ich schätze, dass er sie in Kreuzberg besorgt hat. Dort ist einer der Verkaufsschwerpunkte." Kein Wort von mir.

„Glaube ich nicht", hauche ich und senke den Blick. „Mikołaj ist nicht ..." Ein dünner Stapel liefert mir die bittere Gewissheit. Ich nehme ihn widerwillig an mich.

„Seit der Entlassung? Müsste wohl im Zeitraum vom siebzehnten bis dreiundzwanzigsten gewesen sein. Die gesamte Woche. Alle Namen und Daten – alles auf Schwarz und weiß." Mein Vater holt seinen Stuhl zu mir. Sitzt mir gegenüber. „Hat er dir etwas angetan?"

Ich brauche nicht lange, um seinen Namen zu finden. Es ist ein einfaches Protokoll, wie ich ein ähnliches von Vincent kenne. Eine sehr knappe Zusammenfassung des jeweiligen Tages. Personalien der Käufer (Allein an diesem Tag stolze achtundsechzig.). Ein angekratzter Einblick in ihr Verhalten und ihrer Gefühlslage. Die aktuellen Marktpreise und der Erlös. Die Namen der Verkäufer, die im Namen von einem gewissen Manuel Schulte handeln. Alle aufgelisteten Verkäufer in dieser Tabelle – die letzte Zahl sagt mir dreißig – unterstehen diesem Typen, der wiederum in engem Kontakt mit meinem Vater steht.

„Mir nicht", murmele ich und starre seinen Namen an. Um drei Uhr achtundzwanzig beim Gleisdreieck in Kreuzberg. Irgendein tschechischer Typ – zumindest liest sich der Name tschechisch – hätte dem Neunzehnjährigen insgesamt fünfzehn Gramm zu dreihundert Euro verkauft. Dreihundert verdammte Euro für lächerliche fünfzehn Gramm. Der aktuelle Markpreis liegt bei sieben Euro pro Gramm. Wenige Milligramm haben ausgereicht, um mich komplett durchdrehen zu lassen. Und so hat alles angefangen. So wird es wieder anfangen. Nur eben mit Mikołaj.

„Bei Jakub fing es mit zwanzig Milligramm an. Dann mit fünfzig, später wenige Gramm, bis er irgendwann zwanzig Gramm auf einmal nehmen konnte. Ein Gramm mehr, und er wäre gestorben. Er war völlig unberechenbar und spielte mit dem Leben." Ich gebe ihm den Stapel wieder. Mein Vater rollt ihn zu einer dünnen Rolle zusammen. „Fünfzehn Gramm reichen für den Anfang für geschätzt insgesamt dreihundertachtzig Trips aus. Vorausgesetzt, er bleibt im niedrigen Milligramm-Bereich und steigert nicht den Konsum." Er sucht seinen Blick. „Weiß Jakub davon?"

„Nein, sonst hätte er längst etwas gemacht." Ich stehe den Tränen nahe. „Wie hat Mikołaj es über die Monate verheimlichen können? Ich meine ... fällt ihm denn gar nichts auf?"

„Jakub hält sich in Polen auf, Mikołaj hier. Oder bei seinem Halbbruder." Ich presse die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Oh, Gott. Nicht, dass Oliver Schlimmes widerfahren ist. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich Jakub nicht in Kenntnis gesetzt. Ich sollte es tun, das bin ich ihm schuldig. Immerhin ist sein Sohn dabei, wie er zu werden." Er berührt meinen linken Arm. „Du hast damit nichts zu tun. Vergiss das bitte nicht." Mein Vater erhebt sich. Verstaut die Unterlagen an ihrem ursprünglichen Platz, ehe er nach seinem Handy sucht. „Wird Mikołaj von der Schule fliegen oder das Programm beenden müssen? Hat man darüber schon gesprochen?"

Eine klammert sich erfolgreich am Augenwinkel fest, ehe sie loslässt und die Wange herabläuft.

Ich nähere mich einer Klippe. Jeder Schritt wird unsicherer, fast wankend. Ich will dem Abgrund nicht entgegenblicken. Ich will zurück. Fortlaufen. Zurück zur Sicherheit. Nur; ich kann nicht stoppen. Werde wie ferngesteuert geführt.

„Der Direktor und unser Klassenlehrer haben mit uns über diesen Vorfall gesprochen. Sie haben uns zu Stillschweigen verdonnert. Aber wenn man die Gerüchte hört, ist es eh Blödsinn. Sie sind am Überlegen, ob sie ihn entweder suspendieren oder der Schule verweisen. Je nachdem, was beim Gespräch mit seinen Eltern herauskommt. Das wollen sie davon abhängig machen." Normalerweise tut man so etwas nicht. Es wäre Schwachsinn, wenn beispielsweise die leiblichen Eltern aus Amerika oder ähnlich weit entfernt bei der Schule antanzen müssten. Aber dieses Mal ... Es handelt sich also um etwas sehr, sehr Ernstes. „Sie reden über Mikołaj. Manche behaupten, er werde wie Jakub werden. Er habe ihn als Vorbild." Ein Schauder rennt den Rücken herab. Zwei weitere Tränen folgen. „Es tut weh, so etwas zu hören." Ich stehe auf, gehe zu meinem Vater. Lehne mich trostsuchend an ihn. Er legt den freien Arm um mich, während er versucht, Jakub zu erreichen.

Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Pullover, als ich nach einigen Augenblicken Jakubs fröhliche Stimme wahrnehme. Im Hintergrund wird typisch Werkstatt gearbeitet. Sogar Musik dudelt dazwischen.

„Kaden, mein Guter." Mein Vater hat den Freisprechmodus aktiviert. „Ist gerade etwas ungünstig. Bin am Arbeiten. Kannst du mich um sechs anrufen? Ich habe da Feierabend."

„Ich würde es gern tun, nur gibt es eine Sache, über die ich dringend mit dir reden muss. Es geht um einen Verkauf von einen meiner Läufer. Mein Verbindungsmann hat mir einen interessanten und leider auch traurigen Wochenbericht abgegeben. Zu meiner Verteidigung: Ich lese mir die Unterlagen nicht mehr durch, weil ich um die Verlässlichkeit meiner Männer weiß."

„Wie dringend ist es?" Ich höre, wie Jakub sich von seinem Arbeitsplatz entfernt. Er hat kurzzeitig mit jemanden auf Polnisch gesprochen. Ich vermute, dass er ihm mitgeteilt hat, dass er eine Pause einlegen wird.

„Sehr dringend. Ich würde dir raten, eine Pause einzulegen."

„Okay." Die Geräusche verlieren an Kraft. „Um einen Kauf."

„Richtig. Fünfzehn Gramm PCP mit einem Reinheitsgehalt von fünfundachtzig Prozent, verkauft am achtzehnten September um halb vier morgens in Kreuzberg – der Käufer ist dein Sohn gewesen." Jakub sagt nichts. „Ich will dir Folgendes erzählen: Jess hat mir gesagt, dass Mikołaj heute drei Schüler verprügelt hat. Beim letzten soll das Gerücht herumgehen, dass er vorgehabt hat, ihn nicht nur bewusstlos zu schlagen. Er sei aggressiv auf sie losgegangen sein." Er hält inne. Ich soll wohl den Gesprächsfaden aufnehmen.

„Mikołaj fährt seit gut zwei Monaten nicht mehr mit dem Audi. Nur noch mit dem Bus oder mit der Bahn. Man hält Abstand zu ihm und hat Angst vor ihm." Ich muss aufpassen, dass der Ton nicht wegbricht. „Die Veränderung ist schleichend gekommen. Wir haben erst gedacht, er würde normale Tabletten gegen Kopfschmerzen oder allgemein Schmerzen einnehmen. Er hat sich anfangs nie seltsam verhalten. Er ... ist leicht genervt oder gereizt gewesen, aber man hat gedacht, er macht 'ne blöde Phase durch. Man hat ihn nicht weiter darauf angesprochen. Aber seit zwei Wochen – es hat vor den Ferien angefangen – ist er anders geworden. Mikołaj geht wahllos und ganz plötzlich auf andere los. Er hat seine Aggressionen nicht mehr im Griff. Und heute", ich atme tief durch, „nachdem er den dritten brutal zusammengeschlagen hat und bevor er abgehauen ist, hat er sich komisch verhalten. Er hat ständig gesagt, etwas solle weggehen. Als würde irgendetwas versuchen, ihn anzugreifen." Ich schweige. „Wahnvorstellungen. Genau. Das ist das Wort, wonach ich gesucht habe."

Eine beklommene Stille erscheint und hinterlässt undefinierbare Gefühle. Keine Worte erklingen. Nur die Geräusche aus der Werkstatt weisen uns darauf hin, dass wir uns noch in der Realität aufhalten. Ich kann mir vorstellen, was durch Jakub geht.

„Etwas Ähnliches hat Oliver mir auch schon erzählt." Leise. Mein Vater und ich müssen genauer hinhören, um ihn zu verstehen. „Es ist nicht so, dass ich es nicht weiß. Ich habe eine Ahnung gehabt, ja. Aber dank dir, Kaden, habe ich nun Gewissheit." Er atmet tief durch. Jakub weiß nicht, wie er reagieren soll. Wütend, bestätigt, erschüttert – es ist eine dicke, zähflüssige Masse. „Verdammte Scheiße."

„Ich würde sagen; du kommst schleunigst hierher. Schildere deinem Chef die Situation. Er hat dich immerhin eingestellt, und er weiß, wer du bist. Er wird es verstehen", schlägt mein Vater vor. „Du kannst während der Zeit bei uns übernachten. Wir können uns gemeinsam einen Plan ausdenken. Ich würde dir gerne helfen wollen."

Ein Händler, der sich um seine Käufer Gedanken macht. Dass es so etwas gibt. Ziemlich absurd.

„Ja, ja ...", murmelt Jakub und hört sich zerstreut an. Etwas in die Gedanken abgedriftet. Scheinbar versucht er, die Lage in irgendeiner Weise zu begreifen. „Werde ich tun." Ein tiefer Seufzer. „Warum immer ich?" Dann scheint er wieder zu sich gekommen zu sein. „Wie lange kann ich bleiben?"

„So lange, wie du nötig ist. Pack' ruhig genug Sachen ein." Ich fixiere einen willkürlichen Punkt.

„Okay. Ich werde mich noch heute auf dem Weg zu dir beziehungsweise euch machen." Nichts Gesagtes. „Bis später."

„Ja." Das Handy wird in eine freie Hosentasche geschoben. „Der arme Jakub. Kaum hat er sich vom eigenen Schicksal erholt, kommt's nächste Unheil." Mein Vater lässt mich langsam los. „Er hat es also bereits geahnt. Jetzt stelle ich mir die Frage, warum er nichts getan hat. Normalerweise handelt er sofort, wenn er Ahnungen hat." Er hebt ein wenig den Kopf.

„Vielleicht wollte er es nicht wahrhaben", murmele ich und starre die Dose mit den unscheinbaren Pillen an. „Was hilft gegen die Droge? Gibt's da ein Heilmittel, damit er schnell wieder der Alte wird?"

„Leider nicht", antwortet mein Vater leise, „das macht man von den aktuellen Auswirkungen abhängig. Sofern er aggressiv ist, gibt es ein starkes Neuroleptikum. Erleidet Mikołaj aber Krampfanfälle, dann wird er sediert, und man verabreicht ihm ein spezifisches Schmerzmittel. Wir werden sehen müssen, welche Symptome er zeigen wird." Wie kann er nur auf den Gedanken gekommen sein, diese scheußlichen Pillen zu konsumieren? Was hat ihn zum Konsum angetrieben? „Das wird nicht einfach werden. Sicher, er mag deutlich am Anfang sein, aber gerade der Anfang ist verdammt kompliziert hinsichtlich der Entwöhnung. Die psychische Abhängig ist stark ausgeprägt, wenn nicht sogar extrem." Ich sehe ihn verständnislos an. „Was? Weißt du nicht, was man darunter versteht?"

„Nicht wirklich", gestehe ich wahrheitsgemäß.

„Es bedeutet, dass er ständig das Verlangen nach einem Neukonsum hat. Dieses Verlangen kann er nicht mehr kontrollieren. Man will und will und immer so weiter, bis man am Ende daran verstirbt."

„Das erklärt, warum Mikołaj plötzlich drei Pillen geschluckt hat anstatt wie zuvor einer", murmele ich betroffen.

„Richtig", schiebt er die Bestätigung bei und nimmt den Behälter an sich. „Die werden konfisziert. Du kannst ihm gerne den Rucksack wiederbringen, aber diese Dinger bleiben bei mir."

„Als würde ich dafür sorgen, dass er noch stärker von ihnen abhängig wird", murmele ich verbissen. Ich ändere den Ton. „Bei Jakub wurde ein kalter Entzug durchgeführt. Wie soll der aussehen? Worauf kann man sich einstellen? Und ... wie extrem wird es für Mikołaj werden?"

„Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob wir bei ihm den kalten durchziehen werden", entgegnet er etwas zweifelnd. „Mikołaj ist deutlich jünger und sehr nah am Anfang. Sein Körper fängt gerade erst an, sich an die Droge zu gewöhnen. Er reagiert ziemlich stark auf das Ausbleiben. Das hast du sicherlich gemerkt, als er schlecht drauf war oder aggressiv." Er setzt sich auf die Tischkante. „Ich werde es nachher mit Jakub absprechen. Ich schwanke zu einem mehr oder wenigen professionellen. Das bedeutet, mit Medikamenten. Ich traue Mikołaj nicht zu, dass er mit den Schmerzen und Entzugserscheinungen klar kommen wird." Ich stülpe die Ärmel über meine Hände. „Schreie. Zittern, Bewusstlosigkeit. Wenn es ganz schlimm sein wird, dann akuten Geistesstörungen, Selbstmordgedanken oder Angstzuständen." Etwas scheint in mir erstarrt zu sein. „Und deshalb will ich den einfachen Weg gehen. Mal schauen, ob Jakub da mitmacht." Er macht eine Pause. „Selbst bei Jakub fand ich die kurzzeitigen Phasen der Entwöhnung heftig. Es ist ein Wunder, dass Julien und ich es ständig geschafft haben, ihn unter Kontrolle zu halten. Er wäre einige Male auf uns losgegangen."

„Hat er mir auch schon erzählt", sage ich leise. Erhebe mich. „Ich ... werde das Gästezimmer bereitmachen." Ich sammele den Rucksack ein. „Ähm, eine letzte Frage noch." Ich drehe mich im Türrahmen zu ihm um. „Wie oft kommt es eigentlich vor, dass du persönlich dafür sorgst, dass deine Käufer wieder auf Vordermann kommen?"

„Möchtest du eine ehrliche Antwort hören?" Ein stummes Nicken. „Du kannst von mir halten, was du willst; gar nicht. Mikołaj ist die Ausnahme. Ich schere mich einen Scheiß um den Gesundheitszustand meiner Käufer. Vor der Drogenabhängigkeit haben sie einen völlig freien Willen gehabt. Sie haben sich aus freien Stücken entschieden, diese Scheiße zu konsumieren. Das heißt im Endeffekt, dass sie der ständigen Selbstverletzung freiwillig zugestimmt haben." Er nimmt auf dem Stuhl Platz. Dreht sich der Unterlagen auf dem Schreibtisch zu. „Mikołaj auch. Er hat selbst entschieden, das PCP einzunehmen. Diese Entscheidung basiert auf der Freiwilligkeit und des freien Willens. Aber da Mikołaj Jakubs Sohn ist und du ihn gut kennst, werde ich dafür sorgen, dass er wieder wie vorher sein wird."

„Sonst wärst du ja kein international tätiger Händler geworden." Ich schüttele sehr leicht den Kopf und lasse ihn allein. Ein Zeichen für mich, dass er in dieser Hinsicht kein Gewissen mehr hat. Profit auf Kosten der Gesundheit aller Menschen. Aber eigentlich ... eigentlich hat er recht. Jeder Drogenabhängige hat vor seiner Selbstzerstörung den freien Willen gehabt, selbst zu entscheiden, ob er die Todbringer schlucken will oder nicht. Trotzdem ist es nicht gut. Die Taschen werden achtlos in mein Zimmer heruntergelassen. Ich gehe wieder heraus und suche das Gästezimmer auf. Eins von drei. Ich hoffe so sehr, dass sie Mikołaj wieder auf Vordermann bringen werden. Das hat er nicht verdient. Ich kann diesen verfluchten Herzschmerz nicht ausstehen. Warum hat er diese verdammten Pillen eingenommen? Was ist der Auslöser gewesen?

Tja, nur leider habe ich eine leise Vorahnung.

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