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21- Du hast sie nicht verdient

„Da hättest du auch gleich mit deinem Wagen fahren können", meine ich murmelnd, als er den Audi in die Straße lenkt, in welcher Elise wohnt. „Wär' doch viel besser gewesen." Sie steht längst vor dem brusthohen Tor, sieht direkt zu uns. Elise kennt jedes Fahrzeug von uns, auch das schwarz-blaue Ungetüm meines Vaters. Das Smartphone taucht in der Hosentasche der hellblauen, teils zerschlissenen Jeans ab.

„Geht leider nicht. Der hat nur zwei Sitze." Man merkt manchmal, dass er kein Fan von Automatikfahrzeugen ist. Da wandert die Hand gelegentlich zum Schaltknüppel, nur um festzustellen, dass man keine Gänge einlegen kann. „Und es braucht niemand zu wissen, dass du meine Tochter bist." Aber dafür fährst du uns zur Schule. Wo ziemlich viele Menschen auf einem Haufen sind. Ist ja nicht so, dass die dich nicht kennen. Da reicht nur eine unvorsichtige Bewegung. Ich runzele die Stirn, ehe mein Vater genau vor Elise anhält. Die Sonne ist unlängst aufgegangen. Die Straßen voll von Leuten, die auf dem Weg zur Arbeit sind.

„Hab' mich schon gewundert, dass ihr mit dem Audi unterwegs seid." Elise hat ihre leicht gelockten braunen Haare zu einem Zopf gebunden. Sie hat heute Morgen geduscht – die winzigen Haare stehen auf dem Kopf ab und kräuseln sich. Das klare Grün ihrer Augen leuchtet kräftiger, weil sie die leicht schrägstehenden Augen mittels Lidstriche zur Geltung gebracht hat. „Hey, Jess. Guten Morgen, Kaden. Wie kommt's, dass du uns fährst?"

Wenigstens hat er sich an ihre direkte und lockere Art gewöhnen können. Er vergewissert sich, dass niemand auf der Straße fährt, als er wendet und die andere Richtung einschlägt. Mein Vater lehnt sich zurück, reguliert die Lautstärke. Es werden Nachrichten durchgegeben. Politische Debatten, Kriege. Todesfälle sowohl in Deutschland als auch in Amerika und Australien.

„Dass du morgens so munter bist. Normal ist das nicht." Mein Vater fährt zu einer großen Kreuzung. „Tja, der Golf will nicht mehr. Hat einen kleinen Schaden. Der geht nachher in die Werkstatt." Seine dunklen Augen erfassen Elise. „Ich werde euch nach der Schule wieder abholen. Vorausgesetzt, ihr habt nicht früher Schluss." Ich halte mich vorerst aus dem Gespräch heraus. Sie wird nachher so oder so nach der richtigen Wahrheit verlangen. Sie weiß, dass es zwischen mir und meinem Vater zurzeit nicht unbedingt gut läuft. Vor allem, weil es häufig mit Mikołaj zu tun hat.

„Kaffee kann Wunder vollbringen", gibt Elise gelassen zurück und platziert die Schultasche auf den freien Sitz neben ihr. „Also ich wüsste nichts von ausgefallenen Stunden. Bei mir bleibt's beim vollen Haus." Sie späht hinaus. Aber für einige Sekunden treffen sich unsere Blicke im Außenspiegel. „Wie geht's euch beiden?"

„Soweit in Ordnung", antwortet mein Vater und fährt los. Heftet sich an die Stoßstange eines alten Ford-Kombis. „Da gibt's nichts zu beklagen." Also noch offensichtlicher können die Lügen nicht sein. Er müsste selbst wissen, dass Elise mittlerweile recht zügig dahinterkommt. „Was sagt eigentlich dein Bewerbungsverfahren? Du müsstest ja schon mitten drinnen sein, richtig?"

Ich antworte nichts, sehe weiterhin stumm nach draußen.

„Freut mich zu hören." Elise setzt ein kleines Lächeln auf die Lippen. „Läuft bisher gut. Hab' 'ne Rückmeldung bekommen. Darf im Oktober zu diesen schriftlichen Prüfungen. Kann dafür nach Neustrelitz fahren." Wo auch immer diese Stadt liegt.

„Ist ja nicht mehr so lange hin." Mein Vater beschreibt einen eleganten Bogen, um in eine neue Straße einzubiegen. „Neustrelitz also? Hm, zwei Stunden Fahrt. Da wirst du wohl ein gutes Stückchen Weg vor dir haben." Er scheint in Erinnerungen abzuschweifen. „Die Ecke da ist eine hervorragende Möglichkeit, vielversprechende Umschläge zu machen. Ist außerdem sehr ideal für den Transfer nach Osteuropa." Er blinzelt langsam. „Du bist fast wie sie, weißt du?"

Elise steuert vorerst keinen Kommentar bei.

„Wie wer? Meinst du diese Li-Wen?" Ein Hauch Neugier ummantelt ihre muntere Stimme.

Mein Vater nickt langsam.

„Ja. Sie war eine ziemlich gute Ermittlerin. Musste aber wegen mir ihre Karriere beenden." Sie ist mit ihm liiert. Das habe ich beiläufig erfahren. „Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht mehr." Er lächelt. „Bleib' am Ball. Du hast eine vielversprechende Zukunft vor dir." Wenn sie einmal in dieser Schiene tätig ist, wirst du nicht mehr so begeistert von ihr sein. Nenn' mich verrückt oder zu voreilig – sollte sie fertig ausgelernt und in den Dienst übergewechselt haben, wird sie dir das Leben entweder schwerer oder zur Hölle machen.

„Oh, darauf kannst du dich verlassen." Elise wird etwas forschend. „Ist mit dir alles gut, Jess? Du hast bisher nichts gesagt."

Ich zucke mit den Schultern.

„Ich bin nur müde, das ist alles." Ich spüre den Blick meines Vaters auf mir ruhen. „Du musst dir keine Sorgen machen." Nachher werde ich so oder so ein Gespräch mit ihr suchen.

„Selbst schuld", meint mein Vater gelassen, „was bist du auch so lange wach geblieben?" Ich runzele die Stirn und werfe ihm einen verstohlenen Blick zu.

„Hat sich so ergeben." Ich mühe mir ein Lächeln ab. „Was hast du eigentlich heute vor?" Damit habe ich mich an meinen Vater gerichtet.

„Das Übliche." Mehr erlaubt er nicht zu hören. „Heißt, ich werde höchstwahrscheinlich spät nach Hause kommen." Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Dresden, Jess. Da werde ich heute sein." Ich seufze kurz. Er wird dort erst hinfahren, nachdem er mich und Elise von der Schule abgeholt hat. Dass er sich auch diese unsinnige Mühe machen muss. Es liegt nur daran, dass er verhindern will, dass ich wieder mit Mikołaj fahre.

Der Rest der Fahrt ist in einer eigenartigen Stille verlaufen. Selbst Elise hat währenddessen beschlossen, den Mund zu halten. Vielleicht ist es besser so gewesen, denn ich habe gespürt, dass mein Vater sich mit etwas beschäftigt hat, dass die Laune ein wenig in den Keller gezogen hat. Manchmal habe ich es ihm angesehen; die Augen sind ein wenig schmaler geworden. Die Gesichtszüge leicht verhärtet. Entweder es geht um Mikołaj oder um diese Fahrt nach Sachsen. Ich spreche ihn lieber nicht darauf an. Um sieben Uhr fünfzehn sind wir angekommen. Ich finde, dass er sich etwas Zeit gelassen hat. Ich erlebe es nicht oft, dass er während einer Fahrt so ruhig und vor allem entspannt ist. Na ja, wobei ‚entspannt' das falsche Wort ist. Er hat sich abseits der mehr oder wenig ordentlich geparkten Fahrzeuge meiner Mitschüler niedergelassen. Durch die Frontscheibe beobachtet er vier Mädchen aus einer unserer Parallelklassen, die sich in diesem Moment aus einem schwarzen Polo schieben. Ich sehe, dass Mikołaj längst angekommen ist. Sein eindrucksvoller schwarzer Audi parkt mitten auf der unbenutzten Seite. Aber vom Neunzehnjährigen keine Spur.

„Du meldest dich, solltest du doch früher Schluss haben", wendet sich mein Vater an mich, nachdem ich ihn kurz umarmt habe. „Pass' auf dich auf." Sämtliche Härte scheint wie fortgewischt zu sein, als er meinen Blick erwidert. „Wir sehen uns heute Nachmittag."

„Werde ich ... und das Gleiche gilt für dich." Ich löse den Sicherheitsgurt und steige aus. „Hab' dich lieb." Ich nehme Elise die Tasche ab. Die Tür fällt zu. Wir machen uns auf dem Weg zur Schule. Ich höre, wie mein Vater den Audi wendet und schließlich an uns vorbeifährt. Ich blicke ihm nach. „Okay, wenn du es wissen willst: Wir hatten etwas Stress. Es geht, wie kann es nicht anders sein, um Mikołaj." Ich senke ein wenig den Blick. „Ich war gestern und vorgestern bei ihm gewesen. Ja, wir haben miteinander geredet und sozusagen näher kennengelernt." Ich fange an zu lächeln. „Vielleicht bilde ich mir zu viel ein, aber ich habe das Gefühl, dass er mich auch mag. Nicht so wie ich ihn, aber eben mögen." Ich erwähne bewusst nicht, dass ich gestern mit seinem Vater gesprochen habe oder dass ich mit ihm trainieren gewesen bin. „Die Sache ist nur die: Meinem Vater passt es nicht. Ich kann es ihm nicht verübeln. Du weißt ja, wie er ist." Ich schweige für ein paar Sekunden. „Mein Auto ist in Wahrheit nicht kaputt. Die Hummel läuft, wie sie soll. Er will nicht, dass er mich wieder abholt. Das ist übrigens der Grund gewesen, warum ich vorgestern nicht gefahren bin. Ach, und ... Vorgestern haben wir die letzten beiden Stunden geschwänzt. Ich hoffe, dass ich nicht allzu viel verpasst habe." Gerade Mathematik. Ein Fach, das mir mehr Probleme als andere bringt. Ich lasse mich zögerlich zu Elise ziehen, die einen Arm um mich legt. „Bist du mir böse, dass ich dich in den letzten Tagen ... vernachlässigt habe? Ich fühle mich schon mehr als schlecht, während ich dir das hier sozusagen beichte."

Sie schüttelt langsam den Kopf.

„Wie soll ich dir böse sein? Du bist das erste Mal verliebt. Da ist es wohl normal, dass man jemanden schneller vergisst, als jemanden lieb ist. Du brauchst dich nicht schlecht fühlen. Solange du dich ab und zu bei mir meldest und mir zeigst, dass du mich nicht in den Wind geschossen hast, ist doch alles in Ordnung." Mir fällt ein ganzer Felsen vom Herzen. „Ich freue mich sehr für dich und würde es dir sehr wünschen, dass dies klappt. Wie steht's eigentlich um ihn? Worüber habt ihr so gesprochen?" Elise lässt mich langsam los.

„Könnte ich niemals über mich bringen. Trotzdem: Ich werde versuchen, mit dir wieder mehr Zeit zu verbringen. Ist ja so, als würde man seine eigene Familie ignorieren." Ich sehe, wie die Schüler in die Sporthalle gelassen werden. „Na ja, über Sport und über Musik. Er hat mir ein paar interessante russische Lieder gezeigt und mir welche geschickt. Manchmal haben wir uns über Victor und seinen dämlichen Kumpanen aufgeregt. Ich glaube, du hast davon gehört, oder? Wie Mikołaj ihn vorgestern verprügelt hat, weil er Klara fertiggemacht hat?"

„Du hättest ihn in Politik sehen müssen. Er hat über nichts andere gesprochen. Also so, wie er sich angehört hat, darf Mikołaj sich auf etwas einstellen, sofern Schulschluss ist. Wann genau, weiß ich auch nicht." Die Mundwinkel zucken kaum merklich. „Victor hat's trotzdem verdient. Meinetwegen hätte Mikołaj ihn krankenhausreif prügeln können. Der Typ geht jedem auf die Eier." Was ist mich soeben frage: Warum ich der Neunzehnjährige hier? Ich dachte, er hätte die ersten beiden Stunden Ausfall? Irgendwie durchkämmt mich eine ungute Vorahnung. „Mathe ist für deine Verhältnisse der totale Scheiß gewesen. Wir haben schon wieder ein neues Thema angefangen. In zwei Wochen Test über Funktionen und deren Eigenschaften. Mit Kopfrechenteil." Oh, super. Dann kann ich mir gleich die null Punkte eintragen lassen.

„Na, ist ja wirklich schön zu hören", gebe ich trocken zurück. „Null Punkte, ich komme." Elise hat mir die Unterlagen unlängst zukommen lassen. Ebenso die von Englisch. Für Politik müsste ich Tobias fragen. Aber für ihn wird es kein Problem darstellen, da seine Schrift eine sehr lesbare ist und er sehr gewissenhaft arbeitet. „Das wird Vic aber nicht gefallen, wenn er sehen wird, dass Mikołaj ihm um Welten voraus ist." Wir gehen in das volle Schulgebäude hinein. Wir beide dürfen den Kunstraum aufsuchen. „Schon gehört? Mikołaj will am Freitag 'ne Party am DJO schmeißen. Jeder aus dem Scheißjahrgang ist eingeladen." Wenn ich an all die besoffenen Möchtegernhalbstarken denke oder an die Mädchen, die sich nach einer bestimmten Zeit wie Affen an die meisten Kerle klammern – mir graust es sehr. Ich kenne von mir, dass ich müde werde. Wenn ich anhänglich werden soll, dann nur in Gegenwart von Elise. Zumindest habe ich es damals versucht.

„Schon gehört und gelesen. Er hat heute 'ne Nachricht in die Gruppe geschickt, nachdem das Tussentaxi sich darüber aufgeregt hat, dass du Zeit mit ihm verbracht hast. Haben sie dir geschrieben? Vor allem Delilah war überhaupt nicht begeistert. Ich hab' ihr beinahe den Hals umgedreht, als sie so beschissen über dich hergezogen hat. Amélie und Alexa haben wenigstens die Klappe gehalten." Sie atmet scharf aus. „Sowas kann ich zum Tod nicht ausstehen. Scheiße über jemanden reden, nur weil man nicht damit klarkommt, dass Prinz Eisenherz 'was mit anderen macht."

„Ging mir getrost am Arsch vorbei", erwidere ich ungerührt, und wir gehen die Treppe hoch. „Elise, kannst du mir sagen, womit ich dich verdient habe?"

„Na ja, vielleicht brauchst du jemanden, der vom Kern her ist wie du." Sie grinst mich an. „Doch, es gibt eine Sache, die du für mich tun kannst. Zum Aufholen, weil wir in den letzten Tagen wenig miteinander zu tun gehabt haben." Erwartung keimt auf. „Du gehst mit mir zur Party. Ich will mit eigenen Augen sehen, wie Mikołaj und seine Freunde sich abschießen. Wer nach einer ganzen Wodkaflasche und anderthalb Bier keine Vergiftung hat, muss wohl eine Menge abkönnen. Umso größer die Vorfreude, wenn er sich so richtig abgeschossen hat."

Wir durchqueren den breiten Flur. Die meisten Klassen haben inzwischen die Klassenräume bezogen. Von überall fliegen Gespräche bei. Ein dichtes, scheinbar unentwirrbares Geflecht. Einige übertrumpfen die andere, wieder andere lachen übertrieben laut. Ein ganz normaler Morgen.

„Äh ..." Ich komme gar nicht dazu, den Satz zu beenden, denn wir stehen mitten im nach Acrylfarbe stinkenden Raum. Schnell sammele ich mich. „Also, ich weiß ja nicht ..." Wir sind achtzehn Leute. Alle auf Grundniveau.

„Du, ich werde die ganze Zeit bei dir sein. Ich werde auf dich aufpassen." Na ja, wobei ich am Ende auf sie aufpassen werde und es darf. Elise kann sehr gesellig werden. Es gibt einige, die es schamlos ausnutzen. Eine Sache habe ich vor ein paar Monaten erlebt, als Daniel mich angerufen hat, weil ich sie abholen soll; sie hat in Berlin gefeiert. Irgendwo in Steglitz. Dank einer Bekanntschaft hat sie zu tief ins Glas geguckt. Sie ist mit ihrem Freund da gewesen. Er ist ihr nie von der Seite gewichen. Als ich angekommen bin, habe ich schnell gesehen, dass Daniels Nase blutverkrustet und die untere Lippe stellenweise aufgeplatzt gewesen ist. Ich habe beide nach Hause gebracht. Elise hat mir am nächsten Nachmittag erzählt, dass er einen Kerl niedergeschlagen hat, weil er Elise verführen wollte, obwohl sie jedes Mal abgelehnt hat.

„Lass' mich darüber nachdenken, okay? Du wirst spätestens morgen früh meine Antwort hören." Wir setzen uns hin. Dritte Reihe. Sie am Fenster, ich in der Mitte und Julius neben mir. Julius begrüßt uns fröhlich, was wir erwidern. „Du glaubst gar nicht, was er schon alles besorgt hat. Das ist so'n Zeug, das sogar Russen fertigmacht. Oder hast du schon 'mal 'n Getränk gesehen, das mehr als neunzig Prozent hat? Und nein, das ist kein Reinigungsmittel. Das kannst du wirklich trinken." Ich packe die Sachen aus. „Mikołaj meinte selbst, dass man es sich nicht unverdünnt geben sollte." Noch fünf Minuten. Einer kommt anscheinend nicht. Richard. Was er wohl schon wieder hat? Der Kerl scheint eine Dauererkrankung zu haben.

„Geht klar. Wär' trotzdem ziemlich nett, wenn du mitkommst. Allein macht es nicht sooo Spaß." Elise ist niemals allein, wenn sie auf einer Party ist. Sie hat mindestens eine Person, mit der sie den Abend oder die Nacht verbringt. „Und du könntest", ihr Grinsen macht mir Angst, „mit Mikołaj allein sein." Ich werde rot und sehe verlegen weg. Sie quittiert es mit einem leisen Lachen. „Vorausgesetzt, der Idiot ballert sich nicht die Birne zu." Das wird er tun. Vor allem, wenn er viel mit Ivan und Dennis interagiert. „So, ich würde sagen: Los geht's mit der Kreativität."

Was wir machen? Wir dürfen uns selbst etwas zum Thema Design ausdenken. Dafür hätten wir einen Monat Zeit. Elise und ich haben beschlossen, zusammenzuarbeiten. Wir haben also die Köpfe zusammengesteckt und Ideen entworfen, diese bewertet, kommentiert. Die meisten haben wir wieder verworfen. Das bisher interessanteste Projekt haben sich Julius und Emily vorgenommen – sie wollen aus Holz und Glas eine kleine Hütte bauen. Elise und ich haben uns letztendlich für einen Stuhl entschieden. Zunächst für einen Klappstuhl, bis uns aufgefallen ist, dass das doch eine Nummer zu kompliziert ist. Ein Stuhl. Auf den wird man sich sogar bedenkenlos hinsetzen können. Daniel will uns helfen, sofern die Möglichkeit besteht. Die ist vorhanden. Elise hat nur gelacht, als er seine vielen Vorstellungen mit uns geteilt hat. Nach knappen vierzig Minuten habe ich meiner besten Freundin mitgeteilt, dass ich kurz die Toilette aufsuchen müsste. Elise hat mir ein bestätigendes Zeichen mitgeteilt und telefoniert weiterhin mit Daniel. Muss er nicht arbeiten? Ich habe mich schmunzelnd von ihr abgewendet und bin aus dem Raum gegangen. Der Flur liegt in Stille da. Niemand hält sich hier auf. Ich gehe entspannt zu den Toiletten, die am anderen Ende des recht langen Flurs sind. Hier und da schallen die Stimmen der Lehrkräfte nach draußen. Oder ein Schüler darf etwas vorstellen.

Das Anliegen erledigt, schüttele ich die Hände, um die wenigen Wasserperlen zu entfernen. Da will man nichtsahnend und mit einem Kopf voller Ideen für das Projekt zurückgehen, als man auf jemanden trifft, der das Herz mehr oder weniger zum Marathon veranlasst. Na ja, ich würde gerne lächeln oder zu ihm gehen. Wäre da die Tatsache, dass er, mein heimlich-offensichtlicher Schwarm, mit einem mir unbekannten Mädchen rummacht. Keine flüchtigen oder liebevollen Küsse. Das hier kann man nicht als solche bezeichnen. Und warum zur Hölle stehe ich wie blöd 'rum und tue mir diesen beschissenen Anblick an? Ein fetter Kloß hat sich in meiner Kehle gebildet. Dieses Mädchen mit den blonden Haaren geht in eine der unteren Stufen. Allerhöchstens zehnte Klasse. Ich zwinge mich, die Tränen zurückzuhalten. Warum? Ich hasse dieses Wort. Ich forme die Lippen zu einem sehr dünnen Strich zusammen. Gehe angespannten Schrittes an ihnen vorbei. Es wird immer schwerer, diese verfluchten Tränen zurückzuhalten. Und da habe ich blöde Nuss ernsthaft gedacht, ich bedeute ihm etwas. Anscheinend sind diese Tage doch nur Versuche gewesen, mich in irgendeiner Weise 'rumzukriegen. Eine einsame Träne löst sich schließlich aus dem linken Augenwinkel. Hastig wische ich sie fort. Atme tief durch. Es stockt etwas. Schlucke hörbar, ehe ich in den Raum zurückgehe. Elise hat ihr Telefonat mit Daniel beendet. Auf jedem Blatt – insgesamt vier Stück – prangt mindestens ein Bild. Ich lasse mich betrübt auf den Stuhl fallen und höre mir ihre Vorstellungen an. Mitten in ihrer Schilderung hält sie inne. Mustert mich eindringlich.

„Okay, was ist passiert? Du siehst wie ausgewechselt aus." Das Lämpchen oben in der Ecke des Smartphones blinkt. „Wir machen mal eine längere Pause." Sie setzt sich so hin, dass sie mich direkt ansehen kann. Ich kann jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Das käme komisch. Ich merke, wie die Lippen sehr leicht beben. Ein sanfter Schleier legt sich auf die Augen. Ich blinzele schnell. Nehme einen großzügigen Atemzug. Irgendwie werde ich es schaffen, dass die Stimme nicht abbricht. „Wollen wir kurz raus? Frau Sarau kommt eh erst in fünfzig Minuten wieder." Ich schüttele hastig den Kopf. Ich will ihn nicht wiedersehen. „Lieber hier?" Sie spricht sanft und leise. Ein stummes Nicken. „Was bedrückt dich?"

Ich senke ein wenig den Kopf.

„Hab' gerade ... festgestellt, dass ich mich in die falsche Person verguckt habe." Ich höre mich belegt an, den Tränen viel zu nahe. „Mikołaj war draußen. Nicht allein." Elise nimmt automatisch meine rechte Hand und streicht tröstend über den Handrücken. „Ich habe wirklich gedacht, ich bedeute ihm etwas." Wieder ein glitzernder Tropfen. Dieses Mal beim rechten Augenwinkel. „Irgendein Mädchen aus der Zehnten oder so." Louise wirft mir einen besorgten Blick zu. Wendet sich an Elise. Dieser wiederum winkt ab und fügt hinzu, dass es mir gut ginge. Es sei nichts Ernstes. Die Braunhaarige wirkt nicht überzeugt, allerdings hat sie die Güte, uns alleinzulassen. „Das ist doch scheiße." Ich lasse mich in eine halbe Umarmung ziehen. „Ist das normal, dass man sich scheiße fühlt?"

Ihre Fingerkuppen wandern über meinen Rücken hinweg.

„Nicht weinen", murmelt sie. „Hat er nicht verdient. Dafür sind die Tränen zu wertvoll." Ich schmiege mich an sie. „Ja, es ist leider normal, dass man sich nach so etwas beschissen fühlt. Ich weiß, du hörst es bestimmt nicht gern: Schieß' ihn in den Wind. Du hast ihm die Chance gegeben, sich zu verändern. Er hat sie nicht genutzt. Dieser Typ hat dich nicht verdient." Ich bleibe still. „Es hört sich leichter als gesagt an, dem bin ich mir bewusst. Es gibt viel bessere Typen, die nicht so sind und dich wertschätzen. Oder es generell schätzen, wenn man sich in sie verguckt hat." Sie lässt mich ein wenig los. „Lass' ihn. Er ist es nicht wert, dass du an ihn hängst. Der wird's nicht kapieren. Dafür ist er zu schwanzgesteuert." Ohne dass ich es recht will, schnaube ich amüsiert. „Da ist das Gehirn nicht mehr an der Stelle, wo es eigentlich sein soll. Na ja, man kann ja nicht mit allem gesegnet sein." Die Tränen sind versiegt. „Weißt du, ich finde es stark von dir, dass du trotzdem vorsichtig gewesen bist. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ihr zusammengekommen wärt und er sich so eine Nummer erlaubt hätte. Ich denke, ich hätte ihn eigenhändig kastriert." Ich lache sehr leise. „Na, was denn? Er kann ruhig den Kopf benutzen und nicht andauernd 'was anderes." Sie erwidert meinen Blick. „Ignorier' ihn. Zur Not werde ich dafür sorgen, dass er sich von dir fernhält. Dieser Idiot wird dir nicht mehr wehtun. Nicht, solange ich bei dir bin."

Ignorieren. Ja, es wäre schön, wenn es so einfach ginge. Ich werde es nicht mehr schaffen, diesen beschissenen Kerl aus meinem Leben zu verbannen. Dafür zeigt er zu viel Präsenz. Nicht zuletzt wegen Jakub, der inzwischen darauf besteht, mich wiederzusehen.

„Wenn du schaffst, mich aufzumuntern", werfe ich kleinlaut ein und lächele unbewusst los, als sie mich liebevoll an sich drückt. „Ich fürchte, du wirst mich ablenken müssen."

„Ach, das wird kein Problem werden. Ich weiß sogar, wie wir das anstellen werden." Sie deutet auf die Skizzen. „Die besten Ideen kommen erst noch." Sie achtet die ganze Zeit darauf, dass ich nicht in Gedanken abdrifte oder dass sich die Stimmung verändert. Elise schafft es, mich zum Lächeln oder gar zum Lachen zu bringen. Dieser Riss im Herz ist derweil versiegt, aber nicht verheilt. Vielleicht schaffe ich es mit ihr, den Heilungsprozess in Gang zu bringen.

Halbe Stunde Pause. Elise und ich haben uns nach draußen verzogen, um den noch kühlen Morgen auszunutzen. Heute Nachmittag sollen die Temperaturen so oder so in die Höhe klettern. Wir haben uns eine freie Bank unter einem Birkenbaum ausgesucht. Vom Projekt sind wir nicht weggekommen; es werden weitere Ideen ausgetauscht oder Ansätze ausgeführt. Wir haben es zumindest geschafft, uns für einen Plan zu entscheiden; ein Holzstuhl aus weißem Material mit integriertem Licht. Hierbei will Daniel uns behilflich sein. Na gut, er hat sie vorgeschlagen. Elise ist natürlich hellauf begeistert gewesen. Ich habe mich auf der Bank niedergelassen und leere die Flasche ungefähr ein Viertel, als ich im Augenwinkel eine Bewegung registriere. Elise kaut genüsslich auf den Karotten herum, und auch sie hat seine Anwesenheit wahrgenommen. Vorerst unterlässt sie die Kommentare, aber ihre Haltung wird wachsam. Sie arbeitet spitzzüngige Bemerkungen aus und hält sie scharf.

„Können wir kurz reden?" Er linst zu Elise. Keinerlei Begeisterung kleidet die Gesichtszüge aus. „Allein, wenn es geht."

„Geht es nicht", antworte ich ruhig und muss automatisch an den Zwischenfall denken. Die Stimme wird dünn. „Geh' weg. Ich habe keine Lust, mit dir zu reden." Ich schraube den Deckel auf die Flasche.

Mikołaj lässt sich nicht abwimmeln. Ist irgendwie klar gewesen. Er hebt eine Augenbraue.

„Ist irgendetwas los?" Ich wäre beinahe in schallendes Gelächter ausgebrochen. Selbst Elise räuspert sich abfällig. „Was ist los?"

„Kannst du dich nicht einfach weggehen? Sie will nicht mit dir reden. Oder gibt's das Wort Nein nicht in deiner Sprache? Kennst du das Wort nicht?" Elise nähert sich ihm. „Geh' zu deinen Häschen, Playboy. Die springen doch gerne auf dein Kommando." Sie hört sich ebenfalls wütend an.

So langsam scheint es ihm zu dämmern, was sie meint und warum ich etwas in mich gefallen auf der Bank hocke.

„Oh, scheiße. Jess, das ..." Er weicht sogleich einen Schritt zurück, als ich aufgesprungen bin. Wie gerne ich ihn anschreien will. Ihn vor versammelter Mannschaft rund machen will.

„Verpiss dich endlich und lass' mich in Ruhe", fahre ich ihn erbost an und verenge die Augen. „Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. Nach dieser beschissenen Nummer hast du alle Karten bei mir verspielt." Ich werde lauter. Diejenigen, die hinten beim Halbkreis sitzen, sehen zu uns herüber. Es kümmert mich nicht. „Vielleicht hast du es noch nicht kapiert: Ich habe für dich Gefühle entwickelt. So, jetzt ist es raus. Ja, du beschissener Scheißkerl: Ich hab' mich in dich verguckt. Aber nach der Nummer heute hast du mir gezeigt, wie viel ich dir bedeute. Anscheinend gar nichts." Mikołaj zuckt mit keiner Wimper. „Ich würde dich hassen, weißt du? Aber Hass ist ein Gefühl, und Gefühle hast du Arschloch nicht verdient." Ich sitze wieder. Starre meine Füße an. „Hau' ab und lass' dich nie wieder bei mir blicken. Du bist für mich gestorben."

„Ich kann ..." Er verstummt jäh, als ich meine Stimme ein letztes Mal erhebe. Man könnte es fast als Brüllen bezeichnen.

„Jetzt verpiss' dich endlich und lass' mich in Ruhe!" Ich zittere etwas. Das Verlangen wächst stetig an. „Geh', du elendes Arschloch!" Elise sitzt neben mir, und ich lehne mich an sie. Es dauert ein paar Sekunden, bis er das Gesagte verarbeitet hat. Der Neunzehnjährige mustert mich ein letztes Mal. Ein undefinierbarer Funke glitzert in den blau-weißen Augen. Wortlos dreht er mir den Rücken zu und geht. Er braucht nicht zu sehen, wie ich weine. Wegen ihm. Ich presse mein Gesicht in Elises Shirt und lasse sie freiem Lauf. Sie bleibt ruhig. Die Hand wandert langsam über den Rücken hinweg. Was für ein blödes Gefühl. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass es auch nur annähernd so sehr schmerzen würde wie jetzt. Schön, wenn der Riss einer offenen Wunde gleicht, die er ein zweites Mal aufgerissen hat. Es ist schrecklich, wenn man weiß, dass Gefühle nicht erwidert werden. Es trifft immer die Falschen. Vielleicht wäre es doch richtig gewesen, mich weiterhin von Jungs fernzuhalten.

Die Tage haben ihm wohl nichts bedeutet. Verdammt, wie habe ich mich so sehr in ihn irren können? Warum bedeute ich ihm gar nichts? Mir wird soeben klar, dass ich nichts andere hätte werden können als ein elender Name auf seiner Liste. Er hätte mich abhaken können. Die Finger krallen sich ein wenig in den Stoff ihres Oberteils. Ich wäre nichts anderes als ein dummes, unbedeutendes Spielzeug gewesen.

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