12 - Wir sind irgendwie besonders
Ist bisher etwas Spannendes passiert? Nach den beiden schrecklichen Mathestunden nicht unbedingt. Ich habe nicht mehr zugehört. Mein heimlicher Liebling genauso wenig. Von Eric und Victor muss ich erst gar nicht erst anfangen zu reden. Sie haben Elise ihr Buch wiedergegeben, ehe sie beschlossen haben, sich alle fünf Minuten lautstark zu Wort zu melden. Man hat man Ende nichts mehr machen können – sicher, sie haben sich einen Rüffel von Frau Schantje eingeholt, aber mal im Ernst: Werden sie es jemals kapieren? Ich zweifele daran. Wie dem auch sei. Nach dem sinnlosen Unterricht habe ich mich zum Musikraum begeben dürfen. Warum ich diesen Kurs ausgewählt habe? Nicht wegen der Gesangsbegabung – ich kann in etwa so gut singen wie ein Kettenraucher im Sopran. Aber man kann sich dort sehr leicht eine hohe Punktzahl einholen. Man muss nur wissen, wie. Außerdem finde ich den Unterricht sehr entspannt. Klassik und Romantik haben mich nie interessiert, doch man lernt zügig, das Beste daraus zu machen. Elise hat nun ihre regulären Freistunden. Sie hat Musik gleich zu Beginn der zehnten Klasse abgewählt. Ich kann es ihr nicht verübeln – mit Noten hat sie schon immer auf Kriegsfuß gestanden.
Doch die Pause ... Die hat einen gewissen Eindruck hinterlassen. Mehr Schaden als alles andere. Ich habe ständig an Mikołajs Nachricht zurückdenken müssen. Die, als er geschrieben hat, dass er seinen Bruder vor fiesen verbalen Angriffen beschützt hat. Er hat ernst gemacht. Hat die Konfrontation mit Victor quasi gesucht. Nahezu jeder aus dem Kurs hat gewusst, was nun folgen wird. Victor, der Möchtegernstarke, der, der jeden mit seinen Worten und selten mit Taten fertigmacht. Entweder so, dass man am Ende den Tränen nahesteht oder sie hemmungslos laufen lässt. Kommt ein Widerstand oder Gegenspruch, wird mit Taten gekontert. Mit ihm will man sich nicht anlegen. Da geht jeder auf Abstand und lässt die Schikanen über sich ergehen. Ich bin bisher verschont geblieben. Es liegt daran, dass ich dafür gesorgt habe. Tanze einfach nach deren Pfeife und verhalte dich stets unauffällig. Aber nicht zu sehr, sonst gerät man schnell ins Fadenkreuz dieser Idioten. Wie das geht? Einfach mit denen reden, wenn sie versuchen, jemanden in ein Gespräch zu holen, und sei es noch so dumm und dämlich. Es hilft. Und dient dem eigenen Schutz. Gott sei Dank kann man abschalten und gleichzeitig aufmerksam wirken.
Klara hat Musik ausgewählt. Sie besucht meinen Kurs. Sitzt ziemlich weit hinten. Letzte Reihe. Am Fenster. Man kriegt sie nicht mit, auch wenn man sich in einem Raum mit ihr aufhält. Sie hockt stillschweigend da, beobachtet nur. Behält uns alle im Blick. Nur, damit sie rechtzeitig reagieren kann. Denn sie weiß, dass wir hier welche haben, die Victor auf dem Laufenden halten. Natürlich hat er sich keine Zeit gelassen. Er hat wohl dieser Pause entgegengefiebert, um den Raum zügig zu wechseln. Was er für einen Unterricht hätte? Kunst. Warum auch immer. Ich habe mich gerade neben Elias niedergelassen, als es losgeht. Elias, ein Typ mit schulterlangen dunkelblonden Haaren, sieht von seinem schwarzen IPhone auf, als er eingetreten ist. Johanna und Gisele sind ihm ausgewichen, führen ihr Gespräch nichtsdestotrotz fort. Warum Victor sie verbal fertigmacht? Nun, die Antwort liegt eigentlich auf der Hand. Klara ist viel zu dünn. Ihr Kleidungsstil entspricht nicht den gewohnten Standards der Schule. In vielen Augen kommt ihr Verhalten sehr eigen entgegen. Sie sei angeblich seltsam, zu sehr verschlossen. Verrückt. Einer hat sie sogar als ‚durchgeknallt' betitelt. Der Grund? Keine Ahnung. Ich habe es nicht mitgeschnitten. Will es zudem nicht.
„Lumpie! Wie schön, dich wiederzusehen. Hast wohl gedacht, du könntest dich einfach so verziehen?" Victor setzt sich neben sie. Hat wieder sein widerliches Grinsen auf den rissigen Lippen. „Da hat's Geld wohl nicht für'n normalen Pulli gereicht, was? Warum überhaupt so'n Scheiß? Gab's keine Säcke mehr, die man als Shirt hätte verwenden können?" Sie lachen. Die meisten, weil sie selbst kein Opfer werden wollen. „So'n Kartoffelsack würde dir viel eher steh'n. Der hat wenigstens Farbe." Seine vor Spott schimmernden Augen erfassen ihre dünne Gestalt. Klaras Finger schweben nicht mehr über das Display. Sie starrt einen uns unbekannten Punkt an. „Sag' mal, schläfst du zufällig bei den Pennern am Bahnhof oder warum riechst du so, als wärst du gerade frisch von einer Müllhalde gekommen?"
„Dass er's einfach nicht lassen kann", murmelt Elias und schüttelt den Kopf. „Schon ihre Arme gesehen? Trägt nicht ohne Grund einen Pullover." Er sieht nicht vom Spiel auf. Ich kaue auf der unteren Lippe herum. Es ist also schon wieder passiert. Ich senke ein wenig den Kopf und steuere keine Antwort bei. Es ist nicht mehr erträglich. „Ist schon krass, dass einfach niemand 'was macht."Niemand will selbst das Opfer sein. Er sieht kurz auf. „Hast du nachher 'n Kugelschreiber für mich?"
Warum wohl? Weil niemand sich traut. Mann, jeder hat Angst. Ist doch verständlich. Ich beginne, die Sachen auszupacken. Lege keine Antwort bei. Wühle wortlos einen Stift aus dem Federmäppchen und reiche ihn an Elias weiter. Er nimmt ihn dankend an und legt ihn zu dem Notenheft. Elias ist ein leidenschaftlicher Geigenspieler. Er kann ziemlich gut spielen.
„Keinen Bock, mit mir zu reden, Kloretta? Nimm ich dir echt persönlich." Er setzt sich grinsend neben sie. Stupst sie grob an, sodass das Mädchen zusammenzuckt. „Ey, ganz ehrlich. Dein Sitzplatz ist hinterm Raucherplatz. Die sind für dich offen." Victor lässt den verächtlichen Blick über sie schweifen. „Ach, sag' bloß: Ist dir kalt? Frierst dir den nicht vorhandenden Arsch ab?" Es geht immer so weiter. Ich kann kaum hinsehen. Man sieht es Klara an. Sie hat aufgegeben. Sich selbst. Sie kann nicht mehr. So lange hat sie auf Biegen und Brechen diese Mauer aufrechterhalten. Jetzt ist es Zeit, sie zum Einstürzen zu bringen. Ihr fehlt die Kraft.
„Zehn Minuten", meint Elias beiläufig und spielt weiter. Über Klaras rechter Wange – eingefallen und blass – läuft eine schimmernde Träne. Kein Wort weicht über ihre Lippen. „Dann hätte sie vorerst Ruhe." Ich lenke den Blick weg. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass nahezu jeder stumm geworden ist. Victor hat es bemerkt. Er lässt von Klara ab. Dreht sich zur Tür. Es steht kein Lehrer in der Tür. Es ist Mikołaj, der da aufgetaucht ist. „Wer ist das? Ist das einer von Vics Freunden? Sieht zumindest danach aus." Es wird spannend. Er wird es unterbinden, da bin ich mir sicher. Immerhin weiß er, was geschieht, wenn man andere Menschen an den Rand der Verzweiflung treibt. Ihre empfindlichste Stelle ständig angreift. Und nicht mehr locker lässt. Er hat bestimmt seinen Bruder vor Augen.
„Was zur Hölle machst du hier? Verpiss dich, Mikołaj. Is' nichts für dich." Victor ist aufgestanden, als sich der Neunzehnjährige zu ihm begeben hat. Ich kann erkennen, wie bei ihm das innere Gleichgewicht verloren gegangen ist. „Es sei denn, du machst mit. Dann hast du 'was gut bei mir. Zeig' mir 'mal, was in dir steckt, Kollege." Da ist es wieder, das schreckliche Grinsen. „Lumpie hat's nicht anders verdient. Die is' nichts wert." Ein erschrockenes Räuspern kommt aus einer Richtung, als Mikołaj Victor am Kragen des Shirts packt und ihn Richtung Wand stößt. Ich blinzele langsam. Beobachte die Szene. So gebannt wie die anderen von uns. „Alter, du Pisser! Was soll dieser Scheiß?!"
„Mir war von Anfang an klar, dass du armseliges Arschloch genau die Kategorie von Mensch bist, die andere bis zum geht nicht mehr abfuckt." Es ist dieser Ton, der mich leicht erschaudern lässt. Die tiefe Stimme, stählend vor Zorn. „Meinst, sie schikanieren zu müssen. Und wozu? Nur damit du widerlicher Pisser deine Eier beweisen kannst, die du offensichtlich nicht hast? Weil du einen Status haben willst?" Die Reaktion ist unglaublich. Er wehrt dem Schlag von Victor ab, indem er seinen rechten Arm umklammert und an die Wand drückt. „Wag' es ja nicht, mein Freund. Du hast keine Ahnung, mit wem du dich da anlegst. Überleg's dir genau." Man hätte es mit einem Ableger von genau der Person zu tun, die das frühere Leben meines Vaters beinahe ruiniert hat. Einem Typen, der über einen Jahrzehnt von einer gefährlichen Droge abhängig gewesen ist.
Victor wird es nicht kapieren. Sobald jemand es wagt, an seiner Position zu zweifeln oder sie gar infrage zu stellen, werden Gegenmaßnahmen eingeleitet. Ganz auf Kosten des Opfers. Jeder Weg, jedes Mittel sei recht. Victor gibt darauf, auf gut Deutsch gesagt, einen Scheiß.
„Was willst du Witzfigur machen, hm?" Ein kräftiger Stoß seitens des Größeren, und Mikołaj taumelt ein paar Schritte nach hinten. Stößt am Tisch. Keine verzogene Miene. Nur ein funkelnder Blick zu Victor. „Du Zwerg? Kommst doch nicht 'mal an meine Brust hoch." Er lacht hämisch los. „Los, verpiss dich, bevor ich mir's anders überlege." Er denkt nicht einmal daran. „Hast mich verstanden, Arschloch? Du hast doch selbst gesagt, du könntest deutsch oder bist du so'n Polacke, der nichts versteht?" Er baut sich vor Mikołaj auf. Starrt ihn erbost an. „Hau' ab. Das ist deine letzte Chance." Victor hat den Ton ein wenig gesenkt. Ich tausche mit Elias einen wortlosen Blick aus. Niemand sagt mehr etwas.
„Lustig." Mikołaj mag zwar zwei Köpfe kleiner sein als Victor, aber diese Bewegung, die er nun ausführt, ist so unglaublich, dass sie mir den Atem geraubt hat. Eine geschickte Technik, und Victor liegt auf dem Boden. Den rechten Arm auf dem Rücken verdreht, das rechte Knie des Polen auf dem unteren Rücken von Victor. Dem entflieht ein keuchender Laut. Windet sich. Wedelt mit dem anderen Arm, nur Mikołaj denkt nicht daran, von ihm abzulassen. Er dreht den Arm mehr auf den Rücken, sodass Victor kurzzeitig die Schmerzen signalisiert. „Du hast mir wohl nicht zugehört? Ich kann sogar sehr gut Deutsch, immerhin kommt meine Mutter aus Deutschland." Mikołaj knickt das Handgelenk ab, und Victor schreit für eine Sekunde. „Ach, Victor. Wann wirst du es kapieren? Ich glaub', bei dir hilft nur Gewalt." Er mustert sein Gegenüber. „Ich lasse dich jetzt los, okay? Dann verschwindest du ganz schnell zu deinem Unterricht. Sollte ich mitkriegen, dass du wieder jemanden grundlos fertigmachst, werde ich es mit dir tun. Und das wird nicht nur dabei bleiben." Eine ruckartige Bewegung. Wieder ein Schrei. „Keine Angst: Das Gelenk ist nicht durch. Da fehlt noch etwas." Mikołaj räuspert sich und lässt von Victor ab. „Unterschätze niemals kleine Leute. Ich finde immer einen Weg, dich auf Augenhöhe zu bringen." Er hilft ihm nicht auf. Schaut zu Klara. „Sollte er's wieder tun, kannst du gerne zu mir kommen. Ich werd's ihm zur Not in den Kopf prügeln." Mikołaj wartet nicht, stiehlt sich an unsere Musiklehrerin vorbei. „Entschuldigen Sie die kleine Unannehmlichkeit. Ist nicht meine Absicht gewesen, Ihren Unterricht unnötig hinauszuzögern." Ein freundliches Lächeln, und er ist wieder verschwunden. Ich stoße die angehaltene Luft aus. Das muss ich erst einmal sacken lassen. Die Szene neu abspielen. Wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat.
Wir werden aufgefordert, die ursprünglichen Positionen einzunehmen. Victor hat sich zähneknirschend aufgerappelt und ist wenig später gegangen. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Aktion nicht ungeschoren bleibt. Sein Stolz ist verletzt. Den will er wieder neu aufbereiten. Der arme Typ, denke ich, während ich den Block aufklappe. Klassik. Merkmale einiger selektierter Lieder. Darunter der Aufbau eines Schemas, das ich nicht ganz verstanden habe. Dem wird es noch leidtun. Victor, du hast keine Ahnung, mit wem du dich da anlegen wirst. Zwölf Jahre Kampfsporterfahrung. Trainiert von einem einstigen Verbrecher. Das wird nicht nur bei blauen Flecken bleiben.
Mikołaj ist das Gesprächsthema geblieben. Bis zur Mittagspause. Ich habe es endlich geschafft, mich umzuziehen und die Sachen in die Tasche zu stopfen. Wie Laufen gewesen ist? Eigentlich recht gut. Ich bin die Erste gewesen. Damit muss man sich nicht rühmen, vor allem wenn man bedenkt, dass ich im Anschluss wie eine überreife Tomate ausgesehen habe. Man hätte eine Sauerstoffflasche bereithalten sollen. Ich habe angenommen, ich kippe binnen weniger Augenblicke um. Man hätte mich gut und gerne von der Tartanbahn kratzen können. Wenigstens habe ich diesen Scheiß überstanden und mir wertvolle Punkte geholt. Die Dusche hat gutgetan. Ich fühle mich erfrischt und entspannt. Die Haare hängen wie dunkler Seetang vom Kopf herunter, während ich durch den Haupteingang nach draußen gehe – Tasche auf dem Rücken, den Sportbeutel in der einen Hand. Ich habe mich beeilt, extra für den attraktiven Polen. Nebenbei habe ich über Victor nachgedacht.
Es scheint wohl der Wille des Schicksals zu sein, dass ausgerechnet dieser Kerl erneut aufgekreuzt ist. Nur, um Mikołaj zu beweisen, wer hier der Chef im Hause ist. Ich bin etwas entfernt stehen geblieben. Traue mich nicht, näher heranzugehen. Ich kann aber jedes Wort vernehmen.
„Fühlst dich wohl krass mit Papis Audi, was?", beginnt er, Mikołaj zu provozieren. Der Neunzehnjährige raucht seelenruhig weiter, tröpfelt vereinzelt die Asche auf den Boden. „Junge, ich red' mit dir." Er nimmt ihm die Zigarette ab. Wirft sie weg. Mikołaj starrt ihn schweigend an. „Was stimmt mit dir nicht? Kannst du mir das 'mal sagen? Ey, ohne Scheiß. Nur weil du hier der Neue bist, heißt das noch lange nicht, dass du aufmucken musst, klar?" Nur wenige Zentimeter trennen die beiden. „Ich zeig', wo der Hase langläuft. Nicht du, kapiert?" Keine Antwort von Mikołaj. Victor verliert die Geduld. „Du verdammter Hurensohn. Jetzt gib 'ne Antwort oder ich polier' dir die Fresse!"
Mikołaj zuckt mit keiner Wimper. Wendet sich von Victor ab und sieht zu mir. Ein kleines Lächeln huscht über seine Lippen, und er winkt mir zu. Ich setze nur ein paar Meter zu ihm. Victor überrascht ihn mit einem gemeinen Angriff. Der Neunzehnjährige zuckt in sich zusammen und fasst sich für ein paar Sekunden an den Bauch. Davon lässt er sich nicht beirren. Victor nimmt dies als Anlass. Nur: Mikołaj setzt sich zügig zur Gegenwehr. Ein, zwei Schläge, und Victor ist nach hinten gewichen. Die rechte Schläfe ist etwas aufgeplatzt, sodass ein roter Punkt hervor blitzt.
„Du willst mich nicht kennenlernen, Kollege." Der Pole nimmt die persönlichen Gegenstände aus den Hosentaschen, legt sie auf die Motorhaube des schwarzen Audis. „Hau' ab." Ich sollte einschreiten, bevor es zu Schlimmeren kommt. Aber ich wage es nicht. Zu groß ist die Angst, selbst in die Auseinandersetzung zu geraten.
„Die Abrechnung kommt jetzt." Victor ist ein sehr geschickter Kämpfer. Ich habe mir einige seiner Trainingseinheiten angesehen – brutal, skrupellos, gemein, hinterhältig. Er weiß um die Schmerzpunkte eines Menschen. Und die erreicht er eigentlich immer. Dieses Mal jedoch nicht. Seine Abfolgen sind sauber. Flink. Wie ein harmonischer Partnertanz. Zielsichere Ellenbogenschläge, Tritte. Mikołaj, der jedes Mal erfolgreich ausweicht und selbst ansetzt. Er kassiert selbst Treffer, nur dort, wo sie ihn nicht hemmen. Victor blutet bereits am Mund. Ein fieser Schlag von Mikołaj unmittelbar auf die Zähne. Wenn man sehr genau hinsieht, kann man blasse rötliche Schlieren auf den Fingerknöcheln erkennen.
„Mir reicht es mit dir!", erhebt Mikołaj die Stimme und bringt Victor nach genau acht Minuten mit einem sicheren Tritt zu Boden. Er hält sich die Nase. Hat sich auf die Seite gedreht. Selbst der Pole blutet. An der unteren Lippe, an der linken Schläfe. Auf der rechten Wange. „Kapier' es endlich, dass ich dich fertigmachen kann. Meine Fresse, ich habe keine Lust, dich krankenhausreif zu prügeln." Er beugt sich über Victor. Reißt ihn grob auf den Rücken. Achtet sehr darauf, nicht von den Beinen getroffen zu werfen. „Ein letztes Mal, Victor. Und ich werde mich nicht mehr wiederholen. Lass' Klara in Ruhe und komm' von deinem hohen Ross 'runter. Kapier', dass du nicht das verdammte Alphamännchen dieser beschissenen Schule bist." Ein finaler Schlag, sodass Victor brüllt. Mehr Blut strömt aus der Nase. „Hör' auf zu heulen. Die Nase ist nicht durch, du Idiot." Er wischt die Hand an der Hose ab. „Jetzt verpiss dich und verschwende nicht meine Zeit."
Eine klare Verbindung zu ihm. Ich werde dieses Bild nicht mehr los. Wie hypnotisiert, wie ferngesteuert begebe ich mich stillschweigend zu Mikołaj, der mir die Beifahrertür offenhält. Er nimmt mir die Sachen ab, nachdem ich erkannt habe, wie er seine Gegenstände eingesteckt hat. Er schert sich nicht darum, dass Victor sich nicht mehr aufrichten kann, dass das Blut zwischen den Fingern hervorquillt. Dass er gelegentlich vor Schmerz jammert. Mikołaj räuspert sich herablassend und schließt den Kofferraum. Lässt sich anschließend auf dem Fahrersitz nieder. Schüttelt den Kopf.
„Was auch immer du jetzt von mir denkst: Ich bin nicht immer so. Das ist eine absolute Ausnahmesituation." Er hält ein wenig inne, als ich nach seiner rechten Hand greife und die nahezu unsichtbaren Flächen mustere. „Das ... werde ich nachher saubermachen. Man muss nicht unbedingt darauf kommen, dass ich das gewesen bin." Ich lasse seine Hand nicht los. Es fühlt sich gut an. Richtig. Als würde ich einen kostbaren Schatz halten, den ich unter keinen Umständen loslassen will. „Jess? Ist alles gut?" Er macht nichts. Keine Anzeichen, dass ich seine Hand freigeben soll.
Ich glaube, es liegt an diesem Lied, dass die Atmosphäre sich auf einmal verändert hat. Ja, das wird es wohl sein.
„Du ... erinnerst mich ganz stark an jemanden", murmele ich kaum hörbar. Die Hand ist viel zu warm. Ich hege die Befürchtung, dass die Handinnenfläche schwitzig ist. „Und ... du bringst mich ziemlich durcheinander." Die Mundwinkel zucken, als Mikołaj in den Innenspiegel linst, meine Hand abschüttelt und den Wagen in Bewegung setzt. Er achtet darauf, einen großzügigen Bogen um Victor und seinen Freunden zu fahren. Ein röhrender Laut, als der schwarze Panther über den Parkplatz pirscht und in die linke Richtung jagt. Ein Radfahrer hat rechtzeitig abbremsen müssen, und drei Passanten sind hastig auf den Gehweg zurückgesprungen. Ich schnalle mich eilig an. Starre etwas besorgt nach vorn. Ein paar Zweifel wollen mich quälen. Habe ich etwas Falsches gesagt? Glaube schon.
Warum muss ich immer alles falsch machen?
„Das sieht gut aus." Anstelle des Take-aways ist er in eine Seitenstraße abgebogen. Es gibt hier einen sehr kleinen Parkplatz, ausreichend für drei Fahrzeuge. Wenn ich ehrlich bin, habe ich diese Straße bisher nie wahrgenommen. Und die befindet sich quasi neben unserer Schule. Mir fällt erst jetzt auf, dass es hier ein kleines Lokal gibt, das ungarische Waren zum Verkauf anbietet. Der weiße Transporter ist immerhin in diesem Land zugelassen worden.
Minuten der Stille verstreichen. Ich habe den Gurt entfernt. Mikołaj ebenfalls. Die Musik ist leise gestellt. Es ist das gleiche Lied von eben. Anscheinend muss er es vorher auf Dauerschleife gehört haben. Ich wage es, ihn anzusehen. Seinen ruhigen Blick zu erwidern. Höre, wie das Eis unter meinen Füßen knackt und allmählich rissig wird. Für ihn würde ich in der bodenlosen See abtauchen und nie wieder hochkommen.
„An wen?" Er schaut zum Transporter, dann zum Lokal. Betrachtet die aufgebauten Stände mit den Holzkisten und dem vielen Obst in ihnen. Ich sage nichts. „Sag' mir, an wen ich dich erinnere." Kein Drängen, kein Fordern. Erneut keine Antwort. „Ist es Jakub Zsaskaski?" Ich straffe sehr leicht die Schultern. „Ich hab' gewusst, dass du noch so schnell dahinterkommst. Du bist nicht so wie die anderen. Du bist anders." Er legt seine wahre Identität preis. Nach genau einem Tag. Weil er bereits geahnt hat, dass uns mehr verbindet als die anderen denken. „Ich hab' gestern ein paar Fragen bekommen, weil den anderen diese Ähnlichkeit aufgefallen ist. Anders als bei dir habe ich ihnen erfolgreich verklickern können, dass es nur ein dummer Zufall ist." Der Neunzehnjährige lehnt sich zurück. „Er ist mein Vater. Nowak ist daher nicht mein richtiger Nachname." Mikołaj will meine Hand ergreifen, aber ich ziehe sie zurück. „Er hat mir all die Techniken beigebracht. Die haben mich bestimmt verraten. Genau wie die Scheißaugenfarbe." Ich höre, dass er gerne lachen will. „Ich weiß nicht, was du über meinen Vater weißt, aber ich kann dir sagen, dass er nicht mehr so ist. Er ist ein völlig anderer Mensch geworden." Mikołaj holt sein Handy hervor. Zeigt mir das Bild, welches mir gestern aufgefallen ist. Ich werfe einen Blick auf das Display. „Das ist seiner. Der Porsche. Und das ist er." Die gleiche Körpergröße. Die gleiche Haarfarbe. Die nahezu identische Statur. Ich habe ihn nie so glücklich lächeln gesehen. „Er hat mir erzählt, dass er nach der Festnahme von Larkin nach Polen gegangen ist, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Warum genau, weiß ich nicht. Ich habe mich belesen, natürlich ohne, dass es mein Vater weiß. Er erzählt mir nichts über sich. Ich sei angeblich noch nicht bereit für die Wahrheit." Ich starre meine Knie an. „Er ist drogenabhängig gewesen. Viele Jahre lang. Jetzt kriege ich kaum mehr davon mit. Manchmal flippt er grundlos aus oder ist ziemlich ungeduldig."
Sämtliche Zweifel sind fort. Eigentlich könnte ich mein Geheimnis offenlegen. Also verbindet uns mehr, als uns eigentlich lieb ist.
„Pass' 'mal auf", meine ich bloß und hole mein Smartphone hervor. Rufe ein ganz bestimmtes Bild auf. „Wenn du denkst, du könntest mich damit schocken, werde ich dir das Gegenteil beweisen." Ich händige es ihm aus. „Ich weiß, dass du ihn kennst." Ich erwidere Mikołajs großen Blick, nachdem er mich anschaut. „Niemand außer Elise weiß es. Es dient zu seiner Sicherheit. Mein offizieller Nachname ist nicht Evert. Das ist Blödsinn. Das ist nur der Mädchenname meiner Mutter." Kein Lächeln. „Glückwunsch, Mikołaj. Jetzt hast du die einmalige Chance, ein Familienmitglied des berühmt berüchtigten Händler Larkins zu treffen. Toll, was?" Ich nehme es ihm wieder ab. „Er wird mich umbringen, wenn er erfahren wird, dass ich dir eins seiner wichtigsten Geheimnisse verraten habe." Es hat ihm die Sprache verschlagen. „Heute Morgen habe ich ihm von dir erzählt. Ich habe keine Geheimnisse vor meinem Vater, weil er hinter jedes kommt. Lügen bringt genauso wenig. Er durchschaut jede. Du seist der Sohn seines Feindes. Dein Vater hätte angeblich das von meinem bis auf den Kern ruiniert. Deine Mutter soll wohl Mitschuld am Urteil haben." Ich seufze leise. „Ich weiß, was du denkst. Wie kann es sein, dass er trotz des Urteils auf freiem Fuß ist? Sein ehemaliger Freund, Julien Veauchettes, falls dir der Name etwas sagt, hat dafür gesorgt. Er hat ihn sozusagen aus dem Knast geholt. Das hat mir zumindest meine Mutter gesagt, als ich da nachgefragt habe. Julien ist vor ein paar Jahren verstorben. Ich habe keine Idee, woran oder wie." Ein Schulterzucken. „Wir sind wohl 'was Besonderes." Ich ziehe ein Taschentuch aus der Packung, die ich in dem Seitenfach gefunden habe. Ohne Hintergedanken beuge ich mich zu ihm und tupfe behutsam auf der Wunde. Mikołaj fährt kaum merklich in sich zusammen. „Sorry." Ich halte inne.
„Nein ... Es ... ist okay." Er ist durcheinander. Wie ich. „Ich brauche nur ... einen Moment." Also mache ich weiter. Konzentriert und doch in Gedanken versunken. „Und das ist wahr? Entschuldige, falls es sich so komisch anhört." Jetzt verlässt ihn ein unsicheres Gelächter. „Ich mein', das ist keine so kleine Sache. Einfach 'mal behaupten, du seist die Tochter eines nach wie vor gesuchten Drogenhändlers."
Jetzt ist es so oder so egal. Diese Beichten werden uns verbinden. Wie ein Seil, das so viele Knoten hat, dass man es einfach nicht mehr lösen kann. Da würde nicht einmal eine Schere behilflich sein. Jetzt gerade sehe ich ihn mit anderen Augen. Komisch; die Gefühle lassen nicht nach. Nein, eher im Gegenteil – sie gewinnen an Kraft.
„Ist verständlich. Elise hat mir auch nicht geglaubt, bis ich sie mit nach Hause genommen habe. Natürlich mit Einverständnis meines Vaters. Elise ist die einzige Person, der er vertraut." Ich lasse das benutzte Tuch sinken. Knülle es in der Hand zusammen und stopfe in die Hosentasche. „Man muss es mit eigenen Augen sehen. Aber ... Du wirst nicht zu mir kommen. Ich hab' echt Angst, dass da 'was passiert. Mein Vater weiß, dass du der Sohn von Jakub bist. Er ist nicht gut auf ihn anzusprechen. Ganz scharfer Dorn. Wie ich vorhin gesagt habe." Ich erwidere seinen aufmerksamen Blick. Ich kann mich gerade noch am Rand der Bruchstelle festklammern. Allerdings realisiere ich, wie die Kräfte aus mir schwinden. Nicht wegen der Kälte. Es ist die Tiefe, die nach mir ruft. Ich soll mich fallenlassen und nicht versuchen, wieder zu der Oberfläche zu schwimmen.
„Ich frage am besten nicht nach, warum das so ist." Mikołaj streicht flüchtig über meine linke Hand. Ein eigenartiges Kribbeln wird hinterlassen. „Einerseits ist es völlig nachvollziehbar; die Vergangenheit prägt einen mehr, als man selbst zugeben will. Lässt sich nicht leugnen." Ich werfe einen knappen Blick auf den Boardcomputer. Ob es um eine Frau namens Kosandra geht? So lautet zumindest der Titel. Ich frage mich gerade, ob dieser Sänger über eine alte Beziehung singt, die er nicht richtig verarbeiten kann. Er kann nicht abschließen. „Weißt du, gerade hab' ich echt das Bedürfnis, so'n bisschen nachzuforschen, was meinen Vater angeht. Kann doch nicht sein, dass ich quasi nichts über ihn weiß." Er blinzelt langsam. „Da muss irgendwas zwischen unseren Vätern passiert sein. Sonst würden die sich nicht so aufführen."
Ich bin hin- und hergerissen. Gefangen in einem Strudel aus Gefühlen und Gedanken. Ich will ihn abflauen lassen. Mich in die Realität zurückholen. Mir vor Augen führen, dass der Neunzehnjährige nach wie vor ein Heranwachsender ist, der einen bedenklichen Verschleiß an Mädchen hat. Er wird mich genauso behandeln. Und gerade die Tatsache, dass er nun weiß, wer ich wirklich bin, wird mich noch tiefer in den Sturm stoßen, sodass ich im Endeffekt nicht mehr aus ihm herauskommen werde.
„Können wir doch machen", murmele ich. Ich will ihn umarmen, mich an ihn kuscheln. Will, dass er mich nicht mehr loslässt. Das ist ein absurdes Wunschdenken. „Hauptsache, sie kriegen es nicht mit. Ansonsten sind wir mächtig am Arsch." Ich werde seine nächste Spielfigur sein. „Wollen wir ... nicht so langsam weiter? Wir haben noch Unterricht." Ich habe keine Lust auf die letzten beiden Stunden. Mikołaj hat seine Sachen bei sich, ich ebenfalls. Theoretisch könnten wir schwänzen. Ich hätte damit kein Problem.
„Das wird die Schwierigkeit sein." Mikołaj zeichnet die Form des Lenkrades nach. „Der wird schneller dahinterkommen, als man denkt." Ein leiser Seufzer. „Ach, scheiß' doch drauf, ganz ehrlich. Ich kann auf den Scheiß verzichten. Braucht eh keine Sau. Chemie kommt nicht in meinen Abschluss. Oder doch? Jedenfalls krieg's ich auch so gut hin." Er startet den Motor. Weckt das schwarze Tier, das es kaum erwarten kann, über den Asphalt zu laufen. „Wollen wir zu mir oder würde dein Vater dich dafür umbringen?"
Ich lächele schief.
„Wir können gerne zu dir. Ich habe heute nichts mehr vor." Lehne mich zurück und stelle mir viel zu viele Szenen vor. Das Schlimme: Sie sollen sich realisieren. Ich will einer der Darsteller sein. Zusammen mit dem hübschen Jungen. „Wird er nicht. Mein Vater ist zu überfürsorglich." Mikołaj lenkt das Ungetüm aus der Seitenstraße. Schleicht quasi. „Wie kann es eigentlich sein, dass niemand dir auf die Schliche gekommen ist? Ich meine, dein Vater ist doch bestimmt verheiratet. Ist da nicht in den Dokumenten sein Name oder läuft das alles über deine Mutter?"
Mikołaj sieht zu beiden Seiten.
„Du bist immerhin seine kleine Prinzessin. Ist kein Wunder." Ein Anflug eines Lächelns. „Überrascht mich nicht. Ist auch sein gutes Recht." Und er biegt auf die Hauptstraße ein. „Dann machen wir einen halbwegs Entspannten bei mir und können ja schon 'mal anfangen, ein paar Nachforschungen anzustellen." Die Musik wird lauter gestellt. „Lustig. Genau das habe ich mich gerade bei dir auch gefragt. So wie ich's mitgekriegt habe, laufen die Standardsachen über meine Mutter. Mein Vater kümmert sich um die finanziellen Angelegenheiten. Ich will nicht wissen, wie er jedes Mal an diese Unsummen von Geld herankommt. Legal wird's nicht sein." Wenigstens sind die Wunden vorerst versiegt.
Ich gehe nicht auf das Erste ein.
„Mein Vater hat sich sozusagen eine weitere Identität angeeignet. Er gibt sich zusätzlich als Maximilian Hübler aus. Er hat quasi zwei Personalausweise, originale wohlbemerkt. Zwei Führerscheine und so. Alles in doppelter Ausführung. Er ist schon ein paar Mal in eine Kontrolle geraten. Die haben keinen Verdacht geschöpft. Aber er ist trotzdem extremst vorsichtig." Ich sehe nach draußen. „Ich finde es ziemlich schön von dir, dass du Victor 'ne Lektion verpasst hat. Hoffentlich kapiert er's jetzt. Klara hat schon so Vieles einstecken müssen."
„Auch nicht schlecht." Er hält sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. „Prävention ist alles. Ich kann's verstehen. Aber so'n Leben will ich persönlich nicht führen. Man hat ja ständig Angst, entdeckt zu werden." Er nimmt eine Hand vom Lenkrad. „Anders wird er's nicht kapieren, dieses dumme Stück. Wenn's sein muss, werde ich ihn ins Krankenhaus bringen. Als nette Geste werde ich den Chauffeur spielen." Ein tiefer Atemzug. „Ich wünsche ihr das Beste. Ich hoffe echt, dass sie sich Unterstützung sucht. Sie kann zumindest auf mich zählen."
Ein Mensch mit zwei Wesen in sich.
„Pass' trotzdem auf, dass du dir keinen Ärger einhandeln wirst", erwidere ich leise und merke mir den Titel des Liedes. „Hm. Du scheinst wohl gerne diesen Miyagi zu hören, was?"
„Pff, dann regeln wir die Sache nach der Schule. 'Ne Anzeige wegen einer bescheuerten Körperverletzung? Dann wäre er die absolute Pussy, die mir je unter die Nase gekommen ist." Er hält hinter einem Bus. „Also wenn du 'was anderes hören willst, musst du es nur sagen." Dieses Mal bleibt das Lächeln auf den Lippen sitzen. „Ja. Seine Lieder decken echt eine breite Palette ab. Gerade das vorherige Lied könnte ich mir stundenlang anhören. Es ist sehr gefühlsvoll und nimmt einen mit."
„Hätte ich von dir nicht erwartet."
„Ich glaube, das wird niemand von mir erwarten, wenn man mich sieht", sagt der Neunzehnjährige leise lachend. „Ich bin laut Mitschülern der absolute Polackengangster. Frisch aus'm Ostblock." Wir lachen beide. „Für die Schule sind die Raps gut, aber privat ... Da lege ich viel mehr Wert auf etwas Gefühlvolles. Hauptsache, kein Deutsch."
„Oh, warte. Da hätte ich ein ganz gutes Lied für dich. Möchtest du es 'mal hören? Vorausgesetzt, du kannst dir ab und zu Englisch geben." Dass ich jedoch etwas anderes beabsichtige, ahnt der Pole nicht.
„Klar, sehr gern. Zeck' dich ins Auto." Er nimmt sein Handy, während er fährt. Trennt die Verbindung, damit ich sie stattdessen aufnehmen kann. „Du müsstest ihn schnell finden."
„Hab' gerade." Ich bestätige die erschienen Felder. Nun sind sämtliche Daten von mir im Fahrzeug gespeichert. „So, mein Guter. Jetzt wirst du lernen, wofür die deutsche Musik steht." Lautstärke vierzig. Der schlechte Bass passt zumindest. „Was auch immer du sagst: Es ist egal." Es ist das Lied der Lieder. Welches dafür sorgt, dass man ein ganz bestimmtes Wort nicht mehr normal lesen kann. Ich fange an, ausgelassen und schief mitzusingen, sodass Mikołaj anfängt, lauthals zu fluchen und sich über das Lied aufzuregen. Manchmal gehen die Worte in einem kurzen Brüllen unter.
„Willst du mich ..." Und ich grätsche mit dem Wort dazwischen. „Das ist nicht egal!" Er lässt den Kopf auf das Lenkrad fallen. „Ich brauch' Hilfe! Mann!" Mikołaj zieht eine genervte Miene. „Wer zum Fick denkt sich so einen Scheiß aus? Alter, das Lied grenzt an akustische Vergewaltigung. Und du singst genauso beschissen wie er!"
„EGAL!"
Er knurrt genervt.
„Nein, das ..." Ich lasse mich nicht beirren. Singe den Refrain nach. „Ich brauch' dringend 'ne Nummer gegen Selbstmord. Ich hab' das Verlangen, aus'm Auto zu springen." Er ändert nichts. „Jess? Du machst dich unsympathisch bei mir."
„EGAAAL!"
„Ja, das war mir klar, dass dieser Rotz kommen muss." Mikołaj verdreht die Augen. „Du brauchst definitiv Hilfe." So geht es die ganze Fahrt zu seiner zeitweiligen Wohnung über weiter. Ich lache und singe, während Mikołaj murrt, sich beklagt und mich beleidigt. Und sich nebenbei über den Sänger aufregt.
Dieses Mal habe ich für einen Augenblick all die Gedanken und Gefühle vergessen, sodass ich ganz kurz dem Sturm habe entfliehen können.
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