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09 - Kein Verständnis

„Ich habe den Abend mit dir sehr genossen. Ich finde, dass wir ihn auf jeden Fall wiederholen müssen." Er händigt mir das Handy und das Portemonnaie aus, nachdem ich die Schuhe zugebunden habe. „Ist viel zu schnell vergangen." Er sieht mir zu, wie ich mich aufrichte und ihm die Sachen abnehme. „Warum bist du eigentlich so gut darin? Ich hab's dir nicht 'mal richtig erklärt, und trotzdem hast du mich mehrfach fertiggemacht. Find' ich nicht so schön." Sein Lächeln ist umwerfend.

„Find' ich auch. Wir können uns ja morgen oder die Tage wiedersehen, sollte dir morgen zu früh sein. Keine Ahnung, lass' mich es wissen. Ich werde schauen, ob's bei mir passt." Das Smartphone bleibt in der Hand. Der Autoschlüssel baumelt um den rechten Zeigefinger. „Ich hab' eh das Zeitgefühl verloren, also daher." Ich lache leise. Inzwischen ist es sogar halb elf. „Ich lerne schnell und kann Neues zügig umsetzen. Und ich hab' so'n bisschen Ehrgeiz gehabt."

„Ich sag' Bescheid." Ich finde es nach wie vor lustig, dass Mikołaj sich eine Partypizza bestellt hat und sie sogar bis zur Hälfte geschafft hat. Die Reste würde er morgen früh konsumieren. Oder mit in die Schule nehmen. „Hab' ich schon gemerkt. Beim nächsten Mal werde ich gewinnen." Schweigen. Nicht peinlich oder eine Art von Stille, die um jeden Preis vermieden werden soll. „Ich glaub', mit einem gemeinsamen Spiel an der PS4 wird's wohl nichts mehr, hm? Ist schon spät."

Ich winke ab.

„Glaube sogar schon. Eine Nacht kann ich auch 'mal durchmachen." Ich erwidere seinen entspannten Blick. „Eine Partie wird drinnen sein." Wie sauberer Schnee, in welchen man einen schwarzen Stein geworfen hat, der nicht gänzlich in der Masse versunken ist. „Wenn ich dich adde, kannst du dich bereit halten." Mein Vater macht seit einer Stunde leichten Stress. Er will wissen, wo ich mich gerade aufhalte und warum ich nicht nach Hause komme. Mein Fehler ist es gewesen, nicht darauf zu reagieren. „Also dann, Mikołaj. Bis morgen in der Schule." Ich muss mich mächtig zurücknehmen, um ihn nicht zu umarmen.

„Ich werde eh wach sein." Auch er lächelt. „Aber klar doch. Ach und ... Meld' dich 'mal, wenn du zu Hause angekommen bist. Würdest mein Gewissen ein Stück beruhigen."

Ich mache einen Schritt zu der Treppe.

„Wird gemacht", versichere ich ihm und drehe ihm den Rücken zu. „Tschüss." Ich gehe los. Zwinge mich dazu, mich voll und ganz auf die Treppe zu fokussieren. Ich weiß, dass Mikołaj noch oben steht und solange wartet, bis ich das Mehrfamilienhaus verlassen habe. Auf einer Art finde ich es süß, wie er sich Gedanken um mich macht. Sollte man die so nennen können. Im Prinzip könnte es ihm immerhin egal sein, ob ich nun zu Hause bin oder nicht. Wäre da nicht die Überlegung, er könnte es zu jedem Mädchen schreiben, mit denen er etwas zu schaffen hat. Ich atme ruhig durch und sehe mich um. Es ist dunkel. Wolkenlos. Das Sternenzelt hat sich über mich ausgebreitet, und die schmale Mondsichel spendet fahriges Licht. Die meisten Laternen sind abgeschaltet worden. Viele Fenster der umliegenden Häuser sind blind. Niemand hält sich in der Straße auf. Es ist still.

Ich peile meinen weißen Wagen an. Als wir von der Pizzeria zugrückgekommen sind, hat Mikołaj mich dazu überredet, neben dem Audi zu parken. Allein schon der Anblick des Panthers könnte mein Herz höher hüpfen. Der schmale Heckspoiler ist ausgefahren, und das wenige orangefarbende Laternenlicht tänzelt über dem Dach und der Motorhaube. Ich werfe einen verstohlenen Blick zum Balkon. Besser gesagt, zu Mikołajs Wohnung. Sein Halbbruder ist seit halb neun bei ihm. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mir Oliver viel anders vorgestellt. Seine Haarfarbe zum Beispiel: Sie sind gerstenblond. Allein schon, wenn man ihm in das Gesicht blickt, kann man die Unterschiede noch deutlicher sehen. Seine Augen: Die sind grün. Intensiv grün. Das Gesicht ein wenig rund geschnitten, die Lippen nicht schmal. Er überragt Mikołaj um zwei Köpfe. Ich habe auf dem Balkon gesessen, als er in die Wohnung eingetreten ist. Der Neunzehnjährige hat sich kurz entschuldigt und ist zu seinem Halbbruder gegangen. Hat meinen Besuch zügig aufgedeckt. Er hat selbst nach mir sehen wollen. Mir ist es keineswegs unangenehm gewesen – wie Oliver beherrsche auch ich die gesellschaftlichen Standardfloskeln. Habe mich also kurz vorgestellt und seine Handvoll Fragen beantwortet. Er hat einen müden Eindruck gemacht. Die Ruhe sei ihm gegönnt.

Ich drücke einen Knopf auf dem Autoschlüssel und husche lautlos zu der Fahrerseite. Lasse den Nachmittag und den Abend Revue passieren. Spiele die angenehmen Konversationen im Kopf. Lächele augenblicklich los, während ich einsteige und vertraute Einstellungen vornehme. Und die Nachrichten meines Vaters ignoriere. Mikołaj hat mir beweisen können, dass er anders sein kann. Ein völlig normaler Junge ist, mit dem man gerne seine Zeit teilt. Er hat keinerlei Versuche unternommen, mich um den Finger zu wickeln.

Es ist lustig, dass Oliver davon ausgegangen ist, ich sei Mikołajs aktuelle Freundin. Ich habe verlegen gelacht und die Sache schnell geradegebogen. Selbst der Pole hat es automatisch überspielt und es korrekt klargestellt. Hat zudem angeführt, dass man sich innerhalb eines Tages nicht verlieben kann. Es würde Zeit in Anspruch nehmen. Wenn überhaupt, müsse man die Person richtig kennenlernen. Den Charakter kann man immerhin binnen eines Tages nicht vollständig erforschen. Ich bin ab dem Zeitpunkt in meine eigene Welt abgedriftet. Habe über die Antwort nachgedacht. Wahrscheinlich male ich mir zu viel aus, sodass diese ganzen Farben zu verwirrend sind. Bevor ich mir irgendeinen Mist ausdenke, an dem ich mich zu fest klammere, belasse ich es lieber.

Ich beginne, die provisorische Parkfläche zu verlassen. Die LED-Scheinwerfer vertreiben sämtliche Schatten. Stopp. Da habe ich eine Sache vergessen. Das Lied, welches mir Mikołaj geschickt und gleichzeitig gesagt hat, ich solle es erst anhören, sobald ich nach Hause fahre. Die Neugier beginnt, mich zu durchkämmen. Um was es sich wohl handelt? Ich öffne die Galerie und tippe auf das neue Lied. Russisch. Ich spitze ein wenig die Lippen. Inmitten all meiner englischen Lieder und einer überschaubaren Menge an deutschen sehen diese hieroglyphenartigen Buchstaben sehr merkwürdig aus. Ein Grund mehr, es abzuspielen.

Ich rolle währenddessen auf die kleine Straße. Fahre Richtung Osten. Wegen des Anfangs des Liedes lache ich unbeschwert los. Für mich ähnelt es einem typischen Trinklied. Ein dynamisches Tempo, eine leicht lallende Stimme, die insbesondere jedes Ende der Wörter lauter betont. Ich drehe die Lautstärke höher und nehme die vierzigminütige Fahrt auf mich. Ich begegne niemand auf der Straße. Zumindest nicht in den Seitenstraßen. Mir fällt ein, dass ich nachher das Tempo entsprechend drosseln sollte, sobald ich durch den Spreewald fahre. Ich habe es schon beinahe geschafft, ein zum Glück kleines Reh mitzunehmen.

Die Fahrt ist ohne Komplikationen verlaufen. Durch den Wald bin ich mit siebzig gefahren, teilweise mit fünfundfünfzig, weil ohne Vorwarnung zwei Füchse erst am Straßenrand gestöbert haben und über die Fahrbahnen geflitzt sind. Sogar ein Marder ist wie ein Blitz über die Straße geschossen und ist im Gebüsch abgetaucht. Na ja, immerhin habe ich auf der Autobahn etwas schneller fahren können. Aber nur, sofern keine LKW-Fahrer die rechte Spur befahren haben.

Mikołaj hat recht behalten. Eine Stelle des Liedes habe ich mir immer wieder angehört. Die, wo man unweigerlich angefangen hat, laut zu lallen, als würde man unter starkem Alkoholeinfluss stehen. Ich habe selten so lange gelacht. So kriegt man vierzig Minuten auch problemlos um. Dauerschleife und lachen. Das Stückchen Weg, das die meiste Konzentration beansprucht hat, habe ich unlängst hinter mir gebracht. Meine gute Laune allerdings kassiert einen mächtigen Dämpfer, als ich auf den Hof fahre. Ich habe vergessen, das Fenster hochzufahren oder die Musik leiser zu stellen. Oder mit dem Singen aufzuhören. Das Beste aber ist: Es ist die lustige Stelle, die gespielt wird, als ich meinen Vater bei seinem Monster sehe.

Ich glaube, mir ist noch nie etwas so dermaßen peinlich wie jetzt gewesen.

Mit erhitzten Wangen lasse ich das Fenster hochsausen, stelle den Motor und ziehe den Schlüssel zu mir. Steige wortlos aus dem VW und riegele ihn ab. Der Autoschlüssel verschwindet in einer freien Hosentasche. Ich würde liebend gern in mein Zimmer verschwinden. Oder Mikołaj schreiben, dass ich angekommen bin. Wäre das auffällig? Ja, mit höchster Wahrscheinlichkeit. Sollte ich am besten nichts tun? Sollte ich.

„Russisch? Seit wann hörst du denn solche Musik?" Er klingt leise. Kann seinen Ton in der rauen Stimme nicht deuten.

„Äh ... seit heute", antworte ich langsam und bleibe wie angewurzelt bei meinem Fahrzeug stehen. „Hab's gefunden. Wurde mir vorgeschlagen und ... Da habe ich eben 'mal 'reingehört." Kein Lächeln. „Was machst du hier draußen?" Er hat nicht vorgehabt, mit dem Monster zu fahren. Sonst hätte es zumindest die strahlenden Augen leicht geöffnet.

Mein Vater hat sich an das breite Heck gelehnt. Die starken Arme vor der Brust verschränkt. Ich kann die Konturen seines schmalen Gesichts ein wenig erkennen, dadurch, dass spärliches Licht in den Carport gelassen wird. Auch die tiefe Narbe in der unteren linken Gesichtshälfte, die seine Lippen ein wenig teilt. Er ist dunkel gekleidet.

„Den Abend genießen und auf meine Tochter warten, die meinen musste, sich nicht bei mir zu melden trotz mehrfacher Nachfrage." Er macht mir keine Vorwürfe oder klingt enttäuscht. Das ist seine Art, mir Schuldgefühle zu bereiten. Es gelingt ihm erneut. „Warum kommst du erst jetzt? Und wieso hast du meine Nachrichten ignoriert? Du weißt, dass du dich melden sollst, wenn ich dir schreibe." Es sind altvertraute Ängste, die ihn nicht mehr in Frieden lassen.

Ich hoffe inständig, dass er mir glaubt, dass ich mich angeblich bei Elise aufgehalten habe. Verdammter Mist. Ich hasse es, meinen Vater anzulügen. Normalerweise durchschaut er jede Lüge, die man ihm aufzutischen versucht.

„Ja, ich ... hab's eben vergessen, weil wir Musik gehört haben und zusammen gezockt. Wir ... haben die Zeit außer Acht gelassen." Wie schafft man es, zu lügen, ohne dass man von einem schlechten Gewissen geplagt wird? „Daniel, Elises Freund, hat uns Pizza spendiert. Wir haben uns über alles unterhalten. Da kann man schon 'mal das eine oder andere vergessen." Nein, warte. Tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Ich habe den Nachmittag bei Mikołaj verbracht, dem neuen Austauschschüler von uns, der schon drei Mädchen klargemacht hat und vermutlich dabei ist, bei mir das Gleiche zu tun. Wegen ihm fange ich außerdem an, russische Musik zu mögen. Von ihm habe ich das Lied, nicht durch irgendwelche Empfehlungen von YouTube. So müssen sie mir über die Lippen gleiten, damit ich mich von Mikołaj vorerst verabschieden kann. Ich halte die Wahrheit im Zaun. Treibe sie energisch zurück. Noch kann ich es.

„Könnte ich jetzt die Wahrheit hören?" Man kann ihm nichts vormachen. Innerlich poltere ich laut los. Verfluche seine trainierte Fähigkeit, Lügen zu durchschauen. „Du machst es sonst nur schlimmer." Ich habe ihn nie aufgebracht erlebt. Mein Vater ist unter jeden Umständen die Ruhe selbst. Allerdings glaube ich, dass die bröckeln wird, sobald ich ihm die eigentliche Sache verrate.

„Na ja ..." Mein Handy vibriert. Fast wäre ich versucht gewesen, es hervorzuziehen. Ich verlagere das Gewicht auf ein Bein, starre verstohlen zu der angelehnten Haustür. Aus dem Spalt zwängt sich das Flurlicht nach draußen. „Ja. Nein. Lieber nicht." Ich höre mich unsicher an. Zu wacklig. Kein Wunder: Ich habe ihn nie angelogen. Mir fehlt die Übung.

„Darf ich erfahren, warum nicht?" Ich mag es nicht, dass er ständig nachhaken muss.

„Die Sache ist die", beginne ich anders und schaue ihn an. An einigen Stellen zieren unscheinbare graue Strähnen die braunen Haare. Mein Vater gehört zu den Glücklichen, die volles Haar haben. Seine sorgsam gepflegte Frisur ist die gleiche, die er vor meiner Geburt besessen hat. Similär mit die von Mikołaj, nur dass bei ihm die Haare auf dem Kopf länger sind und stärkere Wellen formen. „Es ist nichts Schlimmes. Sonst würde ich hier nicht sein und wäre nicht fröhlich Schrägstrich glücklich. Mir geht es gut. Ich habe Spaß gehabt. Niemand hat mir irgendetwas angetan." Ich schweige kurz. „Ich finde es per se nicht schlimm, dass du dir ständig Sorgen um mich machst. Aber ich finde, dass du so langsam lernen solltest, zu akzeptieren, dass ich gerne eigene Wege gehen will. Du solltest dich da nicht ständig einmischen." Eine gewisse Anspielung auf Mikołaj. Ich will diese Erfahrungen sammeln. Das Verliebt sein, dieses Gefühlschaos. Die zeitimmunen Hormone. Ich will es erleben. Jetzt bin ich achtzehn – stehe also auf der Schwelle zum Leben. Man soll nicht ständig versuchen, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

„Das weiß ich. Du aber solltest nicht vergessen, dass du immer noch meine Tochter bist."

„Ja. Deine Tochter. Ein eigenständig denkender Mensch. Ich bin kein Schatz, den du ständig beschützen musst." Ich mache einen Schritt zu der Haustür. „Wenn du mich bitte entschuldigst." Warte auf keine Antwort. Gehe einfach los. Natürlich mit einem miesen Gefühl in der Brust. Ich spüre den bohrenden Blick meines Vaters in meinem Rücken. Kein Blick zu ihm. Stattdessen betrete ich schweigend den Flur. Schlüpfe aus den Schuhen, hänge die Schlüssel an das Brett und gehe zu der Treppe.

Ob er es verstanden hat? Sicher. Ob er es akzeptieren wird? Nicht, solange ich in diesem Haus lebe. Künstliche Kerzen versetzen den schmalen Flur mit einem lieblichen Schein. Ich suche mein Zimmer auf. Schließe hinter mir die Tür. Lasse anschließend die Jalousien herunter. Ein Fenster bleibt auf Kipp stehen. Das Licht ist angeknipst. Ich wechsele die Klamotten. All das, was ich heute getragen habe, landet in die Wäsche. Das Shirt zum Schlafen habe ich in Amsterdam gekauft, als wir letztes Jahr unsere Studienfahrt gemacht haben. Es ist mir um eine Nummer zu groß. In XL wäre ich bestimmt untergegangen. Da könnte ich das Shirt zum Pullover erklären. Dazu eine knielange graue Shorts. Ich zupfe das schwarze Oberteil zurecht und suche das Bad auf, um den Stapel in den Korb zu werfen. Das Handy habe ich mitgenommen, während ich den letzten Routinen nachgehe. Ich tippe eine Nachricht, lasse Mikołaj wissen, dass ich gut angekommen bin. Keine drei Sekunden später erscheint im Zeitstempel das Wort online.

Mikołaj: Das freut mich sehr zu hören. Hat dein Vater es gut aufgenommen, weil du bei mir gewesen bist?

Ich: Damit ich riskiere, dich nicht mehr wiederzusehen, oder was? Nein, ich habe ihm gesagt, dass er endlich aufhören soll, sich ständig Sorgen um mich zu machen.

Mikołaj: Wäre es echt so schlimm geworden, hättest du ihm die Wahrheit erzählt?

Ich: Du willst ihn so nicht kennenlernen.

Mikołaj: Oh ha, okay. Darf ich trotzdem noch Hoffnung haben, dass wir für ein Stündchen zocken?

Ich: Klar doch. GTA V? Ich hab' auch die anderen Teile.

Mikołaj: Nö, wir bleiben bei fünf. Ich will mir gerne 'n Bild deiner Künste machen. Hast du 'n Head-Set?

Ich: Ich bin auf alles vorbereitet.

Mikołaj: Sehr schön. Dann kann man sich nebenbei unterhalten.

Ich: Natürlich. Gib mir aber vorher ein paar Minuten, um mich fertigzumachen.

Mikołaj: Darauf habe ich gewartet. Muss ich nämlich auch noch tun.

Ich lächele sogleich los und schreibe vorerst nichts zurück.

Die abendlichen Gewohnheiten werden zügig erledigt. Ein kurzer Blick in den Spiegel. Ich habe die Haare zu einem winzigen Zopf gebunden. Ein paar Strähnen schmiegen sich an meinen Kiefer. Ich kann es kaum erwarten, eine Partie mit ihm zu spielen. Zumal ich dieses Mal das Head-Set verwenden werde. Das letzte Mal liegt gute vier Monate zurück – seit mich ein Typ ständig angesprochen und läppisch gemeint hat, ich könne nichts und würde nur cheaten, habe ich es nicht mehr angerührt.

Ich denke mir nichts dabei, als ich aus dem recht großen Badezimmer gehe. Bleibe allerdings kurz stehen. Lausche. Mein Vater hält sich unten im Wohnzimmer auf. Ich kann den Fernseher hören. Natürlich fühle ich mich schlecht. Immerhin habe ich ihn angelogen. Allerdings sollte ich bedenken, warum ich es getan habe. Es geht immerhin um eine ... besondere Begegnung. Ich schließe die weiße Tür. Beschließe, die Lampe auf dem Nachttisch anzuschalten. Gesagt, getan. Während ich den Flachbildfernseher anschalte und die vertrauten Einstellungen vornehme, meldet sich das Gerät in der Hosentasche zu Wort. Mit dem schwarzen Controller und dem gleichfarbigen Head-Set bewaffnet, nehme ich auf dem Boxspringbett Platz. Zupfe die beiden Kissen zurecht, sodass ich mich an das Kopfteil lehnen kann.

Mikołaj: Hab' ich dir eigentlich meinen Benutzernamen geschickt? Hab' zumindest keinen gesehen. Szaranina.ptx – und ja, sag' bitte nichts dazu. Ich bin keine verdammte Silberflocke. Łukasz hat schuld.

Hätte er es nicht geschrieben, wäre es mir nicht einmal weiter aufgefallen. Ich lache verhalten und beginne, ihm eine Einladung zu schicken. Das Zimmer ist unterdessen in schummriges Licht getaucht worden. Das helle Mobiliar wird mit Schatten verziert.

Mikołaj: Okay, bist du your.mindsoul? Hat mich gerade eingeladen.

Ich: Hundert Punkte an dich, Silberflöckchen.

Mikołaj: Noch so'n Satz, und ich verspreche ich, dass ich dich in der ersten Partie fertigmache. Scheiß' auf Team: Du hättest es eh verdient.

Ich schließe das Head-Set an die Konsole. Ein Glück, dass ich daran gedacht habe, mittels eines Verteilers die PS4 im untersten Bereich des Nachttisches zu platzieren. So müsste ich nicht ständig vor dem Fernseher sitzen und hoffen, keine viereckigen Augen zu riskieren. Ich warte, bis der Neunzehnjährige weitere Schritte vornimmt. Ich prüfe noch einmal sämtliche Einstellungen. Die Lautstärke ist in einem erträglichen Bereich, das Head-Set aufgesetzt und aktiviert. Der Controller schwächelt nicht. Ich lehne mich zufrieden zurück. Sehe zum Smartphone, bevor ich es ergreife.

Mikołaj: Okay. Ich lad' dich ein. Eine kleine Onlinepartie. Sind nämlich viele dabei. Wenn du Lust und Laune hast, 'n Rennen oder Missionen zu machen, dann gib's durch. Ich hab' jetzt das Head-Set auf und hab's so eingestellt, dass man alle Spieler unserer Map hören kann.

Ich schalte das Head-Set ein. Es dauert nicht lange, da ertönen schon die ersten Stimmen. Das Spiel hat sich aufgebaut. Ich sehe mir die Liste mit den aktuellen Spielern an. Viele im unteren Hunderterbereich. Einer, der die Tausendermarke ankratzt. Und dann kommt der Pole mit dem bisher höchsten Rang.

„Alter, welcher Huso knallt mich denn die ganze Zeit ab? Mann, ey. 'piss dich und lass' mich fahr'n." Wie zu erwarten ein pubertierendes Kind. Oder wie würde Elise sagen? Ein typischer Internet-Rambo.

„Wir treffen uns beim Pier. Mach' hinne. Ich hab' da welche am Arsch." Dieser Spieler hört sich schon etwas älter an. „Nächste Mission in fünfzehn Minuten. Ich lad' euch ein zu einem Rennen."

Ich muss mir zunächst einen Überblick verschaffen. Mikołaj hält sich in der Nähe meines Spielers auf. Es sind insgesamt siebenundfünfzig Spieler in dieser Lobby vertreten. Manchmal kommt jemand hinzu oder verlässt sie.

„Ey, Cheater!", plärrt es in meine Ohren. Ich runzele die Stirn. „Mach' 'mal Unendlich-Geld. Gib Code durch." Er meint Mikołaj. „Polackensohn, ich glaub', ich hab' deinen verschollenen Bruder gefunden." Ich habe ein paar Sekunden gebraucht, um zu begreifen, dass sich jemand tatsächlich diesen Namen zugelegt hat.

Kurwa, was los mit dir? Is' kein Bruder." Da ist der Akzent deutlich stärker ausgeprägt. Es wird Zeit, ein bisschen Geld einzusammeln. Also beginne, bewusst auf andere Spieler zu schießen.

„Cheater? Also bitte. Alles harte Arbeit und viel Geduld", erhebt Mikołaj seine tiefe Stimme und lacht. Ich kriege Gänsehaut. „Polackensohn? Geiler Name. Macht dich sympathisch." Ich erwische jemanden. Der Nächste folgt unmittelbar. „Felix! Komm' 'ran aufm Meter. Wir sind noch nicht fertig. Ich muss dich noch ein paar Mal niedermetzeln. Macht echt Spaß, dich in die Luft zu sprengen."

Ich schrecke plötzlich zusammen. Habe mir beinahe das Head-Set vom Kopf gerissen. Warum zur Hölle brüllt dieser eine Depp uns allen die Ohren zu? Mikołaj findet dies natürlich lustig. Der andere Pole auch. Okay, es steckt an. Ich breche selbst aus.

„Alter, mir fall'n gleich die Ohren ab. Junge! Putin oder Russland-Mensch. Halt' die Schnauze", verlangt jemand genervt. Russland-Mensch. Der Spieler mit den eigenartigen Buchstaben oder Zeichen im Benutzernamen und dessen Lautsprechersymbol nicht verschwinden will. „Meine Fresse, warum mutet den niemand?"

„Schmeißt den aus der Lobby", verlangt eine junge Stimme.

„Putin ist das Wasser ausgegangen. Wo is'n der jetzt? Muss den 'mal abknallen." Es sind tatsächlich nur Jungen oder Heranwachsende online.

„Okay, der ist bei mir", mische ich mich lachend ein und jage den wild umherlaufenden Charakter in die Luft. „Zack', der kann erst 'mal 'n Respawn machen." Ich schüttele amüsiert den Kopf. Dieser Russe scheint sich regelrecht in die Frustration hineinzusteigern.

„Boah, Alter. Ich werd' gleich taub!", murrt ein anderer. „Was zum Scheiß heißt dieser Name? Kann man doch nicht lesen. Meine Fresse, Scheißrusse."

Jetzt fängt dieser Kerl an, wüste Beleidigungen um sich zu werfen. Ich habe die Wörter cyka blyat noch nie so oft vernehmen dürfen.

„Was für 'ne Scheißqualität sein Mikro hat", sagt Mikołaj spöttisch und bekommt sich kaum ein vor Lachen. „Nee, Leute. Der bleibt in der Lobby. Probst an dich, mindsoul. Du hast ihn schön wütend gemacht."

„Ey, das ist nicht auszuhalten!", keift dieser Felix, das Kind in unseren Reihen. „Mach' ihn weg, du Stück Scheiße."

„Okay, dann warte ganz kurz." Ich konzentriere mich voll und ganz aufs Geschehen. Liefere mir eine Verfolgungsjagd mit dem anderen Polen. „So, erledigt." Mikołaj hat dieses Kind aus der Lobby geworfen. „Was ein Pisser." Der Russe hat sich halbwegs beruhigt. Die Ruhe bewährt sich nicht lange.

Mindsoul is'n Mädchen? Heiß." Ich verdrehe die Augen. „Wie alt bist du denn?" Der Spieler mit dem Charakter Pulzze.

„Achtzehn", antworte ich lässig und sorge dafür, dass mein Mensch auf die Beine kommt. Wenn es um schnelle Kombinationen geht, die abverlangt werden, bin ich ein Experte. „Und nein, ich steh' nicht auf Schwanzbilder und dummen Kommentaren. Spiel' einfach und halt's Maul."

„Du bist echt gut", sagt Polackensohn und stimmt bewusst einen anerkennenden Ton an. „Find' ich cool." Keine fünf Minuten später hat er mir eine Anfrage geschickt. Ich seufze, beschließe, sie vorerst nicht anzunehmen. „Lass' Team machen."

Jetzt ist es der Russe, der uns schon wieder zum Lachen bringt. Fünf Leute haben ihn zeitgleich von dem Bildschirm gewischt. Er poltert wütend.

„Voll in die Fresse", meint Mikołaj. Ich kann hören, wie das Lockere aus seiner Stimme verschwunden ist.

„Bist du Single?!" Schon wieder Pulzze.

„Das hier ist keine Singlebörse, du Idiot", fahre ich ihn scharf an. „Konzentrier' dich aufs Spiel."

„Scheiße, ich find's voll scharf, wenn 'n Mädchen mich so anfährt."

„Boah, Alter", funkt jemand namens N1ghtm4r3 dazwischen. „Zieh' dir 'n Porno 'rein und wedle dir die Palme. Kann doch nicht wahr sein, ey."

Mikołaj hat ihn ohne Vorwarnung entfernt. Ich bin so etwas gewohnt. Immer, wenn ich etwas sage, darf ich damit rechnen, dass solch ein Kerl um die Ecke kommt. Ich gehe mit ihnen ganz kühl und professionell um – einfach stumm schalten oder ignorieren. Meistens hören sie von allein auf.

„Schmeiß' Russen 'raus." Ich erkenne, dass der andere Pole mir eine Nachricht zukommen gelassen hat. Ein einfaches Hi. Ich überlege. Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, zurückzuschreiben. Es wäre unhöflich, ihn zu ignorieren. Ich schicke Ähnliches weg. „Wollen wir machen Mission? Man kann immer gebrauchen gutes Geld."

„Soll ich eins initiieren? Wärt ihr damit ... Cholera jasna. A teraz się kurwa zamknij." Mikołaj erntet ein paar Gelächter. „Mir fallen die Ohren ab. Geh' deine Mutter doch selbst ficken, ganz ehrlich." Er hat den Russen verbannt. „Was für ein dummes Stück Scheiße."

Wie geht's? Die Standardfrage. Eine knappe Antwort meinerseits.

„Hättest du Russisch sagen müssen", meint Polackensohn amüsiert.

„Mach 'n Rennen. Das kriegt man eher gebacken als so 'ne Mission", schlägt N1ghtm4r3 vor.

„Damit wäre ich auch einverstanden", stimme ich zu und formuliere einen Satz. Gebe meinen Namen preis. Er selbst hieße Andrzej.

Mindsoul, hast du Lust auf eigene Lobby? Man können sich ..." Verständnislosigkeit spiegelt sich in meinem Gesicht wider, als Mikołaj ihn plötzlich entfernt hat. Ich frage mich, warum er dies getan hat. Er hat schließlich nichts Unangemessenes getan.

„Geht klar. Ihr sucht die Route aus." Der fröhliche Ton ist unlängst verschwunden. Der Neunzehnjährige hört sich nicht mehr begeistert an. „Los geht's."

Scheiße. Man hat mich 'rausgeschmissen. Hast du Lust auf eigene Lobby? Man kann sich so unterhalten. Ohne andere Spieler. Ich antworte, dass ich dies gerne auf später verschieben will. Auf einen unbestimmten Zeitpunkt. Sag' Bescheid. Ich wäre dabei.

Mir geht es nicht aus dem Kopf. Ich bin mir zumindest sicher, dass es etwas mit seiner Frage zu tun haben muss. Speziell mit dem Gespräch. Ist es übertrieben anzunehmen, dass Mikołaj es nicht mag, wenn jemand anderes sich mit mir unterhalten will? Also ein anderer Junge? Ich denke, dass es zu weit hergeholt ist.

Aber so abwegig hört es sich nicht an.

-

„Mann, komm' schon. Das ist unfair. Ich hab' gerade vier Sterne." Ich lache kurz und versuche, mich aus dem Feuer zu fliehen. „Die knallen mich doch ab." Selbst das Fahrzeug, das ich gerade quer über die Straße bewege – mehr oder weniger schlingernd -, sehr unmittelbar vor dem Aufgeben. „Ich komm' ja kaum vorwärts."

„Also ich mach' nichts, ich warte einfach und lache dich aus." Seine beflügelnde Stimme hallt angenehm in den Ohren wider. „Eigentlich handhabst du die Sache sehr geschickt. Du brauchst keine Hilfe."

„Du, ich mache auch nichts anderes, als wie blöd umherzueiern und zu hoffen, dass man mich nicht erwischt. Nein, warte. Da gibt's ein gutes Versteck." Gerade die verwinkelten Gebäude und Ecken haben sich stets bewähren können. „So. Hoffen und beten, dass ich nicht erwischt werde. So langsam wird die Munition knapp."

„Was ballerst du die ganze Zeit mit dem Scharfschützengewehr 'rum? Das nützt überhaupt nichts." Er lacht leise.

„Ja, jetzt nicht. Vor diesem Scheiß schon. Hätt' ich doch nicht wissen können, dass die gleich mit Hubschraubern und diesen Panzern um die Ecke kommen." Es ist inzwischen kurz nach zwölf Uhr. „Mikołaj? Ist alles okay mit dir?" Ich will gerne erfahren, was vor ein paar Stunden durch ihn gefahren ist.

„Klar. Warum sollte es nicht so sein?" Der Neunzehnjährige räuspert sich verhalten. „Bin bloß etwas müde. Mehr nicht. Der Tag hat mir etwas mehr zugesetzt, als ich gedacht habe. Oder es liegt daran, dass wir faul in der Sonne gelegen haben." Da. Endlich. Die Anzahl der silbernen Sterne verringert sich.

„Es ist auch zehn nach zwölf", antworte ich, nachdem ich einen Blick auf die Uhr geworfen habe. „Aus einer Stunde sind schnell zwei geworden." Mein Charakter bewegt sich nicht. Schaut sich um. „Na ja, du hast diesen ...Polackensohn? Ja, der hieß so. Zumindest hast du ihn aus der Lobby geworfen, obwohl er nichts gemacht hat. Hab' mich gewundert, warum. Immerhin hat er nichts getan. Bei den Vollidioten hab' ich's verstehen können." Der Pole lässt sich mit der Antwort Zeit. Auffällig viel, wie ich finde. Die Spielfigur schlendert gemütlich durch die Straßen von Los Santos. Rempelt mehr oder weniger unabsichtlich Passanten an. Die meisten hauen natürlich ab. In zwei von zehn Fällen legt man sich mit mir an. „Noch dran oder bist du AFK?"

„Nee, nee. Ich sitz' hier noch." Er hört sich abwesend an. „Liegt daran, dass ich ... das Gefühl gehabt hab', dass er genauso wie dieses Arschloch Pulzze ist. Erst einladen, dann privat reden. Und schon kommen die Anfragen oder Scheißfragen. Ich wollte es dir ersparen." Es ist vielmehr so, dass dieser Andrzej mir keinerlei anzügliche Fragen gestellt hat. Nur die banalen. Da ich schon ein paar Tage Spielerfahrung gesammelt habe, kann ich gerade solche Fälle am besten einschätzen und beurteilen. Unter gewöhnlichen Umständen hätte man mir nach ein paar Minuten die Fragen gestellt, auf die ich abwehrend reagiere. Oder nach spätestens einer Stunde. Ich erwähne selbstverständlich nicht, dass ich bereits auf die Anfrage von ihm eingegangen bin.

„Okay?", sage ich stattdessen und sammele das Bargeld der niedergeprügelten Passanten ein. „Aber sonst ist alles in Ordnung?"

„Sonst ja." Es ist der Ton in der Stimme, der mich nicht überzeugt. „Sei's drum. Hey, ich bin endlich tausendfünfhunderteins. Super, ein Level aufgestiegen." Er schnaubt belustigt. „Da wird sich mein Spinnerbruder freuen." Er hat recht. „Wie sieht's bei dir aus?"

„Äh, leveltechnisch fehlt mir nicht mehr viel. Wenn du wissen willst, wie es mir geht, dann gut, schätze ich. Bin selbst etwas müde." Ich lächele leicht. „Sechs Stunden Schlaf. Kommst du damit aus?"

„Sechs Stunden sind die absolute Grenze bei mir." Mikołajs nächste Worte gehen in einem lauten Gähnen unter. „Huch, entschuldige. Das war unabsichtlich." Ich kichere. Das ist peinlich. „Ich werde gleich eins mit dem Bett."

Ich wische mit der linken Hand über mein Gesicht.

„Morgen wird's eh nicht so wichtig werden, was den Unterricht betrifft." Ich entdecke Mikołajs Figur. Könnte nach wie vor darüber lachen. „Na Jesus? Bereit, die Menschen zu segnen?" Der Neunzehnjährige hat seinen tätowierten Charakter in einen weißen Bademantel gehüllt. Zusätzlich eine Gasmaske aufgesetzt, die mich stark an ein sowjetisches Modell erinnert.

„Jesus spricht heute alle Frieden aus", verkündet der Neunzehnjährige schelmisch. „Der hat genug geprügelt." Er rennt zu einem schwarzen Wagen. „Der ist geklaut. Soll 'n Mercedes darstellen." Keine drei Sekunden später hat er das Fahrzeug in die Luft gesprengt. „Keine Garantie. Kann man vergessen." Ich grinse. „Jess, kann ich dich etwas fragen? Kommt vielleicht unpassend, aber besser als morgen früh. Da werde ich es vergessen haben."

Wir laufen unweigerlich los, als das blaue Radar die Karte ausfüllt.

„Solange es keine Singlefragen oder Anfragen sind, gern."

„Also ich hab' mein Gehirn noch im Kopf, falls du es wissen willst. Den Schwanz noch in der Hose. Ganz normale Frage."

Ich verdrehe die Augen.

„Schieß' los", fordere ich ihn auf.

„Du hast doch morgen auch volles Haus, was den Unterricht betrifft?"

„Bis halb vier, ja. Meine regulären Freistunden liegen leider nicht am Ende."

„Brauchst du morgen dein Auto?"

„Eigentlich nicht, weil ich mit Elise mitfahren werde." Wir halten uns aktuell beim Pier auf. Warum auch immer dieser eine Typ ins Wasser gesprungen ist. Wie aus heiterem Himmel. „Sie ist morgen dran mit Fahren."

„Auch morgen früh?"

„Worauf willst du hinaus?"

Das muss ich auch noch so blöd fragen.

„Ich würde dich gerne morgen früh abholen und nach Hause bringen. Vorausgesetzt, du traust dich, bei mir mitzufahren."

Ich verenge sehr leicht die Augen.

„Warum sollte ich mich das nicht trauen?" Ein ruhiger Ton.

„Nun, ich hab' heute eine auf der Rückbank flachgelegt."

„Kannst du das nicht für dich behalten?"

„Sorry. Ich bin leider ein sehr direkter Mensch."

Ich murre leise. Versuche irgendwie, die plötzlichen Stiche abzuwehren und die Treffer so gut es wegzustecken.

„Ich würde gerne ablehnen", beginne ich.

„Aber?"

„Keine Ahnung. Irgendwie gibt's da kein Aber."

„Du willst es riskieren?"

„Wenn ich merke, dass du Gleiches mit mir vorhast, werde ich dir den Hals umdrehen oder dich eigenhändig kastrieren."

„Wow, da kann ich dich ganz schnell beruhigen. Allein schon, dass du nicht am Anfang versucht hast, irgendwie Zeit mit mir zu verbringen, beweist mir, dass du nicht daraus aus bist, mit mir zu schlafen. Nicht so wie Delilah oder ... warte kurz. Ich hab' gleich den Namen ... Hier, wie Lena." Es ist durchaus traurig, dass er nicht einmal weiß, wie seine Kleenextaschentücher heißen.

„Versau' dir nicht den ersten Eindruck bei mir. Du bist gerade auf besten Wege dabei, dir schlechte Karten einzuhandeln."

„Du hast nichts von mir gehört."

„Ich tu' jetzt auch entsprechend so." Mikołaj erschießt willkürlich Leute. Ich schließe mich dem an.

„Also?"

Ich seufze.

„Aber nur dieses eine Mal. Ich habe keine Lust, dass mein Vater Verdacht schöpft. Es ist schon schlimm genug, dass er heute beinahe dahintergekommen ist, dass ich bei dir gewesen bin und nicht bei Elise. Ich kann nicht lügen."

„Was ist passiert?"

„Ich habe das Lied, das du mir geschickt hast, den ganzen Rückweg über gehört. Es ist echt lustig. Kein Wunder, dass ihr gefühlt den ganzen Tag betrunken seid. Das animiert ja zum Trinken." Wir haben ein metallicrotes Fahrzeug gestohlen. Mikołaj fährt. „Diese eine Stelle, wo er lallt, die habe ich sogar mitgesungen. Tja, Fenster auf, sing' mit, fahr' auf den Hof und krieg' nicht mit, wie dein Vater bei seinem Wagen steht und auf dich gewartet hat. Und gerade dann kam diese eine Stelle. Ich hab' echt im Boden versinken wollen. Mir war's so peinlich." Der Neunzehnjährige lacht in sich hinein. „Tja, was danach gekommen ist, ist nicht mehr so witzig gewesen. Er hat wissen wollen, warum ich mich nicht gemeldet hätte und so. Ich hab' versucht ihm klarzumachen, dass ich ein eigenständig denkender Mensch bin, der inzwischen alt genug ist. Klar, er macht sich Sorgen und hat Angst um mich. Ich kann es alles nachvollziehen. Nur ... Man muss auch lernen, loszulassen. Ich kann nicht ewig in einer Blase leben." Ich linse zu der verschlossenen Tür. „Wenn du mich morgen früh abholen willst, dann bitte. Aber du bleibst vorm Tor stehen. Kannst leider nicht auf den Hof. Mein Vater sieht es nicht gerne, wenn fremde Leute auf unser Grundstück fahren."

Außerdem brauchst du nicht zu sehen, wer er ist.

„Ich hoffe, dass du dir keine Probleme verschafft hast."

„Nein, nein. Wir haben keinen Stress. Er ist ganz ruhig geblieben." Seine Art, mir Schuldgefühle zu bereiten.

„Hm, na gut." Wieder ein Gähnen. „Ich werde zwischen sieben und viertel acht vor dem Tor stehen. Wo genau wohnst du?" Wenn mein Vater morgen früh herausfinden wird, dass ich jemand unsere Adresse verraten habe, kann ich mich gleich von dem unbeschwerten Leben verabschieden. Ich werde eine Menge Fingerspitzengefühl aufbringen müssen, um die Erklärung sehr schonend beizubringen.

„Ampferweg zehn", murmele ich und mustere die Route. Er visiert das Zentrum an.

„Ich werde auf dich warten." Worte, die mir ein kleines Lächeln entlocken.

„Okay." In was bin ich da nur hineingeraten?

„Wollen wir so langsam 'n Cut einlegen? Ohne Scheiß. Mir fallen gleich die Augen zu."

„Schön, dass du meine Gedanken aussprichst", meine ich amüsiert. „Ich penne gleich weg."

„Lass' dir damit ganz kurz Zeit." Mikołaj beendet die Sitzung. „So." Ich beuge mich zu der schwarzen Konsole. Platziere auf ihr den Controller. „Tja, dann husch' in die Falle, damit du morgen entspannt in den Tag starten kannst."

„Gleiches gilt für dich, Mikołaj", erwidere ich zwanglos. „Bis morgen."

Ich kann mir sein Lächeln vorstellen.

„Freue mich schon auf den Tag. Schlaf' gut."

„Da bist du nicht allein."Ich wollte gerade mehr ergänzen, da schaltet er ab. Ich lache kaum hörbar. „Zu früh." Ich schiebe das Head-Set von meinem Kopf und verstaue es zu der Konsole, die deaktiviert wird. Greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher aus. Das Handy wird an das Ladekabel geschlossen. Ich rutsche unter die dünne Decke und strecke mich nach der Lampe, um sie auszuknipsen. Die Dunkelheit bricht über mich herein. Aber an Schlaf ist keineswegs zu denken. Ich fiebere quasi dem morgigen Tag entgegen. Ich drehe mich auf die rechte Seite. Starre die weiß-dunkelviolette Wand an. Er will und wird mich morgen früh abholen.Wird dann sehen, wie ich lebe. Zumindest kann er sich einen Eindruck machen. Ob er diesbezüglich Fragen stellen wird? Ganz bestimmt. Ob mein Vater nicht annähernd begeistert sein wird? Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit. Ob ich eventuell Probleme am Hals haben werde? Ist nicht ganz ausgeschlossen.

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