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08 - Schokolade & Musik

„Ich könnte ungelogen den ganzen Tag oder Abend hier draußen sitzen", meint Mikołaj zufrieden und dreht das Glas in der Hand. „Einfach faulenzen und die Sonne genießen. Fast so schön wie baden." Er hat sich eine Sonnenbrille aus dem Zimmer genommen. „Klar, ich werde extremen Sonnenbrand kriegen, aber ist eben so. Ich kann's ab." Er grinst leicht. „Da beneide ich dich um deinen Teint. Der ist wenigstens dem Sommer angepasst."

Nicht nur er. Ich habe angefangen, mich vollständig zu entspannen. Ich denke über nichts Großes mehr nach; für mich zählt nun das Hier und Jetzt. Bastele mir keine Ausreden zusammen, sollte mein Vater den Verdacht hegen, ich träfe mich doch nicht mit Elise. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie er reagieren wird, sollte er erfahren, dass ich geraucht habe. Oder es zumindest probiert habe.

„Das machen die Gene aus", erwidere ich zwanglos und wende das Gesicht mehr zur Sonne. Sie steht genau oberhalb der Baumwipfel. Als würde sie dort balancieren „Beschwerden gerne an meine Mutter." Die Hände bleiben sorgsam im Schoß zusammengefaltet. „Können wir doch machen. Wir haben alle Zeit der Welt." Ich nicht unbedingt, allerdings muss man einmal über Grenzen gehen.

„Nah, lieber nicht. Die behalte ich für mich." Der Neunzehnjährige dreht den Kopf zu mir. „Kann das sein, dass du nur für zehn Minuten in der Sonne liegen musst, um 'ne richtig schöne Bräune zu kriegen?"

„Fünf Minuten reichen sogar aus." Ich lächele etwas und klemme eine Haarsträhne hinter das Ohr.

„Da kann man echt neidisch sein." Mikołaj nimmt sein Handy. „So, Jess." Ich vergrabe sehr leicht die Zähne in die untere Lippe. „Sag' an: Was ist dein Lieblingslied?"

„Du ... kannst es gerne durchlaufen lassen. Hört sich nämlich interessant an." Es ist das erste Mal, dass ich überhaupt russische oder polnische Musik höre.

„Ach, die kann ich dir auch schicken. Dann kannst du sie hören." Er schiebt die schwarze Sonnenbrille auf seinen Kopf. Betrachtet die Arme. „Morgen seh' ich wie 'n Geflüchteter aus Tschernobyl aus." Ich unterdrücke mein Gelächter. „Also?"

„Wie trocken du's einfach gesagt hast. Hat ziemlich gepasst." Ich räuspere mich amüsiert. „Meine bevorzugten Richtungen sind das komplette Gegenteil von dem, was du hörst." Mikołaj hat erwartungsvoll die Augenbrauen hochgezogen.

„Mich kann nichts mehr aus'm Konzept bringen. Es sei denn, du bevorzugst 'ne Richtung, die extremer als die meines Vaters ist. Und der ist ein leidenschaftlicher Fan von sämtlichem Metal- und Rockscheiß. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich dem komplett abgeneigt bin. Ein paar Lieder kann man sich geben."

„Schön, dass du es gewohnt bist." Ich mache daraus eine geheimnisvolle Sache. „Wenn du's dir unbedingt anhören willst: Gib prism ein. Ist erst 'mal Harmloses."

„Muss, nicht? Werd' ja quasi dazu genötigt." Mikołaj tippt das Genannte ein. „Ah, ich glaub', ich weiß, von wem genau. Fängt ja schon gut an." Er spielt es ab. „Du kannst es bestimmt auswendig?"

„So wie fast alle von denen", räume die Bestätigung ein. „Sehr zum Leidwesen meines Vaters." Mir kommen die Momente in den Sinn, als ich mit Elise unterwegs gewesen bin. „Elise ist jemand, die für alles offen ist. Wir singen's gemein mit oder nach. Macht ständig Spaß, wenn du mit offenem Fenster durch die Stadt fährst und dabei laut singst. Die Blicke sind eh die besten."

„Das ist deutlich harmloser, als ich gedacht habe. Es ist erträglich." Er ist von dem Refrain sichtlich angetan. „Du hast es nicht zufälligerweise aufm Handy?" Ich nicke grinsend. „Lässt du es 'rüberwandern?"

„Aber gerne doch." Mein Vater hat mir geschrieben. Er würde gegen neunzehn Uhr nach Hause kommen. Der Zeitraum ist also sehr überschaubar. „Was hört denn dein Vater so? Hast du ein paar Beispiele?"

Mikołaj murrt leise.

„Alles, was mit Geschrei und Gebrüll zu tun. Was schon keine Musik mehr ist." Er sieht von seiem Handy auf. „Und dabei hat's eigentlich harmlos angefangen. Metallica oder Nickelback. Das halbwegs Normale. Aber jetzt ... Vergiss es. Du kriegst Kopfschmerzen. Vor allem, wenn er den Mist im Auto spielt. Er hat ja vor einigen Jahren die Soundanlage komplett erneuern lassen. Sagen wir: Ich habe schon sehr oft darüber nachgedacht, während der Fahrt einfach aus dem Wagen zu springen."

„Dein Vater hat aber Geschmack", sage ich amüsiert. „Ich oute mich: Ich bin ein großer Anhänger dieser Szene." Mikołaj starrt mich förmlich an. „Kein Scheiß. Fahr' mit mir mit, und du musst damit rechnen, dass ich eben das abspiele."

„Du bist auch nicht ganz normal, kann das sein?"

„Habe ich das jemals behauptet?"

„Nope." Der Pole linst auf das Gerät. „Ihr würdet euch hervorragend verstehen. Wenn's um Musik geht, kann er dir stundenlang 'was erzählen. Ihn kriegst du nicht mehr still." Mit seinem Vater reden? Ihm überhaupt begegnen? Ganz ehrlich: Da verzichte ich. Sicher, er mag sich verändert haben. Sehr sogar. Aber die Vergangenheit schläft nie. Die ist immer irgendwie präsent.

„Gut zu wissen", sage ich stattdessen. Schlucke kurz. „Wie sieht's eigentlich bei dir aus? Lass' mal dein Lied hören. Eins von vielen." Mikołaj hat eine Stiege mit Wasser auf den Balkon gebracht. Auf Bier oder andere alkoholische Getränke verzichtet er vorerst. Die seien für einen anderen Zeitpunkt bestimmt.

„Da stellst du mich aber vor einer sehr schwierigen Auswahl. Gleicht ja schon einer mentalen Folter." Der Neunzehnjährige überlegt. „Es gibt zu viele. Ich könnte dir höchstens zeigen, was ich zurzeit vermehrt höre. Die Liste ist gefühlt endlos."

„Ich hab' die Ohren offen", sage ich und warte ein wenig gespannt. „Vorwarnung: Ist das dieser Scheißdeutschrap?" Ich spähe zum Balkon. „Ein Sprung würde höchstens ein paar gebrochene Knochen verursachen."

„Hallo? Du bleibst hier ja sitzen." Er lacht. „So schlimm ist das nicht. Und zu meiner Verteidigung: Hier gibt's kein Deutschrap. Ganz blöde Sache für mich." Ein Schmunzeln. „Dafür gibt's jetzt das Upgrade. Nämlich russischen Rap." Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Das Gute ist ja, dass du nichts verstehst. Du kannst daher nur das Musikalische beurteilen." Es ist durchaus anders, als ich es mir vorgestellt habe. Da herrscht keine aggressive Note, so wie es eigentlich kenne. Da schwirrt etwas Düsteres, Geheimnisvolles mit. Ich erwidere Mikołajs Blick. „Der Text ist nicht so, wie du denkst. Zugehörigkeit eines Bezirks. Dein Bezirk. Man prahlt damit, was man in seinem Bezirk hat. Gut, da geht's auch zum Teil um Drogen und Mädels ... Aber vielmehr um das eigene Gebiet."

„Quasi wie eine Art Gangleben?"

„Nicht zu hundert Prozent. Kommt aber in etwa hin." Er sucht das zweite Lied heraus. „Sind ein paar Tracks meines Lieblingskünstlers. Die haben den gleichen Stil." Dann lehnt er sich zurück. „Vor allem wenn man fährt, fühlt man sich anders. Als würdest du die Straße beherrschen." Ein schalkhafter Ton seinerseits. „Hört sich vielleicht komisch an. Muss man selbst erleben. Ich kann's schlecht beschreiben." Es ist das Lied, welches er heute Morgen gehört hat. Als ich gedacht habe, was für ein Idiot sich so einen Scheiß gibt. „Das hat so ziemlich alles drinnen, was den Rap ausmacht. Drogen, heiße Mädels, Waffen ... die Straße. Die beste Kombination für russischen Rap." Der Pole bemerkt meine anfängliche Missgunst. Wechselt das Lied. „So viel dazu, was meine aktuellen Präferenzen sind."

„Jeder hat einen eigenen Geschmack. Wäre schlimm, wenn jeder das Gleiche hört." Die eigenartig bedrückte-entspannte Musik von vorhin. Die Person, die wieder bei null anfängt.

„Ich hätte da eine kleine Frage an dich."

„Was ist denn?"

„Wie lange willst du hierbleiben? Ich frage nicht, um dich loszuwerden. Geht wegen Abendessen."

Ehrlich gesagt, habe ich mir darum noch gar keinen Kopf gemacht.

„Wie lange darf ich denn bleiben?"

„Grundsätzlich so lange wie du willst." Die Sonne hat sich kurzzeitig hinter eine Wolke verzogen.

„Gegen halb zehn, zehn Uhr würde ich wieder abdampfen wollen." Ich erwidere sein Lächeln. „Was hast du denn für heute Abend vor?"

„So lange? Das ist ja schön zu hören." Mikołaj wendet den Blick nicht von mir ab. „Hätte gedacht, wir holen uns 'ne Pizza oder 'was anderes. Vorausgesetzt, du hast Geld dabei. Wenn nicht, können wir 'ne Küchenschlacht machen. Ich bin nämlich nicht gerade gut darin, was Kochen angeht."

„Passt. Ich habe immer 'nen Notfallschein dabei. Hört sich gut an. Können wir gerne machen." Das bedeutet, dass es darauf hinauslaufen wird, dass ich bei ihm mitfahren werde. „Wollen wir mit meinem fahren? Der steht nämlich schon auf der Straße."

„Uh, zum ersten Mal in einem GTI. Die Chance lass' ich mir nicht entgehen." Der Pole nickt. „Machen wir so." Er linst auf die Uhr. „Sagen wir, gegen halb sieben bestellen wir uns 'was?"

„Würde sagen."

„Dann machen wir's so." Ihm scheint etwas eingefallen zu sein. „Eine Sache. Ich werde dir jetzt ein Lied schicken. Und nein, es wird nichts mit Rap sein. Du hast mein Wort. Dieses Lied wirst du dir erst anhören, wenn du nach Hause fahren wirst, okay?" Ich habe zwar keine Ahnung, auf was ich mich da einstellen soll, aber ich nicke einfach. „Perfekt." Die schlanken Finger wandern zügig über das Display. „Ich kann dir jetzt schon sagen, dass du eine bestimmte Stelle auf Dauerschleife hören wirst."

„Äh, wenn du meinst ..." Ich schnaube kurz. „Ich kann mich auf alles einstellen?"

„Sozusagen." Er sieht auf.

„Was wird eigentlich Oliver dazu sagen, wenn er mich sehen wird? Du hast gesagt, er wird gegen acht wiederkommen?"

„Gar nichts? Er kann mir's nicht verbieten, mich mit jemanden zu treffen." Er winkt ab. „Mach' dir um ihn keinen Kopf. Ich werd's klären, sollte Bedarf dazu bestehen. Er kann dich schlecht aus der Wohnung werfen." Er mustert etwas. „Wenn, dann würde ich ihn eher aus der Wohnung schmeißen. Er legt sich nicht mit mir an."

„Das musst du jetzt genauer ausführen", fordere ich ihn ein wenig neugierig auf.

„Er mag zwar entsprechend des Jobs ausgebildet sein, was Selbstverteidigung angeht, aber ich hab' auch einiges auf dem Kasten. Mehr als er. Immerhin habe ich vom Besten gelernt. Er nicht. Hat sich immer geweigert." Mikołaj schnaubt leise. „Bis zu einem bestimmten Alter hat's echt gut geklappt. Also die Beziehung zwischen ihm und meinem Vater. Bis er eine kleine Sache herausgefunden hat. Mit sechzehn war's das." Ich könnte in dieser einzigartigen Farbe untergehen. „Ist eigentlich schade. Wir drei haben uns kaum voneinander unterschieden. Anfangs zumindest. Er hat sich ab diesem Zeitpunkt geweigert, polnisch zu reden. Glück für ihn, dass unsere Mutter eine Deutsche ist. Er kann's sprechen, keine Frage. Aber mittlerweile schlechter als sonst." Es ist interessant zu hören. Am liebsten würde ich bei einigen Punkten nachhaken wollen. Mehr in die Tiefe gehen. Mit ihm, versteht sich.

„Nimmst du an Wettkämpfen teil?" Ich habe etwaige Vorstellungen von seinem Geheimnis. Dennoch wage ich es vorzeitig nicht, ihn darauf anzusprechen. Ich habe Angst, dass es dieses anfängliche Band zwischen uns gänzlich zerstören wird.

„Wenn's reine Wettkämpfe mit Kickboxen sind, dann ja. Aber bei Muay Thai müsste ich zusätzlich ins Ausland fahren. Bei mir in Polen gibt's regelmäßige Veranstaltungen. Die können gut und gerne 'mal in Warschau oder Stettin sein. Ein gutes Stückchen Fahrt." Er schnipst eine Fliege von seiner Hand. „Die Gegner werden auch mehr zu einer Herausforderung für mich. Klar, ich trainiere jeden Tag. Gerne auch nachts, sollte ich es tagsüber nicht schaffen. Die genießen oft eine sehr spezialisierte Trainingseinheit. Drei von denen haben mich fertigmachen können. Kein schönes Gefühl." Da ist es wieder, sein ansteckendes Lächeln. „Nimmst du an Wettkämpfen teil?"

„Bis zum letzten Jahr, ja. Nur, dann kam das letzte Jahr. Da habe ich Einiges an den Nagel hängen müssen." Ich zucke mit den Schultern. „Na ja, solange das mit dem Training stimmt, spielen die Wettkämpfe für mich keine so große Rolle."

Jetzt ist es Mikołaj, der interessiert klingt.

„Welchen Rang hältst du inne?"

„Viertes Kyu, violetter Gürtel", antworte ich und kann es nicht verhindern, dass ein Hauch Stolz in der Stimme mitschwingt.

„So weit schon?" Sein verblüffter Ton veranlasst mich zum erneuten Lächeln. „Du bist wie alt? Achtzehn?"

„Ich habe auch frühzeitig angefangen", begründe ich die Antwort. „Und ja, ich bin achtzehn."

„Wie früh genau?"

„Früh. Mit acht."

„Gut, dann kann ich es etwas nachvollziehen." Mikołaj lacht leise. „Zehn Jahre und dann diesen Rang. Finde ich gut. Nee, wirklich jetzt. Früh angefangen und diszipliniert dabei. Ich kenne viele, die ihr Training nach einer bestimmten Zeit einfach so beenden. Die nehmen es nicht mehr auf. Eigentlich schade, denn etliche haben enormes Potenzial in sich."

„So ist das eben", zucke ich mit den Schultern und leere das Glas. „Umso schöner zu sehen, wenn es andere ernst meinen." Elise hat mir geschrieben. Ich ignoriere dies allerdings. „Ich find's echt schön, wenn man jemand gleichgesinntes trifft. Du bist bisher die einzige Person, die ich kenne, welche aktiven Kampfsport betreibt. Na ja, okay. Victor auch, aber mit dem habe ich nicht wirklich 'was zu tun."

„Warte, was? Du redest von Victor, diesem Idioten? Der Victor aus unserer Klasse?" Ich nicke langsam. „Dieser Lauch will Kampfsport betreiben? Was denn? Schattenboxen, oder was?" Ich schmunzele etwas. „Als ob. Nerven und jeden abfucken, das kann er."

„Leider nicht. Seit dreizehn Jahren Muay Thai. Hat sich auch schon einen Namen an unserer Schule gemacht. Mit dem legt sich keiner mehr an, seit er jemanden aus seiner alten Klasse krankenhausreif geprügelt hat. Er ist deshalb suspendiert worden. Im Zuge dessen zurückgestuft, weil er so viele Fehlstunden gehabt hat." Mikołaj lacht spöttisch los. „Ich will nicht sagen, dass du auf Abstand ..." Ich komme nicht dazu, den Satz zu beenden.

„Garantiert nicht. Jetzt erst recht." Ein dünner Kratzer zieht sich über den rechten Mittelfinger. „Hab' mich schon gewundert, was er die ganze Zeit von mir wollte, als ich heute Morgen zu euch gekommen bin. Dachte so: Was zur Hölle ist falsch mit dem? Der läuft eindeutig nicht geradeaus." Selbst Mikołaj schafft es, aufgrund der Mimik bedrohlich zu wirken. „Wenn er meinen muss, sich mit mir anzulegen, dann bitte. Ich werde nicht zögern."

Ich rede nicht dagegen an. Bin mir bewusst, dass der Neunzehnjährige ihm um Welten überlegen ist. Trotz der Tatsache, dass Victor ein Jahr im Voraus ist. Wenn man berücksichtigt, wer Mikołaj trainiert hat. Er hat sicherlich Techniken beigebracht bekommen, die Victor nicht einmal kennt. Man muss es dennoch nicht provozieren.

„Wie hat eigentlich dein Bruder darauf reagiert, als du plötzlich vor seiner Tür gestanden hast?", führe ich ein Themawechsel an. Mikołaj blinzelt langsam. „Na ja, hat er gewusst, dass du ein halbes Jahr bei uns sein wirst?"

„Ach so, das meinst du." Er grinst für einen Augenblick. „Einige Tage, bevor's überhaupt losgegangen ist. Hat meine Mutter Gott sei Dank arrangieren können. Hättest 'mal sehen müssen, wie er mich angeguckt hat, als ich dann vor seiner Tür gestanden habe. Bin nämlich seit gestern Abend hier in Deutschland. Er wollte gerade los zur Nachtschicht. Tja, viel Zeit ist nicht geblieben. Er hat mich wohl oder übel in die Wohnung lassen müssen." Er steht auf. „Will mir 'ne Kleinigkeit zu essen holen. Hast du Hunger oder willst du bis zur Pizza warten?"

„Ich komm' mit." Also erhebe ich mich selbst und folge ihm in das inzwischen angenehme Wohnzimmer. „So lange kann ich nicht aushalten." Ich kann nicht aufhören, ihn ständig anzustarren. Die ganzen Bilder tauchen wieder auf und sorgen beinahe dafür, dass ich in ihn gelaufen wäre. „Etwas vergessen?"

„Nee, eigentlich ja nicht." Mikołaj linst in ein Zimmer. „Okay, das wird lustig werden, diese ganzen Kästen zu transportieren. Ist etwas blöd gelaufen, dass ich keinen Transporter habe." Ein Blick zu mir. „Ich hab' für Freitag vor, 'ne kleine Party zu veranstalten. Drüben beim DJO. Liegt perfekt am See. Man kommt leicht hin und wieder weg. Und das Gute: Es gibt genug Plätze, wo man ungestört ist." Er nickt zu dem Zimmer. „Ich hab' schon 'mal begonnen, ein paar Dinge zu besorgen. Das gute polnische Wasser, auch 'was für die zarten Gemüter – für jeden irgendwas. Gibt reichlich Auswahl."

Eine Party. Diesen Freitag. Jetzt weiß ich schon einmal, was ich machen werde: Sämtliche Termine, die sich eventuell ansammeln könnten, auf diesen Wochentag zu legen. Ich bin die letzte Person, die Partys besucht. Ich wühle mich nie wohl. Es ist auch dem Fakt geschuldet, dass ich völlig unerfahren bin, was Alkohol angeht. Selbst meine Jugendweihe haben wir nur innerhalb des eigenen Kreises abgehalten. Bei einem entspannten Abend im Garten. Wir haben niemanden eingeladen, geschweige denn solche Getränke zu uns genommen.

„Ah ja", gebe ich daher zurück und suche die Küche auf. Aber eigentlich wäre dies die einmalige Chance, endlich über mich hinauszuwachsen. Ich könnte Grenzen kennenlernen, von denen ich nie etwas gehört habe. Vielleicht könnte ich sie sogar überschreiten, neu ziehen oder gänzlich auflösen. Ich könnte eine neue, unentdeckte Seite von mir kennenlernen. Ein richtiger Zwiespalt. Vieles spricht dafür, aber legt zeitgleich ein Veto ein. „Und wer soll da bitte schön alles kommen?"

„Ich gebe unserem Jahrgang die Chance zu kommen." Ich pruste los. „Deshalb habe ich das DJO als Örtlichkeit ausgewählt. In der Wohnung kann man schlecht feiern, es sei denn, die Nachbarn stellen mir ihre Wohnungen zur Verfügung. Dann könnte ich zweiundneunzig Leute unterkriegen."

„Du bist irre", gestatte ich mir die Bemerkung und lehne mich an den Tisch.

„Irre doch nicht", wehrt Mikołaj lakonisch ab. „Nur jemand, der gerne Partys organisiert und feiert." Er mustert mich. „Spätestens dann, wenn die meisten genug intus haben, kümmert sich jeder einen Scheiß um den anderen. Was zählt, ist einzig und allein feiern, Mädels abschleppen und die Sau 'rauslassen." Ich zucke mit keiner Wimper, wenngleich mich die überzeugte Aussage ein wenig getroffen hat. „Was willst du essen? Sag' an, und ich werde gucken, ob ich es hier habe."

Ich muss es mir nicht geben. Gewiss nicht. Ich würde so oder so diejenige sein, die abseits steht, das chaotische Geschehen beobachtet und sich ständig fragt, warum sie überhaupt erschienen ist. Ich muss nicht mit ansehen, wie dieser Junge sich auf andere Mädchen stürzt und sie benutzt. Ich straffe ein wenig die Schultern. Da bin ich lieber eine überzeugte Spaßbremse.

„'Ne gesunde Kleinigkeit", antworte ich ein wenig angebunden. „Was ist eigentlich polnisches Wasser? Das gleiche wie russisches?"

„Oh, dann habe ich eine ziemlich gute Schokolade." Es sieht witzig aus, wie er sich auf die Zehenspitzen erheben muss, um das oberste Fach zu durchwühlen. „Fast null Gramm Fett, 'ne Handvoll Kohlenhydrate und verhältnismäßig viel Protein." Er lässt sich zurückfallen, schließt die Schranktür. „Nee, nur viel besser. Ich meine, der Scheiß hat einen achtundsechzigprozentigen Ethanolanteil. Ich kann mir nicht 'mal 'n ganzen Shot geben, ohne dass mir schlecht wird. Und bedenke: Man muss den Dreck mit Wasser mischen. Sonst bist du ganz schnell weg vom Fenster." Er gibt mir die kleine Tafel. „Man kennt ihn normalerweise unter Weingeist. Bei uns entweder spirytus salicylowy oder Krakus Spirytus. Der haut ordentlich 'rein."

„Und ... wie viel Prozent hat der?"

„Mehr als du dir vorstellst."

„Fünfzig?"

„Viel mehr."

„Sowas geht?"

„In Polen ist alles möglich." Ich probiere ein Stück der Schokolade. Man merkt sofort, dass der zusätzliche Zucker fehlt. Nichtsdestotrotz schmeckt sie unfassbar lecker. „Ganze sechsundneunzig Prozent. Das perfekte Gift für die Leber." Ich habe mich beinahe verschluckt. „Es ist scheißegal, was die über Wodka sagen – komm' mit spirytus salicylowy um die Ecke, und jeder hält den Mund. Denn das Zeug kennen die meisten nicht." Der Neunzehnjährige stibitzt mir abgebrochene Stücke. „Du erlaubst doch?"

„Erst nehmen, dann fragen? So geht es auch." Ich lächele amüsiert und halte ihm die Packung mehr entgegen. „Nimm ruhig. Ist ja immerhin deine." Kaue kurz auf dem Stück herum. „Ist ja wie 'n Attentat auf die Nerven. Jetzt 'mal ohne Scheiß: Wer gibt sich denn so einen Mist pur? Du ätzt dir doch alles weg."

„Geh' weiter nach Osteuropa, Anfang Asien, und du hast deine Antwort." Mikołaj nimmt sich ein neues. „In den letzten Sommerferien haben wir Urlaub in der Ukraine gemacht. Mein Vater kennt dort jemanden, der in Kiew wohnt. Die Tochter von ihm – wir haben einen sehr guten Kontakt zueinander – hat einen Russen geheiratet. Ja, du kannst dir vielleicht denken, was dann passiert ist."

„Dein Vater und dieser Russe haben's maßlos übertrieben."

„Wobei mein Vater sich die verdünnte Version gegeben hat. Der andere hat einen Fingerbreit pures Gesöff getrunken. Der war für ein paar Stunden durch mit der Welt. Hat's ein bisschen unterschätzt. Aber ihm geht's gut. Hat den verrückten Abend überstanden." Mikołaj grinst ein wenig. „Wenn sogar ein Russe nach einem Fingerbreit durch ist, dann mag das 'was heißen."

„Ihr erfüllt das Klischee ziemlich gut", erlaube ich mir den Kommentar und erwidere Mikołajs fragenden Blick. „Trinken, trinken und noch mehr trinken, bis nichts mehr geht. Du trägst daneben Klamotten von Adidas. Typisch Osteuropäer."

Picie za wolność!", antwortet er darauf und wir lachen los. „Ohne Alkohol macht's Leben keinen Spaß. Ist alles schon ernst und verklemmt genug." Er gähnt kurz. „Man muss den Klischees gerecht werden. Wobei ... Ich klaue nicht. Nicht mehr."

„Wo bin ich hier nur gelandet?", frage ich mich, mehr an mich selbst gerichtet. „Oh Mann." Vier unförmige Stücke. Ich halte sie Mikołaj mehr entgegen. Der schlägt das Angebot nicht ab. Zwei sind verschwunden.

„Tja, jetzt darfst du an der wunderbaren osteuropäischen Trinkkultur teilnehmen." Ich werfe ihn mit der leeren, zusammengeknüllten Verpackung ab. Er versucht sie zu fangen, allerdings springt sie ihm aus der rechten Hand. „Der war schlecht." Mikołaj zielt auf den Mülleimer. „Eins von eins ... Und ...", er wirft. Trifft wie zu erwarten nicht, „das hab' ich von meinem Vater. Der kann auch nicht zielen und treffen."

„Liegt wohl in der Familie", meine ich amüsiert und lache bei seinem Blick automatisch los.

„Wenn man eins kann, dann wenigstens über alle Stränge schlagen, wo andere schon in der Ecke liegen." Er zieht mit behutsam auf die Füße. „So, genug gelacht. Jetzt geht's ans Zocken. Ich will sehen, wie ich dich fertigmachen werde."

Zwar hat er mein Handgelenk wieder freigelassen, doch es ist es ist eine sanfte Wärme zurückgeblieben.

„Pff, werden wir sehen." Ich folge ihm ins Wohnzimmer. „Ich hab' selbst 'ne PS4. Bin inzwischen Rang dreihundertzwei. Würde 'mal sagen: Ich bin sehr gut aufgestellt." Ich nehme auf der bequemen Couch Platz. Nehme den Schneidersitz ein. „Na? Was sagst du dazu?"

„Nicht schlecht." Mikołaj hat sich vor dem Fernseher hingekniet. „Aber auch nicht so gut." Mein Lieblingsspiel. Besser kann es nicht laufen. „Łukasz und ich teilen uns einen Account. Funktioniert echt gut. Wir haben auch eigene, aber konzentrieren uns auf den Hauptaccount. Ich hab' dir erzählt, dass mein Bruder das komplette Gegenteil von ist. Hält nichts von Sport, ausgewogener Ernährung. Mädels." Er nimmt sämtliche Einstellung vor. Die Musik ist aus. „Die mache ich gleich wieder an." Mikołaj schließt die Konsole mit dem Fernseher an. „Er ist ein richtiger Süchtiger nach GTA fünf. Der Wahnsinnige kommt mit gerade 'mal vier Stunden Schlaf aus. Ist nie müde. Zockt also die halbe Nacht und den ganzen Abend. Kurz und knapp: Zusammen sind wir auf dem tausendfünfhunderter-Rang. Ohne cheaten oder modden."

„Niemals."

„Wirst du noch sehen." Er nimmt beide Controller an sich und erhebt sich schließlich. „Klar, es gibt etliche Spieler, die sind deutlich besser als wir. In neunzig Prozent dieser Fälle hast du mit Cheatern zu tun, die vom eigentlichen Spiel null Ahnung haben." Er wirft ihn mir zu. „Aber ich hab' jetzt keine Lust auf GTA. Wir werden 'was spielen. Was lustiger ist." Er setzt sich neben mich. Ich müsste mich sehr leicht zur rechten Seite neigen, dann könnte ich mich an ihn lehnen. „Können ja heute Abend zusammen zocken."

Morgen habe ich nichts vor. Da kann ich gern den Tag ein wenig in die Länge ziehen.

„Gib mir nachher deinen Namen, damit ich dich adden kann, dann können wir's gerne machen." Ich lehne mich zurück. „Ja, gut. Da musst du mich einweisen. Das kenne ich nicht." Ich kann dieses Spiel mit einigen von einer anderen Konsole assoziieren.

„Sag' ich doch: Du bist anders. Find' ich verdammt gut." Er hat die Beine ausgestreckt. Ich finde muskulöse Beine beinahe genauso anziehend wie ein trainierter Rücken. „Wird gemacht ... Aber nicht, dass du besser bist als ich."

Ich lache unbeschwert.

„Das werden wir noch sehen."

Ich glaube, dass ich mich doch getäuscht habe. Es ist richtig gewesen, das Treffen mit Elise abzusagen, um mir ein eigenes Bild von ihm zu machen. Bisher habe ich es nicht bereut. Er kommt mir wie ein ausgewechselter Mensch vor. Mit dem man sich sorglos unterhalten kann, der nicht ständig an das Eine denkt. Aber ich sollte trotzdem aufpassen. Zu meiner eigenen Sicherheit. Elise hat da nicht ganz unrecht – nicht, dass er mich am Ende nur 'rumkriegen will, nur um mich danach wie eine heiße Kartoffel fallenzulassen.

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