01 - Der Neue
Der Kerl kommt eindeutig nicht von hier. Was ist das denn für ein Idiot? Elise ist gerade dabei, aus dem weißen Wagen zu steigen, als in unmittelbarer Ferne eine eigenartige Musik aus einem schwarzen Audi hämmert. Der Bass veranlasst das Fahrzeug förmlich zum Vibrieren. Und wer zur Hölle fährt bei uns einen Audi RS7? Nicht 'mal die Lehrer haben sich so einen angeschafft. Ich lasse den Kofferraum offenstehen. Ausreichend, wie ich finde. Wenn man einen Wocheneinkauf besorgen muss, dann entpuppt dieser sich jedes Mal als ein Raumwunder für sich. Ein RS7. Ich habe nicht gedacht, dass jemand meinen Wagen überbieten kann. Selbst da fühle ich manchmal echt unwohl. Ich meine: Meine kleine Hummel ist auch nicht ohne.
„Noch so ein dämlicher Poser", lässt Elise den abfälligen Kommentar ertönen. Ich kann sie beinahe nicht verstehen. Warum um alles in der Welt muss man um viertel acht, morgens wohlbemerkt, so einen Krach veranstalten? Die Musik ist es nicht einmal wert, angehört zu werden. Irgendein fremdspracher moderner Rap. Die Wörter hören sich für mich an, als würde man versuchen, die Hälfte zu verschlucken. Ich vermute, dass es sich um Russisch handelt. „Sag' 'mal: Ist das etwa Tobias? Kann doch gar nicht sein, oder? Der hat doch 'n Mercedes."
Ausgerechnet gegenüber von uns muss er parken. In der Reihe, wo sich wirklich niemand hinstellt. Fast jeder, ungefähr achtzig Prozent von unseren Leuten, die im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, haben links, in den von Gras überwucherten und von Matsch bedeckten Parklücken geparkt.
„Wusste gar nicht, dass Tobi ein polnisches Kennzeichen am Auto hat." Ich ergreife meinen unscheinbaren Rucksack. Für heute schwer. Deutsch-, Mathe-, Polnisch- und Englischbuch. Kein Wunder, dass ich irgendwann einen Buckel bekommen werde. Mein Rücken stöhnt schon. Ich kann die Knochen hören, die sich längst beschweren. „Okay? Ein Polacke? Seit wann? Hab' ich 'was verpasst?" Ihre sanften grünen Augen, normalerweise vor Fröhlichkeit strahlend, hat sie zusammengekniffen. „Der Typ kommt mir jetzt schon blöd 'rüber." Der Kofferraum wird geschlossen, nachdem Elise ihre Sachen an sich genommen hat. Im Gegensatz zu mir muss sie eine zusätzliche Tasche mitschleppen. Sport steht an. „Ein verdammter RS7? Nicht schlecht für jemanden, der noch die Schule besucht. Bestimmt von Papi genommen." Sie wirft mir einen Blick zu. „Dein GTI TCR bleibt der einzig wahre auf dem Parkplatz."
Die Musik ist aus. Das Fenster hochgefahren. Dafür, dass der fremde Neuling in einem Schwung in die Lücke gefahren ist, steht er nahezu perfekt. Er ist ausgestiegen. Ich schultere derweil den Rucksack. Schiebe eine Hand in die Jackentasche. Der Morgen ist immer etwas frisch. Vor allem im September. Sicher, es soll im Laufe des Tages noch warm werden. Ich habe mir vorgenommen, den Nachmittag bei Elise zu verbringen. Selbstverständlich unter dem Vorwand, wir hätten ein relevantes Projekt für Biologie anzufertigen. Ich bin Elise dankbar: Ohne ihrer kreativen Reden hätten ihre Eltern sie nicht unter der Woche zu mir gelassen. Wir würden so oder so schon zu viel Zeit miteinander verbringen.
Was ich aber zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Sämtliche Pläne werden sich wie in Luft auflösen.
„Na ja. Es geht", murmele ich etwas verlegen und streiche eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Der RS7 hat deutlich mehr Kraft unter der Haube als meine Hummel." Der Kerl ist ausgestiegen. Ich frage mich, was das Kennzeichen bedeutet. FSW 1308. Wenn man das dicke Fragezeichen in meinem Gesicht sehen könnte ... „Aber ohne Scheiß: Welcher normale Erwachsene lässt das eigene Kind mit so einem Monster fahren? Der hat doch locker über fünfhundert PS." Dunkelblonde Haare. Das Erste, was ich erkenne. Dunkler Kleidungsstil: Eine tiefblaue Jeans, an einigen Stellen mit Absicht ausgeblichen. Schwarze Sneaker von Vans. Die flachen, nicht die, die bis über die Knöchel reichen. Eine schwarze Jacke mit weiter Kapuze. Alles in allem: Nicht schlecht.
„Die haben bestimmt den Knall nicht gehört." Elise schüttelt den Kopf. „Wollen wir? Brachmann macht sonst Stress, wenn wir zu spät kommen." Sie seufzt theatralisch. „Es ist Montag. Ein verdammter Scheißtag. Da muss man keinen Stress machen." Elise wartet nicht auf mich, sondern geht los. Wie immer, wenn sie merkt, dass ich in Gedanken abgedriftet bin. Sie weiß immer, wann ich beginne, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Sonst würde sie bei mir verweilen.
Ich sperre den Wagen ab. Lächele flüchtig, ehe ich ein zweites Mal zu dem Neuankömmling werfe. Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich wegen seiner Körpergröße überrascht. Es heißt oft: Große Kerle gleich großes Auto. Doch er hier, dieser Pole, der überragt mich nur um wenige Zentimeter. Das kann man von hier gut erkennen. Größer als einen Meter siebzig kann er nicht sein. Ob ich hingehen sollte? Es kostet mich Überwindung. Die kann ich nicht aufbringen. Ich bleibe etwas hilflos vor diesem Hindernis stehen.
Er sammelt die Tasche vom Beifahrersitz. Dazu hat er sich in den Wagen gebeugt. Ich beobachte ihn weiter. Dieser Junge fasziniert mich. Außerdem bin ich neugierig. Es kommt nicht oft vor, dass wir Austauschschüler abbekommen - unsere Schule ist nicht sonderlich gut aufgestellt, was das angeht. Wer besucht auch gern eine Schule, die man mit sozialen Problemen und Drogenmissbrauch assoziiert? Ich nicht; daher bin ich sehr froh, wenn ich nächstes Jahr diese Anstalt verlassen darf.
Ein sehr ansehnlicher Haarschnitt. Millimeterkürze um den Kopf, ein perfekter Übergang zu der sorgsam gepflegten Frisur. Ein auffälliger neonblauer Expander steckt im rechten Ohrläppchen. Ich hebe ein wenig die Augenbrauen. Der erste Kerl, der so etwas trägt.
Ich bin so sehr in diese Beobachtung vertieft, dass ich gar nicht merke, wie er mich plötzlich ansieht. Oder zumindest meinen Wagen. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, geht er direkt auf mich zu. Hinter ihm blinkt der Sportwagen auf. Er hat ihn abgeschlossen.
„Hübscher Untersatz", eröffnet er das Gespräch und mustert verblüfft den weißen GTI. „Einer der siebten Generation auch noch. Nicht schlecht." Was für Augen. Eine Art Paralyse überfällt meinen Körper, als er mich ansieht. „Dein eigener?" Und dann dieser starke Akzent. Ich könnte dahin schmelzen. Allerdings besinne ich mich. Rufe mir in Erinnerung, dass ich ihn gar nicht kenne.
„Äh, ja. Also, ja. Das ist ein Golf sieben und ... Er gehört mir." Ich weiche einen Schritt zur Seite. Es wird so langsam Zeit, zum Unterricht zu gehen. Elise wartet bestimmt schon auf mich. Ohne zu warten, drehe ich mich um und gehe weg. Spüre, wie sein eisblauer Blick sich in meinen Rücken bohrt. Die Starre verschwindet. Wenigstens glühen die Wangen nicht mehr so extrem.
Was ist das denn gewesen? Das muss ich erst einmal in aller Ruhe verarbeiten. Erst einmal sacken lassen. Tief durchatmen, bis fünf zählen. Alles cool. Ich blinzele schnell. Okay, ich gebe es zu: Er hat wahnsinnig hübsche Augen. Eine Art eisiges Blau. Nur viel mehr Weiß als Blau. Ich habe zunächst angenommen, er sei blind. Bis mir die Pupille aufgefallen ist. Schwarz auf weiß, wenn man es so möchte. Und dann dieser starke osteuropäische Akzent - da können selbst die Briten oder Franzosen nicht mithalten. Ich habe es gewusst. Der Typ ist nur minimal größer als ich. Bestimmt nur um zwei, drei Zentimeter. Der erste Kerl, der mir wortwörtlich auf Augenhöhe ist und nicht wie ein Hüne auf mich herabblickt und den einen oder anderen Witz reißt. Egal, wie oft sie ihn ziehen: Ich werde kein bescheuertes Standgebläse sein. Wie kommt man überhaupt auf so einen Schwachsinn?
Ich habe bisher nie wirklich mit den Jungen aus meinem Jahrgang gesprochen. Eine kleine Korrektur an dieser Stelle: Noch nie. Also mit gar keinem. Gespräche, die nichts mit der Schule zu tun haben. Achtzehn Jahre lang nicht. Ich bin dem entweder aus dem Weg gegangen oder man hat mir keine Möglichkeit erübrigt. Mein Vater hat da eine ganz entscheidende Rolle eingenommen: Er hat mir jeglichen männlichen Kontakt verboten. Keine Dates, keine spontanen Treffen. Nicht einmal banale Chatgeschichten. Nichts. Anfangs habe ich es nicht verstanden. Habe mich wie ein dummer Rebell aufgeführt. Mit dem Heranwachsen hat sich diese Phase zum Glück erledigt - das Verständnis ist dafür umso größer geworden. Ich nehme es meinem Vater nicht übel. Er will mich beschützen.
Der Pflastersteinweg windet sich am gedrungenen Schulgebäude und der flachen Sporthalle vorbei. Vor der Halle warten Neulinge auf den Eintritt. Die Taschen und Beutel sind achtlos auf den Boden geworfen worden. Einige haben sich auf sie gesetzt. Mehrere Radfahrer sausen an mir vorbei. Zwei Mädchen unterhalten sich. Ein erdbeerartiger Geruch steigt mir in die Nase. Mir kommt eine kleine Gruppe, bestehend aus drei Jungen und einem Mädchen, entgegen. Nach wie vor Sommerkleidung tragend. Ich runzele sehr leicht die Stirn, als mir aufgefallen ist, wie nah sie sich eigentlich an den einen Typen drückt. Verstehen muss ich so etwas nicht.
Etwas weiter rechts erstreckt sich der große Sportplatz. Es graust mir, wenn ich daran denke, morgen zu laufen. Ausdauerlauf, fünfundvierzig Minuten lang. Da könnte ich gleich ein Beatmungsgerät parat halten. Sport stellt für mich kein Problem dar; ich selbst betreibe neben jahrelangem Karate intensiven Kraftsport. Da hat mich tatsächlich meine Mutter auf die Idee gebracht. Ich habe sie einmal beobachtet, wie sie zu Hause trainiert hat. Ich bin neugierig worden und habe gefragt, ob ich selbst mitmachen könnte. Sieben Jahre lang. Die Erfolge haben sich inzwischen sichtbar gemacht.
Was ziemlich interessant ist: Ich bin jemand, der in der Masse untergegangen ist. Ich bin so unauffällig, dass man mich vergessen hat. Zumindest in der Klasse. Ich habe nie für Ärger oder für Krach gesorgt. Bin immer auf Distanz mit den anderen gewesen. Wenn man etwas von mir gewollt hat, habe ich wortlos Unterstützung geleistet. Von Hausaufgaben abschreiben lassen bis Ausleihen von Unterrichtsutensilien - die Palette ist breit.
Ich habe derweil den Eingangsbereich erreicht. Dadurch, dass unsere Schule zusätzlich viel Wert auf Musik legt, grenzt unmittelbar davor eine spezialisierte Schule an. Es ist daher minder überraschend, dass wir so viele sind. Vor dem zweitürigen Eingang lungern die Jüngeren herum. Auf diesen Bänken ohne Rückenlehne. Manchmal warten sie bis zum Beginn der Stunde. Ich habe einst mitbekommen, wie man sie draußen gelassen hat.
Eine leichte angenehme Brise streicht durch das braune Haar. Ich gehe an den Schülern vorbei. Es ist keine Kunst, größer als ich zu sein. Ein neutraler Gesichtsausdruck, obwohl der eine hagere Junge mir beinahe vor die Füße gesprungen ist. Eine läppische Entschuldigung, eine Blondine gackert kurz. Kleine Falten bahnen sich einen Weg über die Stirn, und ich betrete das Gebäude. Säubere automatisch die Schuhe auf der großen Matte, welche den gesamten Bereich auskleidet.
Viel Betrieb. Ein großes Stimmgewirr. Da gibt es welche, die lassen sich extrem viel Zeit. Stressen sich nicht oder verhalten sich, als seien sie auf der Flucht. Manchmal wuselt eine Lehrkraft in der Masse herum. Da dieser Bereich sich würfelförmlich über drei Etagen streckt, erhascht man einen Blick auf die Schüler, die sich am gläsernen Geländer aufhalten. Entweder allein, als Gruppe oder man erwischt die typischen Pärchen. Die, die sich aufführen, als wäre das letzte Stündlein der Zweisamkeit angebrochen.
Ich habe nun Deutsch. Das steht zumindest auf dem Stundenplan. Bis neun. Das wird hart werden. Es ist nicht so, dass ich dieses Fach nicht ausstehen kann. Es bereitet mir eine Freude. Man kann dort sehr kreativ sein. Literatur und Gedichte sind meine heimliche Stärke. Aber unser Lehrer, Herr Brachmann; er ist eine Herausforderung für sich. Manchmal habe ich das Gefühl, eine Frau verstecke sich unter der ledrigen Haut. Die Stimmungsschwankungen sind extrem, teilweise vorhersehbar. Da ist man Lehrers Liebling oder man hat uns vor einem Dartbrett gestellt und er wirft diese spitzen Pfeile. Verletzungen können da nicht ausgeschlossen werden. Gut, das mag vielleicht etwas weit hergeholt sein. Was ich eigentlich damit sagen will: Er ist anstrengend. Sehr sogar. Es ist minder überraschend, frühzeitig graue Haare zu bekommen. Wenigstens habe ich Elise an meiner Seite. Ohne sie wüsste ich nicht, wie diesen verrückt-nervenaufreibenden Schulalltag überstehen soll. Das Alleinsein mag zwar viele Vorteile mit sich bringen, doch manchmal ist man einfach nur froh über die Tatsache, jemanden zu haben, der das Leben leichter macht.
Elise ist jemand, die einen gewissen Status in dem Jahrgang erlangt hat. Das ist nicht negativ gemeint. Sie posaunt ihre Meinung herum, sobald sie der Ansicht ist, etwas passe ihr nicht. Sie legt sich gern mit den Mädchen aus unseren Parallelklassen an. Sie geht auch so weit und drückt Lehrkräften ihre Ansicht auf, sollte sie der Auffassung sein, der Unterricht sei falsch oder langweilig. Manche hassen sie dafür, viele lieben sie.
Ich verziehe mich in den schmalen Flur. Der Erste, sollte man nach dem Uhrzeigersinn gehen. Das Geflecht aus Stimmen ist so dicht, dass ich nur schwer einzelne Wörter verstehen kann. Ich bewege mich mehr zu der Wand aus roten Ziegelsteinen, während ich an den anderen vorbeigehe. Die aus der vorletzten Klasse kann man gut und gern in meinen Jahrgang stecken. Es würde schlichtweg nicht auffallen. Die sind teilweise reifer als wir.
Im Raum ist es relativ kühl. Man hat sämtliche Fenster weit aufgerissen. In der hintersten Ecke, bei den Fenstern, haben sich die Heranwachsenden niedergelassen. Eric hockt auf dem Fensterbrett und hat sich an den Rahmen gelehnt. Seine vier Freunde haben sich unmittelbar am und auf den Tisch gesetzt. Es sind fast alle da. Nur Zayneb und Samir sowie Leon und Charlotte fehlen. Bei Samir und Leon weiß ich, dass sie sich zum Raucherplatz begeben haben, um sich mit Zigaretten auf den Unterricht einzustellen. Anders kann man den sich nicht geben. Letztes Jahr, in der allerletzten richtigen Schulwoche, haben Leon und Samir Bier zur Schule mitgenommen und jeweils drei Flaschen getrunken. Man hat es gerochen, niemand hat es je kommentiert. Zu sehr hat sich Herr Brachmann in Rage geredet. Man kann ihn einfach nicht ernst nehmen, sobald er diese Rolle eingenommen hat.
Elise sitzt in der Mitte bei den Fenstern. Da ich die linke Hand bevorzuge, quetsche ich mich an sie vorbei und lasse mich auf den unbequemen Stuhl fallen. Ein Block, ein einfarbiges Federmäppchen. Dazu das dicke Buch, das wir höchstwahrscheinlich wieder nicht gebrauchen werden.
„Kommst du nachher mit in die Stadt? Zayneb hat mir eben geschrieben, dass sie Döner essen fahren wollen." Elise blickt von ihrem Handy auf und starrt zu der Tür. Eigentlich hätte der korpulente Lehrer längst erscheinen müssen. „Sie würde auch fahren."
„Klar. Ich wäre gern dabei." Mir sind beinahe die Worte im Hals stecken geblieben. Da ist schon wieder dieser Typ, den ich vorhin bei dem stattlichen RS7 gesehen habe. Dieser Pole. „Was macht er da? Hat er sich verlaufen?"
Die Anwesenden in der Klasse haben mittlerweile seine Präsenz wahrgenommen. Die meisten Gespräche sind verklungen. Sämtliche Augenpaare haben sich auf den jungen Mann gerichtet. Ich wäre längst im Boden versunken oder hätte mich unter die Schülerschaft begeben. Hauptsache abtauchen.
„Was is'? Haste dich verlaufen?" Victor ist schon immer jemand gewesen, der gern auf Konfrontation aus ist. Er sucht quasi Streitigkeiten. Es ist oft vorgekommen, dass dies in einer Prügelei ausgeartet ist. Aufgrund des Fakts, dass er ein leidenschaftlicher Kampfsportler ist - ich glaube, dass er Thaiboxen betreibt -, hat er bisher jeden Sieg für sich beanspruchen können. „Verpiss dich. Is' nicht deine Klasse."
„Ey, Vic. Bleib' ganz locker. Der Tag hat noch nicht 'mal angefangen." Eric stößt ihm den linken Fuß zwischen die Rippen. „Heute is' erst Montag." Er beobachtet den Fremdling mit den dunkelblonden Haaren. Dieser hat derweil einen Zettel hervorgeholt. Manchmal zum Schild draußen an der Wand gesehen. Anscheinend hat er diesen Raum gesucht.
Anscheinend besucht er von heute an meine Klasse. Oh, verdammter Mist.
„Kann man erfahren, was das hier soll?", will Victor etwas provokant wissen und erhebt sich. Sportlich gebaut, geprägt vom Training. Der Neuling sagt nichts, sondern setzt sich gegenüber von mir und Elise hin. Wir werfen uns einen verstohlenen Blick zu. Merken es nicht an. Eigentlich sitzen dort Zayneb und Charlotte. „Junge, ich rede mit dir." Ich ziehe ein wenig den Tisch nach hinten, um Victor Platz zu schaffen.
„Oh Mann. Was muss er denn wieder für Stress machen?", höre ich jemanden sagen. „Vic, setz' dich hin."
Doch dieser denkt nicht einmal daran. Der Pole ignoriert ihn bewusst. Seelenruhig packt er die nötigen Sachen aus. Lässt sich Zeit. Er hat vorerst nicht vor, sich zuerst aus der Jacke zu schälen. Victor passt es nicht, dass der Fremdling ihn ignoriert und nicht wahrnimmt. Mit verzogenen Augenbrauen erfasst die große Hand das schmale Handgelenk des anderen. Dieser wiederum hält vollkommen inne und sieht langsam hoch.
„Heilige Scheiße. Was ist denn mit dir los? Bist du krank?" Allein der Anblick lässt Victor etwas zurückfahren. „Fuck, was ist falsch mit dir?" Ein flüchtiger Blick zu dem Lehrerpult. Herr Brachmann ist erschienen. Und sieht wie zu erwarten nicht begeistert aus. „Wir reden noch miteinander, Junge." Er zieht sich zu seinem Platz zurück. Inzwischen sind alle aufgekreuzt. Sogar Leon und Samir. Kalter Rauch haftet an ihnen. Zayneb hat dem Polen einen fragwürdigen Blick zugeworfen. Ihn allerdings nicht aufgefordert, den Platz zu wechseln.
„Die zehn Minuten hängen wir hinten 'ran", verkündet die schnarrende Stimme. Hinsetzen. Lange stehen kann er nicht. Elise unterdrückt ihr Gelächter. Ihr ist genauso wie mir aufgefallen, dass das hellblaue Hemd unseres Lehrers viel zu klein ist. „Guten Morgen, Kurs." Vereinzelte Resonanz. Ich hole derweil mein Smartphone hervor. Schiebe es hinter Buch und Federmäppchen. Er wird so oder so nur auf die hintersten Reihen achten. „Alle anwesend?" Er nennt die Nachnamen. Von Bordin bis Yilmaz. Manche haben übertrieben laut geantwortet, andere sehr leise. „Gut. Alle da. Sehr schön." Dann wandert der knopfartige Blick zum Neuling. „Ah, wunderbar. Sie sind ebenfalls anwesend." Es wäre ein angemessener Zeitpunkt, jetzt aufzustehen. „Sie haben es sicherlich gehört: Wir haben einen neuen Schüler. Austauschschüler, wohl bemerkt." Er deutet zu dem jungen Mann. Dieser hat sich lässig zurückgelehnt. Inzwischen die Jacke abgelegt, die säuberlich über dem freien Stuhl hängt. Er trägt ein weißes Shirt. Es liegt eng an seinem athletischen Körper. Ein dünnes Geflecht aus blauen Linien schmückt die ansehnlichen Unterarme aus. „Herr ... Nowak. Stellen Sie sich doch einmal vor. Dann muss ich es nicht machen." Die andere Frage ist: Wie kann man schon nach nicht einmal zehn Minuten anfangen zu schwitzen? Dabei ist es nicht warm.
Erst herrscht Stille. Er setzt sich mehr auf, schiebt sich so auf den Stuhl, dass er ohne Schwierigkeiten zu allen sehen kann. Ich bin ehrlich: Von seinen Augen bin ich hin und weg.
„Hallo an alle." Keine Mühe, den Akzent zu verstecken. Eine scharfe Aussprache es ersten Buchstabens. „Mein Name ist Mikołaj Nowak, neunzehn Jahre alt. Ich komme ursprünglich aus Łagów. Wenn euch Schwiebus etwas sagt: Das ist ungefähr in der Nähe davon." Sein nahezu weißer Blick bleibt bei Herrn Brachmann hängen. „Wie gesagt bin ich ein Austauschschüler. Ich werde daher den Abschluss hier schreiben, bevor ich zurückgehen werde." Sehr ruhige Worte, eine gelassene Haltung. Er scheint die Ruhe selbst zu sein.
„Warum nimmst du eigentlich an einem Programm teil, obwohl du verdammt gut deutsch sprichst?", will Zayneb wissen. „Ist doch eigentlich schwachsinnig."
Mikołaj grinst sehr leicht.
„Eigentlich schon, ja. Aber ich will gern einen sprachqualifizierten Abschluss absolvieren. Schaffe ich nur, wenn ich bestimmte Leistungen erreiche. Außerdem brauche ich eine Auszeit von meinen Eltern. Du drehst irgendwann durch, je länger du in diesem Scheißdorf feststeckst."
„Der RS7 ... Ist das echt deiner?" Leon. „Der hat ja 'n polnisches Kennzeichen, und du bist der einzige Pole unserer Schule."
Verblüfftes Gemurmel setzt ein. Ich schmunzele. Sie haben endlich festgestellt, dass ein weiterer Sportwagen auf dem Parkplatz steht. Mikołaj tut es als völlig normale Sache ab.
„Nicht direkt meiner. Der gehört meiner Mutter. Ich darf ich aber während des Semesters fahren." Er berührt das grelle Schmuckstück an seinem Ohr. „Ist nur ein RS7. Da gibt's deutlich bessere Wagen." Damit schafft er es, einige zum Lachen zu bringen.
„Wie kann es sein, dass du so gut deutsch sprichst?", will Victor erfahren. Herausforderung unterstreicht den Ton der relativ tiefen Stimme. Sie klingt nicht annähernd so männlich wie bei Mikołaj.
Die Frage kann man auf so vielen Ebenen falsch verstehen.
„Das liegt daran, dass ich zur Hälfte Deutscher bin", gibt Mikołaj entspannt zurück. „Meine Mutter kommt aus Deutschland. Daher hat man mich und meinen Bruder bilingual erziehen können."
Mir brennen viele Fragen auf der Zunge. Jetzt, wie ich finde, ist kein passender Zeitpunkt. Da würde ich mich bevorzugt allein mit ihm unterhalten. Er macht einen sehr sympathischen Eindruck.
„Hast du 'ne Freundin?", mischt sich Delilah ein. Ich könnte innerlich ein Viereck springen.
Der Pole lacht kurz.
„Nein. Ich stehe sozusagen frei zur Verfügung." Hätte ich gewusst, warum er sich an niemanden bindet, hätte ich niemals versucht, ihn in ein Gespräch zu wickeln. „Das soll aber nicht heißen, dass keinen Wert auf Beziehungen lege." Warum zur Hölle stelle ich mir vor, wie sie und er ein Paar sind? Ich verziehe den Mund und sehe stumm auf mein Handy. „Gibt sonst noch etwas, was man wissen will? Vorstellungsrunden sind nämlich nicht unbedingt mein Fall."
„Wie sieht Ihr Stundenplan aus? Haben Sie sich diesen schon zusammengestellt?", fragt Herr Brachmann.
Mikołaj nickt langsam.
„Habe ich schon in Łagów getan." Er deutet auf den Zettel. „Steht alles hier."
„Sehr schön. Sie müssten trotzdem nach dem Unterricht zu mir kommen, um einige Einzelheiten zu besprechen. Dies betrifft vor allem den Unterricht." Die Lehrkraft verkündet nun den Beginn des Unterrichts. Wir würden im Laufe der Stunden unsere Leistungsnachweise zurückbekommen. Ich mache da keinerlei Stress - wenn man mit einem guten Gefühl in die Prüfung und diese anschließend verlässt, wird das Ergebnis nicht sonderlich schlecht ausfallen. Elise macht sich einen Kopf um da Ergebnis. Sie hätte viel zu spät angefangen zu lernen und ist sehr auf meine Hilfe angewiesen gewesen. Schummeln bei Brachmann: Dies würde selbst ein Fünftklässler ohne Probleme mit Erfolg schaffen.
„Diese Arbeitsaufträge erledigen Sie bis Ende der Stunde. Sie bilden dazu Dreiergruppen. Wenn Sie wollen, können Sie gern eine andere Räumlichkeit aufsuchen. Vergessen Sie nicht: Eine Gruppe darf die Ergebnisse vorstellen und wird benotet. Strengen Sie sich also an." Er hat Hanna aufgefordert, nach vorn zu gehen, um die Blätter auszuteilen. Das zierliche Mädchen händigt uns zügig die vier Blätter aus. Uns allen. „Können Sie allein Gruppen bilden oder muss ich sie zusammenstellen?"
„Geht ohne. Machen Sie sich da nicht die Mühe." Zayneb stupst Charlotte an, deutet zusätzlich auf Samir.
„Gut. Dann los. Fünf Minuten." Herr Brachmann widmet sich wieder den Tests, die er zu korrigieren hat. Er schert sich weniger darum, dass manchmal Probleme bei der Gruppenbildung auftauchen. Dreiergruppen bei einundzwanzig Personen - jeder Idiot hätte eins und eins zusammenzählen können. Ich frage mich jedes Mal, warum man lautstark darüber diskutieren muss.
„Machen wir eine Gruppe zusammen?", fragt mich Elise.
„Du kennst meine Antwort." Ich lächele leicht. Mir fällt unweigerlich auf, dass Mikołaj sich diskret zurückhält und auf seinem Handy herum tippt. Das könnte meine Chance sein. Eine Gruppenarbeit wäre die ideale Möglichkeit, sich besser kennenzulernen. Sicher, die Leistung wird darunter leiden, aber ... Warum nicht riskieren? Es wäre das erste Mal für mich, ungestört mit einem Jungen in ein Gespräch zu kommen. „Ähm, Mikołaj? Hast du Lust, bei uns mitzumachen?"
Andere wollen ihn ebenfalls in der Gruppe haben. Nur reagiert der Pole nicht darauf. Mikołaj sieht schließlich von seinem Gerät auf und zuckt mit den Schultern.
„Klar. Warum auch nicht?" Die schmalen Lippen verformen sich zu einem Lächeln. „Was spricht auch schon dagegen?" Er dreht den Stuhl zu uns. „Wollt ihr beide hier bleiben oder woanders hin? Ich werde mich ganz an euch orientieren."
„Ach, komm' schon, Mikołaj. Sicher, dass du mit den beiden arbeiten willst? Die sind doch langweilig. Bei uns haste mehr Spaß." Eric ist an unseren Tisch getreten. „Wir wollen 'runter in den Aufenthaltsraum. Kannst gerne mitkommen."
„Langweilig. Nur weil wir die Aufgaben immer machen oder was? Dir hat wohl jemand ins Hirn geschissen, was?", fährt Elise ihn scharfzüngig an. „Verzieh' dich."
„Alter, dich hat niemand gefragt, Mädchen." Er funkelt Elise an. Seit sie ihm eine unerfreuliche Abfuhr verpasst hat, kracht es sehr oft zwischen ihnen. „Also? Wie sieht's aus?"
„Es ist wirklich nett, aber ich verzichte. Ich habe eine Gruppe gefunden. Beim nächsten Mal, ja?" Mikołaj erwidert den Blick von Eric. „Also? Wenn du uns bitte entschuldigst?"
„Dir geht's auch gut. Aber okay. Wenn du unbedingt meinst." Eric wendet sich etwas widerwillig von uns ab und teilt die Entscheidung seinen Freunden mit.
„Beim nächsten Mal zieh' ich dem Typen eine 'rüber", murrt Elise, während sie die Aufgabenstellungen studiert. Ich schaue zu Delilah und ihren drei Freundinnen. Sie starren unwegsam zu uns. Ich gehe ganz stark davon aus, dass es ihnen nicht passt, dass Mikołaj mit uns arbeiten will. „Ach, scheiß' doch drauf. Lass' uns diesen Scheiß hier machen."
„Mikołaj? Hast du Lust, mit uns auf den Sportplatz zu gehen? Nur so'n bisschen reden." Die Blonde ist dann doch zu uns gegangen.
Ich könnte echt aus dem Fenster springen. Ich schlucke tonlos und lese zum wiederholten Male die Anforderungen durch. Eine kurze Darstellung der politischen Literatur. Vergleiche aufstellen zwischen der BRD- und DDR-Schriften. Ein Gedicht hinsichtlich Aufbau und Inhalt analysieren. Ein anderes mit einem Kontrast gegenüberstellen. Alles machbar, wie ich finde. Es ist doch mehr als offensichtlich, dass sie ihn 'rumkriegen will.
„Sicher", antwortet der Neunzehnjährige gelassen. „Ich warte nachher auf euch."
„Perfekt." Delilah lächelt ihn süß an. Schenkt mir einen siegessicheren Blick. Was zur Hölle denkt sie eigentlich? Ich lehne den Kopf an meine Hand. Will diese Wolke in meinem Gemüt auflockern. Sie weiß ganz genau, dass ich vorher nie wirklich Kontakt zu Jungen gehabt habe. Dass ich ihnen stets und ständig aus dem Weg gegangen bin.
„Ja, also. Ich übernehme die Gedichtanalyse. Elise? Kümmerst du dich um die Vergleiche mit den Gedichten?" Sie nickt. „Okay. Und du, Mikołaj, kannst die Parallelen und Differenzen zwischen den Literaturen aus der BRD und DDR heraussuchen. Diesen Überblick machen wir am Ende. Das wird hoffentlich nicht so lange dauern."
„Hört sich machbar an." Elise streicht über das Display ihres weißen Smartphones. „Machen wir."
„Wird gemacht, GTI-Mädchen." Mikołaj schenkt mir ein ehrliches Lächeln. „Dein Name für dich." Gott sei Dank merkt man mir nicht an, wie verlegen ich in diesem Augenblick bin.
„Nenn' mich einfach Jess, okay?", gebe ich etwas angespannt zurück. Sein Lächeln wirkt unfassbar attraktiv. Nicht zuletzt wegen der eigenartigen Augenfarbe.
„Jess", wiederholt der Pole langsam. Eine sanfte Gänsehaut breitet sich aus. Ich suche nach einem funktionierenden Kugelschreiber. Ich sollte so langsam beginnen, das Federmäppchen auszusortieren. „Schöner Name. Eine Kurzform von Jessica?"
„Mikołaj? Könntest du bitte anfangen?", erinnert ihn Elise an seine Aufgaben. „Ich habe echt keine Lust, schon wieder eine Scheißpunkteanzahl zu kriegen. Wenn überhaupt."
„Nein. Einfach nur ... Jess." Ich studiere das Gedicht. Sehr einfach und doch komplex gehalten. Ein Karussell, das sich fortlaufend im Kreis dreht. Es geht um einen Panther, der zeitgleich in einem Käfig gesperrt ist und sehnsüchtig zwischen die Gitterstäbe in die Freiheit schaut.
„Sicher." Mir ist erst jetzt aufgefallen, dass die rechte Hand sehr von Blessuren übersät ist. „Gibt es irgendeine Art System der Bewertung? Wie geht er vor?"
„Wunderbar, er hat verstanden, dass es nicht nach Willkür geht." Elise grinst. „Ja. Gibt es. Brachmann geht nach den Schülern, die vordergründig zu wenige Noten haben. Sekundär nach denjenigen, die scheiße stehen. Wir müssten uns keine Sorgen machen. Glaube auch, dass du eine Schonfrist hast. Dadurch, dass du der Neue bist."
„Gut zu wissen." Mikołaj ist mit seinem Handy beschäftigt. Ich habe inzwischen das Gedicht verstanden und beginne, verschiedenfarbige Markierungen an die Ränder zu setzen. „Och, kurwa mać. Jezu Chryste. Jesteś głupi czy coś? Co ci napisałem wczoraj w nocy? Jestem w Niemczech do przyszłego roku. Nie będzie mnie w domu tak długo. Kurwa, dzieciaku. Jesteś głupi jak dziesięć stóp brudu." Er räuspert sich etwas verärgert. „Mein Bruder. Hat nicht verstanden, dass ich jetzt hier bin und es für ein halbes Jahr sein werde."
„Blöd wie drei Meter Feldweg", meine ich besonnen und lache kurz. „Sehr nett."
„Ach? Hast du etwa verstanden, was ich da gesagt habe?", fragt Mikołaj ein wenig überrascht.
„Nicht alles, nur einen Teil", antworte ich unbefangen. „Ich habe polnisch als Nebenfach gewählt. Finde, es ist eine sehr interessante Sprache." Außerdem kann ich damit meinen Vater ärgern.
„Dann wird man sich also viel öfter sehen", fasst Mikołaj schließlich als Punkt zusammen.
„Bestimmt." Ich zucke mit den Schultern. Gebe auch zu, dass ich mich insgeheim freue. „Lass' uns weitermachen. Die Zeit ist ohnehin schon knapp."
„Typisch kurwa, was? Das Wort, wofür ihr bekannt seid." Elise erlaubt sich erneut einen Spaß. „Neben des Gerüchts, dass ihr alles mitgehen lasst, was nicht nagelfest ist."
„Für irgendetwas muss mein Land bekannt sein", erwidert er ungeniert und notiert die ersten Stichpunkte. „Wenn ich du wäre, würde ich aufpassen, wo ich was habe. Ich weiß nämlich immer, wo was ist."
So langsam fange ich an, ihn zu mögen, denke ich und ergänze ein Wort. Ich hoffe nur, dass das nicht täuscht.
„Schön, wenn du solche Dinger mit Humor nimmst. Da kenne ich Leute, die sind da deutlich verklemmter." Elise gestaltet eine Zeile komplett einfarbig. „Du hast also einen Bruder? Warum ist er nicht mitgekommen? Du wärst nicht so allein."
„Die Welt ist ohnehin schon extrem verklemmt. Da muss man selbst nicht nachhelfen." Er wirft einen Blick auf das Handy. Schreibt weiter. „Ja, einen Zwillingsbruder. Wir sind eineiige Zwillinge, falls du es wissen willst." Allein die Vorstellung von beiden ansehnlichen Typen lässt das Herz fast aus der Brust springen. „Łukasz ist nicht der Typ für so etwas. Er ist viel zu ... Na, wie sagt man? Sagen wir: Er ist zu schüchtern. Ihm fällt es extrem schwer, Kontakte zu knüpfen und sich in einer völlig fremden Gesellschaft einzuleben." Mikołaj legt den Stift beiseite und sucht nach der Wasserflasche. „Sprachen sind nicht so seins. Vor allem nicht die deutsche. Er hat da deutlich länger gebraucht als ich."
„Da bist du wieder anders", gestatte ich mir die Bemerkung.
„Richtig. Deutsch, russisch und englisch. Die drei beherrsche ich im Schlaf. Aber geht es ans Französische, bin ich da komplett 'raus. Ziemlich komplizierte Kiste." Er stellt sie weg. „Darum habe ich es auch gewählt. Es wird zwar eine Katastrophe werden, aber ein Versuch schadet nie."
„Wieder ein Kurs, den man gemeinsam besuchen wird." Ich kann es nicht verhindern. Muss einfach lächeln.
„Das kann kein Zufall sein." Mikołaj erwidert es. „Wie viel soll ich eigentlich heraussuchen? Reichen acht Stichpunkte?"
„Wenn du der Meinung bist, du hast alles Wichtige herausgesucht, dann kannst du es so lassen. Ich werfe eh nachher einen Blick 'rüber. Mach' erst 'mal weiter." Elise setzt schwungvolle Linien auf dem Blatt ab. „So und so, das und das. Sieht zwar verdammt scheiße aus, aber es muss ja nur darstellen, dass da Gemeinsamkeiten sind. Keine Sorge, ich schreibe es noch ordentlich ab."
Ein Montag hat bisher nieso gut angefangen. Normalerweise kriege ich gefühlte Migräneattacken, sobald Brachmann seine nervige Stimme erhebt. Ein Glück, dass wir nur Gruppenarbeit machen müssen. Das macht es deutlich erträglicher. Ich halte etwas inne und mustere Mikołaj. Mir fällt der neonfarbige Expander ins Auge. Kein kurzer, dafür ist er schmal. Ohne Scherz: Ich hoffe echt, dass ich mich nicht in ihm getäuscht habe. Noch wirkt er vernünftig und sympathisch. Ich bin gespannt, wie er sich in Polnisch anstellen wird. Ein gebürtiger Pole gegenüber einer Lehrerin, die die Sprache nur studiert hat. Das kann etwas werden.
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