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Als Finn am Morgen die Augen öffnet, schaut er instinktiv zur Seite. Romina liegt nicht mehr dort. Ein Anflug von Enttäuschung schleicht sich bei ihm ein. Und mit der Enttäuschung kommt auch direkt das schlechte Gewissen angeflitzt.
So wirklich richtig war das gestern nicht. Irgendwie war es gefährlich. War nicht sehr nett für Isa, dass er sie allein gelassen hat, dass er zu Romi ist.
Isa hat Maja gehasst, flimmert es einen Frame lang im Kopf auf.
Dann ist da wieder Romis leerer Platz. Er hatte sie irgendwann letzte Nacht an sich gezogen. Aus Gewohnheit, aus Sehnsucht. Weil sie so warm und beruhigend war. Er hatte sich an sie gekuschelt. Ganz nah.
Viel zu nah.
So wirklich richtig war das gestern nicht.
Finn schließt die Augen.
Romina ist jedermanns wunder Punkt.
Bereuend reibt er sich das Gesicht, vertreibt den Gedanken, dass er am liebsten mit Romi geschlafen hätte. Dass es so beschissen leicht gewesen wäre um diese widerlichen Erinnerungen an Maja zu verdrängen. So wirklich richtig war das gestern nicht. Eigentlich war es sogar ziemlich falsch. Ziemlich schlimm. Dabei ist doch nichts passiert. Richtig?
Keine Ahnung wie oft er mit Romina in einem Bett geschlafen hat. War nie ein Problem. Er ist auch nie hart geworden. War immer platonisch.
Also außer letzten Sommer.
Also außer letzte Nacht.
Finn verzieht das Gesicht. »So dämlich«, murmelt er, greift dann unter seinem Kissen nach dem Smartphone. Es ist Sonntag. 10:27.
Pathologie Sylt tippt er in die Suchmaschine. Die Ergebnisse sind nur auf dem Festland. Ob man Maja dorthin transportieren würde? Wahrscheinlich nicht.
Er wechselt die App.
Messenger.
Isa
Guten Morgen ❤️
Ich hoffe, es geht dir gut ...
Können wir heute was machen?
Klaas
Ahjo
Heute Crossstrecke? Wetter soll gut werden
Oscar
Halt die Fresse oder ich brech sie dir
Finn hält inne, liest den Satz nochmal. Er grinst.
Mach dir nicht ins Höschen
Pussy
Ben
Hey Finn, kannst du heute eine Schicht übernehmen? Antworte bitte schnell! Danke!
Finn wirft das Handy zur Seite, verschränkt die Arme hinter dem Kopf, schaut die Decke an. Vielleicht wäre es besser, Abstand zu halten. Zumindest eine Weile. Bis das Gefühl aufhört.
Romina ist wortlos abgehauen. Romina hat gelogen.
Romina hat sich gegen ihn entschieden.
Darf man nicht vergessen.
Darf er nicht vergessen.
Und das, was er mit Isa hat, ist schön, ehrlich. Unkompliziert. Isa beruhigt, macht keinen Druck, sondern nimmt ihn. Isa macht ihn besser.
Romi macht nur kaputt.
Finn fischt nochmal sein Handy zwischen den Falten der Bettdecke hervor, schreibt Klaas, dass er noch am Cross basteln muss und Isa, dass sie gern später mit zur Strecke kommen kann, wenn sie Lust hat. Er würde sie gerne sehen.
Ein Ich liebe dich tippt er nach 2 Minuten überlegen hinterher. Mehr, um sich selbst daran zu erinnern, als es zu fühlen.
Auf der anderen Seite des Flurs wacht Romina mit einem ähnlichen flauen Gefühl im Bauch auf. Es ist nichts passiert, aber dennoch ist irgendetwas passiert.
Finn war zu nah.
Romina dreht sich zur Seite, schaut sich die gegenüberliegende Wand an. Das Foto mit Finn, das wo er im Sonnenschein auf der Crossstrecke lachend den Arm um sie gelegt hat, hat sie abgehangen. Da ist er zweiter geworden und hat sich gefreut, als wäre er erster.
Fünfhundert Euro Preisgeld gab es.
Da waren sie überteuert Essen von, haben sich gefeiert, als würde es kein Morgen geben. Mit Isa, Klaas und Henrie. Bis die irgendwann nicht mehr konnten. Bis irgendwann nachts nur noch Finn und Romina über waren. Da sind sie ins Meer gesprungen. Nur zu zweit. Noch komplett angezogen. Es hat geregnet, in der kühlen schwarzen Nordsee. Dann hatten sie sich vor den Bungalow gesetzt, unter den Pavillon, Finn hatte einen Joint gebaut. Philosophiert über Gott und die Welt haben sie.
Verschissen magisch ist diese Nacht gewesen bis sich der Himmel rot gefärbt und die Sonne sich am Horizont aufgerichtet hat.
Es ist die Art Nacht gewesen, die man in seinem gesamten Leben nur einmal erlebt. Die Art Nacht, die nach Erlösung schreit. Nach purer Freiheit.
Unendlichkeit.
Euphorie.
So eine Nacht, die lässt sich nicht beschreiben. Die wird mit Worten nie verständlich sein. Die kann man nicht nachvollziehen. Die kann man nur erleben.
Die ist vergänglich. Zerfließt zwischen den Fingern.
Stunden werden zu Momenten.
Du bist absolut.
Als Finn sie geküsst hatte, da hatte Romina sich gewünscht, dass die Sonne niemals aufgehen würde.
Bitte, bitte, schenk mir noch einen Moment.
Du bist absolut.
Freiheit.
Unendlichkeit.
Euphorie.
Bitte, bitte, lös deine Lippen nie niemals wieder von meinen.
Romina schiebt sich die Decke über den Kopf, stöhnt gereizt auf. Es war das erste Mal gewesen, dass sie überhaupt jemand so angefasst hatte. Auf diese süchtigmachende Art. Ganz ruhig war er gewesen, hatte nichts gefordert. Er hatte sie geliebt. Zumindest in diesem Moment, in dieser Nacht. Und sie hatte, wollte, ihm alles von sich geben, was er zwischen die Finger bekam.
Schön bist du, hatte er mit einem Lächeln in der Stimme geflüstert und sich in sie geschoben.
Danach hatte er drei Tage nicht mit ihr gesprochen. Als würde sie nicht mehr existieren, hat er sie behandelt. Bis sie ihn wütend und verletzt zur Rede gestellt hatte. Dann hatte er gesagt, dass es nichts bedeutet hat. Blöd war. Er die Freundschaft nicht ruinieren wolle. Sie sei ihm zu wichtig, um sie zu verlieren.
Romina brach das kleine Herzchen. Romina zersplitterte es noch kleinteiliger, als sie ein paar Wochen Schweigen später den Schwangerschaftstest machen musste. Mit den zwei blauen Streifen als Ergebnis.
Das konnte sie ihm nicht sagen, aber dennoch ... Da hätte sie ihn gebraucht.
Da trank sie ganz viel auf irgendwelchen Partys. Da hat sie ihn so sehr vermisst, dass sie voller Alkohol im Blut bei ihm aufgetaucht ist. Da haben sie nochmal miteinander geschlafen.
Den ganzen Tag danach hatten sie im Bett gelegen. Nur hatte dieses eine Gefühl gefehlt. Da waren sie nicht mehr schwerelos, sondern süchtig. Da war Romina so endlos süchtig nach seiner Nähe, Aufmerksamkeit. Da hätte sie alles für ihn getan. Nur um nochmal die Schwerelosigkeit zu fühlen.
Da war er plötzlich nicht mehr der Finn, der ihr Freund war. Und sie war nicht mehr die Romina, die seine Freundin war.
Da war man weg vom erzählen uns alles und ging zum erzählen uns nichts.
Da war keine Liebe. Da war Angst. Angst vor Verlust, Angst vor sich selbst. Da waren sie Junkies, die sich lieber fickten als auszusprechen, was sie fühlten.
Romina kneift die Augen zusammen. Das Herz schmerzt in der Brust. Das Butterflymesser steckt tief. Gut, dass das Foto nicht mehr hängt, denkt sie. Gut, dass letzte Nacht nichts passiert ist.
Müde schlägt sie die Decke weg, zieht sich die Pyjamahose über, die sie zum Schlafen immer ablegt. Die Haare werden zusammengebunden, um nichts im Gesicht hängen zu haben. Dann öffnet Romi ihre Zimmertür.
Dann öffnet Finn seine Zimmertür.
Dann stehen sie einander im Flur plötzlich gegenüber.
Einen Moment schauen sie sich in die Augen. Als hätten sie sich gegenseitig erwischt. Romina setzt zu einem Guten Morgen an, aber Finn wendet sich einfach Richtung Bad ab.
Da ist es wieder. Dieses Strafende. Als hätte nur sie einen Fehler gemacht und nicht er. Als wäre er sauer auf sie. Als wäre sie schuld daran, dass er sich an sie gekuschelt hatte. Dass er für sie da sein wollte und nicht für Isa.
Romina schluckt die aufkeimende Wut herunter, geht auf nackten Füßen die Holztreppe hinab ins Erdgeschoss. Vorbei an Steffis Bastelkram, der Tür zum Wohnzimmer, dem leckeren Geruch in die Küche nach.
Henrie steht am Herd und macht Crêpes. Die Spüle quillt wieder über. Er hat Teig auf der Arbeitsfläche verteilt. Romina bleibt im Türrahmen stehen.
»Riecht lecker«, lächelt sie.
»Guten Morgen meine Liebe!« Schwungvoll dreht sich Henrie zu ihr um. »Ich dachte, ich tu euch was Gutes. Magst du mir noch helfen, den Esstisch zu decken?«
Romina nickt, schaut kurz auf den Boden und entscheidet sich dann dafür, den Dreck zu ignorieren. Morgen, wenn Henrie im Gemüsemarkt ist, will sie das Haus putzen. Steffis Sachen sortieren und Finns Sachen verbrennen.
»Du hast sogar Orangensaft gemacht«, stellt sie im vorbeigehen an der Küchenzeile fest.
»Ein richtiges Sonntagsfrühstück eben.« Henrie wendet geübt den Pfannkuchen. »Außerdem braucht ihr was Nahrhaftes. Nachdem was ihr da gestern gesehen habt ...«
»So schlimm war es nicht«, tut Romina es ab. Will am liebsten gar nicht über die tote Maja reden.
»Romi.« Henrie dreht sich zu ihr. »Du darfst es ruhig zugeben. Du darfst sagen, was du fühlst. Es macht dich nicht schwach.«
Ich hasse Finn, fühlt Romi.
»Pa. Maja ist ertrunken im Meer. Das ist letzten Sommer drei Touristen passiert.«
»Ja, und das war auch schrecklich. Der Eric, der Rettungsschwimmer damals, der hat die Bilder immernoch im Kopf.«
»Für ihn muss es ja auch schlimm gewesen sein. Maja sah ...« Romi hält inne. Finn steht im Türrahmen. »Einfach hässlich aus.« Wieder treffen sich die Augen, wieder schmerzt es. Dann wendet Finn sich Henrie zu.
»Guten Morgen«, sagt er freundlich. »Wolltest du nicht angeln?« Finn deutet auf die Uhr an der Wand.
Henrie nickt eifrig. »Jaja, aber erst heute Mittag. Marcel hat's verschoben. Er wollte den Morgen mit seiner Frau verbringen. Die Renate hat heut Geburtstag.«
»Ach schön. Fahrt ihr dann mit dem Boot raus?«
»Ne, wir gehen zum Katrevel. Schön am See mit nem Bierchen in der Sonne.«
Finn nickt zustimmend. »Klingt super. Nächstes Mal musst du mich mitnehmen.«
Romina wendet sich ab, holt Teller aus dem Oberschrank, legt Schmiermesser darauf und drückt sie Finn in die Hand. »Hilf mal«, presst sie passiv-aggressiv heraus.
Finn reagiert nicht, kein Nicken, keine Antwort. Nur ein Abwenden zum an den Esstisch ins Wohnzimmer gehen.
»Bei euch beiden alles gut?«, fragt Henrie leise, sobald Finn außer Hörweite ist.
»Nein«, gibt Romina pampig zurück. »Aber frag ihn doch. Mit dir scheint er ja zu reden.«
Sie öffnet den Kühlschrank, verzieht angewidert angesichts des Inhalts das Gesicht. »Bäh«, kommentiert Romina unüberlegt. In einem Anfall von Entnervtheit beginnt sie den teils schimmeligen und abgelaufenen Inhalt in den Mülleimer zu werfen.
»Romi, jetzt lass das doch. Hol die Marmelade raus und mach den wieder zu«, befiehlt Henrie.
»Einen Scheiß mach ich. Ich räum den aus und morgen mach ich hier alles sauber. Das Haus ist viel zu schön, um so vermüllt zu werden.«
»Romina.« Henries Tonfall wird mahnend. »Ich räume das auf. Das ist mein Haus.«
Romi presst wütend die Lippen aufeinander, sagt nicht, was ihr auf der Zunge liegt. Sie schaut ihren Vater an, nickt dann langsam. Ohne Widerworte schließt sie den Mülleimer, nimmt aus dem Kühlschrank die Marmelade und drückt die Tür wieder zu.
»Wir brauchen noch Gläser«, murmelt sie, als sie an Finn vorbei ins Wohnzimmer geht. Sie stellt die Marmelade ab und setzt sich aufs Sofa.
Steffi fehlt. Überall im Raum ist sie irgendwie, ihr Geruch hängt noch in den Kissen. Ob Henrie deshalb nicht putzt? Um nicht zu verlieren, was sie liegen gelassen hat? Ihre Lesebrille liegt noch auf dem Couchtisch auf dem Stapel Zeitschriften. Das ungekündigte Vogue-Abo.
Steffi hat die Vogue geliebt. Die hat sie Romi früher zum Schlafen gehen vorgelesen. Steffi war toll, ganz warmherzig. Sie hat viel besser zu Henrie gepasst als Romis Mutter. War viel bodenständiger, wollte nie mehr als das Landleben auf Sylt. Im Gemüsemarkt hat sie die Buchhaltung gemacht, saß dort immer in Kostüm am Schreibtisch und hat getippt. Zuhause war sie ganz leger. Und einen Hund hatte sie. Einen Cocker Spaniel. Justin. Der ist überraschend letztes Jahr gestorben. Irgendwas hatte er gegessen, dann hatte er sich den ganzen Tag übergeben und dann war er plötzlich tot. Vergiftung. Was genau es war, hat man nicht rausgefunden. Das wollten Steffi und Henrie nicht wissen, weil es ihnen zu teuer war. Das Geld floss dann die Einäscherung vom Hund, und aus der Asche hat sich Steffi einen kleinen Diamanten gemacht. Als Kette hatte sie ihn dann immer getragen.
Bestimmt wurde sie damit auch beerdigt.
Auf die Beerdigung hatte Romina nicht gekonnt, da steckte sie mitten in den Klausuren. Henrie hatte ihr gesagt, dass sie sich darum kümmern solle. Die Noten seien wichtiger als die Beerdigung. Und Steffis Grab könnten sie auch später zusammen besuchen.
Absolut beschissen, was alles in einem Jahr passieren kann, denkt Romina und zieht die Knie an, legt ihren Kopf darauf ab.
Steffi fehlt so verschissen sehr.
Steffi hätte nicht sterben dürfen.
Die Tränen steigen auf, aber versiegen augenblicklich, als Finn mit den Gläsern kommt. Dicht gefolgt von Henrie mit dem Teller voller Crêpes.
»Willst du uns mesten?« Romina setzt ein Lächeln auf, wechselt ihren Platz von der Couch auf den Esszimmerstuhl.
»Wir wissen, dass Finni isst wie ein Mähdrescher«, lacht Henrie und entlockt Finn ein verhaltenes Schmunzeln.
Das Frühstück verläuft ohne viele Worte. Henrie erzählt irgendwas, Finn fragt ihn irgendwas. Romina sitzt schweigend daneben, räumt am Ende ihren Teller ab und beginnt die Abwaschprozedur erneut. Diesmal kommt Finn nicht zur Hilfe. Er stellt nur seinen Teller neben die Spüle und geht im Anschluss aus dem Haus.
Henrie packt sein Angelzeug zusammen, schmiert ein paar Brote und holt sich Bier aus dem Kühlschrank.
»Was hast du heute noch so Schönes vor?«, fragt er seine Tochter beiläufig.
Romina braucht einen Moment, bis es ihr einfällt. Oscar. Reiten. Ein Date.
»Nur lesen und vielleicht an den Strand«, lügt sie dennoch. Irgendetwas in ihr will Henrie nicht von Oscar erzählen. Dafür sind die Von Schillings zu berühmt, stehen zu oft in der Zeitung und werden von Henrie zu leidenschaftlich abgelehnt. Vielleicht hat Finn das von ihm. Oder umgekehrt.
»Das klingt entschleunigend. Ich wünsche dir viel Spaß.« Henrie drückt seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn.
»Ich dir auch, Pa.«
Dann geht er und Romina entscheidet sich, wirklich zu lesen. Shinning zieht sie aus dem Bücherregal im Wohnzimmer, pflanzt sich damit auf die Liege im Garten und ignoriert wie Finn aus der Gartenhütte Werkzeug hervorkramt, sein Cross schließlich dahin schiebt und mit Kopfhörern in den Ohren anfängt daran herumzuschrauben.
Nur hin und wieder gleitet ein verstohlener Blick über die Seiten hinweg zu ihm herüber.
Er kann das gut, denkt Romina. Das Reparieren von Gegenständen. Egal, was es ist, Finns technisches Verständnis hat immer ausgereicht und wenn er etwas nicht wusste, dann eignete er es sich an. Früher hat er die Lampen auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Nur um zu schauen, wie sie funktionieren.
Jetzt schraubt er den Auspuff ab und schaut konzentriert drein.
Ölflecken sammeln sich auf seinen Händen und jedes Mal auch auf dem grauen T-Shirt, wenn er sie daran abwischt. Es ist so klischeebelastet, dass Romina mit den Augen rollt, sich wieder dem Buch zuwendet. Jack Torrance erkundet das Hotel, sein Sohn hat eine schreckliche Version. Gruselige Heckentiere.
Irgendwann fällt ihr Blick auf ihre Armbanduhr.
Um wie viel Uhr wollte sie sich nochmal mit Oscar treffen? Fünfzehn Uhr?
Am liebsten würde sie ihm absagen, aber hat dafür gar nicht seine Handynummer. Und um jemanden ghosten zu können, müsste man die Insel verlassen.
Also geht Romina hoch in ihr Zimmer, wirft sich lieblos in T-Shirt und Shorts, tritt dann wieder raus auf die Terrasse.
»Du bist jetzt allein hier. Schließ ab, wenn du gehst!«, ruft sie Finn zu, aber der scheint durch die Kopfhörer nichts zu hören. Genervt stampft sie über den Rasen zu ihm herüber, klopft ihm auf die Schulter. Erschrocken zuckt er zusammen, richtet sich auf und dreht sich beim Kopfhörer herausnehmen zu ihr um.
»Du bist jetzt allein hier«, wiederholt Romina. »Schließ ab, wenn du gehst.«
Er runzelt die Stirn. »Wo verschlägt es dich denn hin?«
Finn schmiert sich das Öl am T-Shirt ab. Die Ölflecken, der Schweiß und der konzentrierte Gesichtsausdruck. Es ist so klischeehaft, dass es ihm steht.
Mit einem Mal unsicher verlagert Romina ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
»Ich treff mich mit Oscar. Bitte kein Wort dazu«, erklärt sie schnell. »Er will mit mir reiten gehen.«
Finn grinst amüsiert. Ihm liegt ein Kommentar auf der Zunge. Er ist noch immer attraktiv, flimmert es in Romina auf. Nicht auf eine elegante Art wie es Oscar ist, nicht klassisch schön. Finn ist rau. Finn ist die dreckige kalte Nordsee und Oscar das warme wellenlose Mittelmeer.
Er verschränkt die Arme vor der Brust, lehnt sich zurück gegen das Motorrad.
»Kein Spruch dazu parat?«, provoziert Romina. Irgendwas an ihm zieht sie zu sich. Zieht sie auf die Nordsee hinaus.
Finn presst die Lippen aufeinander. Er überlegt, aber schweigt.
Er ist so schmerzhaft vertraut, denkt Romina. Und seine Nähe wie Fentanyl. Das Herz setzt einen Schlag aus, die Atmung wird flacher. Aber dieses unabdingbare Gefühl von Hitze, Euphorie. Das löst er aus. Sie schaut ihn an, und spürt ihr Herz gar nicht mehr bluten. Sie schaut ihn an und dennoch steckt das Butterflymesser in der Brust. Sie spürt es nur nicht.
Er ist so verschissen schmerzhaft vertraut.
Und er braucht kein Wort sagen, um zu signalisieren, dass auch sie sein Fentanyl ist.
Es reicht ein Blick.
Es reicht ein Blick und plötzlich ist die Sucht wieder da. Die Sehnsucht. Ganz vorsichtig hat sich das unstillbare Verlangen in Finns Bewusstsein geschlichen. Das Fentanyl ist so nah. So verschissen nah. Und er so verschissen süchtig.
Finn beugt sich vor, ein Hauch von Vorsicht in der Mimik, streicht ganz behutsam, den Blick nicht von Rominas lösend, mit den Fingerkuppen ihren Oberschenkel hinauf. Es kribbelt wieder auf der Haut, brennt sich förmlich ins Fleisch. Als würde er sie mit jeder Berührung brandmarken. Finns Hand ist pure Hitze. Ein Brandeisen.
Euphorie. Fentanyl. Butterflymesser im Herz.
»Wenn du willst, dass ich nix sage, sage ich nichts«, flüstert er so nah vor Romina, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren kann.
Rominas Herz pocht laut, schlägt fast so schnell, dass es zittert. Gänsehaut breitet sich am ganzen Körper aus. Ganz gebannt wartet sie darauf, wohin sich seine Finger hinwagen wollen. Romina gefriert zu Eis, als er sich unter ihre Shorts traut. Kurz hält er inne, als wäre es die letzte Gelegenheit etwas dagegen zu tun. Es zurückzuhalten. Zu verhindern.
Nehmen wir das Fentanyl?
Romina will nichts dagegen tun, nichts zurückhalten. Nichts verhindern. Romina will das Fentanyl.
Sie spürt, wie er die Naht ihres Slips ertastet. Irgendetwas in ihr sehnt sich so unendlich danach, dass er sie noch weiter berührt, seine Finger zwischen ihre Beine legt. Impulsiv bewegt sich Romis Becken zu ihm hin. Den Blick hat sie schon längst in seiner Nordsee von Augen verloren. Ist schon ertrunken.
Völlig in der Sucht gefangen, lehnt er sich die letzten Zentimeter vor, will seine Lippen auf ihre legen.
Bitte liebes Fentanyl, nur ein einziges Mal. Versprochen. Nur ein verschissen einziges Mal. Du fehlst mir so, es frisst mich auf. Ich bin süchtig nach dir, liebes Fentanyl.
Ein Geräusch zerfetzt die Spannung. Wie ein Glas, das im leeren Saal auf den Boden scheppert.
Finns Handy klingelt auf dem Motorradsitz.
Schlagartig wacht Romina auf, zieht seine Hand von sich weg. Übrig bleibt ein kleiner schwarzer Ölstreifen auf ihrer Haut.
»Isa« erinnert sie atemlos.
Einen Augenblick schaut Finn, als würde er aus einer Trance erwachen. »Ja ... Isa«, murmelt er verwirrt.
Er presst die Lippen aufeinander, schiebt die Hände in die Hosentaschen. Noch immer klingelt es. Isa steht in Großbuchstaben am oberen Rand des Bildschirms. Darunter ein Bild von ihr mit Mütze am Strand. Der Klingelton kreischt in den Ohren, übertönt Rominas Puls. Als würde es sie anschreien. Als würde Isa durch das Telefon wüten.
»Willst du nicht dran gehen?«, fragt Romi. Der Mund ist ganz trocken.
»Was?« Finns Gehirn arbeitet langsam. Schleppend fällt ihm ein, was zu tun ist und dann plötzlich hektisch greift er nach dem Smartphone. Aber anstatt den grünen Hörer zu drücken, drückt er den roten. »Schlechtes Timing«, behauptet er.
Romina nickt nur erschlagen. Was zur Hölle war das gerade? Hätte er sie wirklich geküsst, wenn das Handy nicht geklingelt hätte?
Desillusioniert schaut Romina ihr Fentanyl an. Hätte sie es gerade wirklich fast genommen?
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