ZWEI
༄
Am Montag war wieder Schule.
Ich schlurfte durch die Korridore zu meinem Schließfach, um meine Bücher abzuladen und die, die ich brauchte, rauszuholen, machte mich dann auf den Weg zum Englischraum und versuchte nebenbei weniger wie ein Zombie aus The Walking Dead auszusehen. Ich scheiterte kläglich.
Nach dem schrecklichen Freitagabend hatte ich die restlichen zwei Tage damit verbracht, mit meinem Dad und meinem Bruder Leo alle Fast & Furious Filme, die wir hatten, zu schauen und Pizza zu essen.
Kurz gesagt, ich hatte mich in meinem gemütlichen Zuhause verkrochen und gebetet, dass ich einen miesen Schnupfen oder so bekäme, nur um am Montagmorgen nicht wieder in die Schule zurück zu müssen. Doch das war leider nicht passiert.
Ich kam in die Klasse und ließ mich auf meinen gewohnten Platz in der zweiten Reihe fallen. Ich hatte Englisch noch nie leider können. Diese ganze überzogene Literatursache war einfach nicht mein Ding.
Heute fingen wir mit Romeo und Julia an. Ein Klassiker. Zumindest würde Rosie das jetzt sagen.
Aber im Grund war es nichts weiter als ein Mischmasch aus einer unschuldigen Schönheit wie Bella aka Kristen Stewart aus der „Twilight"-Saga plus ein Hauch Erotik á la „Fifty Shades of Grey" plus ein gut aussehender Harry-Styles-Verschnitt als Bad Boy. Das alles machte einen Liebesroman wie er im Buche steht: Zwei bis aufs Blut verfeindete junge Menschen zwischen denen sich eine großartige Liebe entwickelte und die schlussendlich starben.
Bloß eben, dass Julia mit ihren vierzehn Jahren einfach mal viel zu jung war, als ihre Eltern sie an diesen alten, wohlhabenden Typen (Graf Paris) verheiraten wollten. Der gute Shakespeare hatte ja so was von keine Ahnung, was es heutzutage bedeutete, eine Minderjährige mit einem Vierzigjährigen zu verkuppeln. Sag der Freiheit Lebe wohl, Graf Paris.
Julia hätte diesen Scheißkerl anzeigen müssen, dass er ihr an die Wäsche gegangen ist.
Ich ließ den Blick durch die Klasse schweifen. Harriet kam gerade gefolgt von Rosie durch die Tür. Die Blondine winkte mir zu und setzte sich in die letzte Reihe, während Rosie zu mir hinüber kam und sich auf ihren gewohnten Platz neben mich fallen ließ. „Guten Morgen!", sagte sie fröhlich.
Ich runzelte die Stirn. „Hi", murmelte ich müde und gähnte einmal herzhaft.
Rosie warf mir einen kurzen Blick zu und packte dann ihre Sachen aus. „Warum so schlecht gelaunt?", fragte sie mich.
Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf auf die kühle Tischplatte. „Warum so gut gelaunt?", antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Rosie zog die Augenbrauen hoch. „Oh, na klar. Ist ja nicht gerade so, als hätte ich keinen Ärger von meinen Eltern bekommen", sagte sie schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich riss den Kopf wieder hoch und sah sie empört an. „Entschuldige mal. Ich hab doch gar nicht-", motzte ich, doch Rosie unterbrach mich.
„Nein, überhaupt nicht", sagte sie ironisch.
Ich stöhnte und schnalzte genervt mit der Zunge. „Du wurdest immerhin nicht von deinem total peinlichen Vater abgeholt", entgegnete ich.
Rosies Miene glättete sich besänftigend und sie lachte sogar. „Ja, zum Glück", prustete sie.
Ich schüttelte grinsend den Kopf, dann tauchte plötzlich Sam im Zimmer auf und meine Gesichtszüge entgleisten.
Cooles Wortspiel, oder? Gesichtszüge entgleisen. Wie witzig ich doch war.
Ich wandte den Blick ab und Rosie betrachtete mich mit gerunzelter Stirn. „Was ist?", fragte sie verwirrt.
„Oh, es ist nur Sam", murmelte ich.
„Ja und?", fragte sie ratlos und drehte sich zu ihm um.
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie er ihr zu winkte. „Ich glaube, er ist nicht besonders gut auf mich zu sprechen", sagte ich.
Rosie drehte sich wieder zu mir um. „Meinst du?", sagte sie ungläubig. „Sieht nämlich gar nicht danach aus."
Ich hob den Kopf und sah zu Sam, der anfing zu grinsen, als er das bemerkte. Seine dunkelblonden Haare waren unordentlich, als sei er gerade erst aufgestanden. Er hob eine Hand, ich lächelte irgendwie gequält zurück und drehte mich dann mit hochrotem Kopf zu Rosie.
Diese sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Siehst du?", sagte sie.
„Er hat mir am Freitag mit Tony geholfen. Der Typ war echt ziemlich penetrant u-und ich hab es ihm nicht wirklich gedankt. Ich war ziemlich doof, um ehrlich zu sein. Ich dachte, er wäre total sauer", sagte ich.
Rosie runzelte die Stirn. „Ich bitte dich. Du kennst doch Sam. Der ist nie lange sauer. Und vor allem nicht auf dich. Ich glaub, er hat Angst vor Leo." Sie kicherte.
Ich nickte leicht. „Ja, schon", sagte ich mit geschlossenen Augen. „Er ist auf niemanden lange sauer."
„Kane, Ripley! Ruhe jetzt!", rief plötzlich die barsche Stimme von Mrs Dean und ließ mich zusammen zucken und Rosie sich kerzengerade hinsetzen.
Unsere feiste Englischlehrerin sah uns scharf an und ich schrumpfte unter ihrem Blick förmlich zusammen, dann wandte sie sich an den Rest der Klasse. „Also meine Lieben, bevor wir mit der Lektüre anfangen, möchte ich euch an den bald anstehenden Promball erinnern. Unsere Klassensprecher und ihre Organisatoren haben sich dafür sehr ins Zeug gelegt. Respektiert das."
Während einige Schüler auf die Ankündigung des Prom miteinander tuschelten, Mädchen wegen des Balls kicherten und Jungs anerkennend brummten, vermied ich es mit Bedacht zu Sam zu schauen.
Mein Gesicht glühte und ich fühlte mich wie eine Leuchtboje.
„Und? Weißt du schon, mit wem du hingehst?", fragte Rosie neugierig.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt kommen werde", entgegnete ich.
Rosie sah mich entsetzt an. „Aber du musst kommen! Es ist der Schulball, Val. Du kannst nicht einfach nicht kommen", sagte sie vorwurfsvoll und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Rosie-", begann ich, doch ich wurde von ihr unterbrochen.
„Komm schon, Val. Wenn du nicht weißt, wer dich begleiten soll, dann frag doch einfach Sam. Ich meine, er sieht gut aus", bemerkte Rosie schmunzelnd und beobachtete meine Reaktion auf ihre Worte.
Prompt stieß ich meine Federtasche vom Tisch. Rosie lachte leise, während ich mich bückte und meinen Kopf dann auch noch sehr unattraktiv an der Tischplatte stieß. „Ach, findest du?", fragte ich und kratzte mir die schmerzende Stelle. Rosie grinste schelmisch. „Sam ist Leos Freund, Rosie", erklärte ich dann seufzend. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre, wenn-"
„Es ist deine Entscheidung", sagte Rosie. „Aber es wäre wirklich schade, wenn du überhaupt nicht kommen würdest."
Ich sah sie nachdenklich an, sagte jedoch nichts. Stattdessen begann Mrs Dean über Romeo und Julia zu schwafeln und ich knipste mein Gehirn für die nächsten vierzig Minuten aus.
Mit Englisch konnte ich nichts anfangen. Bücher lesen, Aufsätze schreiben, Gefühle. Urgh. Das war so gar nichts für mich. Es war einfach nicht logisch.
Mathe. Das war logisch. Zahlen, Formeln, rationales Denken. Das machte Sinn.
Deshalb war ich auch froh, dass meine nächsten zwei Stunden Mathe waren. Meine Lehrerin hatte schon von Anfang an entdeckt, dass ich wohl ein besonderes Talent für dieses Fach hatte. Wahrscheinlich war sie die Einzige, die dachte, dass ich überhaupt irgendein Talent hatte. Aber das war es, was ich konnte.
Rosie nervte mich immer damit. Und so auch heute.
Sie jammerte herum, während wir ein Gleichungssystem mit drei Variablen lösen sollten, und lenkte mich damit so sehr ab, dass ich ihr am liebsten eins über den Schädel gezogen hätte.
„Wie machst du das bloß immer?", fragte sie kopfschüttelnd, als sie mein Ergebnis sah.
Ich konnte nur schwer ein Augenrollen unterdrücken. „Das ist doch ganz einfach", entgegnete ich schulterzuckend und beugte mich zu ihr hinüber. „Du musst einfach nur-"
„Val, ich kann damit nichts anfangen", unterbrach sie mich jedoch verzweifelt. „Zahlen sind nicht so meins."
Ich lachte. „Ich weiß, aber dafür hab ich keinen Schimmer von Macbeth", erwiderte ich grinsend und als Mrs Morrison mir über die Schulter schaute und bei meinem Ergebnis zustimmend lächelte und nickte und Rosie anfuhr, sie solle sich ihrer Aufgabe zuwenden, stöhnte diese leise auf und ich musste mir ein Lachen verkneifen.
༄
„Hey, Kane, warte mal!", rief jemand hinter mir, als ich durch den Korridor lief.
Ich drehte mich um und erkannte Sam, der direkt vor mir stand. Ich sah verlegen zu ihm hoch. „Sam, hi. Du, es tut mir leid, wegen...du weißt schon. Freitag. Was da passiert ist. Das war echt dumm von mir und ich will, dass du weißt, dass ich echt dankbar bin, dass du mir bei der Sache mit Tony geholfen hast", stammelte ich.
Sam hob belustigt die Augenbrauen und ein schiefes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „Ist schon okay", sagte er amüsiert. „Ich weiß doch, wie du bist. Keine Angst."
Ich verdrehte die Augen. „Also...alles gut zwischen uns?", fragte ich schließlich.
Sam lächelte mich süß an. „Ja, alles gut", sagte er.
„Okay", sagte ich und versuchte ein Lächeln, ehe ich mich von ihm abwandte, um zu meinem Schließfach zu gehen.
„Oh, hey, Kane", sagte Sam und kam mir hinterher. „Ich dachte, wir könnten in der Mittagspause zusammen essen." Ich drehte mich zu ihm um. „Natürlich nur, wenn du willst", fügte Sam noch hinzu.
Ich überlegte kurz. „Okay", sagte ich schließlich schulterzuckend. „Wir sehen uns." Und mit diesen Worten wandte ich mich endgültig von ihm an.
In der Mittagspause wartete Sam tatsächlich vor unserem Klassenzimmer auf mich. Wir liefen schweigend nebeneinander zur Cafeteria, beluden unsere Tabletts (seines war definitiv voller als meines) mit Saft Tetrapacks und eingeschweißten Hot Dogs und so zog ich ihn schließlich hinüber zu dem Tisch, an dem auch schon meine Freundinnen saßen.
„Leute!", sagte ich laut, als wir am Tisch ankamen, und augenblicklich verstummte Rosies und Harriets Gespräch und sie hoben die Köpfe.
Als sie Sam erkannten, breitete sich auf Harriets Lippen ein breites Lächeln aus und Rosies Augen wanderten zwischen mir und ihm hin und her. „Ist es okay, wenn Sam bei uns sitzt?", fragte ich, während ich mein Tablett auf die Tischplatte stellte und mich ihnen gegenüber setzte.
Harriets Augen weiteten sich. „Oh ja, na klar", sagte sie überrascht.
Sam ließ sich neben mir auf der Bank nieder. „Hey, wie geht's dir, Sam?", fragte Harriet interessiert, während sie das Kinn auf ihre ineinander verschränkten Hände stützte und ihn musterte.
Sam lächelte wie immer unglaublich nett. „Ganz gut und dir?", erwiderte er.
Harriet zuckte mit den Schultern. „Kann mich nicht beschweren", sagte sie, dann warf sie mir einen zögerlichen Blick zu, den ich ignorierte, und wandte sich wieder an Sam. „Also, hast du schon eine Verabredung für den Schulball?"
Ich verschluckte mich prompt an meinem Saft und starrte Harriet an.
Sam hob überrascht die Brauen und sah mich kurz von der Seite her an. „Nein, hab ich nicht."
Er drehte den Kopf wieder zu Harriet, auf deren Lippen ein Lächeln auftauchte. „Ach nein?", sagte sie und zur Bestätigung schüttelte Sam den Kopf.
Während Harriet und Sam sich also weiter über das Thema Schulball unterhielten und Rosie mir hin und wieder verunsicherte Blicke zu warf, stocherte ich lustlos in meinem Essen herum. Der Salat, den ich vor mir hatte, schien mir bei weitem nicht mehr ganz so appetitlich, wie ich noch vor fünf Minuten gedacht hatte.
Manchmal war Harriet wirklich unerträglich. Sie hatte nichts mit Sam zu tun und er war im Grunde auch einfach nur ziemlich nervig und das wusste sie.
Und ich wusste auch, warum sie das tat. Sie wollte damit einfach nur beweisen, ob sich selbst oder allen anderen, dass sie das Zeug dazu hatte, jeden Kerl um den Finger zu wickeln. Da spielte sie ein bisschen mit ihren, zugegebener Maßen ziemlich beeindruckenden, weiblichen Reizen und - Zack! - schon war es um den Jungen geschehen.
„Valentine?", riss mich plötzlich eine Stimme aus meinen Gedanken.
Ich hob den Kopf von meinem Essen und blickte verwirrt zu Harriet und Rosie. „Was ist denn los mit dir?", fragte Harriet mit gerunzelter Stirn, während Sam neben mir herzhaft in sein Hot Dog biss.
Ich seufzte. „Nichts", sagte ich hastig und versuchte ein Lächeln.
„Du bist so komisch", bemerkte Harriet zweifelnd, doch ich schüttelte den Kopf und drehte mich um, als mein Bruder an unseren Tisch trat.
„Hi, Schwesterherz", sagte Leo grinsend, drückte mich gegen Sam und quetschte sich ziemlich ungalant neben mich auf die Bank.
„Hey", murmelte ich und versuchte zu verbergen, wie rot ich gerade angelaufen war. Die Nähe zu Sam war mir irgendwie unangenehm.
Leo runzelte die Stirn. „Was ist los mit dir?", fragte er verwundert und sah fragend zu Harriet und Rosie, die ratlos mit den Schultern zuckten.
Ich stöhnte genervt auf. „Wieso denkt eigentlich jeder hier, dass irgendwas mit mir los ist?", fragte ich verärgert und knallte mein Besteck vielleicht etwas zu heftig auf den Tisch.
„Wir machen uns einfach nur Sorgen", sagte Harriet.
Ich verdrehte die Augen. „Ihr braucht euch aber keine Sorgen machen", murrte ich.
Meine beiden Freundinnen tauschten Blicke und Leo schüttelte belustigt den Kopf. „Mädchen, was?", fragte er Sam amüsiert und lehnte sich zu dem anderen hinüber. Sie klatschten sich ab.
Warum taten das Jungs eigentlich immer? Sollte das irgendwie besonders männlich sein, oder so? Ich verstand es nicht.
„Was geht, Alter?", fragte mein Bruder und Sam grinste breit.
Und dann noch dieses Alter. Unzivilisiert und verdammt dämlich.
„Alles gut, bei dir?", entgegnete Sam.
Leo lachte. „Mir geht es fantastisch", sagte er, dann wandte er sich an Rosie.
Er hatte schon immer einen Narren an ihr gefressen, aber sie hatte sich nie auf ihn eingelassen. War auch besser so.
„Hey, Rose. Hast du das vom Schulball gehört? Wir beide, mh? Wie wär's?", rief er.
Rosie legte den Kopf schief. Ich wusste, was jetzt kam. „Träum weiter, du Spinner!", rief sie kopfschüttelnd.
Ich musste schmunzelnd.
„Oh, wenn Rosie nicht will, dann kannst du auch mich mitnehmen", warf Harriet ein.
Ich schlug über den Tisch nach ihr.
„Was denn?", rief sie, während Leo nur dümmlich grinste.
„Vergiss es! Du kriegst nicht Sam und meinen Bruder", sagte ich.
Harriet machte einen Schmollmund und wandte sich ihrem Essen zu, während Leo mir den Ellenbogen in die Seite stieß. „Aua! Was denn?", rief ich empört. Ich warf Sam einen kurzen Blick zu, der mich verlegen anlächelte. Dann stöhnte ich genervt, stand auf, packte mein noch fast volles Tablett und verließ die Cafeteria. Die anderen sahen mir hinterher.
Sie wussten wie ich drauf war. Der Tod meiner Mutter hatte ein riesiges Loch in mein Leben gehauen. Mein Dad genoss seitdem die Freuden alleinerziehender Väter.
Und ich vegetierte so vor mich hin. Ich, der ewige Single, Valentine Kane. Na ja, eigentlich war ich inzwischen nur noch Kane. Alle nannten mich Kane. Alle kannten mich als Kane.
༄
Es war warm draußen. Der Sommer war in Port Lincoln die schönste Jahreszeit.
Ich lief neben meinem Bruder die Straße entlang. Leos Auto hatte mal wieder den Geist aufgegeben und deshalb mussten wir zu Fuß zur Schule und wieder zurück laufen. Mein Wagen ging auch aus irgendeinem Grund nicht. Kaputte Autos, kaputte Familie, sag ich nur.
„Du hättest diese alte Schrottkarre schon längst verkaufen sollen", grummelte ich und kickte im Gehen einen Stein an den Wegesrand.
Leo warf mir einen empörten Blick zu. „Ähm, nein. Bist du noch ganz dicht?", erwiderte er beleidigt.
„Wieso nicht?", fragte ich und sah ihn von der Seite her an.
„Ich verkauf doch nicht mein Auto, geht's noch? Du verkaufst dein Auto doch auch nicht", rief Leo und schüttelte den Kopf.
„Ja, weil mein Auto ja auch zuverlässiger ist. Aber deins...das ist so oft kaputt."
„Unglaublich", murmelte er.
Ich schwieg.
„Was sollte das vorhin eigentlich?", fragte er mich nach einer Weile.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Was sollte was?", entgegnete ich. „Du meinst Harriet?" Leo sah mich erwartungsvoll an. „Du willst auch nicht, dass ich mit deinen Freunden ausgehe."
Leo warf mir einen entgeisterten Blick zu. „Oh, jetzt kommst du auf die Tour an", seufzte er, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
Ich hob die Schultern. „Na, ist doch so", konterte ich.
Leo öffnete die Augen und sah mich tadelnd an. „Das ist ja auch was völlig anderes", sagte er.
„Das ist überhaupt nichts anderes", sagte ich wütend.
„Doch ist es. Du bist meine kleine Schwester", stellte er fest.
Ich sah ihn genervt an. „Du bist nur ein Jahr älter als ich und gehst trotzdem in den gleichen Jahrgang", rief ich.
„Glaub mir, Val. Du willst mit keinem von denen ausgehen", sagte Leo ungerührt.
Ich runzelte die Stirn. „Und warum nicht?", fragte ich.
Leo verdrehte die Augen. „Weil...weil...weil es halt so ist. Und jetzt hör auf damit, okay?", rief er.
„Und was, wenn ich mit einem von ihnen auf den Abschlussball gehen will?", fragte ich herausfordernd. Was ich selbstverständlich nicht wollte. Aber das musste Leo ja nicht unbedingt wissen. Ich wollte ihn nur ein bisschen ärgern.
Leo starrte mich an. „Daraus wird nichts, Kleine", sagte er sofort.
Ich zog wütend die Augenbrauen zusammen. „Du kannst mir nicht alles verbieten!", rief ich aufgebracht.
Leo stöhnte verhalten und fuhr sich durch die braunen Haare. „Komm schon, Val", sagte er flehend. „Nimm doch - nimm doch einfach Zombie Joe mit auf den Ball", schlug er dann vor.
Ich sah ihn entgeistert an. „Zombie Joe? Du meinst den Typen mit der Zahnspange? Der, der ständig schwitzt? Bist du bescheuert?", sagte ich und tippte mir gegen die Stirn.
Leo runzelte die Stirn. „So schlimm kann er doch nicht sein", sagte er.
Ich schüttelte angewidert den Kopf. „Er redet nur von zwei Sachen und das sind sein PC und seine weiße Katze Monica", bemerkte ich trocken. Leo seufzte, blieb jedoch stumm. „Dad hat auch gesagt, dass ich ausgehen soll", warf ich dann ein.
„Oh, jetzt spielst du die Karte", stöhnte Leo.
„Du kannst ihn gerne fragen", sagte ich unbekümmert. „Er hat gesagt, ich darf auf Partys gehen und so weiter."
„Aber nicht mit einem meiner Freunde", sagte Leo.
„Dad hätte sicher nichts dagegen", überlegte ich nachdenklich.
Mein Bruder warf mir einen verärgerten Blick zu. „Ich hab aber was dagegen", sagte er.
Ich verdrehte die Augen. „Dad hat gesagt, ich soll mein Leben leben. Und feiern gehen. Und mich mit Jungs treffen. Da ist es doch völlig egal mit wem", erwiderte ich.
„Dads Urteilsvermögen ist eben getrübt. Das musst du verstehen", murmelte Leo. „Deshalb sag ich dir ja auch, dass, wenn jemand von denen dich anfasst, ich demjenigen eine reinhauen werde."
„Dann hör du auch auf, meine Freundinnen anzubaggern", rief ich.
„Harriet hat mich zuerst angebaggert", entgegnete er.
Ich lachte ironisch. „Das macht sie bei jedem. Glaub ja nicht, dass du irgendwie besonders bist oder so", sagte ich und schüttelte belustigt den Kopf.
„Wie auch immer. Du lässt meine Freunde in Ruhe und ich lass deine in Ruhe, abgemacht?", sagte Leo schließlich.
Ich sah ihn an und nickte. „Ich kenne die meisten doch eh schon seit Jahren. Und ich hab noch nie was mit ihnen angefangen, Leo. Sie sind genauso meine Freunde wie deine, also reg dich ab, okay?", bemerkte ich, ehe ich meinen Schlüssel aus der Tasche zog und die Haustür aufschloss. „Außerdem können die manchmal echt lästig sein."
Leo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß ja nicht, auf was für kranke Ideen du kommst", sagte er.
„Ach, halt doch die Schnauze."
Sobald wir das Wohnzimmer betreten und Dad begrüßt hatten, verschwand Leo in der Garage, um an seinem Auto herum zu schrauben. Als hätte er nichts besseres zu tun.
Ich ging in die Küche, nahm mir aus dem Kühlschrank eine Saftflasche und warf mich dann aufs Sofa zu meinem Vater, der Football schaute.
„Wie war die Schule?", fragte er, den Blick auf den flackernden Bildschirm gerichtet.
„Ganz gut", seufzte ich. „Ich mag nur Mrs Dean nicht."
Dad drehte den Kopf zu mir. „Ich weiß, Schätzchen. Schon seit vier Jahren", sagte er schmunzelnd.
„Dad. Wozu braucht man Englisch gleich nochmal?", fragte ich.
Mein Vater begann zu lachen. „Es gibt immer diesen einen Lehrer, der dir die Schule zur Hölle macht", sagte er dann jedoch.
Ich schüttelte genervt den Kopf. „Und Mrs Dean ist der Teufel in Person. So eine alte Schreckschraube", murmelte ich.
Bei meinen Worten breitete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus. „So eine alte Schreckschraube", stimmte Dad mir zu, legte einen Arm um meine Schulter und zog mich an sich.
„Übrigens, hast du den Touchdown von Michael Daniels gegen die Tennessee Titans gesehen? Das war überragend. Kam die letzten Tage überall im Fernsehen.", sagte mein Dad nach einer Weile.
„Dad, du weißt, dass Football nicht so meins ist", sagte ich vorsichtig und klopfte ihm auf den Arm.
Er warf mir einen ungläubigen Blick zu. „Du solltest die Ansichten deines alten Herren eigentlich teilen", bemerkte er.
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Komm schon, Dad. Das kann nicht das einzige sein, das dich interessiert", sagte ich kopfschüttelnd.
„Ist es auch nicht", entgegnete er. „Ich bin nur eher der gemütliche Typ. Dieses Rumgerase mit den Autos kann einfach nicht gut sein. Ich verstehe nicht, was ihr Kids daran so toll findet."
„Ich rase nicht", stellte ich klar und verschränkte die Arme vor der Brust.
Mein Vater sah mich einen Moment nachdenklich an, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen im Fernsehen zu und ich stand auf.
„Na schön, ich muss jetzt auch los. Ich hab noch eine Schicht im Diner", sagte ich, zog meine Jeansjacke an und schnappte mir einen Rucksack. „Wir sehen uns heute Abend." verabschiedete ich mich, gab meinem Dad noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange und öffnete die Haustür.
„Bis dann!", rief Dad mir vom Sofa aus hinterher, dann lief ich über die Schwelle und zog die Tür hinter mir zu.
Mit schnellen Schritten lief ich über die Veranda und die Treppen hinunter, umrundete das Haus und ging auf die große Garage zu. Ihre Türen standen offen und ich konnte nur die Beine meines Bruders erkennen, der Rest seines Körpers war unter einem alten, schwarzen Ford verschwunden.
„Leo?", rief ich und augenblicklich tauchte sein Gesicht auf.
„Was gibt's?", fragte er. Er hatte Dreck an der Stirn.
„Läuft mein Wagen wieder?", fragte ich und reckte den Kopf nach meinem dunkelgrauen Auto, das hinter Leos Wagen in der Garage stand.
„Ja, du hattest einfach nur keinen Sprit mehr, deswegen ist er ausgegangen", lachte mein Bruder, der inzwischen aufgestanden war und mir die Schlüssel zuwarf.
„Ehrlich jetzt?", fragte ich verblüfft.
„Ja, die Tankanzeige war kaputt, deswegen hast du es auch nicht mitgekriegt, aber jetzt geht alles wieder", erklärte Leo.
„Zum Glück", sagte ich erleichtert, ging an Leo vorbei und stieg ein.
„Wo fährst du hin?", fragte dieser, als ich den Motor startete und langsam an ihm vorbei fuhr.
„Ich muss ins Diner, schon vergessen?", rief ich durch das herunter gekurbelte Fenster.
„Vielleicht komm ich später auch noch mal vorbei", sagte Leo.
Ich nickte, winkte noch einmal und fuhr dann aus der Einfahrt hinunter auf die Straße.
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