SECHZEHN
༄
Am Montag war wieder Schule und ich erinnerte mich daran, was ich Sam versprochen hatte. Und zwar, mich an Laura zu hängen und sie spionagemäßig auszuhorchen. Ich sprach das Ganze vorher noch mit Rosie und Harriet ab, damit die beiden nicht wieder dachten, ich würde Laura ihnen vor ziehen, denn das würde ich niemals tun, und beschloss dann, mich in der Mittagspause zu ihr an den Tisch zu setzen.
Sie war wie üblich mit ihren Freundinnen Melanie und Sky zusammen und schnatterte mit ihnen über irgendwelche Haarpflegeprodukte, von denen ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört hatte.
Nachdem ich mir einen Salat und ein belegtes Brötchen genommen hatte, lief ich mit meinem Tablett zu ihr hinüber und wartete so lange, bis sie mich bemerkte.
Komischerweise hatte ich das Gefühl, sie würde mich absichtlich ignorieren, denn erst als ich mich räusperte, hob sie den Kopf und tat so, als wäre sie unglaublich überrascht, mich zu sehen. „Hi, Valentine, ich hab dich gar nicht gesehen." Ja, ja als ob. „Wie geht's dir? Setz dich doch zu uns."
Ich setzte ein gespieltes Lächeln auf und nahm dann neben ihr Platz. „Danke, mir geht's gut und euch?" fragte ich höflich und Laura lachte ihr dämliches, mädchenhaftes Lachen. Gott, sie wurde mir von Tag zu Tag unsympathischer. Was fand Sam nur an ihr?
„Uns auch. Ich hab das von Leo und deiner Freundin gehört. Tragisch. Du musst ziemlich sauer auf sie sein", sagte sie mitfühlend, doch ich zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.
„Schon", antwortete ich. „Aber wir haben uns inzwischen wieder vertragen."
Laura lächelte breit, doch es erreichte ihre Augen nicht. „Das freut mich", sagte sie. „Ach, und tut mir übrigens leid, dass ich letztens bei eurer Party einfach abgehauen bin, ohne mich zu verabschieden. Ich dachte, ich würde nur stören."
Ich runzelte die Stirn. „Was meinst du?", fragte ich.
Laura sah mich wissend an und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. „Komm schon, ich hab dich mit Mason gesehen. Er ist ziemlich heiß, findest du nicht?", erwiderte sie und mir fiel wieder ein, dass ich mich ja mit dem stellvertretenden Kapitän des Footballteams unterhalten hatte.
„Ähm, es geht schon", sagte ich nicht besonders ehrlich. Ich mein, klar, Mason war heiß, aber um ehrlich zu sein, war er jetzt nicht gerade mein Typ. Ich stand auf einen anderen gewissen Footballspieler.
Sky, die mich bisher noch keines Blickes gewürdigt hatte, sah mich nun zum ersten Mal richtig. Ihre blauen Augen strahlten. „Du kennst Mason Davis?", fragte sie aufgeregt.
Ich nickte langsam. „Ja, er ist ein Freund von meinem Bruder", sagte ich und Skys Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln.
„Und da läuft was zwischen euch?", fragte sie vorsichtig, doch ich riss die Augen auf und schüttelte hastig den Kopf.
„Oh nein, ich hab nichts mit ihm zu tun", sagte ich rasch und Sky sah beinahe erleichtert aus.
Sie tauschte einen Blick mit Melanie, die dämlich kicherte, dann wandte sie sich wieder an mich. „Hey, denkst du, du könntest ihn mir vorstellen? Oder vielleicht kann Leo ihm von mir erzählen?", fragte sie. „Er sieht verdammt gut aus."
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ich kann's versuchen", gab ich nicht gerade begeistert von mir und Sky grinste glücklich.
„Cool, danke, Valentine." Konnten sie es endlich mal lassen, mich dauernd bei meinem vollen Namen zu nennen? „Wenn du willst, könnte ich dir als Gegenleistung anbieten, dass meine Mutter dir mal die Haare schön macht. Du weiß ja, sie ist Leiterin des Friseursalons unten am Pier und eine neue Farbe würde dir bestimmt stehen. Vielleicht ein bisschen heller, wie wäre das?" Sie sah mich abwartend an und ich setzte ein ziemlich gefaktes Lächeln auf.
„Ich überlege es mir", sagte ich sarkastisch. Ganz ehrlich, sie konnte sich ihre gut gemeinten Ratschläge sonst wo hin stecken. Ich fand mich gut so, wie ich war. Ich würde ganz sicher nicht zu einer wasserstoffblonden Barbie wie sie mutieren.
Dann wandte ich mich wieder Laura zu. „Und? Wie läuft's zwischen Sam und dir?", fragte ich sie.
„Oh, ich mag ihn wirklich, Val", sagte sie mit roten Wangen. „Er ist echt verdammt scharf." Als wüsste ich das nicht. „Wir haben auch schon ein paar Mal miteinander geschrieben und er ist so...toll. Aber das weißt du ja."
Ich nickte mit einem falschen Lächeln auf den Lippen. „Ja, sicher."
„Du bist doch nicht böse auf mich, oder?", fragte sie plötzlich und ich runzelte die Stirn.
„Wieso sollte ich?", entgegnete ich.
Laura zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, wie gut du mit Sam befreundet bist", sagte sie. „Ich will mich nicht zwischen euch drängen."
Ich riss die Augen auf. „Oh", sagte ich bloß.
Laura lächelte entschuldigend. „Ja, also wenn du auch auf ihn stehst, dann sag es mir bitte. Er soll sich nicht zwischen uns beiden entscheiden müssen."
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Wir sind nur Freunde", informierte ich sie.
Laura wirkte erleichtert. „Gut", sagte sie. „Ich denke nämlich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir miteinander ausgehen. Er macht mir dauernd Komplimente, das ist so süß", bemerkte sie dann selbstgefällig und ich hatte das Gefühl, sie würde ganz genau darauf achten, wie ich auf ihre Worte reagierte.
Und wenn ich ehrlich war, ich zuckte kurz mit der Wimper, fing mich allerdings recht schnell wieder und lächelte, wenn es möglich war, nur noch breiter. „Das freut mich", sagte ich. Und wie mich das freute. Gott, ich könnte kotzen.
Ich weiß auch nicht, wann meine Gefühle ihr gegenüber so gekippt waren, aber ich konnte sie weniger und weniger leiden. Sie war so falsch, so unecht. Sie war zu nett, zu perfekt. Kein Mensch war so perfekt. Als ob sie jedem irgendetwas vorlügen wollte. Als ob sie verschleiern wollte, dass sie eigentlich nur eine notgeile Schlampe war.
Und wann ich so eifersüchtig auf sie wegen Sam geworden war, wusste ich auch nicht. Normalerweise war ich nicht so. Ich war nie eifersüchtig. Ich verstand auch gar nicht, warum meine Gefühle plötzlich so am Rad drehten. Immerhin hatte ich Sam diesen blöden Plan vorgeschlagen. Ich war diejenige gewesen, die ihn dazu überredet hatte, Tony sauer zu machen und ihm Tipps wegen Laura zu geben. Und er war davor immer nur ein Arschloch gewesen. Der beste Freund meines Bruders, der es lustig fand, mich zu ärgern, damit er bei Leo besser ankam. Ich hatte immer gedacht, er wäre einfach nur nervig, und jetzt musste ich feststellen, dass er gut aussah und lustig war und auch noch nett sein konnte, wenn er wollte.
„Was ist damals eigentlich mit dir und Tony gewesen? Wir alle haben nur mitgekriegt, dass du dich von ihm getrennt und ihm eine totale Szene im Schulflur gemacht hast, aber was dahinter steckte, wusste keiner", fragte Laura dann plötzlich interessiert und ich konnte nur mit Mühe ein Augenrollen verhindern.
War das ihr scheiß Ernst? Ja, ich hatte Tony eine Szene gemacht, und ja, das war auch berechtigt gewesen. Schließlich hatte er mich betrogen und ich war unglaublich sauer und enttäuscht von ihm gewesen.
Ich seufzte. „Ja, also...er hat mit Nancy Hillington in der Umkleidekabine der Cheerleader gevögelt und ich hab die beiden dabei erwischt", gab ich zu und Laura machte große Augen.
Und ich wusste auch, warum. An unserer Schule war es nämlich so, dass, wenn ein Kerl mit einem Mädchen zusammen war, es immer die größten Gerüchte und Spekulationen gab. Wenn dann aber heraus kam, dass der Typ seine Freundin betrogen hatte, hieß es, dass sie doch selbst Schuld daran war, wenn sie es im Bett nicht brachte und er sich deshalb eine neue Schlampe suchen musste.
Und wahrscheinlich dachte Laura gerade exakt dasselbe. Schließlich war sie hübsch, sportlich und beliebt. Und dann kam ich daher, mit meinen zerrissenen Hosen und den Holzfällerhemden, und wunderte mich, warum mein Freund mich betrog.
„Das tut mir echt leid", sagte Laura dann aber und setzte eine mitleidige Miene auf. „Nancy ist normalerweise nicht so drauf."
Versuchte sie gerade ernsthaft ihre Teamkollegin zu verteidigen?
Ich sah sie ungläubig an. „Ach, nein?", fragte ich nicht gerade überzeugt.
Laura nickte. „Wenn du seit drei Jahren bei den Cheerios bist, dann lernst du die Mädels da sehr gut kennen. Und ich weiß, dass Nancy eigentlich keiner anderen den Kerl ausspannt. Aber was ich so von Anthony gehört habe...er ist ein ziemlicher Womanizer."
Ich starrte sie fassungslos an. „Ja, aber zum Sex gehören schließlich immer zwei", antwortete ich trocken und Laura verschluckte sich daraufhin an ihrem Wasser.
Ich biss zufrieden in mein Brötchen und beobachtete sie dabei, wie sie sich wieder zu beruhigen versuchte und dann einen ihrer typischen mitleidigen Blicke aufsetzte.
„Das ist richtig", sagte sie schließlich. „Ich will damit nur sagen, dass Nancy das sicher nicht mit Absicht gemacht hat." Nein, sie hat es ihm mit ihrem Mund gemacht, du blöde Kuh. „Und dass sie eure Beziehung bestimmt nicht kaputt machen wollte."
Ich zog die Augenbrauen hoch und wandte mich dann wieder meinem Essen zu. „Hat ja super geklappt."
Laura runzelte nachdenklich die Stirn. „Das tut mir leid", sagte sie, doch ich schüttelte den Kopf.
„Nein, nein, muss es nicht", sagte ich. „Mit Tony bin ich fertig."
Laura lächelte etwas gezwungen und widmete sich schließlich wieder ihrem Salat. Wir schwiegen eine Weile und hingen jeder unseren eigenen Gedanken nach, während ich mit halbem Ohr dabei zu hörte, wie Melanie Sky etwas über einen Typen erzählte, den sie wohl vor kurzem flach gelegt hatte, woraufhin Sky fragte, ob er es ihr denn auch ordentlich besorgt hatte und ich mir nur dachte, wie hohl die beiden eigentlich waren.
Nach der Mittagspause lief ich gemeinsam mit Laura zu unserem nächsten Kurs, als mich die Blondine auf halbem Weg fragte, ob ich am Wochenende mit zu einer Feier der Sportler kommen wollte. Und natürlich sagte ich zu. Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf eine Party voller Stereo-Typen zu gehen, vor allem, da dort auch alle anderen beliebten Kids, wie beispielsweise Tony, abhingen. Aber ich könnte endlich meine Fähigkeit als Wingman unter Beweis stellen, denn Sam würde mit Sicherheit auch dort sein.
Die Woche verging schneller, als gedacht, und als es dann Samstag war, stand ich unschlüssig vor meinem Kleiderschrank und wusste nicht, was ich anziehen sollte. Gut, dass Harriet und Rosie bei mir zu Hause waren. Sie sollten mich eigentlich beraten, aber so richtig half mir das auch nicht weiter.
„Wie wäre es denn damit?" fragte Harriet, zog einen Kleiderbügel aus meinem Schrank heraus und hielt das kurze, schwarze Kleid nach oben.
Ich zog eine Grimasse. „Ich will nicht auf den Strich, Harriet, sondern auf eine Party", erwiderte ich und schüttelte den Kopf.
Harriet zog die Augenbrauen hoch. „Ach, dafür hast du das Kleid also gekauft", sagte sie schnippisch und ich verdrehte nur die Augen, während Rosie anfing zu lachen.
„Und das hier? Wenn du die Shorts mit dem Top kombinierst?", fragte sie und hielt eine quietschgelbe Hotpants und ein weißes Shirt hoch. Wann ich diese hässliche Hose gekauft hatte, wusste ich auch nicht mehr.
„Gott, nein!" rief ich, riss ihr die kurze Hose aus der Hand und stopfte sie zurück in die hintersten Reihen meines Schrankes. „Das ist doch bescheuert", seufzte ich dann und ließ mich rücklings auf mein Bett fallen. „Ich meine, die werden dort alle super aussehen und dann komme ich daher und ich passe dort doch überhaupt nicht rein."
Harriet sah mich schief an. „Heul nicht rum, Kane. Du bist selbst Schuld, wenn du dich jetzt mit Laura, deiner tollen neuen Freundin, abgibst", sagte sie.
„Ich dachte, das hätten wir geklärt", stöhnte ich genervt und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Ich mag Laura nicht mal."
Harriet sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, Rosie schwieg nach wie vor. „Ach, seit wann denn das?", fragte sie ungläubig.
„Sie wird mir immer unsympathischer", erwiderte ich. „Sie ist total nervig. Und so unecht. Wisst ihr, was ich meine?"
Harriet rollte mit den Augen. „Was hab ich dir die ganze Zeit gesagt?", entgegnete sie besserwisserisch . „Ich wusste von Anfang an, dass dieser dämliche Plan zum Scheitern verurteilt ist."
Daraufhin tauschten Rosie und ich einen Blick und ich sagte: „Ich weiß, aber da dachte ich ja auch noch, dass Laura nett ist. Außerdem mache ich das nur für Sam."
Harriet hob eine Augenbraue. „Nur für Sam, aha", sagte sie wissend und ich schüttelte den Kopf.
„Meine Güte, H, nicht das, was du wieder denkst."
„Ach, was denk ich denn?"
„Aus irgendeinem mir unbekannten Grund, dass Sam auf mich fliegt."
„Und dass du auf ihn fliegst."
„Was zum...nein! Das tu ich ganz sicher nicht."
„Nein, bestimmt nicht."
„Jetzt hört doch mal wieder auf!", rief Rosie irgendwann und Harriet und ich starrten sie beiderseits verdutzt an. „Ich dachte, wir wollten jetzt ein Outfit für Val aussuchen, damit sie dann auf der Party auch gut aussieht."
Harriet und ich tauschten Blicke, dann nickten wir unisono. „Ja, das wollten wir tatsächlich", sagte Harriet schließlich und widmete sich wieder meinen Klamotten.
Zwanzig Minuten später hatte ich mich - nachdem Harriet mir ziemlich lange die Ohren voll geheult hat, dass ich so auf keine Party gehen könnte - für ein graues Oberteil, eine schwarze enge Jeans und eine dünne Lederjacke entschieden. Meine braunen Haare wollte ich offen lassen und da Harriet darauf bestanden hatte, trug ich so viel Make-up, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich musste allerdings gestehen, dass es gut aussah. Es war nicht so viel, dass ich einen braunen Rand dort, wo das Gesicht in den Hals überging, hatte, oder dass meine Wimpern zusammen klebten. Es ließ mich aber älter wirken, erwachsener.
Meine Freunde fuhren mich dann schließlich noch bis vor die Tür vom Haus des Typen, bei dem die Party stattfand, und ich hörte schon von weitem die Musik und Gäste, die offenbar ausgelassen feierten.
Ich verabschiedete mich von Harriet und Rosie, die mir viel Glück wünschten und sagten, ich solle ja auf mich aufpassen und mich nicht von irgendeinem daher gelaufenen, betrunkenen Vollidioten begrabschen lassen, und ging dann mit pochendem Herzen auf die Haustür zu.
Es war bei solchen Partys üblich, dass das Haus offen war und man einfach so hinein ging, und ich konnte schon von Stolz sagen, dass ich nicht auf halbem Weg wieder umgekehrt und abgehauen bin, was im Nachhinein betrachtet vermutlich besser gewesen wäre.
Als ich in das Haus trat, musste ich mich erst einmal kurz orientieren. Und zwar aus genau drei Gründen: Es war dunkel, stickig und überall waren Leute. Die meisten von ihnen kannte ich vom Sehen aus der Schule, aber einige waren mir gänzlich fremd. Zum Beispiel war da ein riesiger Typ, der gerade ein Mädchen gegen die Wand presste und dabei aussah, als würde er ihr Gesicht auffressen. Oder ein etwas fülligerer Kerl, der gerade einen Burger aß, und ich mich fragte, was der hier auf einer Party für Sportler zu suchen hatte. Okay, ich war auch nicht gerade das Paradebeispiel eines Cheerleaders, aber so wie der Typ sah ich auch nicht aus.
Ich war gerade dabei mich umzusehen und nach einem Weg zu suchen, der in die Küche führte, damit ich mir etwas zu Trinken holen konnte, als sich mir plötzlich Tony in den Weg stellte.
Ich sah zu ihm hoch und musste leider feststellen, dass er verdammt gut aussah. Er trug ein dunkles Polohemd und seine Haare waren zerzaust. Er hatte eine Bierflasche in der Hand, machte aber glücklicherweise nicht denselben betrunkenen Eindruck, wie beim letzten Mal. Trotzdem suchte ich bereits mit meinen Augen nach einer Fluchtmöglichkeit, um möglichst schnell von ihm weg zu kommen.
„Hi, Val!", rief Tony über den Lärm der Musik hinweg.
„Hey, Tony", erwiderte ich mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen, welches er strahlend erwiderte. Mein Herz schlug mir gerade bis zum Hals und ich wusste, dass das eigentlich nicht besonders gut war. Schließlich war er mein Ex.
„Ich wusste gar nicht, dass du heute kommst", sagte Tony dann. „Du siehst gut aus." Er nickte anerkennend und ich biss mir verlegen auf die Unterlippe.
„Danke", sagte ich nervös und trat von einem Fuß auf den andern. „Ich werde mir jetzt erst mal was zu Trinken holen! Weißt du, wo die Küche ist?"
Tony nickte und deutete mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten. „Dort drüben rechts. Landon sagt, wir können uns alles nehmen, was wir wollen, solange wir ihm nicht die Bude zerlegen."
Ich lächelte leicht. „Alles klar! Wir sehen uns vielleicht später!" Ich nickte ihm zu, schob mich dann an ihm vorbei und versuchte mir einen Weg durch die tanzende oder knutschenden Menge zu bahnen.
In der Küche angekommen, hatte ich das Gefühl, endlich wieder halbwegs normal atmen zu können. Hier war zum Glück nicht so viel los. Ich ging zum Kühlschrank, der nebenbei bemerkt einfach mal mindestens doppelt so groß und doppelt so breit wie ich war, und nahm mir ein Bier heraus, welches ich öffnete und einen großen Schluck daraus trank.
„Valentine!" ertönte dann plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir und ich zuckte heftig zusammen.
Ich drehte mich um und erkannte Laura, die nicht mehr ganz gerade stehen konnte. Sie hatte bereits ein Shotglas in der Hand. „Hey, Laura", erwiderte ich mit ganz offensichtlich weniger Begeisterung.
Sie trank ihren Schnaps aus, kam dann auf mich zu getorkelt und fiel mir um den Hals. Sie trug einen eigenartigen Geruch an sich. Eine Mischung aus Zigarettenrauch, Wodka und anderen alkoholischen Getränken und das war nicht besonders schön. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist!", sagte sie laut in mein Ohr und ich musste mich stark zusammen reißen, sie nicht von mir weg zu stoßen. Wäre sonst etwas peinlich geworden.
„Ja, ich freu mich auch", sagte ich höflicherweise, klopfte ihr auf den Rücken und schaffte es endlich, dass sie mich los ließ und mindestens einen Meter Abstand zwischen uns brachte.
Laura lächelte breit. „Falls du Sam siehst, dann sag mir auf jeden Fall Bescheid! Du bist mein Glücksbringer heute", sagte sie und ich erwiderte ihr Lächeln nicht ganz so begeistert.
„Klar doch", sagte ich gedehnt und schon war sie wieder verschwunden und ich atmete erleichtert aus.
Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen? Was war falsch mit mir, dass ich so einen bescheuerten Deal hatte eingehen müssen? Wie war ich überhaupt auf diese Idee gekommen? Meine Güte, scheiß auf Tony und meine Rache. Scheiß auf Sam und seine Triebe. Scheiß auf Laura und ihre ganze gefakte Attitüde. Ich konnte wirklich darauf verzichten. Ganz ehrlich, ich war froh, wenn das alles hier vorbei war. Laura trieb mich noch in den Wahnsinn.
In der nächsten Stunde hielt ich hauptsächlich nach Sam Ausschau. Ich trank ein bisschen was, aber nicht zu viel, und unterhielt mich mit ein paar Leuten, die ich aus der Schule kannte.
Zwischendurch hatte ich auch kurz das Vergnügen mit Sky und Melanie, doch glücklicherweise war ich ihnen zu langweilig, weshalb sie sich anderen Aktivitäten widmeten, wenn ihr versteht, was ich meine.
Irgendwann hatte ich dann das Bedürfnis auf die Toilette gehen zu müssen, weshalb ich das volle Wohnzimmer verließ und auf der Treppe nach oben schließlich doch Sam über den Weg lief.
„Hey, ich dachte schon, du tauchst heute gar nicht mehr auf!", rief ich, während er mich mehr oder weniger verwirrt ansah.
„Val, was machst du hier?", fragte er verwundert.
Ich grinste breit. „Laura hat mich eingeladen", erwiderte ich und zwinkerte ihm zu.
Merkwürdigerweise zeigte Sam keine besonders fröhlich Reaktion. „Ach so, dann viel Spaß noch."
Er wollte gerade weiter gehen, als ich ihn am Arm festhielt und er deshalb stehen bleiben musste. „Hast du sie heute schon gesehen?", fragte ich mit gerunzelter Stirn.
Sam schüttelte den Kopf. „Nein und ich weiß auch nicht, wo sie ist", sagte er gleichgültig. Ich sah ihn fragend an. „Aber falls du sie siehst, dann sag ihr, ich bin in der Küche", lenkte er hastig ein und ich hob die Augenbrauen.
„Du solltest dich echt mal locker machen", riet ich ihm. „Immerhin schreibst du schon seit Wochen mit ihr. Und sie mag dich echt. Also trink was und komm ein bisschen runter, ja?"
Sam schwieg, ich ließ ihn los und machte mich weiter auf den Weg ins obere Stockwerk. An einer Tür angekommen, hinter der ich das Klo vermutete, klopfte ich kurz an, doch als nichts passierte, drückte ich die Klinke herunter, stieß die Tür auf und bereute es im nächsten Moment, überhaupt zu dieser Party gekommen zu sein.
Laura stand mit dem Rücken an der Wand, ihre blonden Haare waren unordentlich und sie schwitzte, während sich eine ganz offensichtlich männliche Person gegen sie presste und ihre Lippen auf Lauras drückte. Und diese männliche Person war mit Sicherheit nicht Sam, denn der war mir ja gerade eben auf der Treppe entgegen gekommen.
Ich hatte das Gefühl, ich hätte eine Ewigkeit nur so im Türrahmen gestanden und die beiden angestarrt, wie sie miteinander rum machten.
„Oh Scheiße", rutschte mir dann irgendwann raus.
Laura und der Typ hielten inne und als Laura mich erkannte, riss sie die Augen auf und stieß ihn im nächsten Moment von sich weg.
„Tut mir leid", sagte ich hastig, trat aus der Tür und schlug sie wieder zu. Ich blieb kurz davor stehen, um zu verarbeiten, was ich da gerade gesehen hatte, dann lehnte ich mich rechts neben der Tür mit dem Rücken gegen die Wand und schloss die Augen.
Ich wollte dieses schreckliche Blick unbedingt aus meinem Kopf verbannen, aber es wollte mir nicht so recht gelingen. Niemals hätte ich gedacht, dass sich ausgerechnet Laura auf einer Party so voll laufen ließ, mit irgendeinem Kerl im Badezimmer vögelte und dabei nicht mal so schlau war und abschloss.
Schließlich ging die Tür wieder auf, der Kerl kam heraus und sah mich mit einem dümmlichen Grinsen im Gesicht an, ehe Laura ihn zischend weg schickte und ehe ich es mich versah, meinen Arm nahm und mich ins Bad zog.
Sie schloss hinter sich ab, setzte sich dann auf den geschlossenen Klodeckel und vergrub das Gesicht in den Händen, während ich mich auf dem Badewannenrand nieder ließ und sie abwartend ansah.
„Du musst mich jetzt für einen schrecklichen Menschen halten", murmelte Laura irgendwann und ich legte den Kopf schief.
Keine Sorge, dass dachte ich schon vorher.
„Nein", sagte ich jedoch schnell.
„Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe", seufzte sie, hob den Kopf und sah mich an. Die oberen Knöpfe ihrer Bluse waren offen und ich sah den Ansatz ihres pinken Spitzen-Bh's. „Normalerweise trinke ich auch nicht so viel. Ich dachte nur, ich würde vielleicht ein bisschen lockerer werden. Du weißt schon...wegen Sam."
Ich zog die Augenbrauen hoch. Sie sah aus, wie ein Häufchen Elend, und ich entschied mich dazu, das Dümmste zu sagen, was mir einfiel. „Er hat dich schon gesucht."
Laura sah mich mit großen Augen an. „Wirklich?", fragte sie.
Ich nickte zögerlich. „Ja, er ist unten in der Küche. Du solltest zu ihm gehen", riet ich ihr.
Laura atmete kurz durch und erhob sich dann. „Du hast Recht." Sie straffte die Schultern und wollte sich gerade auf den Weg machen, als ich sie aufhielt und auf ihren gewagten Ausschnitt deutete. Laura blickte an sich herab, wurde rot und schloss die Knöpfe mit zitternden Fingern. „Bitte sag niemandem, was hier passiert ist, okay?" Sie sah mich flehend an und ich nickte schließlich. Lauras Züge entspannten sich wieder und sie lächelte mich erleichtert an. „Danke, Valentine. Du bist wirklich unglaublich." Sie umarmte mich und ging dann mit wackelnden Knien wieder nach unten.
Ich stand einen Moment einfach nur im Bad und starrte ihr hinterher. Dann schüttelte ich seufzend den Kopf, ging aufs Klo und machte mich schließlich ebenfalls wieder auf den Weg ins Wohnzimmer.
Schon von weitem sah ich, wie Laura und Sam zusammen standen und lachten und Laura offenbar so tat, als hätte ich sie gerade nicht dabei erwischt, wie sie mit einem verschwitzten Footballspieler praktisch Sex gehabt hatte.
Ich schüttelte den Kopf, vertrieb mir noch ein bisschen Zeit indem ich durchs Haus streifte und versuchte, Sam und Laura nicht wie ein Spanner zu beobachten, geschweige denn über sie nachzudenken.
Ich beschloss schließlich, es wie Rosie zu machen, nach oben zurück zu gehen und mich auf dem Klo einzuschließen. Ich setzte mich auf den Toilettendeckel, so wie es Laura vorhin getan hatte, zog mein Handy aus der Jackentasche und wählte Harriets Nummer. Es tutete zwei Mal, dann nahm meine beste Freundin ab.
„Hey, H. Ich bin's", sagte ich leicht verstimmt. Hoffentlich bemerkte Sam rechtzeitig, wie Laura wirklich drauf war.
„Kane, was gibt's?", fragte Harriet und ich konnte den leicht besorgten Ton in ihrer Stimme hören.
Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte. „Diese Party ist zum Kotzen", gab ich offen zu.
„Soll ich dich abholen?", fragte Harriet zu meiner großen Überraschung. Ich hatte gedacht, sie würde mir jetzt einen Vortrag darüber halten, dass sie mir das von Anfang an gesagt hatte und ich nun selbst dran Schuld war.
Ich schüttelte den Kopf, was sie ja natürlich nicht sehen konnte, und sagte rasch: „Nein, ich werde einfach nach Hause laufen. Es ist nicht weit."
Harriet war für einen Moment still, dann sagte sie: „Okay, aber ruf an, wenn irgendwas ist. Und pass' bitte auf dich auf, ja?"
„Ja, ich erzähl ich euch alles später. Bis dann. Bye." Dann legte ich auf und verließ das Badezimmer. Ich hatte keine Lust, noch länger als nötig zu bleiben.
Ich ging gerade die Treppe hinunter, als ich beinahe mit Sam zusammen stieß.
„Val!", rief dieser überrascht. „Alles okay?"
Ich nickte schweigend.
Sam runzelte die Stirn. „Bist du sicher?"
„Ja klar", sagte ich hastig und Sam grinste.
„Ich hab übrigens Laura getroffen", teilte er mir dann mit.
Ich versuchte ein Lächeln, was mir allerdings nicht so recht gelingen wollte. „Oh, toll", sagte ich, auch wenn ich das nicht besonders toll fand.
Sam zog die Augenbrauen hoch. „Sag mal, geht's dir gut? Du bist nicht betrunken, oder?", fragte er mich und ich verdrehte die Augen.
„Nein, Sam, ich bin nicht betrunken", erwiderte ich gereizt. „Ich bin nur müde und will jetzt nach Hause." Und damit schob ich mich an ihm vorbei, doch so leicht ließ sich Sam offenbar nicht abfertigen.
Er packte mich am Handgelenk und hielt mich fest. „Warte!", rief er, ich drehte mich zu ihm um und sah ihn abwartend an. „Soll ich dich fahren?"
Ich schüttelte den Kopf und wand mich aus seinem Griff. „Nein, ist wirklich nicht nötig", sagte ich.
„Val...", begann Sam, doch ich unterbrach ihn genervt: „Ich komm schon allein klar."
„Okay", sagte er ergeben, dann setzte er wieder sein übliches, schelmisches Grinsen auf. „Ich geh dann mal wieder zurück zu Laura. Sie wartet sicher schon auf mich."
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Oben?", fragte ich verwirrt.
Sam zwinkerte. „Heute wird noch was gehen", sagte er.
Meine Augen weiteten sich und er sah mich verwirrt an, doch ich riss mich zusammen, verdrehte nur die Augen und ging dann endgültig.
Auf dem Heimweg musste ich mich stark zusammen reißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Das war der schlimmste Abend meines Lebens gewesen. Noch schlimmer, als die Nacht, in der Tony zu betrunken war, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich wusste auch nicht, warum ich so verdammt eifersüchtig war. Ich war mir nun mal sicher, dass Laura Sam nur von vorne bis hinten verarschte. Aber er war so glücklich, wenn er sie sah. Ich wusste auch nicht.
Irgendwann fand ich mich nicht vor meinem Haus, sondern vor dem von Harriet wieder. Ich brauchte jetzt eine Freundin und da Dad sowieso dachte, ich würde bei einer von ihnen übernachten, konnte ich das ja jetzt auch tun.
Ich hatte nicht mal bemerkt, dass ich weinte, bis ich klingelte und eine im Bademantel gekleidete Mrs Hunter die Tür öffnete. Sie sah mich überrascht an und entdeckte dann meine roten Augen. „Tut mir leid, dass ich so spät noch störe", schluchzte ich.
„Oh, Valentine, Süße", sagte sie und rief dann über die Schulter: „Harriet! Kommst du mal bitte runter!"
Ich konnte hören, wie Harriet die Treppe nach unten polterte. Sie sah ihre Mutter fragend an und entdeckte dann mich auf der Türschwelle. „Kane!", rief sie entsetzt. „Was ist passiert?"
Ich konnte ihr nicht antworten.
„Komm rein, Schatz", sagte Mrs Hunter mitfühlend. „Ich mach euch eine heiße Schokolade."
Harriet tauschte einen Blick mit ihrer Mutter. „Danke, Mom", murmelte sie. „Ich bring Val nach oben, ja?"
Mrs Hunter nickte und verschwand dann in der Küche, während Harriet einen Arm um meine Schulter legte und mich ins Haus führte. „Okay und jetzt erzählst du mir, was los ist. Was hat Sam gemacht? Ich bring dieses Arschloch noch um."
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