FÜNF
༄
„Sam!", rief ich und hämmerte ungeduldig gegen die Tür. Ich hatte mindestens schon drei Mal geklingelt. „Sam! Mach auf!"
Irgendwann öffnete sie sich schließlich und ein Mädchen von ungefähr vierzehn Jahren stand im Rahmen. Sie hatte ihre blauen Augen mit schwarzem Kajal umrandet und ihre Miene spiegelte alles andere als Freude wieder. Sie sah mich gelangweilt an.
„Hi.", sagte ich aufgeregt. „Ist Sam da?"
Das Mädchen katschte einen Moment lang lautstark auf ihrem Kaugummi herum und musterte mich von oben bis unten, als unterzöge sie mich gerade irgendeinem Test, von dem ich nichts wusste. „Ne, der ist nicht da. Müsste aber gleich kommen", sagte sie dann, als ob nichts auf der Welt sie aus der Ruhe bringen könnte. „Willst du solange rein kommen?"
Ich zögerte einen Moment, dann nickte ich.
Sams Schwester rollte mit den Augen, wahrscheinlich hatte sie gehofft, dass ich ablehnen würde, doch dann trat sie zur Seite und ich ging an ihr vorbei in den Flur.
Ich war noch nie bei Sam zu Hause gewesen, aber es gefiel mir. Es war ein hübsches, kleines Häuschen, durch dessen große Fenster helle Sonnenstrahlen herein schienen.
„Du kannst dich da hin setzen", sagte das Mädchen, als sie hinter mir her kam, und deutete auf das große Sofa.
Ich fühlte mich leicht unbehaglich, als ich mich setzte, während sie mich nicht aus den Augen ließ.
„Ich bin übrigens Wanda", sagte sie monoton.
Ich versuchte zu lächeln, doch bei ihrem gelangweilten Blick verging mir das gleich wieder. „Valentine", stellte ich mich vor.
Wanda hob die Augenbrauen. „Bist du Sams neue Freundin?", fragte sie.
Ich schüttelte hastig den Kopf. „Nein. Auf keinen Fall", sagte ich abwehrend.
Wanda schien ziemlich zufrieden mit meiner Antwort. „Zum Glück", sagte sie. „Sonst hätte ich dir nämlich gesagt, dass Sam ein verdammtes Arschloch ist. Hat aller zwei Wochen wieder 'ne Neue am Start und jede von ihnen denkt, sie wäre die eine Besondere, die irgendwie anders wäre und die es wert wäre, dass er mit ihr was Ernstes versuchen will."
Ich musste schmunzeln. Wanda hatte ja so Recht. „Ich weiß, dass Sam ein Arschloch ist", erwiderte ich.
Wanda nickte anerkennend. „Gut", sagte sie zufrieden. „Die meisten seiner Freundinnen heulen sich nämlich im Nachhinein immer bei mir aus und wollen wissen, was falsch mit ihnen ist. Das ist wirklich traurig." Wanda sagte das so, als fände sie es überhaupt nicht traurig und als wäre es ihr egal, dass den Mädchen, mit denen Sam ausging, das Herz gebrochen wurde.
„Hab davon gehört", erwiderte ich mit einem Schmunzeln.
Wanda nickte langsam. „Also wenn wirklich jeder Junge so ist, wie mein Bruder, dann haben wir echt verloren", sagte sie, doch es klang nicht so, als würde sie das besonders schlimm finden. „Die ganzen Mädchen, die Sam mitbringt, denken anscheinend, sie können ihn ändern und einen...besseren Menschen aus ihm machen. Aber bei Sam wird das nicht funktionieren. Er hat noch nie eine ernsthafte Beziehung geführt. Ich glaube, er weiß noch nicht mal, was das überhaupt bedeutet."
Ich sah Wanda nachdenklich an. Wenn sie das sagte, dann würde das wohl stimmen. Obwohl, wenn ich daran dachte, wie Sam Laura immer ansah. Das war nicht normal.
„Meinst du wirklich? Es gibt da so ein Mädchen in unserer Schule-", begann ich, doch Wanda unterbrach mich.
„Oh bitte nicht. Laura Benner, oder?"
Ich sah sie überrascht an und nickte dann langsam. „Ja, genau."
Wanda stöhnte auf. „Sam erzählt dauernd, wie heiß sie doch ist. Und dass sie ja das hübscheste Mädchen überhaupt ist. Das ist so was von nervig", erklärte sie.
Ich nickte wieder. „Ich weiß. Also...denkst du nicht, dass er das diesmal vielleicht ernst meint?", fragte ich. „Ich meine, ich kenne Sam durch meinen Bruder, und so wie er von Laura Benner schwärmt, hat er noch nie für ein anderes Mädchen geschwärmt."
Wanda sah mich einen Augenblick nachdenklich an, als ob sie wirklich darüber nachdenken würde, ob ihr Bruder vielleicht doch ein ganz anständiger Kerl war, doch dann zuckte sie desinteressiert mit den Schultern. „Und selbst wenn. Am Ende wird hier wieder ein Mädchen sitzen, genau da wo du jetzt sitzt, und weinen, weil Sam sie nur benutzt hat. So, wie es immer ist. Solche Sachen ändern sich nicht. Andernfalls ist Laura Benner ein Engel, der das wieder repariert, was mit Sam nicht stimmt. Aber das wird nie passieren, weil Sam einfach Sam ist. Ich kenne ihn jetzt schon mein ganzes Leben und ich sag dir eins, versuch gar nicht erst, dich in ihn zu verlieben und irgendwelche guten Seiten an ihm aufzudecken, weil es die sowieso nicht gibt."
Ich wusste nicht wirklich, ob reparieren das richtige Wort war, aber Wanda hatte Recht. Laura Benner war vermutlich die Art von Mädchen, die sich alle Eltern als Schwiegertochter wünschten.
Immerhin. Laura war in jeder Hinsicht perfekt. Und ich würde dafür sorgen, dass sie der Engel sein würde. Und anders herum würde Sam mir helfen, Rache an Tony zu nehmen. Jetzt musste ich ihn nur noch irgendwie von meinem Plan überzeugen.
Während ich also mit Wanda im Wohnzimmer wartete, dass Sam endlich nach Hause kam, überlegte ich, wie ich ihm die ganze Sache am besten erklären sollte.
Er würde mich vermutlich für verrückt halten und mir erklären, dass das niemals funktionieren würde. Aber ich wusste, dass er Tony nicht leiden konnte und dass Tony ihn nicht leiden konnte, und deshalb wäre es die perfekte Gelegenheit Tony eins auszuwischen.
Irgendwann hörten wir dann einen Schlüssel im Schloss knirschen, die Tür sprang auf und Sam zog sich ihm Flur die Jacke aus.
„Ich bin zu Hause!", rief er durchs Haus, warf seinen Schlüsselbund auf die Kommode und kam ins Wohnzimmer.
Er bemerkte mich erst gar nicht, sondern lief geschmeidig die Treppe hoch, bis Wanda nach wie vor gelangweilt sagte: „Du hast Besuch."
Auf halbem Weg die Stufen hoch, blieb Sam stehen und drehte sich verwundert um. Als er mich da auf dem Sofa sitzen sah, weiteten sich seine Augen überrascht. „Kane, hey...was machst du denn hier?", fragte er.
Ich erhob mich. „Können wir kurz reden?", fragte ich.
Sam warf seiner Schwester einen kurzen Blick zu, die nur ungerührt mit den Schultern zuckte. „Okay...", sagte Sam langsam. „Na klar. Komm." Er zuckte mit dem Kopf nach oben.
Er wollte wirklich, dass ich mit in sein Zimmer kam?...Oh Gott, was dachte ich hier eigentlich? Ich war schließlich in sein Haus gekommen und ich wollte mit ihm reden. Da war es doch ganz normal, dass er mich in sein Zimmer einlud. Es würde nichts passieren.
Also nickte ich und folgte ihm die Treppe hoch. „Wenn was ist, schrei", sagte Wanda teilnahmslos, die den Fernseher angeschaltet hatte und Baywatch schaute. Ich wandte mich noch einmal zu ihr um.
„Ignoriere sie einfach", bemerkte Sam jedoch und zog mich weiter.
Als wir oben ankamen, ging er auf eine Tür am Ende des Flurs zu und öffnete sie. Langsam kam ich hinter ihm her. Es war merkwürdig in das Zimmer eines Jungen zu gehen, der nicht einmal ein fester Freund war oder mit dem man nicht vor hatte, rum zu knutschen.
Sams Zimmer war schön eingerichtet. Es herrschte nicht so viel Chaos, wie ich erwartet hatte, es war ordentlich, zumindest für einen Jungen, und es war hell und freundlich.
Die eine Hälfte der Wand war grau gestrichen, an der weißen Seite hingen ein paar Poster. Am Fenster stand ein Bett, auf dem Schreibtisch ein großer Computer und ein paar Hefter, Blöcke und Aufsätze stapelten sich ebenfalls auf dem Tisch.
„Schön", murmelte ich und setzte mich vorsichtig auf das Bett.
Sam stand etwas unschlüssig an der Tür herum. „Also...worüber wolltest du reden?", fragte er.
Ich riss meinen Blick von der Einrichtung und sah ihn an. Seine Augen ruhten auf mir und schienen mich praktisch zu scannen. Ich fühlte mich ziemlich unwohl allein in seinem Zimmer, ohne irgendwelche anderen nervigen Schüler oder Lehrer oder meine Freundinnen.
„Ich...ich hab doch noch mal über deine Frage nachgedacht", sagte ich schließlich nervös. „Du weißt schon. Ob ich dir Tipps geben kann, wie du am besten an Laura ran kommst."
Sam hob überrascht die Augenbrauen. „Ach, wirklich?", fragte er und seine Stimme triefte vor unterdrückter Hoffnung.
Ich musste mich anstrengen, ihn nicht auszulachen.
„Ja", sagte ich gedehnt. „Aber...ich hab eine Bedingung."
Ich bemerkte, wie Sam die Augenbrauen hoch zog. „Und die wäre?", fragte er.
Ich grinste leicht. „Wir machen ein Spiel daraus. Ich meine, wenn ich dir helfe, dann erwarte ich auch eine kleine Gegenleistung."
Sam runzelte die Stirn, ein schelmisches Grinsen schlich sich allerdings auf sein Gesicht. „An was hast du gedacht?", fragte er.
Ich überlegte, wie ich es am besten sagen konnte, sodass er gleich von dem Plan überzeugt werden würde. „Na ja...du kannst Tony nicht leiden, ich kann Tony nicht leiden. Wir müssen irgendetwas tun, auf das er so richtig sauer wird. So sauer, dass er es bereuen wird, mich mit dieser blöden Nancy von den Cheerleadern betrogen zu haben. So sauer und eifersüchtig, dass er mich bitten wird, wieder mit ihm zusammen zu kommen. Und dann werde ich ihm leider mitteilen, dass daraus nichts wird und dass er ruhig wieder zurück zu ihr gehen kann. Es ist nur zum Vorteil. Für dich und für mich", schloss ich schließlich und sah Sam erwartungsvoll an.
Zuerst sagte er gar nichts. Er starrte mich einfach nur an und schien angestrengt über meinen Plan nachzudenken. Wahrscheinlich zog er es ernsthaft in Betracht, meinen Vorschlag abzulehnen, er hatte mir schließlich die letzten zehn Jahre nie bei irgendetwas geholfen oder nicht versucht, mit das Leben zur Hölle zu machen.
Doch dann nickte er. „Okay."
Jetzt war ich diejenige, die starrte. „Okay?", wiederholte ich ungläubig.
Sam nickte wieder. „Okay. Abgemacht. Du hilfst mir in der Sache mit Laura und ich helfe dir dabei, Tony loszuwerden", sagte er und schien es wirklich ernst zu meinen.
„Ehrlich?", fragte ich.
Sam grinste und verdrehte die Augen. „Ja, Kane. Ehrlich", sagte er.
Ich sprang auf und war kurz davor, ihm einfach um den Hals zu fallen, doch ich hielt mich zurück und streckte stattdessen meine Hand aus. „Dann haben wir einen Deal?", fragte ich.
Sam ergriff meine Hand mit seiner eigenen warmen. „Deal."
„Okay. Wir müssen noch die Einzelheiten des Plans diskutieren", sagte ich. Ich hatte mich wieder auf dem Bett nieder gelassen.
Sam runzelte die Stirn und öffnete den Mund, doch ich redete einfach weiter.
„Ich finde ja, wir sollten so früh wie möglich damit anfangen-"
„Kane...ich dachte eigentlich, das könnte noch etwas warten", sagte Sam hoffnungsvoll. Ich starrte ihn ungläubig an und sofort lenkte er ein: „Also, ich meinte damit, was das planen angeht. Ich dachte, wir könnten ein andermal darüber reden. Ich hab jetzt gleich noch was vor und-"
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Was kann denn so wichtig sein?", schnappte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sam schien sich ziemlich unwohl in seiner Haut zu fühlen. Sollte er auch. „Ich hab eine Verabredung mit-" Er zögerte einen Augenblick, doch unter meinem eisigen Blick stöhnte er auf. „mit Kaylee."
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „Kaylee? Der Schlampe von heute morgen?", fragte ich ungläubig.
Sam legte den Kopf schief und konnte sich ein belustigtes Lächeln offenbar nicht verkneifen. „Nenn sie nicht so", sagte er, doch ich funkelte ihn nur wütend an.
Diese Kaylee versaute mir echt die ganze Parade.
„Kannst du ihr nicht einfach absagen?", überging ich also seine Bemerkung genervt.
Sam schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn ich mit jemandem ein Date habe, dann gehe ich auch hin", erklärte er.
Ich setzte ein ironisches Lächeln auf. „Oh, wie umsichtig von dir", sagte ich mit zuckersüßer Stimme. „Es ist bestimmt viel tröstender für all die Mädchen, wenn du erst mit ihnen ausgehst und sie danach abservierst. Da können sie sich vorher noch mal Hoffnungen machen, bevor sie dann aus ihren Träumen gerissen werden und ihnen das Herz von einem rücksichtslosen Vollidioten zertrampelt wird. Das wünscht sich doch jeder."
Sam verdrehte seufzend die Augen. „Ach komm schon, Val. Ich-"
Doch ich unterbrach ihn, bevor er noch mehr unqualifizierte Kommentare abgeben konnte, die keiner brauchte. „Weißt du was, Stewart. Ich wusste ja schon von Anfang an, dass du ein verdammtes Arschloch bist, aber ich dachte echt, dass du wenigstens diese eine Sache hier ernst nimmst. Anscheinend habe ich mich geirrt. Und ich hab ehrlich gesagt keine Lust, mich hier zum kompletten Idioten zu machen.", sagte ich und stand vom Bett auf. „Wahrscheinlich hat das alles gar keinen Sinn und wir sollten es abbrechen, bevor es überhaupt erst beginnt."
Und ich wollte mich schon an ihm vorbei drängen, doch er packte meinen Arm und hielt mich fest. „Ist ja schon gut", murrte Sam. „Ich sag Kaylee ab."
Ich zog mich aus seinem Griff und drehte mich freudestrahlend zu ihm um. „Nein, wirklich? Wie nett von dir? Und dass du da ganz alleine drauf gekommen bist...Wahnsinn."
Sam verdrehte die Augen. „Ja, ja, ich hab es verstanden. Du bist der Boss", sagte er, als ich mich wieder setzte. „Also? Wie sieht dein Plan aus?"
Ich grinste ihn breit an. „Ich hab da schon eine Idee."
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