DREI
༄
„Val! Hier rüber! Komm schon, die Gäste warten!"
Chloe ließ ihre schlechte Laune immer an mir aus, wenn sie gestresst war. Ich meine, warum auch nicht? Ich war ja bloß eine kleine Angestellte, die für fünf Mäuse die Stunde Tische wischte und unhöflichen Frauen ihre kalorienarmen Kaffee Latte brachte.
Ich strich mir leicht überfordert eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht und rannte zwischen Tischen hin und her, nahm Bestellungen auf und servierte Eistee und Burger. Ich wischte gerade die Theke ab, als Ruby, eine weitere Kellnerin, auf mich zu kam. Sie lächelte breit.
„Val, hey, Val!", sagte sie aufgeregt. Ihre Augen leuchteten und sie sah mich bedeutungsvoll an. „Dein Freund ist schon wieder da. Er sitzt da hinten", sagte sie leise und deutete mit dem Finger in eine Ecke. „Und dein Bruder ist auch dabei. Tut mir leid, wenn ich jetzt so direkt bin, aber er ist echt verdammt heiß."
Ich zog die Augenbrauen hoch und drehte mich um.
Und tatsächlich, da saßen Sam und Leo und ein paar ihrer Freunde. Ich wandte mich wieder Ruby zu, die den Jungs, und wahrscheinlich vor allem meinem hohlköpfigen Bruder, schmachtende Blicke zu warf.
Ich verstand wirklich nicht, warum sie Leo als ziemlich heiß bezeichnete. Er war einfach nur ziemlich nervig.
Und Sam war einfach einer dieser typischen Aufreißer. Er war groß und muskulös, hatte dunkelblonde Haare und Wimpern, für die ein Haufen Mädchen vermutlich töten würden. Aber er war auch ziemlich selbstgefällig und lachte über Sachen, die im Grunde überhaupt nicht witzig waren. Aber so war Sam. So kannte ihn jeder.
Ich starrte einen Moment völlig in Gedanken versunken zu Sam und Leo und den anderen hinüber, die über irgendetwas diskutierten.
Dann schüttelte ich den Kopf und wandte mich wieder Ruby zu. „Er ist nicht mein Freund, Rubs", erklärte ich ihr sachlich.
„Bist du sicher?", fragte Ruby zweifelnd.
„Ja, er ist in jemand anderen verknallt", erklärte ich ihr.
Ruby zog die Augenbrauen hoch. „Und wer ist diese unbekannte Schönheit?", fragte sie nicht gerade überzeugt.
Ich schnaubte belustigt. „Kennst du die Benner?", fragte ich.
Ruby legte den Kopf schief und sah mich ungläubig an. „Du meinst Laura Benner?" Ich nickte und Ruby brach in schallendes Gelächter aus. Dafür kassierte sie einen wütenden Blick von Chloe. „Nicht dein Ernst?", rief sie aus, doch ich nickte wieder. „Fuck", murmelte sie kichernd. „Bei der würde es mich echt nicht wundern, wenn sie Regenbogeneinhörner scheißen könnte."
Bei ihren Worten musste ich grinsen. „Das würde tatsächlich passen", erwiderte ich. „Also wie gesagt, er steht auf sie. Und jetzt hör auf damit", sagte ich kopfschüttelnd.
Ruby hob die Brauen. „Sam steht auf viele Weiber. Du kennst ihn. Vielleicht hat er ja auch heimliche Gefühle für dich und traut sich nur nicht, sie zu zeigen", überlegte sie. „So, wie er immer mit dir umgeht."
Ich zog die Augenbrauen hoch und sah sie fragend an. „Wie geht er denn mit mir um?", fragte ich spöttisch.
Ruby lächelte lasziv und antwortete: „Der hat so 'nen Beschützer-Instinkt. Das ist schon ziemlich süß."
Ich begann zu lachen. „Ich schätze, das hat er von meinem Bruder. Der glaubt auch, mich vor all den schrecklichen Dingen, die in der Welt passieren, beschützen zu müssen", sagte ich halb genervt, halb belustigt. „Ich kenne Sam jetzt schon mein halbes Leben und ich kann dir sagen, er ist einfach nur der beste Freund meines Bruders, dem es Spaß macht, dessen kleine Schwester zu ärgern."
Ruby sah aus, als würden gleich kleine rosa Herzchen in ihren Augen auftauchen. „Ach, aus so was entsteht zwangsläufig Liebe", klärte sie mich besserwisserisch auf. „Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen können nicht funktionieren. Das ist wissenschaftlich bewiesen."
„Du hast wirklich zu viel Fantasie", lachte ich.
„Und dafür bewunderst du mich", bemerkte Ruby.
Ich lachte. „Du bist verrückt", sagte ich.
„Rubina, der Herr dort hinten verlangt schon seit fünf Minuten deine Aufmerksamkeit", schnappte Chloe gerade im Vorbeigehen.
Ruby stöhnte leise und warf mir noch einen letzten säuerlichen Blick zu, ehe sie sich das Tablett schnappte. „Dein Tisch!", flötete sie mir zu und deutete auf die Jungen, dann verschwand sie in die andere Richtung.
Ich sah ihr hinterher, dann drehte ich den Kopf zu der Gruppe, zögerte einen Moment und ging schließlich auf sie zu.
Sie redeten nach wie vor miteinander und ich platzte mitten in ihre offensichtlich ziemlich sinnlose Diskussion hinein. Es schien sich um nichts wirklich geistreiches zu handeln, eher darum, welches Mädchen sie als nächstes flachlegen würden, und wer diesen Job übernahm. Anscheinend gab es Unstimmigkeiten.
„Hi", sagte ich und versuchte so freundlich, wie möglich zu sein, und mir natürlich nicht anmerken zu lassen, wie peinlich ich ihre Unterhaltung fand. Besonders weil Leo daran beteiligt war.
Keiner von ihnen beachtete mich. Nicht mal mein Bruder. Was für Flaschen.
„Laura Benner?", fragte einer der Typen, der Daniel hieß.
Leo pfiff anerkennend und Sam nickte. „Ja. Sie ist heiß", sagte er gedehnt.
Oh mein Gott, darf ich kotzen? Was hab ich gesagt? Laura Benner! Okay, ich meine, sie war nicht hässlich, oder so. Sie war eigentlich sogar ziemlich hübsch. Aber das war sie auf diese widerlich süße Art. Laura Benner war sehr natürlich und sie war auch keine Schlampe. Sie war nett und hilfsbereit und naiv, so sehr, dass es fast schon nervte. Und sie war wirklich brav und artig. Sie hätte damit sogar Seeamöben übertreffen können.
Und ich wusste schon seit langem, dass Sam auf sie stand. Immer wenn sie in der Nähe war, dann setzte er diesen einen bestimmten Blick auf, der ihn wie einen liebeskranken Welpen aussehen ließ. Ich musste mich dabei jedes Mal ziemlich beherrschen, ihn nicht auszulachen. Was mir wirklich schwer fiel.
„Ja, irgendwie schon", räumte Daniel, nicht ganz überzeugt, ein.
Ich stand daneben, die Arme verschränkt, ungeduldig mit dem Fuß auf und ab wippend und wartete etwas genervt darauf, dass sie ihr - was auch immer - beendeten.
Das taten sie natürlich nicht.
„Laura ist süß. Aber denkst du echt, sie ist was für dich?"
Sam zuckte mit den Schultern. Er bekam schon wieder diesen glasigen Ausdruck in den Augen, immer wenn er auch nur über Laura Benner nachdachte. Ich musste mir das Lachen verkneifen. „Man, Daniel...du hast ja keine Ahnung", sagte Sam. „Laura ist einfach perfekt. In jeder Hinsicht."
Ich zog die Augenbrauen hoch. Oh man, was für ein Trottel. Das hatte er auch bei allen anderen Mädchen gesagt, mit denen er je was gehabt hatte. Vielleicht nicht unbedingt mit derselben Begeisterung und diesem besonderen Blick, aber er war immer ganz scharf auf irgendwelche hübschen Weiber gewesen. So, wie auch alle anderen Kerle an unserer Schule, jedenfalls die beliebten.
Und als er so von Laura Benner schwärmte, konnte ich mir einen klitzekleinen Kommentar einfach nicht verkneifen. „Pass auf, Sam...Du hast da ein bisschen Spucke", wies ich ihn belustigt darauf hin und deutete mit dem Finger auf seinen Mund.
Erst jetzt registrierten auch die anderen, dass ich die ganze Zeit neben ihnen gestanden und zugehört hatte. Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Alle, außer Sam, der mir einen bösen Blick zu warf. „Du solltest deiner kleinen Schwester Manieren beibringen, Leo", bemerkte er zu meinem Bruder, der beinahe schon stolz zu mir hoch grinste.
„Ach...ich glaub, das hat sie gar nicht nötig", entgegnete er, lehnte sich zu mir hinüber und fügte leise flüsternd hinzu: „Wirklich sehr gut, Val. Du hast ja doch was von mir gelernt."
Ich verdrehte die Augen. „Also...seid ihr jetzt endlich fertig, oder was?", fragte ich dann.
„Ähm, ja?", sagte Daniel, wobei es eher nach einer Frage klang.
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Und? Wollt ihr was bestellen?", fragte ich.
„Kurze Frage, Val", warf Dexter, ein weiterer Kumpel von Leo und Sam, stattdessen ein und überging damit völlig meine Frage. „Findest du, dass Laura heiß ist?"
Ich legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Seh ich aus wie 'ne Lesbe?", entgegnete ich leicht genervt. Die Jungs tauschten Blicke und ich wollte gar nicht wissen, was für kranke Scheiße jetzt wieder durch ihre Köpfe ging.
„Komm schon. Was hat sie, was andere Mädchen nicht haben?", sagte Leo.
Ich starrte meinen Bruder an. Er wollte jetzt nicht wirklich eine ernsthafte Antwort von mir haben, oder? Anscheinend schon, denn er sah mich abwartend an.
„Keine Ahnung", sagte ich gelangweilt und zuckte mit den Schultern. „Sie ist ja...nicht unbedingt hässlich."
„Nicht hässlich?", wiederholte Sam ungläubig. „Sie ist heiß. Ich meine, bei diesem Vorbau kann man ja auch schwer abgeneigt sein, oder etwa nicht?"
Was sagte ich gerade? Sam war total besessen von Laura Benner. Und dazu benahm er sich einfach nur peinlich.
Mein Bruder und die anderen nickten einsichtig.
„Da habt ihr es", sagte ich zufrieden und deutete auf Sam. „So und jetzt bestellt was, oder lasst mich weiter arbeiten. Ich hab leider nicht ganz so viel Freizeit wie ihr und kann mich über irgendwelche Jungs unterhalten, die ich gut aussehend finde."
Leo sah mich gespielt böse an. „Ich glaube, wir sollten verschwinden", sagte er und erhob sich.
„Aber-", begann Daniel mit einem Gesichtsausdruck, als wolle er diese sinnlose Unterhaltung unbedingt fortsetzen.
„Kommt schon", fiel ihm Leo jedoch ins Wort. Und so standen auch alle anderen auf. „Wir sehen uns später, Val" sagte mein Bruder zu mir und das waren seine letzten Worte, ehe er an mir vorbei lief und das Diner verließ.
„Tschüss" und „Bis morgen", sagten auch die anderen, alle außer Sam.
Ich drehte mich um und sah ihnen verwundert hinterher, dann wandte ich mich wieder zu Sam. „Okay, dann...kann ich dir was bringen?", fragte ich langsam.
Mir gerunzelter Stirn musterte Sam mich, als hätte er mich eben erst wirklich bemerkt.
Wahrscheinlich fand er aber auch nur das Outfit, das ich zur Arbeit tragen musste, bestehend aus einem kurzen Rock und einem knallroten T-Shirt, genauso schrecklich, wie ich. Das war schon von Anfang an so gewesen. Ich dachte schon, ich müsste dazu auch noch glitzernde Rollschuhe tragen und damit durch die Gänge kurven und das Tablett auf eine ganz lässige Art und Weise auf meiner Hand transportieren. Das wäre ja so was von schief gegangen.
Dann schüttelte er langsam den Kopf und sagte: „Nein, danke."
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte. „Okay", sagte ich, wandte mich ab und ging zurück zur Theke.
Sam folgte mir. „Warte mal!", rief er und ich drehte mich wieder zu ihm um. Ich sah ihn fragend an, während er mich immer noch musterte. „Wie geht's dir?", fragte er schließlich.
Ich starrte ihn an und runzelte die Stirn. „Ähm...gut", sagte ich irgendwann verwirrt und als ich mich abwandte, folgte er mir dicht auf dem Fuße, als wäre er ein treuer Hund und ich sein Herrchen.
„Sag mal, kann ich dich was fragen?", fragte er und rückte mir dabei ziemlich dicht auf die Pelle.
Ich unterdrückte ein Stöhnen. „Ich weiß nicht. Versuch es einfach", erwiderte ich in meiner üblichen übellaunigen Art und Weise.
„Also, ich hab gedacht...ich meine, du bist doch ein Mädchen", stammelte er.
Ich zog die Augenbrauen hoch und nickte. „Schön, dass dir das aufgefallen ist", gab ich leicht beleidigt zurück und drehte mich diesmal ganz von ihm weg.
„Nein! So meinte ich das nicht", sagte Sam hastig und griff nach meinem Arm. „Ich dachte...du kennst doch Laura, oder?" Ich sah ihn an. Was genau wollte er von mir?
„Ja...", sagte ich langsam und bedächtig.
„Vielleicht...also nur wenn du willst-"
„Jetzt spuck's schon aus, Stewart", fuhr ich ihn ungeduldig an.
Sam seufzte „Okay, okay, entspann dich", sagte er eingeschnappt. „Ich dachte, du könntest mir helfen, an sie ran zu kommen. Du weißt schließlich, wie Mädels ticken und worauf sie so stehen. Kannst du mir helfen?"
Ich starrte ihn einen Augenblick einfach nur an, dann schüttelte ich den Kopf. „Nein."
Sam machte große Augen und seine Kinnlade fiel hinunter. „Wie, nein?", fragte er dumm.
Ich verdrehte die Augen. „Na, nein. Wie in, nein ich werde das ganz bestimmt nicht tun", sagte ich entschieden.
Sam schaute nach wie vor verdutzt aus der Wäsche. „Aber-", begann er, doch ich unterbrach ihn. „Ich werde mich nicht zum kompletten Idioten machen, nur weil du wissen willst, ob Laura Benner auf dich steht. Also bitte. Frag sie einfach selbst."
Er klappte den Mund einige Mal auf und zu und sah dabei einem Fisch auf dem Trockenen ziemlich ähnlich. „Aber...willst du nicht vielleicht nochmal darüber nachdenken?", fragte er hoffnungsvoll.
„Nein. Was ist denn daran so schwer zu verstehen?", erwiderte ich gereizt.
„Ist ja gut", sagte Sam ergeben und hob die Hände. „Ich dachte, wir wären Freunde. Freunde helfen sich in solchen Angelegenheiten."
Ich zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie kommst du bitte darauf, dass wir Freunde sind?", fragte ich zynisch. „Nur weil du der beste Kumpel von meinem Bruder bist, oder was? Du hast mich jahrelang nur genervt und dich über mich lustig gemacht", erinnerte ich ihn.
Sam fing an zu lachen, hörte jedoch schlagartig wieder auf, als er bemerkte, dass ich das so ganz und gar nicht witzig fand.
„Hey, du weißt, dass ich nur vor Leo angeben wollte", sagte er versöhnlich, doch ich funkelte ihn nur weiterhin böse an.
„Das gibt dir noch lange nicht das Recht, mir das Leben zur Hölle zu machen", schnappte ich beleidigt.
„Ach, jetzt übertreib doch nicht gleich so. Das war alles nur Spaß und das weißt du", rechtfertigte er sich.
Ich runzelte spöttisch die Stirn. „Spaß nennst du das also?", fragte ich. „Für mich war das aber nicht besonders spaßig, kapiert?" Ich sah ihn herausfordernd an und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
„Kapiert", erwiderte Sam mit gehobenen Händen und einem schelmischen Grinsen auf den Lippen.
„Und noch was", sagte ich, „wir sind keine Freunde, nur weil du dich mit meinem Bruder verstehst und praktisch bei uns zu Hause wohnst."
Sams Lächeln wurde noch breiter und er nickte einsichtig. „Ist angekommen, Kane", sagte er. „Übrigens", fuhr er im nächsten Moment fort, „ist es ziemlich scharf, wenn du dich aufregst."
Mir gefiel nicht ganz, wie er das Wort scharf aussprach.
Ich verdrehte die Augen, stolzierte davon und blieb schließlich an der Theke stehen. Ich knallte das Tablett vielleicht eine Spur zu heftig auf die Holzplatte, ehe ich mich zu ihm umdrehte. „Also erstens, hör auf damit", sagte ich und fuchtelte mit den Händen durch die Luft.
Sam hob die Brauen. „Was meinst du?", fragte er zurück.
Ich stöhnte ungehalten. „Hör auf, mit mir zu flirten. Diese lahmen Sprüche ziehen vielleicht bei den Cheerleadern, die soundso nichts im Kopf haben, aber nicht bei mir." Das war ziemlich deutlich.
Sam grinste breit, was wirklich verstörend war, zumal ich ihm gerade einen Korb gegeben hatte. „Wie kommst du darauf, dass ich mit dir flirte?", entgegnete er.
Ich starrte ihn an und zog es vor, ihm nicht zu antworten. Stattdessen sagte ich: „Und zweitens, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du zur Seite gehen und mich meine Arbeit machen lassen würdest, sonst hast du gleich was viel schlimmeres als einen Limo Fleck auf der Hose."
Sam starrte bei meinen Worten so verdutzt aus der Wäsche, dass es sogar komisch hätte sein können.
„Dankeschön", sagte ich und schenkte ihm ein zuckersüßes, falsches Lächeln, ehe ich mich an ihm vorbei drängte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro