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Unsicher sah ich mich in dem großen Zimmer um. Die Wände waren voll mit Zeitungsartikeln, als würde er in diesen Antworten auf seine Fragen finden. Ich lief an dem Couchtisch vorbei, der gefüllt mit leeren Flaschen Alkohol, zu gut wiederspiegelte, wie viel verzweifelte Zeit er hier verbrachte.
"Du bist oft hier?" Ich blickte über meine Schulter zu Jace. Er schloss die Tür zum Treppenhaus und fuhr sich durch seine Haare. Seine Gesichtszüge spannten sich an. Er sah flüchtig zu den Flaschen, dann zu mir.
"Öfter als es mir gut tut."
Ich nickte und trat näher an die Wand, an der sich außer den Zeitungsartikeln noch das einzige Fenster befand. Staub bedeckte die Scheiben. Von hier oben aus dem 5. Stock hätte man trotzdem einen perfekten Ausblick auf den Parkplatz. Als ich genau vor den Artikeln stehenblieb, las ich einen Namen ganz deutlich aus den vielen Zetteln heraus.
Vanessa D.
"Die Daten aus den Akten-"
"Nutzlos", antwortete Jace, ehe ich aussprechen konnte. Ich hörte hinter mir ein Zischen, drehte mich daraufhin um. Er trank aus einer Flasche Bier, die er von der Theke der kleinen offenen Küche genommen hatte.
"In Alkohol wirst du nicht ihren Mörder finden."
"Aber Frieden", gab er mir zurück. Ich verzog meine Lippen, woraufhin er die Brauen hob und ein dämliches Grinsen auflegte. "Und du?"
"Was ist mit mir?" Ich drehte mich in seine Richtung und verschränkte meine Arme abwerend.
"Warum trinkst du nicht?"
"Damit Daxton noch mehr Kontrolle über mich bekommt?"
"Mehr geht nicht. Er hat schon das Maximum, meinst du nicht?"
Es ärgerte mich, dass er sich einmischte. Noch mehr, dass er Recht hatte. In seinen Augen konnte ich nicht erkennen, ob er sich lustig machte oder ob er besorgt um mich war. Ich fand nichts, außer Leere.
"Daran bin ich aber nicht Schuld. Ich habe nicht um einen Stalker gebeten, der mich beinahe schon umgebracht hat! Und auch nicht darum, dass du Daxton meine Schwangerschaft verrätst!"
Überfordert lief ich zum Fenster, um nach draußen zu sehen. Dieser Raum kam mir plötzlich zu eng vor. Meine Atmung stockte. Ich konnte Daxton nicht entkommen. Selbst in den Momenten nicht, in denen er nicht bei mir war. Er war schlimmer als ein Schatten. Seine Klauen hielten meine Seele gefangen.
"Es ist mir rausgerutscht, Riley. Ich-"
"Was willst du von mir Jace? Ich hab dir die Akte geschickt und damit meinen Teil eingehalten. Also warum bringst du mich hierher? Warum bist du bei mir aufgetaucht?"
"Wolltest du nicht meine Hilfe?"
"Du bist mir eine große Hilfe!", warf ich ihm vor, da meine Verkündung der Schwangerschaft alles kaputt gemacht hatte. Ich konnte nicht eine Minute mehr darüber nachdenken, ob ich die Schwangerschaft abbrechen würde. Er nahm mir diese Chance.
"Es tut mir leid, okay! Aber du machst mich sauer und-"
"Warum?!"
"Stell dir selbst die Frage!", wurde er lauter und stellte das Bier ab, um auf mich zuzukommen. "Warum bist du bei einem Mann, der dir sowas antut?! Warum?! Geh einfach!"
"Das ist nicht so leicht!"
"Doch! Ist es! Du bist zurückgekommen wegen einem Schatten. Doch dieser Kerl hat dich sogar vor Daxton fast umgebracht. Denkst du, er kann dich immer beschützen?! Dass er immer da ist?!"
Ich wollte ihm gerade etwas erwidern, da jagte mir ein Schauer über den Rücken. Jace sah wütend zu mir herab, doch ich wandte meinen Blick aus dem Fenster runter zum Parkplatz. Mit großen Augen hielt ich den Atem an.
"Er ist immer da", presste ich panisch hervor, als ich Daxton unten erkannte, der mit seinem Handy in der Hand auf den Plattenbau zukam. Jace folgte meinem Blick und spannte sich an.
"Woher weiß er-"
"Die Kette", hauchte ich und umfasste diese mit zwei Fingern. Ich zitterte und malte mir bereits meine Bestrafung aus. Er würde mich unter Drogen setzen. Er würde mir sogar die Beine brechen. Hauptsache ich würde nie wieder das Haus verlassen. Jace riss mir die Kette vom Hals, um sie direkt neben uns auf den Boden zu schmeißen. Anschließend nahm er meine Hand, um mich aus der Wohnung zu ziehen. Der modrige Geruch des alten Gebäudes kroch mir in die Nase. Ich sah in der Mitte des Treppenhauses herab und hörte ganz unten Schritte.
"Lass mich los und geh! Er wird dir wehtun!" Ich wollte Jace nicht weiter in meinen Rosenkrieg ziehen. Er ließ mich aber trotz meiner Gegenwehr nicht los und zog mich hinter sich her, die Treppe nach oben.
"Bleib ruhig", flüsterte er und wir liefen immer schneller die Stufen hinauf. Meine Lunge brannte, doch ich blieb nicht stehen. Erst, als wir ganz oben ankamen und durch eine offene Tür in einen großen Raum traten. Wäsche hing an den Seiten. Laken spannten über Seilen. Auch Putzutensilien entdeckte ich in der Dunkelheit am Rand stehen. Zwei Fenster gaben genug Licht her, um alles zu erkennen.
"Hier rein", wies Jace mich an und riss eine Schranktür auf. Ich stolperte hinein. Er folgte mir. Nachdem er die Tür zuzug, gab es nur noch Finsternis und den Duft nach frisch gewaschenen Klamotten.
"Hat er uns gesehen?", fragte ich zitternd in die Stille. Es war beängstigend, die eigene Hand vor Augen nicht sehen zu können.
"Ich glaube nicht." Als Jace sprach, merkte ich, wie nah er sich vor mir befand. Sein Atem prallte an meine Stirn. Die Hitze seines Körpers spürte ich selbst durch den Stoff meiner Bluse. Es wirkte bedrückend, gleichzeitig fühlte ich mich sicher. So, als könnte mir nichts passieren. Als könnte mir die Dunkelheit nichts anhaben, solange ich seine Nähe wahrnahm. Lange schon suchte ich dieses Gefühl bei Daxton. Im Grunde seit wir heirateten. Gefunden hatte ich es nie.
Fest hielt ich den Atem tief in meinen Lungen. Ich lauschte konzentriert und nahm dadurch wahr, dass auch Jace die Luft anhielt. Als ich dann eine Tür laut ins Schloss fallen hörte, stieß ich erschrocken den Atem über meine zitternden Lippen aus. Aus reinem Reflex fasste ich vor mich und klammerte mich an das einzige, das mit Halt geben konnte.
"Wärst du nicht hier, würde ich da rausgehen und ihn halbtot schlagen", flüsterte er und während ich meine Finger um seine Lederjacke krallte, zog er mich näher an sich. "Aber ich weiß, dass du dafür durch die Hölle gehen musst und das werde ich nicht nochmal zulassen."
Ohne ihn zu sehen, hob ich mein Kinn an. Es kam mir vor, als würden wir uns tief in die Augen blicken, obwohl da nichts war, außer Finsternis. Dieses Gefühl von Geborgenheit brachte mir ein warmes Gefühl im Magen. Mein Herz klopfte einen Takt schneller und das zum ersten Mal seit langem, nicht aus Angst oder Panik heraus. Es tanzte ... Ich vergaß beinahe, warum wir in diesem Schrank gefangen waren, bis ich Daxtons Stimme hörte.
"Riley! Wo zum Teufel steckst du?!" Mein tanzendes Herz erstarrte. Es zog sich schmerzhaft in meiner Brust zusammen. Ließ nichts übrig, außer ein tiefes, schwarzes Loch. Daxtons zornige Stimme hallte immer wieder in meinem Verstand nach. In diesem Zustand wäre er zu allem in der Lage.
Schwere Schritte näherten sich. Meine Atmung glitt nur noch stoßweise über meine Lippen. Das Gefühl zu ersticken glich einer Panikattacke. Einzig Jace beruhigte mich noch und hielt mich auf den Beinen. Er zog mich enger an seine Brust und zeichnete mit seinen Fingern kleine Kreise auf meinem Rücken.
"Alles wird gut", hauchte er sanft gegen meine Haare. "Du musst nur atmen."
Jace streckte eine Hand aus und schob dir Tür des Schranks einen Spalt breit auf. Ich spähte genau wie er nach draußen in den düsteren Raum und betete, wir würden unentdeckt bleiben. Immer lauter wurden die Schritte, bis sich schlussendlich die Tür am anderen Ende des Zimmers öffnete. Ein heller Lichtstrahl aus dem Treppenhaus fiel hinein.
Daxton stand nur wenige Meter vor uns. Sein Ausdruck brachte meine Hände zum Zittern. Ich schmiegte meinen Kopf seitlich an Jace Brust. Ich erkannte, dass Daxtons Muskeln sich unter dem Hemd anspannten. Das letzte Mal, als ich ihn in diesem Zustand erlebt hatte, war an dem Abend, bevor ich vor ihm weggelaufen war. Mein Blick senkte sich zu seinen Händen.
Fest umschlungen hielt er die Kette in seiner Faust. Er drückte sie, als wollte er sie zerquetschen. Ich erstarrte und blieb still, während Daxton sein Handy aus der Tasche zog. Er starrte es kurz an, bis er es wieder in seine Tasche verschwinden ließ.
Er bekam anscheinend eine Nachricht, denn er sah sich nicht weiter im Zimmer um. Er drehte sich zur offenen Tür, verschwand durch diese und knallte sie laut zu. Ich zuckte zusammen und presste meinen Oberkörper näher an Jace.
"Alles ist gut. Er hat uns nicht gefunden", versuchte dieser mich zu beruhigen. Durch den offenen Spalt der Schranktür konnte ich hoch in sein Gesicht blicken. Seine grünen Augen trafen auf meine. Saugten mich förmlich in sich auf. Ein Moment der Stille trat ein, in der es nichts mehr gab, außer zwei Menschen versteckt in diesem Schrank.
Wie benommen, ließ ich meinen Blick weiter herab wandern. Ich musterte seine scharfen Gesichtszüge, bis ich bei seinen Lippen ankam und auf diesen verharrte. Die Luft, die sich in meinen Lungen befand, glitt sanft über meine Lippen. Meine Hände umklammerten noch immer seine Lederjacke und hielten sie fest im Griff. Dann geschah es, ohne das ich es vorhatte oder kontrollieren konnte. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los war. Wusste nicht, ob es aus der Erleichterung heraus passierte, nicht erwischt worden zu sein. Oder weil seine Nähe die einzige war, die mich nicht erdrückte. Egal was mich antrieb, ich hielt es nicht auf. Ohne zu überlegen zog ich Jace noch näher an mich. Meine Lippen streiften seine. Erst noch vorsichtig und sanft. Abwartend darauf, ob er meine Annäherung erwidern würde.
Und er tat es.
Ich stöhnte auf, als ich seine Lippen meine umschlossen. Er saugte an meiner Unterlippe. Biss sanft hinein und drängte mich hinter an die Schrankwand hinter mir. Ich prallte mit dem Rücken an das Holz. Umfasste Jace Körper fester. Ließ seine Zunge gewähren, als er sie an meine Lippen drückte. Ein leidenschaftlicher Kuss entstand, der mich für einen Moment alles um uns herum vergessen ließ.
Doch genau so schnell wie es begann, hörte es auch wieder auf. Ich befand mich an der Spitze einer Achterbahn und wartete darauf, in die Tiefe zu stürzen. Auf das Adrenalin, dass durch meine Adern rauschen würde. Das Gefühl loszulassen. Jace aber löste sich von mir und starrte mich entsetzt an. Er hielt mich hoch oben gefangen, ohne Aussicht darauf, dass es weitergehen würde.
"Du weißt, dass wir-"
"Ich weiß", antwortete ich, da mir bewusst war, worüber er nachdachte.
"Und es macht dir nichts aus?" Seine Stimme bebte, als würde pures Verlangen sie einnehmen.
"Macht es dir was aus?", gab ich ihm schwer atmend zurück. Ich bekam Angst vor seiner Antwort. Lauschte seiner schnellen Atmung. Hoffte auf den freien Fall.
"Nein", sagte er entschlossen und eroberte mich mit einem erneuten Kuss, der noch mehr Leidenschaft zwischen uns freisetzte. Ich bereute nicht, was wir taten. Bereute aber, dass man die Zeit nicht anhalten konnte, denn es fühlte sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten richtig an, mich einem Menschen körperlich anzuvertrauen.
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