5. Criminal
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https://youtu.be/QxYkMCf0F7I
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Man hört durch die Tür das Klingeln im Inneren. Doch Jay fühlt sich nicht wohl in seiner Rolle – ist es wirklich richtig, sich als Kripo-Beamter auszugeben? Viel Zeit, darüber nachzudenken, bleibt ihm jedoch nicht, denn nur einen Moment später wird die Tür schwungvoll aufgerissen.
Erschrocken bleibt ein Mann mittleren Alters stehen. Er ist relativ klein, vielleicht gerade einmal 1,70 Meter groß, und hat einen leichten Bauchansatz. Seine schwarzen Haare, zumindest dort, wo sie noch wachsen, umrahmen eine glänzende Kopfhaut.
„Huch!" entfährt es ihm überrascht.
Da ist Lzzy bereits in ihrer Rolle als Krüger: „Herr Hoffgen?"
Er blinzelt sie verwirrt an. „Äh ... ja?"
Lzzy stellt sich professionell vor: „Mein Name ist Krüger, das ist mein Partner, Herr Fassbender." Sie zückt ihren Ausweis, Jay tut es ihr gleich. „Ihr Fall – der Tod Ihrer Frau – wird aufgrund mehrerer Unstimmigkeiten neu aufgerollt."
Sofort sehen sie, wie es in seinem Kopf zu arbeiten beginnt. „Äh ... machen Sie Überstunden? Heute ist doch Sonntag!"
Ein gutes Argument. Doch Lzzy scheint darauf vorbereitet: „Sagen wir, unser Chef fordert einen Gefallen ein."
Er mustert die beiden skeptisch, sein Blick wandert von einem zum anderen. „Ah ..." Mehr fällt ihm nicht ein. Stirnrunzelnd schüttelt er den Kopf. „Wollen Sie hereinkommen?"
Lzzy nickt überfreundlich. „Gerne!"
Er tritt zur Seite und bittet sie herein. Vor ihnen erstreckt sich eine kleine Wohnung – ein einziger Raum mit offener Küche und Wohnzimmer. Zwei Türen führen vermutlich ins Schlafzimmer und Badezimmer.
Während er vorangeht, fragt er beiläufig: „Kaffee?" Dann deutet er auf die Couch.
Lzzy nimmt das Angebot dankend an. „Oh ja, bitte!"
Jay fragt sich, ob ihre übertriebene Freundlichkeit nur eine Taktik ist. Als Hoffgen ihnen den Rücken zudreht, fängt er Lzzys Blick auf. Sie schließt kurz die Augen, nickt – ein stilles Zeichen. Ohne ein Wort setzen sie sich.
Sie sehen sich um. Die Wohnung wirkt klinisch sauber. Keine persönlichen Gegenstände, keine Fotos, nichts, das auf das Leben eines Bewohners schließen lässt. Es ist, als blätterten sie durch einen digitalen Möbelkatalog – es fehlen nur noch die Preisschilder.
Plötzlich setzt sich das Mahlwerk der Kaffeemaschine in Gang. Kurz darauf serviert Hoffgen ihnen den frisch gebrühten Kaffee.
„Also, was kann ich für Sie tun?" Er reicht beiden ihre Tassen und nimmt selbst auf einem Sessel Platz. Dann nippt er an seinem Kaffee.
„Wir sollen alle Aussagen aktualisieren. Vielleicht wurde etwas übersehen." Lzzy stellt die Kaffeetasse auf den Tisch vor ihnen ab.
Hoffgen zieht skeptisch die Augenbrauen hoch. „Aha ..."
„Können Sie uns noch einmal erzählen, was damals passiert ist?" Lzzy macht eine kurze Pause. „Manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, die den Unterschied macht."
Er schluckt schwer. Man merkt ihm an, dass er ungern darüber spricht. „Was genau wollen Sie wissen?"
Lzzy wird konkreter. „Ihre Frau Sandra wurde im Garten tot aufgefunden. Sie lag unter der großen Trauerweide, neben einem gerissenen Seil. Sie fanden sie, als Sie von der Arbeit nach Hause kamen." Sie beobachtet ihn genau, sucht nach einer Reaktion. Dann fährt sie fort: „Wir möchten verstehen, was vorher geschah. Hatten Sie Streit? Hat sie sich anders verhalten als sonst?"
Hoffgen blickt zu Boden, seine Haut wird blasser. Dann beginnt er langsam: „Nein ... wir hatten keinen Streit. Ich weiß nicht, was passiert ist. Als ich zur Arbeit fuhr, schlief sie noch. Ich wollte sie nicht wecken."
Lzzy hakt nach. „Und sie hat sich zwischenzeitlich nicht gemeldet?" Sie bemerkt, dass er etwas verschweigt.
Er ringt nach Worten, versucht es sich selbst zu erklären. „Wissen Sie ... nach ein paar Jahren Ehe stumpft man ab. Diese berühmten Kleinigkeiten, die einen zur Weißglut treiben." Er holt tief Luft. „Sie hat sich ständig beschwert, dass ich zu viel arbeite, dass ich nie Zeit für sie hätte. Ich fürchte, sie war depressiv. Aber es wurde immer schlimmer. Abends haben wir uns nur noch angeschrien."
Lzzy wird hellhörig. „Einfach so? Meistens gibt es einen Auslöser."
Er hebt den Blick und sieht sie direkt an. Ihre blauen Augen scheinen ihn zu durchdringen. Nervös rutscht er auf seinem Stuhl hin und her, als hätte er das Gefühl, sie könne direkt in ihn hineinsehen. Plötzlich bricht es aus ihm heraus. Seine Stimme wird lauter: „Ach, kommen Sie schon! Nach dreizehn Jahren Ehe! Irgendwann sehnt man sich nach Abwechslung."
Jay versteht sofort. „Das heißt, Sie sind fremdgegangen?"
Hoffgen erstarrt. Sein Blick huscht zu Jay, Panik flackert in seinen Augen. Hat er ihn ertappt? Er will das alles nicht erzählen. Warum hat er es überhaupt getan? Doch Jay lässt nicht locker. „Hat sie Sie erwischt?"
Ein leises „Ja ..." Er nickt kaum merklich. Dann sammelt er sich kurz und sieht Jay wieder an. „Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, als sie plötzlich da stand ... und mich mit einer Kollegin im Bett sah."
Er legt seine Hand auf sein Gesicht, als wolle er sich vor seiner eigenen Scham verstecken. Doch dann spricht er weiter. „Sie hätte doch noch gar nicht da sein sollen." Tränen steigen ihm in die Augen, die Erinnerungen überwältigen ihn. „Sie hat nichts gesagt. Einfach nur ... sich umgedreht und ist gegangen."
Er schluckt schwer, dann fährt er fort: „Ich habe auf der Couch geschlafen und bin am nächsten Morgen zur Arbeit gefahren." Seine Stimme bricht. „Und als ich Feierabend hatte und nach Hause kam ..." Er schnappt nach Luft, sein Körper zittert leicht. „... da lag sie da. Ich habe sofort den Krankenwagen gerufen, die Polizei ... aber es war zu spät."
Lzzy und Jay sagen nichts. Sie lassen ihm einen Moment, um sich zu sammeln. Als er sich etwas beruhigt hat, murmelt er: „Tut mir leid."
Lzzy nickt verständnisvoll. „Alles gut. Das ist sicher nicht einfach für Sie, wenn alles wieder hochkommt. Aber ich habe das Gefühl, da ist noch mehr, oder?"
Er blinzelt, mustert die beiden. Plötzlich scheint er etwas zu bemerken. „Sie kommen von einer ganz anderen Abteilung, kann das sein?"
Lzzy bestätigt es. „Richtig. Unsere Einheit existiert noch nicht lange. Wir sollen offen für alles sein."
Hoffgen lacht bitter. „Interessant ... denn bisher hat mir keiner geglaubt. Deswegen bin ich weggezogen. Alle hielten mich für verrückt oder für einen Mörder."
Lzzy bleibt ruhig. „Wir nicht. Und nichts davon wird in einer Akte auftauchen. Wir wollen nur jede Möglichkeit ausschöpfen."
Er wirkt hin- und hergerissen. In ihm arbeitet es. Schließlich fasst er einen Entschluss.
Leise beginnt er zu erzählen: „Nach der Einäscherung ... ein paar Tage später, nachts. Da passierten merkwürdige Dinge. Das Licht ging von allein an."
Kaum hat er das ausgesprochen, sprudelt es aus ihm heraus: „Aber das war erst der Anfang. Es wurde immer schlimmer. Es wurde kalt. So kalt, dass ich meinen Atem sehen konnte."
Jay wirft Lzzy einen schnellen Blick zu. Er weiß genau, wovon Hoffgen spricht.
Hoffgen presst die Lippen aufeinander, ringt mit sich. Dann fährt er fort: „Ich dachte, ich bilde mir das alles ein. Doch in dieser einen Nacht ..." Er schüttelt den Kopf, sieht wieder zu Boden. „... ich hätte schwören können, dass sie vor mir stand."
Seine Stimme zittert. „Sie kam auf mich zu. Ganz weiß. Fast durchsichtig." Er hält inne, als würde ihn allein die Erinnerung frösteln lassen. „Ich musste weinen. Ich habe ihr gesagt, dass es mir leid tut."
Ein leises Zittern durchläuft ihn. „Und dann ... dann hat sie mich angelächelt."
Hoffgen schluckt hart. „Sie legte den Finger an ihre Lippen, als wollte sie mir sagen, dass ich still sein soll. Dann trat sie näher."
Ein unkontrolliertes Zittern läuft über seine Schultern. „Ich dachte, sie wollte mir etwas sagen ... aber dann ..." Tränen rinnen über seine Wangen. „Ihr Gesicht ... es veränderte sich. Ihr Mund wurde riesig. Ihre Augen – blutrot. Sie fing an zu schreien."
Seine Stimme bricht. „Dieses Kreischen – es war unerträglich! Ich hielt mir die Ohren zu, aber sie griff nach meinem Arm. Es war eiskalt. Ich hatte solche Schmerzen! Ich stolperte, krabbelte auf allen Vieren zur Tür. Sie schrie noch immer. Ich rannte. Ich rannte so schnell ich konnte."
Er holt tief Luft, kämpft gegen die Erinnerungen. Dann beruhigt er sich langsam. „Ich bin in Panik aus der Wohnung gerannt und direkt ins Auto gestiegen. Ich fuhr die ganze Nacht ziellos durch die Gegend."
Hoffgen wischt sich über das Gesicht. „Am nächsten Morgen bin ich zurückgekehrt. Die Wohnung war ... normal. Als wäre nichts gewesen." Seine Hände zittern leicht. „Es war mir egal. Ich habe nur das Nötigste gepackt. Ihre geliebte Puppe habe ich dagelassen. Und ich habe diese Wohnung nie wieder betreten."
Lzzy legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Er sieht sie an, seine Augen rot vom Weinen. „Sie glauben mir nicht."
Dann schüttelt er den Kopf, atmet tief durch und zieht langsam den Ärmel seines Hemdes hoch. „Aber wie erklären Sie dann das?"
Er dreht seinen rechten Unterarm zu ihnen. Lzzy hält den Atem an. Auf seiner Haut zeichnet sich der Abdruck einer Hand ab – rot-grau, fast schwarz.
„Das sind Narben von Kälte," flüstert er. „Seitdem sie mich gepackt hat, sind sie da."
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Nach einer halben Stunde verlassen sie die Wohnung und steigen ins Auto. Schweigend sitzen sie da, jeder in seine Gedanken versunken.
Dann durchbricht Jay die Stille: „Glaubst du ihm?"
Lzzy nickt langsam. „Ja, ich denke, er sagt die Wahrheit."
Jay starrt auf das Lenkrad, seine Finger trommeln unbewusst darauf. „Aber was heißt das für uns?"
Lzzy lehnt sich zurück, ihr Blick ernst. „Ich bin mir jetzt sicher ... wir haben es mit einem Poltergeist zu tun."
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