Ich schaue aus dem Fenster und sehe viele Bäume vorbeiziehen. Hier und da erblicke ich gigantische Berge, deren Spitzen den Himmel fast berühren.
Wenige Minuten später nimmt Frau Walker die Ausfahrt.
Wir kommen auf einer fast schon unheimlich aussehenden Landstraße an, denn weit und breit sind keine Autos zu sehen.
Die Bäume werfen schauderhafte Schatten auf die Straße, während die Sonne hinter den Bergen langsam verschwindet.
Später, als nur noch die letzten Sonnenstrahlen über den Asphalt schimmern, kommt Frau Walkers Auto auf einem Parkplatz zum Stillstand. Die kühle Nachtluft weht um meine Nase, während Frau Walker und ich aus dem engen Wagen hinausgehen.
»Hier wären wir, Stella. Willkommen auf dem Internat: Sunshine Academy. Das Internat in Kanada ist schon seit 1995 in Betrieb. Außerdem fördern wir hier Austauschschüler wie dich und Einheimische aus Kanada, die es sich nicht leisten können, bei sich zu Hause zu wohnen wegen ihrer familiären Umstände.«
Ich schaue auf das Internat, welches mir für einen kurzen Moment den Atem raubt. Noch nie in meinem Leben habe ich eines gesehen. Internate kenne ich nur aus Büchern wie Nightschool und Hanni und Nanni.
Das Gebäude schaut gleichmäßig und ziemlich schlicht gehalten aus. Außerdem hat es die Form eines Rechtecks, und die Farbe ist in einem matten Gelb gehalten. Alle Fenster sind symmetrisch viereckig, und das Glas des Fensters ist glasklar. Für mich ist es unvorstellbar, dass das Internat schon seit 1995 existiert, denn dafür schaut es viel zu renoviert aus. Aber vielleicht wurde daran viel renoviert. Nein, nicht vielleicht, es wurde offensichtlich renoviert.
Mein Blick wandert zu einer hellbraunen, geschlossenen, großen Tür. Ich drehe mich um, sodass ich mit dem Rücken zu dem Gebäude stehe. Mein Blick erhascht auf der anderen Seite eine breite, steinige Einfahrt. Links und rechts stehen Bäume. Welche Bäume das sind, weiß ich nicht. Ich selbst kenne mich nicht mit der Natur aus. Die Baumkronen schwanken im leichten Wind, und die Blätter rascheln mystisch umher. Ich drehe mich wieder zu dem Gebäude. Das Gebäude ragt fast bis zum Himmel hinaus, da sind bestimmt über hundert Schlafzimmer auffindbar.
Mit einem mulmigen Gefühl schlendere ich zum Auto und hole meinen Koffer. Nachdem ich den geholt habe, geselle ich mich wieder zu Frau Walker.
»Frau Wilson, die Direktorin wird uns gleich empfangen. Bei ihr wirst du erstmals ein Vorstellungsgespräch führen, und dann sehen wir weiter.« »Werden Sie bei dem Vorstellungsgespräch dabei sein? Es würde mir persönlich helfen, jemanden da zu haben, den ich schon ein wenig kenne.« »Höchstwahrscheinlich ja, es kann aber auch sein, dass ich weggeschickt werde. Meistens werden die neuen Schüler alleine mit der Direktorin sprechen, jedoch werde ich versuchen, dass sie bei dir eine Ausnahme macht. Du sollst ja nicht bei deinem ersten Tag eingeschüchtert werden.«
Stillschweigend gehe ich mit Frau Walker zur Eingangstür des Internats.
Kurz darauf stehen wir schon vor der Tür, und Frau Walker drückt auf eine moderne Klingel. Mir wird heiß, da ich noch nicht so wirklich bereit bin, dieses Internat zu betreten. Zusätzlich spüre ich mein Herz wild schlagen. Wenige Minuten später wird uns auch schon die Tür geöffnet, und eine streng aussehende Dame in Latzhose bittet uns, freundlich einzutreten. Mutig wage ich die ersten Schritte in das Gebäude, und ich habe das Gefühl, dass mein Herz mir fast aus der Brust springt.
»Guten Abend. Bist du Stella Wittmann?«
»Ja, das bin ich.« »Es freut mich, dich begrüßen zu dürfen. Ich bin Evelyn Wilson. Deine Mutter und deine Klassenlehrer haben mich gefragt, ob es möglich wäre, dich hier für ein Jahr aufzunehmen, und ich bin ihrem Wunsch entgegengekommen. Es freut mich, dass du hier in Vancouver für ein ganzes Jahr einen Schüleraustausch machst. Hast du deine Ansprechpartnerin, Frau Walker, schon kennengelernt?«
»Ja, das habe ich. Sie hat mich bereits heute Morgen am Flughafen abgeholt«, erwidere ich freundlich.
»Wie schön, denn jeder Austauschschüler bekommt von uns eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner zugeteilt«, erklärt Frau Wilson mir gutmütig. Ihre graugrünen Augen schauen müde zu mir rüber, während ihre schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden sind. Nur ihre leichten Falten verraten, dass sie nicht gerade eine der Jüngsten ist. »Evelyn, Stella hat mich gebeten, bei dem Vorstellungsgespräch dabei zu sein, und ich frage mich, ob das möglich wäre einzurichten?" Frau Wilson überlegt kurz, währenddessen spreche ich innerlich den gleichen Satz wie ein Mantra leise vor mich hin: Bitte lassen Sie Frau Walker dabei sein, bitte lassen Sie Frau Walker dabei sein. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, aber letztendlich trifft sie eine Entscheidung.
»Natürlich können wir bei Stella eine Ausnahme machen, das ist kein Problem für mich, und wenn sie sich sicherer fühlt, wenn du dabei bist, freut es mich sehr. Das ist auch Sinn der Sache, dass man sich wohl bei seiner Ansprechpartnerin fühlt. Mein Büro ist auch gleich hier, schau mal, Fräulein, die lange Suche ist dir fürs Erste erspart geblieben." Fräulein? Noch nie hat mich jemand so genannt, ich bin immer nur Stella gewesen. Frau Wilson öffnet energisch die Tür und lässt uns beide eintreten.
Während ich ihr Büro betrete, fällt mir ein Stein vom Herzen, oh Mann, denn ich hatte Schiss gehabt, mit der unbekannten Frau alleine in einem Raum zu sitzen. Frau Wilson schließt die Tür hinter sich, während Frau Walker und ich uns auf einen gemütlich alt aussehenden Ledersessel setzen. Gegenüber von meinem Ledersessel steht ihr Schreibtisch voll mit Papierkram und diversen Unterlagen. Auf der anderen Seite des Schreibtisches steht ein weiterer Ledersessel, wo sich Frau Wilson entspannt hinsetzt.
„Okay Stella, fangen wir an. Bei einem Vorstellungsgespräch geht es darum, dich als Person kennenzulernen, und deswegen habe ich mir einige Fragen für dich überlegt. Natürlich musst du nicht jede Frage beantworten, wenn sie dir unangenehm rüberkommt. Frau Walker sitzt nur hier bei uns, damit du ein sicheres Gefühl bekommst und außerdem ist sie auch dafür da, dir zu helfen, zum Beispiel wenn du bei meinen Fragen nicht weiterkommen solltest." Auf mich wirkt die Direktorin nicht erheblich und besserwisserisch, so wie ich sie eingeschätzt habe, sondern eher professionell und mitdenkend, so wie es sich gehört.
„Wenn du bereit bist, Stella, bin ich es auch." „Ich bin bereit, Frau Wilson."
„Okay, meine erste Frage lautet: Wie geht es dir gerade in diesem Moment?"
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