Epilog
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Epilog
Der Regen fiel so stark wie niemals zuvor vom Himmel auf Forks herab, als wir den Flughafen erreichten und Alex dafür sorgte, dass man unseren Wagen durch einen Sondertransport nach Schottland überführen würde. Ironischer Weise passte sich das Wetter genau meiner Stimmung an, doch meine Tränen waren inzwischen getrocknet, was aber nicht bedeutete, dass der Schmerz weniger geworden hatte.
Ich hatte lediglich eine versteinerte Miene aufgesetzt, was bisher immer der Job meines Bruders war, doch durch den heutigen Tag würde es auch meine Aufgabe sein, der Außenwelt keiner Sekunde lang preiszugeben, was ich dachte oder fühlte.
In der Akademie brachte man einem sehr schnell am Anfang der Ausbildung die beiden Grundsätze bei: Kämpfen oder sterben. Meine Wahl hatte ich heute getroffen und würde sie auch umsetzen. Ganz egal, was ich dafür auf mich nehmen musste.
Elysia war bei unserer Abreise so traurig und verzweifelt gewesen, dass es mir mein Herz ein weiteres Mal gebrochen hatte. Ich konnte nur hoffen, dass sie zurechtkam und Carlisle ihr bezüglich der Krankheit so gut es ging half, aber ich wusste, dass er Elysia keine Sekunde lang im Stich lassen würde.
Alex hatte anscheinend den ganzen Papierkram erledigt, denn er kam nun zu mir in die Eingangshalle, wo schon wilder Trubel herrschte. Viele Menschen begaben sich zu ihren Gates, checkten ein oder gaben ihr Gepäck ab, ehe sie sich zur Sicherheitskontrolle begaben. Doch all das blendete ich aus.
Meine Gedanken waren auf meinen Entschluss fixiert, den ich auf dem Weg zum Flughafen getroffen hatte und der mich dazu gebracht hatte, all das zu ignorieren, was Alex während der Fahrt hierher von sich gegeben hatte. Seine Worte waren wie Wellen an einem Fels in der Brandung abgeprallt und hatten für mich keine Bedeutung mehr, weil mein Bruder heute eine Grenze überschritten hatte. Eine Grenze, die einfach zu einschneidend war.
,So, alles erledigt. Ich dachte schon, ich müsste diesem Typen eine ganze Akte von Dokumenten ausfüllen.", merkte er an, als er mich erreichte. ,,Na, komm. Holen wir uns Tickets und dann nichts wie weg von hier.", sagte Alex, doch ich rührte mich nicht von der Stelle, was ihn irritierte. ,,Alena?"
Ich erwiderte nichts. Nicht einmal ansehen tat ich ihn, da in mir alles tobte und ich sonst sicher war, die Fassung zu verlieren. Schon fast kam ich mir selbst wie ein Vampir vor, der mit allen Mitteln seinen Blutdurst unterdrückte und nur wenige Sekunden davon entfernt war, den Kampf gegen die Gier zu verlieren und das Monster in sich von der Leine zu lassen.
Alex schien durch mein Schweigen ungeduldig zu werden, denn er seufzte ergeben und deutete vielsagend auf die Schalter vom Flughafen, wo die Tickets ausgehändigt wurden, ehe er seine Tasche schulterte. ,,Jetzt komm schon. Wir dürfen nicht zu spät kommen, sonst geht der Flug noch ohne uns und wir wollen doch heute Abend wieder in Schottland sein.", sagte er und setzte sich wieder in Bewegung, als ich ein einziges Wort hervorbrachte.
,,Nein."
Mein Bruder hielt inne, drehte sich um und starrte mich irritiert an. ,,Wie bitte?"
,,Ich werde nicht mit dir gehen."
Ausdruckslosigkeit hatte sich auf meinem Gesicht ausgebreitet, doch meine Stimme klang dafür umso entschlossener. Alex spannte sich aufgrund meiner Äußerung enorm an und kam wieder ein wenig auf mich zu, wobei er mich dringend zur Vernunft ermahnen wollte, indem er mir ein unvergessliches Detail ins Gedächtnis rief.
,,Wir haben eine Abmachung, Alena."
,,Ja. Und die besagt, dass ich Forks für immer verlassen werde, was ich auch tue. Aber ich werde nicht mit dir zurück nach Schottland gehen.", gab ich schroff zurück, was meinen Bruder herausfordernd das Kinn recken ließ.
,,Was willst du stattdessen tun?"
Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. ,,Ich weiß es noch nicht. Doch ich ertrage deine Gesellschaft einfach nicht mehr, Alex. Die Art, wie du mich behandelst und das Ultimatum, was du mir gestellt hast...das würde ein Bruder normalerweise niemals tun. Aber für dich gibt es nur noch die Jagd und deine Rache, die du an jedem einzelnen Vampir verübst, der dir über den Weg läuft."
Es war für mich geradezu unerträglich mir selbst eingestehen zu müssen, was aus meinem Bruder geworden war. Doch konnte ich nicht länger die Augen vor der Wahrheit verschließen und musste diese akzeptieren, da Alex durch seine Taten sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Und sein Hass auf Vampire war unendlich, was ich viel zu lange beschönigt hatte.
Er schnaubte verächtlich und ich konnte ihm den Argwohn ansehen, mit dem er jenen Vampir bedachte, der für mich zur wichtigsten Person meines Lebens geworden war.
,,Du hast eindeutig zu viel Zeit mit deinem Kuschelblutsauger verbracht.", zischte Alex, doch nun funkelte ich ihn wütend an.
,,Sein Name ist Carlisle und im Gegensatz zu dir besitzt er Mitgefühl. Er würde niemals jemanden vorsätzlich töten oder zu solch einem schrecklichen Schicksal verdammen, wie du es mit mir tust. Du glaubst, unsere Eltern hätten dieses Leben für uns gewollt, aber ich glaube kaum, dass es ihr Wunsch war, dass sich unsere Wege eines Tages auf diese Weise trennen werden."
Es war fast schon eine Tragödie, was der Tod unserer Eltern mit Alex und mir gemacht hatte. Früher waren wir unzertrennlich gewesen, doch in den vergangenen Jahren hatten wir uns nach und nach immer mehr entfremdet, bis wir beide auf vollkommen unterschiedlichen Seiten standen, ohne es bemerkt zu haben. Und ich konnte mir nur ausmalen, wie schwer es unsere Eltern enttäuschen würde, wenn sie uns jetzt sehen könnten. Aber natürlich sah Alex die Schuld keineswegs bei sich, sondern stellte mich wieder an den Pranger.
,,Erzähl du mir nichts von unseren Eltern, Alena. Du bist diejenige, die unsere Familie und den ganzen Orden verraten hat, als du dich auf diesen Vampir eingelassen hast. Sei lieber froh, dass ich Henry nichts davon erzähle."
Ich konnte mir einen spöttischen Kommentar nicht verkneifen. ,,Tja, das würde ja leider gegen dein eigenes Ultimatum verstoßen, nicht wahr?" Meine Miene wurde eiskalt und ich starrte ihn geradezu nieder. ,,Du hast mir dein Wort gegeben und musst dich daran halten, denn sonst wäre unsere Abmachung nichtig. Geh du zurück nach Schottland. Ich werde meinen eigenen Weg einschlagen."
,,Du machst einen großen Fehler, wenn du dich allein auf einen ungewissen Pfad begibst. Dem Rat den Rücken zu kehren ist falsch.", zischte er mir entgegen, doch war mir das vollkommen egal. Alles war mir egal, seit er mich zu diesem Ultimatum gezwungen hatte.
,,Möglicherweise, doch das ist meine Entscheidung. Außerdem kannst du dich kaum um mein Wohlergehen sorgen, denn dank dir ist mein Herz gebrochen und mein Leben hat im Grunde jeden Sinn verloren. Ich hoffe, du bist stolz auf dich und hast nun das erreicht, was du wolltest. Leb wohl, Alex."
Meine Tasche hob ich auf, ehe ich auf dem Absatz kehrt machte und Alex einfach stehen ließ. Er würde mich nicht aufhalten können, aber da er mir nicht folgte, schien er es auch nicht zu versuchen. Ich brachte eine großzügige Distanz zwischen uns, sodass ich mir auch wirklich sicher sein konnte, dass er sich nicht doch noch an meine Fersen heftete und ließ mich dann auf einer Bank im großen Wartebereich nieder.
Die Menschen gingen einfach an mir vorbei. Niemand schien mich wahrzunehmen, was mich im Grunde unsichtbar machte. Aber genau das wollte ich auch sein. Meine ganze Welt schien um mich herum zu verschwinden. Einfach zu verblassen, mit jedem weiteren Stück, das ich mich von Forks entfernte etwas mehr.
Mein Blick fiel zufällig auf die gigantische Anzeigetafel, wo alle Flüge aufgelistet waren und immer wieder hallten die Stimmen von Anweisungen durch die Lautsprecher, die Infos für die Passagiere bereithielten. Etwas unschlüssig ließ ich meine Augen über die verschiedenen Reiseziele wandern, da ich keine Ahnung hatte, wohin meine Reise überhaupt gehen sollte.
Schottland würde ich nie wieder betreten, so viel war mal sicher. Aber in Forks konnte ich natürlich nicht bleiben und vermutlich war es besser, wenn ich erstmal so viele Meilen wie möglich zwischen mir und diesen Ort bringen würde, damit Alex nicht noch annahm, ich würde unsere Abmachung bei der nächstbesten Gelegenheit doch noch brechen.
Es war ein Ort, der mir ins Auge stach und von dem ich mich einfach nicht mehr lösen konnte: Italien. Bisher war ich nur ein einziges Mal dort gewesen, bei der Mission von Venedig und dieser Stadt würde ich garantiert keinen weiteren Besuch abstatten. Aber ein kleines Detail, zog mich dennoch zu dem kleinen europäischen Land: Carlisle war dort gewesen.
Während seiner Zeit bei den Volturi hatte er in Italien gelebt, was durch das sonnige Wetter dort wirklich eine beeindruckende Leistung war, aber es wäre zumindest eine Möglichkeit, um ihm überhaupt in gewisser Weise nahe sein zu können. Viel wusste ich nicht über die Stadt Volterra, wo sich laut Carlisle die Residenz der Volturi befand. Nur, dass sie südwestlich von Florenz lag und mein Herz schrie mir förmlich entgegen, dass ich mich in den Flieger dorthin setzen sollte. Solange es mich Carlisle ein Stück näherbrachte und so weit wie möglich von Alex entfernte. Knappe 1096 Meilen mussten wohl fürs Erste ausreichen, bis ich mir im Klaren darüber war, wie es für mich weitergehen sollte.
Also Italien. Ich erhob mich von meinem Platz und begab mich zum Schalter, wo eine nette junge Dame saß und mich mit ihren braunen Augen freundlich musterte. Mit ihren blonden Haaren erinnerte sie mich ein wenig an Rosalie, doch ich verbot mir jeden einzelnen Gedanken an die Cullens, solange ich noch in Forks war. Nicht, dass ich doch noch umkehrte.
,,Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?", fragte sie, wobei ihre roten Lippen die makellos weißen Zähne umspielten und ich hoffte, dass ich wenigstens ein bisschen Glück heute hatte.
,,Hallo. Ich wollte fragen, ob für den Flug nach Italien noch was frei ist."
Sie nickte mir zu. ,,Ich schau mal nach."
Ihre Finger tippten schnell auf der Tastatur etwas ein, ehe ihre Augen einen prüfenden Blick auf den Bildschirm ihres Computers warfen. Es dauerte nur ungefähr 2 Minuten, bis sie mir die erlösende Antwort mitteilte.
,,Ja. Ein paar stehen noch zur Verfügung. Wie viele brauchen Sie?"
,,Nur einen. Ich reise allein.", erwiderte ich und sie nickte.
,,In Ordnung. Dann brauche ich bitte einmal Ihren Pass. Haben Sie eine Kreditkarte?"
Ich reichte ihr beides. Sie erledigte die Formalitäten, während ich nach draußen auf die Startbahn blickte, wo gerade ein Flugzeug abhob. Dass ich mich später ebenfalls in der Luft befinden würde, nahm mir zwar nicht meine Probleme und das Gefühl der Leere, die sich immer weiter in mir ausbreitete, aber es gab mir die Hoffnung, somit wenigstens meinem Bruder entfliehen zu können und das für ziemlich lange Zeit.
,,Okay, Miss Hastings. Hier Ihre Kreditkarte, der Pass und die Bordkarte. Ihr Flug geht in zwei Stunden, deshalb sollten Sie umgehend einchecken. Das Reiseziel ist Florenz."
Ich beugte mich ein wenig vor. ,,Kann man vom Flughafen dort aus weiter nach Volterra?", wollte ich wissen und die nette Dame nickte.
,,Ja. Am besten wenden Sie sich an das Personal der Informationszentrale. Das kann Ihnen sicher ein Shuttle buchen, welches Sie dann weiter nach Volterra bringt."
,,Vielen Dank.", erwiderte ich und sie verabschiedete sich freundlich.
,,Gerne. Gute Reise."
Ich nahm es hin und begab mich umgehend zum Check-in, um mich für den Anflug vorzubereiten. Jetzt hieß es erstmal warten und ein letztes Mal sah ich zur Eingangshalle, wo ich glaubte, für den Bruchteil einer Sekunde Carlisle in weiter Entfernung zu erkennen. Doch als ich blinzelte war er verschwunden, was mich darin bestätigte, dass ich mir lediglich eine Illusion hervorgerufen hatte.
Carlisle würde für mich nun unerreichbar sein...ebenso wie Forks. Ich würde weder diese Stadt, noch ihn und seine Familie jemals wiedersehen. Doch ganz gleich, wie viel Zeit verging...wie lange mein begrenztes Leben auch andauerte und was mir in der Zukunft auch noch bevorstand, eins würde sich niemals ändern: ich würde Carlisle immer lieben. Bis mein Herz aufhörte zu schlagen...bis in alle Ewigkeit und darüber hinaus.
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