6
Audrey
Ein undefinierbares Geräusch dringt in meine Ohren und holt mich langsam aus meinem Schlaf. Ich schlucke und schmecke etwas Ekeliges auf meiner Zunge, die sich rau und belegt anfühlt. Mein Hals ist völlig ausgetrocknet.
Wieder dieses Geräusch. Es hallt in meinem Kopf nach und mir wird klar, dass ich jemand in unmittelbarer Nähe übergeben muss.
„Fuck.", ertönt eine männliche Stimme.
Ich kämpfe mich gegen das Licht an und öffne meine Augen. Erst als ich meine Umgebung inspiziere, merke ich, dass ich auf dem Bauch auf einer großen Couch liege. Ich befinde mich in Cyrus Wohnzimmer. Betty liegt neben mir auf der Couch, Paige vor mir auf dem Boden zusammen gerollt wie ein Embryo und Jack hängt wie ein nasser Lappen auf dem großen Couchsessel. Würde ich gerade versuchen mich nicht zu übergeben, müsste ich lachen. Sein Mund steht offen und seine Haare in alle Richtungen ab. Aber warum er kein Shirt mehr anhat ist mir schleierhaft.
Langsam erhebe ich mich und blicke mich in dem großen Wohnraum um. Ich entdecke Cyrus in der Küche, der über dem Waschbecken hängt. Ah jetzt ist mir klar, woher die Würgegeräusche kommen.
„Bis zum Klo hast du es wohl nicht mehr geschafft, was?"
Er spuckt das Wasser zurück in die Spüle. „Sorry, aber nein." Er richtet sich auf und ich stelle fest, dass er nur mehr sein schwarzes Shirt und seine Boxorshorts anhat. Zäh kommt er zu uns rüber geschlürft und reibt sich die Augen. Seine langen Arme hängen seitlich an ihm schwer herab und müde hebt er einen Fuß vor der anderen. An seinem bloßen Anblick wird mir klar, wie sehr wir gestern gefeiert haben. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel getrunken habe. Ob ich es je getan habe ist wohl die bessere Frage.
Cyrus setzt sich auf die Couch, die im rechten Winkel zu der steht auf der ich liege. Er schnappt sich ein Bier von dem Couchtisch und nimmt einen Schluck davon.
„Nicht dein Ernst oder?", frage ich irritiert und angewidert zugleich.
Aber Cyrus zuckt bloß mit den Schultern. „Um den Kater zu überleben, muss man weiter trinken. So einfach ist das."
Kopfschüttelnd richte ich mich auf. „Du bist ein Idiot, weißt du das?"
Knapp nickt er. „Jep. Trotzdem.", sagt er und prostet mir zu. Aber ich kann nicht anders als schief zu lächeln.
Ich sehe zu den anderen, aber die sind immer noch komplett weggetreten. Ich inspiziere Betty hinter mir genauer, weil ich kurz das Gefühl hatte, dass sich ihre Brust nicht hebt. Aber dann macht sie einen tiefen Seufzer und dreht sich auf die Seite. Ah gut, sie lebt noch.
„Seit wann weißt du das wegen Jack?", flüstere ich und wende mich wieder Cyrus zu.
Doch er sieht mich nicht an, sondern sein Blick ruht auf seinem besten Freund. Dann zuckt er mit den Schultern. „Ich denke, ich habe es schon geahnt bevor er selbst davon wusste.", meint er schließlich. „Ich meine sieh ihn dir an. Die Mädchen haben sich die Finger nach ihm abgeleckt und mit wie vielen hatte er was? Mittlerweile glaube ich, dass er uns angelogen hat, dass er mit ihnen was am Laufen hatte nur damit wir Ruhe geben." Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke kaum merklich. „Als er mir endlich gesagt hat, dass er schwul ist habe ich ihm auf die Schulter geklopft und gesagt, dass er sich nicht mehr selbst belügen muss. Ich kenne den Idioten seit ich klein bin. Nie hat er so über Mädchen geredet wie ich es tue oder andere Kerle in unserem Alter."
Ich schnaube. „Ich will gar nicht wissen wie du über uns redest."
Aber Cyrus verkneift sich ein Grinsen. „Ach komm, du weißt was ich meine."
Vor uns auf dem Boden rührt sich etwas. „Könnt ihr das Licht ausmachen und leise sein?", murmelt Paige, ohne dass sie die Augen öffnet. Grummelnd vergräbt sie ihr Gesicht wieder im Polster.
Ich wende mich wieder Cyrus zu. „Ja ich weiß du meinst, dafür kenne ich dich schon viel zu gut.", sage ich. „Aber ich bin froh, dass er es mir gesagt hat. Ich habe den Eindruck, dass er gut damit umgeht."
Cyrus' Blick ist wieder auf Jack gerichtet. „Ja das denke ich auch."
Nachdem wir alle einigermaßen wach waren und jeder seine Übelkeit im Griff hatte, haben wir noch Cyrus beim Aufräumen geholfen. Bevor seien Eltern wieder nach Hause kommen sollten alles einigermaßen wieder in Ordnung sein. Cyrus' Eltern sind zwar nicht welche von der strengen Sorte, aber wir sind keine Partymeute die ihren Dreck einfach so liegen lässt.
„Kannst du mich nach Hause fahren? Betty und Paige bleiben noch eine Weile hier.", frage ich Jack, als er wieder aus dem Bad kommt.
Er mustert mich kurz, nickt aber dann sofort. „Klar, natürlich."
Wir verabschieden uns vom Rest und packen dann unsere Sachen, bevor wir das Haus verlassen. Aber Betty zieht mich kurz zu sich, als ich gerade dabei bin, Jack aus der Tür zu folgen.
„Hey, können wir heute telefonieren? Du hast gestern nicht alles mitbekommen und ich weiß nicht, ob ich Scheiße gebaut habe.", zischt sie an mein Ohr.
Meine Augen wandern über ihr besorgtes nachdenkliches Gesicht, nicke aber dann. „Sicher. Aber lass mich erst schlafen, dann melde ich mich bei dir."
„Ist gut." Sie lässt meine Hand los und nickt.
Jack wartet hinter dem Steuer auf mich als ich in seinen Range Rover steige. Trotz Kater lässt er ihn geschickt aus der Einfahrt gleiten und gibt Gas als wir auf dem Highway sind. Ich lehne mich zurück und genieße die warme Sonne, die bereits am Morgen sich von der besten Seite zeigt.
Ich schiele zu Jack hinüber, aber ich denke auch er ist über die Stille ganz erfreut. Das Gute ist, dass es kein Bisschen unangenehm ist mit Jack schweigend im Auto zu sitzen. Aber er ist schließlich einer meiner besten Freunde, da sollte das wirklich okay sein. Ich hätte zwar viele Fragen, was gestern betrifft aber jetzt ist wirklich nicht der passende Moment dafür. Vor allem, weil ich ihn auf keinen Fall bedrängen will.
Ich hätte wirklich nie daran gedacht, dass Jack schwul ist. Natürlich habe ich nichts gegen Homosexualität, aber wenn plötzlich einer deiner besten Freunde auf Männer steht, obwohl du ihn schon so lange kennst, ist etwas ... ungewohnt.
„Mich überrascht es, dass du so still bist.", höre ich ihn plötzlich vom Fahrersitzt. Ich sehe zu ihm. Belustigt verzeiht er seinen Mund zu einem schiefen Lächeln und erwidert kurz meinen Blick.
„Warum das?"
Jack zuckt gleichgültig mit den Schultern. „Na ja ich habe dir gesagt, dass ich schwul bin und du sitzt bloß da und siehst aus dem Fenster. Du bist der neugierigste Mensch den ich kenne, Audrey."
„Nein, versteh mich nicht falsch. Aber ich versuche gerade einfach nicht zu kotzen und mein Kopf schmerzt.", sage ich.
Knapp nickt er. „Ja gestern haben wir wirklich etwas über die Stränge geschlagen. Aber ich würde sagen, es war ein würdiger Start für diesen Sommer." Jack lacht leise in sich hinein und biegt in unsere Straße ein.
„Von Cyrus sind wir es ja gewohnt, dass er so tief ins Glas sieht. Aber wir haben alle etwas übertrieben.", scherze ich. „Ich bin froh, dass ich euch wieder hab. Das hat mir gefehlt."
Eine Weile legt sich eine Stille über uns. Doch dann rückt Jack auf seinem Sitz etwas unruhig hin und her und sieht mich schließlich kurz an. „Also ähm ... du hast kein Problem damit?"
Verwirrt mustere ich sein Profil und ziehe die Stirn kraus. Meint er das gerade ernst? „Nein, wie kommst du darauf? Natürlich nicht. Du bist immer noch du. Ob du jetzt auf Kerle oder Mädchen stehst ist doch total schnuppe."
Jack lächelt erleichtert. „Sorry für diese Frage. Ich hätte wissen müssen wie du darüber denkst.", meint er. Seine Gesichtszüge weichen sich und er sieht zufrieden auf die Straße vor uns.
Im nächsten Moment klatsche ich in die Hände und strahle ihn an. „Ich wollte immer schon einen schwulen besten Freund."
Jack lacht laut auf, schüttelt aber dann den Kopf. „Aber glaub jetzt ja nicht, dass ich mit dir shoppen gehe und stundenlang über Männer herziehe. Nur über meine Leiche."
Spielerisch ziehe ich eine Schnute. „Ach schade. Betty ist echt anstrengend, wenn wir shoppen sind.", sage ich und winke ab. „Aber ich habs kapiert. Du bist nicht der typische schwule Kerl, du knallst trotzdem noch auf dem Footballfeld einem Gegenspieler eine rein."
Aber als Antwort lacht Jack bloß amüsiert, biegt in unsere Einfahrt und hält vor dem Haus. Mein Blick bleibt sofort an einer Person hängen, die vor der Haustür von einem Fuß auf den anderen tritt und sich das Handy ans Ohr presst.
Meiner Kehle entkommt ein Seufzer und ich drehe mich zu Jack um. Auch er hat Kaden entdeckt und mustert ihn neugierig. Dann murmelt er: „Sag jetzt aber nicht, das ist der Kerl den dein Dad eingestellt hat?"
Bevor ich ihm antworte, sehe ich wieder zu Kaden. Sein maskuliner Körper steckt in einer engen Jeans, einem weißen Hemd und einem dunklen Sakko. Es muss an dem Restalkohol in meinem Blut liegen, denn ich muss Widerwillens feststellen wie verdammt heiß er in dieser Jeans aussieht. Als er uns den Rücken zuwendet, landet mein Blick automatisch auf seinem Hintern. Verdammt, der Kerl gehört verflucht.
„Jap, das ist er.", sage ich gedehnt und sehe wieder zu Jack. „Kaden Sullivan. Ein arroganter Vollidiot."
Jack nickt bedacht und brummt dann. „Mhm." Aber es ist kein zustimmendes Brummen. Sondern eher ein interessiertes Zustimmen meiner Gedanken. Ohne nachzufragen, weiß ich, dass er ihn gutaussehend findet. Aber ich kann es ihm nicht mal verübeln, Kaden ist gutaussehend.
Im nächsten Moment richtet sich Jack auf und senkt den Blick. Sofort wird mir klar, dass uns Kaden entdeckt hat und uns beobachtet. Ohne einen Blick nach draußen zu wagen, packe ich meine Sachen und öffne die Türe. „Danke nochmal fürs fahren. Wir sehen uns."
Jack hebt bloß kurz die Hand, bevor ich die Beifahrertüre zu schlage. Mit einem tiefen Seufzen mache ich auf den Absatz kehrt, im Hintergrund höre ich wieder Jacks Range Rover aus der Einfahrt fährt.
In dem Moment als ich die paar Stufen zur Haustüre erreiche, legt Kaden auf und lässt sein Handy in der hinteren Hosentasche seiner Jeans verschwinden. Sein dunkler, wachsamer Blick fliegt auf mich und ich halte kurz den Atem an. Aber dann reiße ich den Blick von ihm und beschließe ihn zu ignorieren.
„Harte Nacht gehabt?" Seine raue tiefe Stimme durchfährt mich wie ein Blitz und sofort ist mein Körper wach. Abrupt halte ich direkt vor ihm inne und drehe mich zu ihm um. Meine Augen fangen seinen Blick auf und ich bemerke wie er belustigt lächelt.
„Ganz ehrlich, hätte nicht gedacht, dass du weißt wie man ordentlich feiert.", meint er. Seine Mundwinkel zucken verdächtig.
„Wenn du noch so eine dumme Bemerkung von dir gibt's, kotze ich dir auf deine polierten Schuhe. Glaub mir, es wäre mir ein Vergnügen." Ich funkle ihn an und hoffe er spürt, wie sehr ich mich gerade am Riemen muss, dass ich ihm tatsächlich nicht auf die Füße kotze. Mein Magen rebelliert und ich schlucke immer wieder unauffällig. Gott, ist das ekelig.
„Touché." Für ein paar lange Atemzüge erwidere ich seinen Blick. Es ist wie mit einem Tier. Man will den Augenkontakt nicht abrechen um sich so Respekt zu erweisen. Wenn das Tier zuerst blinzelt und wegsieht, hat man gewonnen. Aber ich sehe kein Tier an, sondern Kaden.
Ich fühle einen kleinen Triumph als er blinzelt und seine Augen langsam zu meinem Mund gleiten lässt. Aber im nächsten Moment spüre ich, dass sich die Luft zwischen uns schlagartig verändert. Die anderen Male dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet. Aber dass ich ihm zum dritten Mal so nahe bin und ich wieder diese angestaute Hitze zwischen uns vernehme, muss keine Einbildung mehr sein. Ich bin mir nicht sicher ob von Kaden oder von mir mehr Hitze ausgeht.
Seine Augen ruhen für ein paar Sekunden auf meinen Lippen, dann sieht er wieder hoch in meine. Sein Mund verformt sich zu einem leichten kaum merkbaren Schmunzeln. Aber die noch so kleinste Regung in seinem Gesicht würde mir auffallen.
Doch mit einem Mal wird mir klar, was ich hier tue. Ich mache eine ruckartige Bewegung mit meinem Oberkörper zurück und blinzle mehrmals. Er ist ein Angestellter meines Dads, mit ihm zu flirten oder ihm so nahe zu sein ist wirklich keine gute Idee.
„Keine Sorge, ich beiße nicht." Sein spitzbübisches Grinsen wird breiter, so dass ich seine Grübchen entdecken kann.
Ich nicke kaum merklich. „Das hat mir ein Kerl schon mal gesagt. Aber dann hat er mit meiner Zimmerkollegin geschlafen. Dieser Biss tat weh."
Neben uns wird die Haustüre aufgerissen, so plötzlich, dass wir beide erschrocken hochfahren. Mein Dad stürmt heraus. Sein Blick fliegt zuerst auf Kaden, dann zu mir. Und wieder zurück zu Kaden. Schlagartig verfinstert sich sein Blick und er baut sich etwas auf.
„Der Termin wurde um eine halbe Stunde vorverlegt.", bringt mein Dad herrisch hervor.
Kaden richtet sich ebenfalls auf und sieht meinen Dad an. Leicht runzelt er die Stirn. „Okay, und das heißt?"
Mein Dad kramt in seiner Brusttasche des Sakkos herum und holt einen Autoschlüssel hervor. Er lässt ihn vor seinem Gesicht baumeln, während Kaden darauf sieht. „Dass wir den Porsche nehmen." Dad drückt Kaden den Schlüssel in die Hand. „Du fährst, ich habe auf dem Weg noch ein paar Telefonate zu führen."
Zögerlich hebt er die Hand und nimmt den Schlüssel. Doch dann er gibt einen freudigen Laut von sich. „Ist das Ihr Ernst, Sir? Verdammte Scheiße, das gibt's ja nicht." Kaden begutachtet den Porscheschlüssel wie einen glitzernden Diamanten. Ich verschränke die Arme vor der Brust und verdrehe die Augen. War ja klar.
Plötzlich hebt Dad seine Hand und deutet mit dem Zeigefinger auf Kaden. „Aber ich schwöre dir, wenn ich einen Kratzer im Lack finde, hacke ich dir deine Eier eigenhändig ab."
Kaden erstarrt und sieht Dad an. Sein freudiges Lächeln erlischt wie ein Funke im Meer. Dann nickt er. „Klar, Sir."
Dad lässt seine Hand sinken und Kaden eilt die Stufen hinunter zu dem Porsche. Mein Vater seufzt gequält und sieht ihm nach, während ich Dad beobachte. „Das schlimme ist, ich war genauer der gleiche verrückte Idiot.", seufzt er und erwidert meinen Blick.
Stumm nicke ich. „Ich weiß, Dad. Wenn es um Autos geht seid ihr alle gleich."
„Wir sehen uns morgen. Wird später werden, wenn ich wieder zurück bin.", teilt mir mein Dad mit, während er sich von mir entfernt und zur Beifahrertür des Porsches geht. „Deine Mom wartet drinnen schon auf dich. Macht euch einen schönen Tag."
Ich winke kurz zum Abschied, während Kaden das Auto startet. Wie zu erwarten lässt er den Motor aufheulen. Paar Sekunden später rauschen sie davon.
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