5
Audrey
So viel dazu, ihm aus dem Weg gehen.
Ist wohl einfacher gesagt als getan. Der Kerl sitzt mir gegenüber am Tisch und schaufelt Essen in sich hinein. Hat er sich doch nicht gerade übergeben?
Ich beäuge ihn unauffällig und schiebe mein Essen auf dem Teller von einer Seite zur anderen. Sein blaues Shirt spannt sich um seine Oberkörper und ich kann gut erkennen was sich darunter verbergen muss. Muskeln und eine braune Haut. Meine Augen gleiten weiter hoch zu seinem markanten Kinn und entdecke kurze Bartstoppeln. Als sein Blick auf meinen trifft, sehe ich hastig auf meinen Teller hinab und schlucke.
Mir ist der Appetit vergangen, nachdem er mich vorhin im Bad so angefahren hat. Ich wollte wirklich nur höflich sein, aber als er so reagiert hat, konnte ich nicht anders und musste meine Krallen ausfahren.
Mein Dad unterhält sich mit Kaden über das Geschäft. Ich höre nicht wirklich hin aber so viel ich mitbekommen habe, haben sie morgen einen Termin in New York.
„Also Schatz, warte morgen nicht auf mich. Könnte sein, dass es später wird.", informiert Dad meine Mutter und tätschelt lieblos ihre Hand.
„Habe ich mir schon gedacht. Ich muss mich sowieso morgen um die Vorbereitungen der Wohltätigkeitsveranstaltung kümmern. Ach ja Kaden, du bist natürlich auch sehr herzlich eingeladen.", meint Mom und sieht Kaden lächelnd an.
„Vielen Dank. Ich komme sehr gerne.", meint er und lächelt.
Aber ich versuche ihn zu ignorieren und die Tatsache zu vergessen, dass ich nicht mal auf den Events meiner Mom von ihm eine Ruhe habe. Ich mag die Veranstaltungen, die Mom immer organisiert. Sie selbst läuft zwar davor herum wie ein aufgescheuchtes Huhn, aber das Haus ist wundervoll dekoriert und ich kann Zeit mit meinen Freunden verbringen. „Willst du da deine neue Kollektion vorstellen?", frage ich stattdessen und nehme einen kleinen Bissen.
Mom nickt eifrig und wirft mir einen strahlenden Blick zu. „Ja, ich bin etwas aufgeregt. Einige Kunden können es kaum erwarten. Also werden eine Menge Leute hier sein.", meint sie. „Oh, William lass mich bitte nicht vergessen, dass wir Trudy Bescheid geben, dass sie nächstes Wochenende dann arbeiten muss."
„Meinst du nicht, dass sie schon genug am Wochenende arbeitet? Sie hat eine zehnjährige Tochter, mit der sie auch mal Zeit verbringen will." Ich sehe Mom und Dad abwechselnd an, doch ich bekomme bloß verständnislose Blicke zurück.
„Aber das ist ihr Job und das weiß sie.", murmelt meine Mutter und zieht die Stirn kraus.
Kurz erwidere ich ihren Blick, doch dann schüttle ich den Kopf. „Vergiss es."
Dad richtet sich auf und sieht mich an. „Wann kommen denn deine Ergebnisse der Uni an? Sollten die nicht schon lange hier sein?"
Mein Mund öffnet sich langsam. Ach ja, stimmt. Das habe ich ganz vergessen. Als ich im Flugzeug saß, habe ich mir vorgenommen sobald ich zuhause bin, unseren Briefkasten wie einen hungrigen Adler zu bewachen. Denn das letzte was ich will, dass mein Dad die Kursergebnisse meines letzten Semesters sieht. Denn die will und sollte er auf keinen Fall sehen.
Normalerweise bin ich gut in der Uni, aber dieses Semester habe ich es einfach verbockt. Einen Kurs muss ich wiederholen und die, die ich bestanden habe, bei denen bin ich auch nur gerade so durchgerutscht. Dad würde ausflippen und mir irgendeine Predigt halten, dass die Uni wichtig ist. Das weiß ich ja alles, aber das letzte Semester war etwas ... durcheinander. Ich will ja nicht die ganze Schuld von mir weisen, aber mein Ex ist auch schuld.
„Oh naja, die werden schon noch ankommen.", murmle ich nervös und weiche seinen Blicken aus. Ich versuche meine Anspannung zu verbergen, denn Kaden beäugt mich. Ich werfe ihm einen genervten Blick zu und erkenne, dass er weiß, dass ich lüge. Aber was mich noch mehr auf die Palme bringt, dass ich das vor ihm mit meinem Vater klären muss. Ich kenne ihn nicht mal und er hört bei privaten Dingen zu. Meine Eltern scheint das ja nicht zu stören.
„Ich muss die Post noch durchsehen, vielleicht ist er ja schon angekommen.", meint Dad und nickt leicht. Dann beugt er sich wieder über sein restliches Essen. Worüber ich froh bin, denn so entgeht wenigstens ihm meine Unsicherheit.
Nach dem Essen helfe ich Mom mit dem wegräumen, während Kaden und Dad noch für morgen etwas besprechen.
„Liebes, was hältst du davon mir morgen etwas zu helfen? Ich muss noch ein paar dekorative Entscheidungen treffen und würde dann in den Country Club fahren wegen dem Catering."
Meine Mom sieht mich erwartungsvoll an und ich nicke sofort. Nachmittage mit meiner Mom zu verbringen liebe ich. Viele in meinem Alter haben ein angespanntes Verhältnis zu ihren Eltern aber ich komme mit Mom aber auch mit Dad super aus. Was mich ehrlich gesagt überrascht, da wir ein paar schwere Jahre hinter uns haben. Aber ich bin froh, dass wir daran nicht zerbrochen sind und wir zusammenhalten. Wenn ich nicht gerade in Chicago bin.
„Klar gerne. Aber ich würde gerne mal ausschlafen, wenn das okay ist.", sage ich.
„Sicher. Du sollst doch deine Ferien genießen, die hast du dir schließlich verdient.", meint sie und schenkt mir ein warmes Lächeln. Doch bei diesem Worten kommt mir die Galle hoch. Wenn sie meine Noten sehen würde, würde sie vermutlich andere Worte wählen.
„Mom, ich habe dieses Semester ziemlich verkackt.", bringe ich hervor und sehe zu ihr.
Mom hält in ihrer Bewegung inne, mustert mich und zuckt dann mit den Schultern. „Ach, mach dir darüber keinen Kopf. Passiert doch jeden Mal, und nächstes Semester wird es wieder besser laufen."
Ich nicke und presse kurz meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. „Sieht das Dad auch so?"
Wieder mustert sie mich nachdenklich. „Audrey, du bist alt genug. Ich denke mal, er will einfach Anteil an deinem Leben haben und fragt deshalb nach." Wieder nicke ich und lasse mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Vermutlich hat sie Recht.
Eilig räume ich die Spülmaschine fertig ein und nutze den Moment, weil Dad immer noch am Esstisch sitzt. Ich sprinte los, sobald ich außer Sichtweite bin und laufe in sein Büro. Ich muss schleunigst die Post durchsehen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelt. Wenn der Brief wirklich schon angekommen ist, wird ihn Dad spätestens morgen entdecken und der Sommer ist hin.
Meine Hände wühlen sich durch die unzähligen Briefe und meine Augen suchen hastig nach dem Logo der Universität Chicago.
„Soll ich dir suchen helfen?" Mein Kopf schießt empor und ich entdecke Kaden im Türrahmen. Schmunzelnd beobachtet er mich und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Gott, hast du mich erschreckt.", bringe ich schwer atmend hervor und wühle die Post weiter durch. „Nein, ich schaff das schon. Danke."
„So schlechte Ergebnisse?", fragt er weiter. Er kommt zwei Schritte in den Raum und sieht sich um. Dann nimmt er sich den Laptop auf dem kleinen Tisch.
Ich halte kurz inne und sehe ihn an. „Du musst mir wirklich nicht helfen. Ich schaffe das alleine.", fauche ich. Jetzt will er plötzlich nett sein. Verstehe einer mal diesen Idioten.
Ich konzentriere mich wieder auf den Poststapel vor mir. Kurz wird es still im Raum, dann murmelt er: „Hör zu. Ich wollte vorhin nicht so fies sein."
„Schon okay. Wir sollten uns einfach nicht in die Quere kommen.", sage ich und richte mich auf. Der Brief ist nirgends zu finden, also muss er noch nicht hier sein. Ich gehe um den Schreibtisch herum und bleibe vor ihm stehen. „Aber tu mir einen Gefallen. Urteile nicht über mich, wenn du mich gar nicht kennst."
Er presst seine Lippen aufeinander und nickt. „Kapiert."
Bevor ich mich abwenden will, halte ich nochmal inne und sehe ihn eindringlich an. Dann setzte ich ein süßes Grinsen auf. „Ach und keine Sorge, ich kann dir widerstehen."
Seine Mundwinkel zucken. Im nächsten Moment tritt er einen Schritt beiseite und macht mir den Weg frei. Eilig verlasse ich Dads Büro und laufe hoch in mein Zimmer.
Ich habe wirklich keine Ahnung was dieser Kaden Sullivan will. Oder was ich von ihm halten soll.
Er stand so plötzlich vor mir, dass ich gar keine Zeit hatte mir darüber Gedanken zu machen was das alles soll. Gut, Dad hat jemanden eingestellt, der ihm bei seinen Geschäften hilft. Sein Geschäft wird immer größer, mein Großvater immer älter und alleine schafft Dad das langsam nicht mehr. Er hat zwar viele Angestellte, die in der Firma sitzen dennoch regelt er alles alleine. Kaden ist also sein persönlicher Assistent. Wie alt ist der Kerl überhaupt? Er kann nicht viel älter sein als ich.
Aber die Tatsache, wie er durchs Haus läuft, wie selbstsicher er sich bewegt ärgert mich. Irgendwie. Als wäre er hier zuhause und kennt so gut wie alle Winkeln des Anwesens. Meine Eltern behandeln ihn als würde sie ihn schon ewig kennen. Meine Mom lädt ihn zum Essen ein und Dad spricht mit ihm als wäre er ein Freund.
Langsam wird mir klar, wie viel ich hier verpasse, wenn ich in Chicago bin. Ich telefoniere zwar regelmäßig mit meinen Eltern aber es ist nicht dasselbe, wenn ich hier bin. Die beiden haben mir nicht mal von Kaden erzählt, obwohl sie ja so begeistert sind von ihm.
Egal wie ich die Story drehe, es läuft darauf hinaus, dass ich mich ärgern muss. Und zwar über Kaden. Sein gutes Aussehen, seine Muskeln und diese wundervoll geschwungenen Lippen bringen alles zum Kochen in mir. Jedoch in zweierlei Hinsicht.
Das Vibrieren meines Handys holt mich zurück in die Realität und unterbricht meine Gedanken. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und lese Bettys Namen auf dem Display.
„Hey.", begrüße ich sie.
Ich höre im Hintergrund Gelächter und eine bekannte Stimme. „Hey Audrey."
„Wer ist bei dir?", frage ich sie und setzte mich aufs Bett.
„Oh das ist bloß Paige.", erklärt sie lachend. „Hör zu, wir wollen uns alle bei Cyrus zuhause treffen. Seine Eltern sind nicht da, also du weißt was das heißt. Ach ja und nimm deine Badesachen mit."
Unwillkürlich breitet sich ein Grinsen auf meinen Lippen aus. „Uh hört sich gut an. Perfekter Start für den Sommer."
„Du sagst es.", pflichtet sie mir euphorisch zu. „Wann kannst du fertig sein? Paige und ich würden dich abholen."
„Gib mir eine Stunde, muss noch ein bisschen auspacken.", antworte ich ihr, bin aber schon wieder auf den Beinen um mich sofort dranzusetzen.
„Perfekt. Bis später." Und legt auf.
Das Anwesen von Cyrus Eltern ist ähnlich wie unseres. Übertrieben groß, liebevoll dekoriert und typisch amerikanisch. Als ich es hinter Paige und Betty betrete, dringt dieser vertraute Zimtgeruch vermischt mit dem Duft von frischen Blumen zu mir hindurch. Und sofort versetzt es mich in die Zeit, als wir durch die Gänge und Flure dieses Anwesens geeilt sind und hier die ersten Party geschmissen haben.
Früher waren wir wirklich oft hier, aber seit sich unsere Wege in verschieden Richtungen ausgebreitet haben, änderte sich das natürlich. Ich vermisse die Zeit.
„Da seid ihr ja.", ruft uns Cyrus zu und kommt breit lächelnd uns entgegen. Irgendwie kommt er mir größer vor als früher und wenn ich genauer hinsehe sind seine Schultern und Oberarme breiter geworden. „Audrey, schön dich endlich wieder zu sehen. Komm her."
Ich gehe breit lächelnd auf ihn zu und sofort schlingt er seine Arme um mich. Fest drückt er mich an sich und ja, ich bin ebenso richtig froh, alle wieder zu sehen. Die vier haben mir richtig gefehlt.
Ich löse mich von ihm und begrüße Jack Bennett. „Hey, Jack.", begrüße ich ihn und lächle.
„Wie geht's dir?", fragt er mich und drückt mich ebenfalls in eine herzliche Umarmung.
Jack ist nicht viel größer als ich, aber bestimmt um einige Kilo schwerer. Er trainiert schon lange, weil er Football spielt. Jack und Football kann man nicht trennen. Würde man es tun, wäre es so als würde Sherlock einen Fall ohne Dr. Watson aufklären. Jack ist richtig gut darin und er blüht auf, wenn er auf dem Feld ist.
„Mir geht's gut, danke.", antworte ich ihm. „Was macht Football? Man merkt, dass du hart trainierst." Ich kneife ihm zart in den Oberarm und lächle stolz zu ihm.
„Ja es läuft gut. Mein Trainer lobt mich immer wieder, aber ich denke es liegt daran, dass ich mir selbst zu hohe Ziele setze.", antwortet mir Jack und setzt sein Bier an die Lippen. Er nippt kurz daraus.
Wir folgen den anderen durch das Haus hinaus auf die Terrasse. Sofort stelle ich fest, dass sich kaum etwas verändert hat, als ich meinen Blick durch das Haus und den Garten schweifen lasse.
„So wie wir Jack Bennett kennen und lieben. Der Kämpfer und der schnellste auf dem Feld, dass ihn nicht mal ein Pfeil erwischen würde. Übernimm dich nicht Jack, du bist so schon so gut und das weißt du auch."
Jack lächelt verlegen und kratzt sich am Hinterkopf. Er hat die Haare viel kürzer als ich es in Erinnerung habe. Früher waren sie länger und jedes Mädchen wollte durch seine wuscheligen Locken ihre Finger gleiten lassen.
„Audrey, was willst du trinken?", ruft mir Cyrus zu.
Ich zucke mit den Schultern und lächle ihn an. „Überrasch mich."
Ein freches Grinsen breitet sich auf Cyrus Lippen aus und sofort macht er sich ans Mixen meines Getränks.
„Du kennst die Drinks von Cyrus, oder?", sagt Paige und gesellt sich zu Jack und mir. Sie hat bereits ein Glas in der Hand und nippt daran. Wir stehen auf der Terrasse und die Sonne verschwindet gerade hinter dem Horizont. Ach, wie ich es liebe hier.
Wieder zucke ich bloß mit den Schultern. „Ja, aber heute brauche ich etwas Stärkeres.", antworte ich und weiche ihren Blicken aus. Aber die verwunderten und zugleich neugierigen Blicke der beiden spüre ich deutlich.
„Ach, wenn das so ist, dann sollten wir eine Runde Wahrheit spielen, wie in alten Zeiten.", murmelt Jack verdächtig. Paige stimmt ihm energisch summend zu.
Ich lasse meinen Blick zu Betty und Cyrus gleiten, die sich angeregt unterhalten und sichtlich zugetan sind. Ich muss daran denken, was mit Betty gestern anvertraut hat. Dass Cyrus sie gefragt hat ob sie alleine etwas unternehmen wollen, an Bettys rote Wangen und ihr verlegendes Lächeln. Auch Paige und Jack bemerken die beiden, als ich wieder zu ihnen sehe. „Könnte spannend werden."
***
Zwei Stunden später und die Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Einige leere Flaschen Bier stehen herum, und gerade leert Cyrus die Flasche Jack Daniels. Ich fühle den Rhythmus der Musik und mein ganzer Körper bewegt sich. Auch die anderen tanzen wild zur Musik. Immer wieder landen ein paar Tropfen irgendeines Mixgetränks auf dem Boden der Terrasse, aber es schert sich keiner darum. Im Moment kümmert sich keiner um irgendetwas, sondern wir sind einfach betrunken und genießen die Zeit, in der wir fünf wieder vereint sind.
Früher haben unsere Party anders ausgesehen. Logisch, da waren wir auch noch jünger und Alkohol war verboten. Also mussten wir heimlich im Keller trinken. Ich habe meinen Bruder Leo angebettelt, dass er uns was besorgt. Meist konnte er nicht nein sagen, und ab und zu hat er mich zu den Partys seiner Freunde mitgenommen. Im letzten Jahr hat sich Cyrus einen gefälschten Ausweis zugelegt und somit hatten wir das Problem auch gelöst.
Bevor der nächste Song beginnt, lasse ich ab und verschwinde zu dem Tisch, wo unser Trinkvorrat aufgebaut ist. Genau inspiziere ich die Flaschen, entscheide mich aber dann für die zweite Flasche Jack Daniels. Normalerweise trinke ich nicht so viel, aber ich will die Gedanken in meinen Kopf ausschalten und einfach nur glücklich sein. Seit ich zuhause angekommen bin, musste ich mich ärgern. Bloß, weil Kaden bei uns zuhause ein und aus läuft, als würde er zur Familie gehören. Ich weiß nicht warum es mich so stört. Aber diese Art wie er sich verhält und dieses Gefühl was er in mir auslöst, bringen mich schlichtweg auf die Palme.
„Ich erkenne dich ja kaum wieder. Du trinkst wie Cyrus, und du weißt, wie viel der Kerl verträgt." Jack reißt mich Gott sei Dank aus meinen Gedanken über Kaden.
Ich sehe zu ihm und proste ihm zu. Gierig nehme ich einen Schluck. „Tja, die Zeiten ändern sich was?", meine ich. Doch Jack beäugt mich nur irritiert. Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich bin immer noch die alte. Aber seit ich wieder in den Hamptons bin, bin ich irgendwie genervt. Mein Dad hat seit einiger Zeit jemanden eingestellt und der Kerl regt mich einfach auf. Ich mag ihn nicht und er mich nicht. Das Problem ist nur, dass er sehr oft bei uns zuhause rumhängt, weil er so eine Art persönlicher Assistent für meinen Dad ist."
„Verstehe. Du kommst nach einem ganzen Semester wieder nach Hause und plötzlich ist da jemand, der einfach nicht dazugehört."
Ich seufze bloß und bleibe kurz still. „Ich denke in letzter Zeit oft an Leo. Das macht die ganze Sache auch nicht einfacher. Alles hier erinnert mich an ihn."
Jacks Blick wandert zu mir und bleibt an mir hängen. Dann bewegt er sich, und verschränkt die Arme vor der Brust. „Er fehlt uns allen, Audrey."
Jacks Worte fühlen sich so ehrlich an, dass sich meine Brust zusammenzieht. Schwach lächelnd erwidere ich kurz seinen Blick, doch im nächsten Moment falle ich ihm um den Hals. Ich schiebe es zum Teil auf den vielen Alkohol, aber ich bin gerade wirklich froh, dass ich meine Freunde wieder bei mir habe. und zu Jack hatte ich immer eine tiefe Verbindung. Er versteht mich und ich verstehe ihn. Es gab Zeiten, da habe ich ihm mehr anvertraut als Betty.
„Ich habe euch vermisst.", nuschle ich an seinen Hals. Jack schlingt seine starken Arme um mich und hält mich einfach fest.
„Audrey?", murmelt er nach ein paar Atemzügen.
„Ja?"
Er räuspert sich. „Kannst du mir einen Gefallen tun?"
Ich löse mich zögerlich von ihm und mustere ihn genauer. Dann nicke ich. „Sicher doch."
Jack weicht geschickt meinen Blicken aus, vergräbt seine Hände in seinen Jeanstaschen und sieht zu Boden. Kurz wirft er einen prüfenden Blick zu den anderen drei, die aber immer noch wild zu Musik tanzen, dann schafft er es mich anzusehen. Warum ist er plötzlich nervös? Jack bringt nichts so schnell aus der Reihe aber gerade merke ich, wie er mit sich ringt. „Also ich weiß nicht wie ich das am besten sagen soll, weil ja Cyrus mein bester Freund ist. Aber bei dir weiß ich, dass Sachen geheim sind und es für dich behältst. Und ich will nicht, dass die anderen sofort etwas mitbekommen."
„Jack, jetzt machst du mir aber Angst." Ich umklammere mein Glas fester, als würde das etwas helfen.
„Nein, ich ähm ... würde dir gern jemanden vorstellen."
Sofort hellt sich mein Gesicht auf und ich strahle ihn an. „Im Ernst? Du hast ein Mädchen kennen gelernt?"
Jack kratzt sich verlegen am Hinterkopf und sieht an mir vorbei. „Na ja also ..."
„Wie heißt sie denn? Ist sie von hier?", sprudelt es aus mir heraus. Ich freue mich wirklich sehr für Jack, weil er nie wirklich etwas mit einem Mädchen am Laufen hatte. Und nie lief etwas Längeres bei ihm. Nicht wie bei Cyrus, der jedes Mal in einer Bar eine abgeschleppt hat und schon ein paar Freundinnen hatte.
Ich bemerke wie Jack etwas rot wird und mir immer wieder ausweicht. Dann gibt er sich einen Ruck und murmelt: „Sein Name ist Hunter und nein er kommt nicht von hier." Jack fängt meinen Blick auf und ich erkenne die Unruhe und Nervosität darin.
Baff sehe ich ihn an und öffne leicht meinen Mund. Doch dann kapiere ich was er mir gerade anvertraut hat. „Im ernst jetzt? Das ... das wusste ich nicht."
Jack zuckt abwesend mit den Schultern. „Mir war es auch lange nicht klar."
Aber dann lächle ich erleichtert. „Jack, ich freue mich gerade sehr für dich. Ich hoffe das weißt du.", sage ich und nicke. „Wer weiß denn noch davon?"
„Cyrus und meine Schwester. Aber niemand weiß von Hunter.", sagt er. „Cyrus hat es selbst irgendwie rausgefunden, na ja vor meinem besten Freund kann ich schlecht etwas verheimlichen. Am wenigstens die Tatsache, dass ich schwul bin."
„Ehrlich, ich habe dir nie was angemerkt. Ich meine verstehe mich nicht falsch, aber ich dachte immer du hast halt nicht so das Glück bei Frauen, aber ... seit wann ist dir das klar?"
„Seit ich Hunter kenne. Ich wusste sofort, dass er schwul ist aber wir verstanden uns von Anfang an ziemlich gut. Eines Abends waren wir gemeinsam in einer Bar, wir waren nicht betrunken oder so, aber plötzlich küsste er mich und ... ich wollte mehr. Das war vor einem halben Jahr."
Ich gebe ihm einen Klaps auf die Schulter. „Ein halbes Jahr schon und dir ist nicht in den Sinn gekommen was zu sagen?"
Jack lacht leicht. „Ich weiß, tut mir leid. Aber ich war mit mir selbst so beschäftigt, weil das alles einfach neu war. Ich war verwirrt und um ehrlich zu sein hatte ich Angst."
Mein Lächeln erlischt und nicke verständnisvoll. Das verstehe ich wirklich. Eine neue Seite an sich zu erkennen ist wirklich etwas womit man selbst erst mal klarkommen muss. Manche brauchen ewig dafür aber, wenn ich Jack so ansehe, habe ich das Gefühl, dass es ihm gut geht.
„Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast, Jack. Das bedeutet mir viel."
„Ich glaube die größte Hürde werden meine Eltern. Es sind zwar meine Eltern aber ich kann es nicht einschätzen wie sie darüber denken und wie sie reagieren werden.", meint er und zeiht dir Stirn kraus.
„Mach dir nicht zu viele Gedanken. Vielleicht wird es für sie anfangs ein Schock sein oder sie nehmen dich in den Arm und sie sind froh darüber, dass du mit ihnen so offen bist. Deine Mom ist doch so ein herzensguter Mensch und dein Dad ..."
„Es ist ja nicht wegen meiner Mom. Mein Dad macht mich nervös.", murmelt er. Grübelnd sieht er zu den anderen drei und beobachtet sie.
„Willst du, dass ich dabei bin? Soll einer von uns mitgehen? Wir sind für dich da Jack, dass weißt du doch.", biete ich ihm an. Ich kann seine Bedenken völlig verstehen. Aber ich bin überzeugt davon, dass sich alles regeln wird.
„Cyrus hat es mir auch schon angeboten.", sagt er. „Aber ich glaube ich ziehe das alleine durch." Jack sieht mich wieder an und nickt überzeugend.
Langsam erwidere ich sein Lächeln. Dann kippe ich den letzten Rest meines Bechers hinunter und wir kehren wieder zu den anderen zurück.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro