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Kaden
Ich habe keine Ahnung wie spät es ist. Aber mein Handy hat inzwischen mehrmals aufgeleuchtet und draußen wird es langsam dunkel. Den ganzen Tag schon grüble ich vor mich hin und warte auf eine innere Eingebung oder so etwas. Aber irgendwann gebe ich nach, weil ich weiß, dass es keine andere Wahl gibt. Ich bin zwar müde und mein Schädel brummt, aber es lässt mir keine Ruhe. Es ist als würde sich in meinem Kopf ein Schalter umlegen und ich springe von meinem Bett auf.
Ich kann es nicht länger hinaus zögern, es geht einfach nicht mehr.
Ich schnappe mir Dads Laptop, setzte mich damit auf die Couch und stelle den Laptop vor mir auf dem Couchtisch ab. Austin hat ihn vor ein paar Stunden vorbeigebracht und mir gesagt, dass er jetzt ohne Passwort zu benutzen ist. Das heißt ich habe freien Zugang auf Dads Daten.
Ich musste ihn fast zur Tür wieder rausschieben, nachdem ich habe ihm versichert habe, dass alles gut ist. Ich muss da alleine durch, egal was auf mich zu kommt.
Ich klappe ihn auf, vorher schreibe ich aber Audrey zurück, dass ich bis spät am Abend mit Arbeit beschäftigt bin und wir uns heute nicht mehr sehen. Alle anderen Nachrichten und Mails ignoriere ich. Dafür habe ich jetzt keine Zeit und es ist schließlich Sonntagabend.
Ich habe zwar keine Ahnung ob ich auf seinem Laptop irgendetwas rausfinde, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass es eine Weile dauern wird. Dad hatte so gut wie alles auf seinem Laptop gespeichert, er war sein Heiligtum. Ich kann mich erinnern, dass er einmal ausgetickt ist, weil ich ihn benutzen wollte als ich kleiner war. Er hat gewütet und seitdem habe ich dieses Ding nicht mehr angerührt.
Ich lege mein Handy wieder zur Seite und konzentriere mich auf den Bildschirm. Ich habe keine Ahnung wonach ich suchen soll oder ob ich überhaupt etwas finde. Aber ich kann es nicht unversucht lassen, ich würde nicht zur Ruhe kommen und mir ständig darüber den Kopf zerbrechen.
Ich rufe seine Ordner auf und sehe sie mir einzeln an. Alle haben mit der Arbeit zu tun oder sind mit privat betitelt. Zuerst klicke ich alle Ordner an, die nichts mit seiner Arbeit zu tun haben. Aber ich finde bloß Bilder von uns, von ihm selbst. Auch seine Ordner, die voll mit alten Unterlagen seiner Arbeit sind, sagen nichts aus. Ich sehe sie mir alle durch, rufe jeden einzelnen auf und warte gespannt darauf, dass ich irgendetwas verdächtiges finde.
„Komm schon, Dad. Mach es mir nicht so schwer.", murmle ich leise.
Als ich schon den Blick abwenden will, sticht mir etwas ins Auge. Ein Ordner, der mit dem Namen baker betitelt ist.
Ich atme tief ein und klicke darauf. Was hatte Dad mit Mr. Bakers Firma zu tun, denn ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es sich um dieselbe Firma handelt. Er hatte keine Freunde die im Nachnamen Baker hießen. Er arbeitete als Immobilienmakler auf den Hamptons und hatte eigentlich nichts mit dem Baugeschäft zu tun. Der Ordner poppt auf und einige Dateien und weitere Ordner erscheinen. Ich gehe sie nach der Reihe durch und öffne alle Dateien davon. Es sind gespeicherte Presseberichte über eine Baufirma. Und nicht irgendeine Baufirma, sondern über die Firma, für die ich arbeite.
Meine Hände beginnen zu zittern. Was zum Teufel hatte Dad damit zu tun? Es ergibt keinen Sinn.
Es sind unterschiedliche Presseberichte. Manche Berichte beinhalten Bilder von den Bakers, wo auch Audrey und ihr Bruder zu sehen sind und handeln über die allseits bekannten Charity Veranstaltungen. Aber ich reiße den Blick von ihr und suche weiter. Ich scrolle runter und finde Berichte, die vor zwei Jahren entstanden sind. Ich öffne sie und lese die Überschriften.
Tödlicher Unfall – Bakerfamile trauert
Unfall endete tödliche für den 22-jährigen Baker
Alle handeln von dem Unfall, bei dem Audreys Bruder ums Leben kam. Ich überfliege sie hastig und spüre wie sich die Gedanken in meinem Kopf überschlagen. Aber sie verwirren mich nur noch mehr. Warum hatte Dad diese Berichte gesammelt? Was wollte er damit bezwecken?
Ich nehme mir meinen eigenen Laptop zur Hand und gebe in die Suchleiste Leo Baker ein. Teils erscheinen dieselben Artikel, die Dad bereits auf seinem Laptop gespeichert hatte. Ich klicke mich durch und rufe schließlich einen auf, der mir neu ist. Ich lese ihn und plötzlich sticht mir ein Wort am Ende eines Artikels entgegen. Fahrerflucht.
Immer wieder lese ich hastig die Zeilen, doch die Worte ändern sich nicht.
Die Polizei geht von Fahrerflucht aus. Die Ermittlungen ergaben, dass der junge Fahrer von der Fahrbahn abkam, weil er einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen wollte. Nach der Obduktion zeigt sich, dass das Opfer keine Spuren von Alkohol im Blut hatte. Sein Auto überschlug sich mehrmals woraufhin Leo B. noch an der Unfallstelle starb. Die Polizei stellte jedoch die Ermittlungen des zweiten Fahrzeuges ein, da es keine Anhaltspunkte gab und der Unfalls sich an einem nicht videoüberwachten Straßenabschnitt ereignete.
Mein Magen dreht sich mehrmals und ich spüre wie mir die Galle hochkommt. Ich fasse mir an die Stirn und senke den Blick. Ich brauche etwas zu trinken. Und zwar jetzt.
In der Küche hole ich eine Flasche Jack Daniel's hervor und gieße etwas in ein Glas. Mit Falsche und Glas setzte ich mich zurück auf die Couch und trinke. Fuck, die Flüssigkeit brennt irre in meiner Kehle. Aber pur ist genau die Stärke, die ich jetzt brauche.
Ich richte meinen Blick wieder auf den Bildschirm vor mir. In meinem Kopf herrscht ein Chaos, also gehe ich die Fakten nach der Reihe durch.
Leo starb im Frühling vor bisschen mehr als zwei Jahren. Dad begann im Sommer vor zwei Jahren Selbstmord. Zwischen dem Unfall und Dads Tod liegen also vier Monate.
In seinem Brief schrieb er, dass er so nicht mehr weiterleben kann, weil er ein unschuldiges Leben auf dem Gewissen hat.
Er hat all diese Presseberichte auf seinem Laptop gespeichert, weil er es wusste. Weil er an dem Unfall beteiligt gewesen sein muss.
Aber es könnte jeder gewesen sein. Nichts deutet darauf hin, dass es mein Vater war, der Leo auf der Straße entgegenkam und ihn von der Fahrbahn brachte. Aber verdammt, warum hat er all diese Berichte gesammelt?
Es war Dad.
Es muss er gewesen sein.
Ich nehme noch einen Schluck von der braunen Flüssigkeit um die Stimme in meinem Kopf auszuknipsen. Das kann nicht sein. Das darf einfach nicht wahr sein. Ich weigere mich das zu glauben, dass tatsächlich Dad in dem zweiten Auto saß und Fahrerflucht begann. Das war nicht er, er würde so etwas nie zulassen und jemanden in einem Graben verrecken lassen.
Ich suche im Internet nach weiteren Unfällen, die in den Zeitraum passen und es Todesopfer gab. Aber ich finde nichts, kein einziger Unfall. Bloß ein paar, wo die betroffenen Personen mit dem Schrecken davonkamen. Leos Unfall war der einzige tödliche Unfall, der sich in vor Dads Tod ereignete und nicht allzu lange her ist.
Ich lasse von dem Laptop ab und beginne in meinem Wohnzimmer auf und ab zu laufen. Immer wieder fahre ich mir durch die Haare und schüttle den Kopf. Ich beginne an Dad zu denken, versuche mir sein Leben in Erinnerung zu rufen. Denke an seinen Alltag, an seine Vorlieben, was er den ganzen Tag tat, wo er sich herumtrieb.
Ich kannte meinen Dad, dachte ich zumindest. Ich wusste von seinen Eigenheiten aber gerade wird mir klar, dass ich die Zeit vor seinem Tod nicht merkte, dass etwas nicht stimmte. Ich sah durch ihn hindurch und war zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Er hatte meiner Mom und mir etwas vorgespielt. Wenn es stimmt, hatte er vier Monate lang kein einziges Wort darüber verloren, dass er einen Unfall verursacht hatte und Fahrerflucht begangen hat.
Ein letzter Gedanke schießt mir durch den Kopf. Hastig setzte mich wieder an den Laptop und suche nach dem Datum, an dem Leo starb und sich der Unfall ereignete. Als ich es habe, sehe ich nach welcher Wochentag es war. Ein war ein Donnerstagabend.
Ein Donnerstagabend. Donnerstags war Dad oft mit seinen Freunden etwas trinken. Er traf sich fast jede Woche mit ihnen, aber er kam nie betrunken nach Hause. Ich kann mich nicht erinnern, dass Dad betrunken ins Haus stolperte und eine erbärmliche Alkoholfahne mit sich zog. Dad war kein Trinker, er ...
Er hatte Leo Baker auf dem Gewissen.
Ich schlage mir die Hände auf das Gesicht und schüttle den Kopf. Ich kneife meine Augen zusammen und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Nein. Einfach nein.
Zitternd greife ich nach dem Glas und trinke. Ich starre in den Whiskey, aber im nächsten Moment fliegt es quer durch den Raum und zerspringt an der Wand. Tausend Scherben verteilen sich auf dem Boden, doch es ist mir egal. Ich schnappe mir die Flasche und trinke davon einen kräftigen Schluck.
Ich will es nicht wahrhaben, weil mir immer mehr bewusst wird, was das alles zu bedeuten hat. Mein Dad hatte die Familie zerstört. Er hätte bloß anhalten und einen Krankenwagen rufen müssen. Vielleicht wäre dann Leo Baker noch am Leben.
Aber er war in diesem schwachen Moment ein Feigling. Ein verdammter beschissener Feigling, der einfach weitergefahren ist.
Mein Körper wird plötzlich von einer enormen Hitzewelle kontrolliert und ich reiße mir das Shirt herunter. Zitternd fahre ich mir durch die Haare und raufe daran. Immer öfter und gieriger nehme ich einen Schluck von dem Whiskey und gewöhne mich an das Brennen in meiner Kehle. Die Stimmen in meinem Kopf werden leiser und ich beschließe erst aufzuhören, wenn sie komplett verschwunden sind.
Audrey taucht vor meinem geistigen Auge auf. Mein Dad hatten ihren geliebten Bruder zum Sterben zurückgelassen. Sie wird mich für immer hassen. Die Bakers werden mich verachten, sie werden mir die Schuld geben, sie ... Scheiße, ich bin erledigt.
Irgendwann verschwimmt alles vor meinen Augen und ich spüre nur wie ich zur Seite kippe. Die fast leere Flasche verschwindet vor mir und ich sehe nur mehr schwarz. Mein Kopf ist schwer, viel zu schwer und ich bin müde. Verdammt, ich will nicht mehr. Ich will, dass dieser beschissene Albtraum aufhört.
„Kaden?"
Eine Stimme dringt in mein benebeltes Bewusstsein. Wieder vernehme ich sie, dieses Mal lauter und bestimmter. Aber mein Körper ist wie erstarrt, unfähig sich zu bewegen.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter und ich werde hochgezerrt. Im nächsten Moment spüre ich wie sich ein Brennen auf meiner Wange ausbreitet. Irgendwer muss mir gerade eine verpasst haben.
„Komm schon, Mann. Sieh mich an."
Ich spüre die Hitze, die an mir hochkriecht. Meine Stirn ist nass und die Luft um mich herum stickig. Erst jetzt machen sich die unerträglichen Kopfschmerzen bemerkbar. Ein erbärmliches Stöhnen dringt in mein Ohr und es hört sich an als würde jemand sterben. Aber dann wird mir klar, dass es von mir kommt.
Austin taucht vor meinen Augen auf. Er mustert mich und hat seine beiden Hände auf meinen Schultern abgelegt. Wenn er das nicht tun würde, würde ich vermutlich wieder zur Seite fallen. Ich kann mich kaum selbst aufrecht halten.
„Scheiße, Kaden. Wie viel hast du getrunken? Du bist ja hake dicht.", höre ich ihn sagen.
Ich schlage seine Hand weg und lehne mich vor. Aber im nächsten Moment bereue ich es schon, denn ich spüre wie sich der gesamte Mageninhalt ankündigt. Überrascht über meinen müden Körper, schaffe ich es zur Spüle in der Küche. Eine braune eklige Flüssigkeit ergießt sich vor mir im Becken. Bei dem Anblick muss ich noch mehr würgen und bleibe so lange über das Becken gebeugt, bis mein Körper aufgibt und nur mehr grüner Gallensaft kommt.
Fuck, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so drauf war.
„Ich hätte es wissen müssen, dass ich dich nicht alleine lassen soll." Austin taucht hinter mir auf und ich richte mich auf. Ungeschickt klammere ich mich an der Arbeitsfläche fest und sehe zu meinem Freund.
„Was machst du hier?", murmle ich und sehe mich im Raum um. Meine Kehle ich total trocken und der Druck in meinem Kopf ist unerträglich.
Er runzelt die Stirn und beäugt mich irritiert. „Nach dir sehen, du Idiot. Ich habe dich ein paar Mal angerufen, aber du hast nicht abgehoben. Also bin ich her und habe mir deinen Zweitschlüssel mitgenommen."
Ich schleppe mich zurück auf die Couch und lasse meinen schweren Körper darauf fallen. Ich fasse mir an die Stirn und drücke die Schläfen, in der Hoffnung die Kopfschmerzen werden besser. Falsch gedacht.
„Was ist überhaupt passiert? Warum betrinkst du dich hier alleine?" Austin lässt sich auf einen Stuhl mir gegenüber nieder und mustert mich wieder.
Langsam schleichen sich die Bilder zurück in mein Bewusstsein.
Der Unfall. Die Bakers. Die Schuld ... mein Dad.
Shit.
Warum? Warum musste es so kommen?
„Verschwinde einfach wieder, Austin.", brumme ich und halte meine Augen geschlossen.
Kurz wird es still, dann höre ich wie er sich erhebt. „Nein. Du bist stockbesoffen und ich weiß, dass du es nicht ernst meinst."
„Komm schon, Mann. Lass mich einfach in Ruhe, ich will bloß meinen Rausch ausschlafen.", knurre ich und sehe zu ihm. Verärgert starrt er zurück und sein Körper bewegt sich kein Stück.
Er knirscht mit den Zähnen und funkelt mich genervt an. „Es ist Montagfrüh. Entweder du reißt dich zusammen oder du meldest dich bei deinem Boss krank.", fährt er mich harsch an.
Mit einem lauten Stöhnen lasse ich den Kopf wieder zurückfallen. Ich kann nicht in die Arbeit. Mr. Baker wird da sein ... ich kann ihm doch nie wieder in die Augen sehen, jetzt wo ich es weiß. Oder Audrey ... verdammt, Audrey. Sie wird mich hassen. Jetzt wo ich weiß, wer ihre Familie zerstört hat.
„Lass mich einfach in Frieden. Ich will alleine sein.", brumme ich bloß und hoffe, dass er tatsächlich verschwindet. „Und glaub ja nicht, ich hätte nicht gemerkt, dass du mir gerade eine verpasst hast."
„Ich musste sehen, ob du nicht tot bist.", erklärt er mit einem gleichgültigen Schulterzucken. „Du hast überhaupt nicht reagiert."
Ich sehe ihn so böse an, dass meine Schädeldecke noch mehr pocht und ich hoffe, dass Austin Angst bekommt und endlich Leine zieht.
Aber er ist stur und lässt sich nicht beirren. „Hey, lass deine schlechte Laune nicht an mir aus, sonst verpasse ich dir noch eine aber dieses Mal fester.", erklärt er. „Und jetzt sag mir, warum du dich besäufst. Hast du auf dem Laptop etwas gefunden?"
Ich kann es ihm nicht sagen. Es wäre zu riskant und vermutlich besser, wenn so gut wie niemand darüber Bescheid weiß. Vielleicht sollte ich es so wie Dad machen und dieses Wissen mit ins Grab nehmen.
Ich hieve mich von der Couch hoch und schlürfe an Austin vorbei in die Küche. Er sieht mir stumm dabei zu, wie ich mir die nächste Flasche Jack Daniel's öffne und einen kräftigen Zug davon nehme. Rechtzeitig reagiere ich noch rechtzeitig, da mir Austin die Flasche wegnehmen will. Ich werfe ihm einen bitterbösen Blick zu und gehe dann an ihm vorbei in mein Schlafzimmer.
„Lass stecken, Austin. Manchmal geht's einfach wirklich nicht mehr weiter.", murmle ich.
Doch bevor die Tür hinter mir zu fällt, höre ich seine Stimme. „Ich sehe Nachmittag nochmal nach dir, ob du noch am Leben bist." Er ist sauer, das verrät mir sein Tonfall. Aber es ist mir egal. Im Moment ist mir alles egal.
Bevor ich mich ins Bett fallen lasse, trinke ich an dem Whisky und warte auf die gewünschte Wirkung. Ich trinke so oft, bis sich die Bilder wieder aus meinem Kopf verflüchtigen und ich an nichts mehr denken muss. Ich will einfach alles vergessen.
Freue mich sehr auf eure Meinungen. Bis zum nächsten Kapitel.
Eure SummerOF_Love
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