39
Kaden
„Du bist ja zu einer richtigen Lusche geworden. Hast du überhaupt noch Eier in der Hose", beschwert sich Austin auf dem Beifahrersitz meines Jeeps und wirft mir einen fragwürdigen Blick zu. „Seit wann hörst du so etwas?"
Ich verdrehe schmunzelnd die Augen und unterdrücke ein Seufzen. Mit so etwas meint Austin den Künstler Hozier.
„Halt die Klappe. Seine Musik ist echt gut.", sage ich und sehe ihn an. „Audrey hat ihn mir gezeigt, ich mag die Songs."
Da wir gerade an einer roten Ampel stehen schnappe ich mir mein Handy und suche etwas anderes, damit diese Dramaqueen auf meinem Beifahrersitz nichts mehr zu meckern hat. Ich lege etwas von Twenty One Pilots auf, weil ich weiß, dass auch Austin ein Fan von ihnen ist.
Er verschränkt die Arme vor der Brust und sieht still auf dem Fenster.
„Zufrieden?", frage ich ihn höflich.
Er nickt langsam. „Ich bin nicht unzufrieden.", meint er. „Aber dir ist klar was Audrey mit dir anstellt. Die Kleine hat dich voll im Griff."
„Hat sie nicht.", kontere ich mit einem dezenten genervten Unterton in meiner Stimme.
„Doch, hat sie.", beharrt er. „Und weißt du warum?"
Ich schnaube. „Du wirst es mir bestimmt sagen.", meine ich und fahre los, als die Ampel grün aufleuchtet.
„Weil das zwischen euch nicht nur mehr etwas Lockeres ist.", erklärt er und nickt mich an, als würde er mir gerade die Welt erklären.
Ich muss daran denken wie wir in meinem Bett lagen und uns unsere Ängste anvertrauten. Zugegeben, es tat gut darüber zu reden, sich ihr anzuvertrauen und diesen ganzen Mist laut auszusprechen. Aber mir war klar, warum ich mich dagegen sträubte Audrey so viel über mein Leben zu erzählen. Weil Austin Recht hat und ich es im Grunde auch weiß. Zwischen Audrey und mir dreht es sich nicht mehr nur um Sex. Wobei der Sex fantastisch und hemmungslos ist.
Ich werfe Austin einen genervten Blick zu. „Das tut nichts zur Sache. Der Sommer ist bald um und dann ist das zwischen uns vorbei. Ganz einfach."
Ganz einfach? Wen versuche ich hier zu überzeugen?
„Und du meinst das klappt?", fragt er ungeniert weiter. „Einfach so tun als wäre nichts gewesen? Und was ist, wenn sie nach dem nächsten Semester wieder nach Hause kommt? Ihr werdet euch wieder über den Weg laufen, vorausgesetzt du arbeitest noch bei Baker."
Austin ist wirklich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und wenn er meine Hilfe benötigt, würde ich auf der Stelle alles stehen und liegen lassen und für ihn da sein. Aber im Moment könnte ich ihn bei fahrenden Auto hinauswerfen und weiterfahren, ohne mich umzudrehen.
Aber ich weiß, dass er Recht hat.
Und er auch.
Audrey wird nicht für immer aus meinem Leben verschwinden, weil sie verdammt nochmal die Tochter von meinem Boss ist. Und ich habe nicht vor zu kündigen, weil ich den Job liebe und ich Kohle brauche.
„Ich weiß es ja sehr zu schätzen, dass du dir über mein Leben so viele Gedanken machst, aber ..." Ich sehe zu ihm und grinse schellmisch. „Halt einfach die Klappe, Bastard."
Austin hebt abwehrend die Hände und macht es sich im Sitz gemütlich. „Du weißt, dass ich Recht habe.", murmelt er und tippt mit seinem Zeigefinger auf seinem Oberschenkel.
Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke knapp. „Ja, das weiß ich. Aber ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Das ist alles."
„Aber ich verstehe dich.", willigt er plötzlich ein. „Audrey ist wie die Drachenmutter aus Game of Thrones."
Ich runzle die Stirn und sehe ihn fragend an. „Was?"
Er erwidert meinen Blick, dann zuckt er mit den Schultern. „Na, ich meine Audrey ist wirklich heiß und ich weiß, dass wir darüber schon mal diskutiert haben. Aber die Drachenlady ist die schärfste Frau in der Serie. Jeder würde mit ihr schlafen, egal ob sie die Tochter vom Boss ist oder eben deine eigene Tante."
Ich verdrehe die Augen. „Du hast echt einen Knall."
„Aber ich habe Recht.", beharrt er. „Die Drachenlady ist die schärfste."
Ich parke meinen Jeep auf der anderen Straßenseite vor Moms Haus. Es ist Samstagnachmittag und Austins Wagen steht in der Werkstatt. Also habe ich ihn abgeholt, weil wir uns später was zu essen holen und uns dann an den Pier setzten wollen. Ich muss echt mal raus. Einfach nichts tun und den Kopf abschalten. Und mit dem besten Freund und einem Bier klappt das am besten.
Vorher wollte ich aber noch bei Mom vorbeischauen und sehen ob alles klar ist. Sie ist ab Mittwoch in der Klinik also will ich sie noch so oft wie möglich besuchen, bevor sie fährt. Denn wenn sie eine Stunde Fahrt entfernt ist, habe ich noch weniger Zeit sie zu sehen.
„Mom will nach dem Entzug das Haus verkaufen.", verkünde ich, als wir über die Straße darauf zu gehen. Ich werfe Austin einen kurzen Blick zu.
„Echt?", meint er. „Aber es überrascht mich, dass sie immer noch hier wohnt. Du bist doch schließlich auch ausgezogen, weil ... naja du weißt schon." Den letzten Teil des Satzes murmelt er nur mehr unverständlich in seinen Bart hinein.
Knapp nicke ich. „Ich bin froh, dass sie es tut. Es könnte wirklich ein Neustart für sie werden."
Austin war in letzter Zeit öfter hier, seitdem er weiß, was wirklich mit Dad passiert ist. Es war für ihn hart zu schlucken. Deshalb bin ich froh, dass er mir es nicht böse ist, dass ich ihm zwei Jahre verschwiegen habe, dass er Selbstmord begangen hat. Aber wir sehen beide, wie sich Moms Gesicht aufhellt, wenn er mit mir hier ist und das freut ihn auch, da er ebenfalls gerne ein Lächeln ins Moms Gesicht zaubert.
Mom hat ihn immer wie einen zweiten Sohn behandelt und da wundert es mich keineswegs, dass sich die beiden so gut verstehen.
„Also wenn ihr dann Hilfe beim Umziehen braucht, stehe ich zur Verfügung. Aber das muss ich wohl nicht extra erwähnen.", meint er, während ich klingle.
Ich lächle. „Danke, Mann. Wir können bestimmt jede Hilfe brauchen."
Mom öffnet mit einem Schwung die Türe, weil sie uns wahrscheinlich schon gehört hat. Oder meinen Jeep entdeckt hat. „Hey, Mom."
„Kommt rein ihr beiden.", sagt sie und winkt uns eifrig herein. Ihre Augen leuchten und sie lächelt uns schwach an.
Aber ich komme nicht weit. Im Flur stehen Umzugskisten, vollgepackt mit irgendwelchem Zeugs. Ich schiebe mich an ihnen vorbei und beäuge sie kurz. „Was machst du mit den Kisten?"
Mom blickt zu mir. „Ich habe mal angefangen den Keller zu entrümpeln. Dort stapelt sich alles Mögliche.", erklärt sie mit einem Augenrollen. „Aber das kommt alles auf den Flohmarkt, weil es noch gut ist. Das Zeugs, das ich wegschmeiße, ist in der Garage."
Ich nicke und sehe wieder auf die Kisten. „Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir doch geholfen?"
Aber Mom winkt bloß ab. „Ach, das ist schon okay. Ich muss mich eh etwas ablenken." Ich mustere sie kurz und sehe es ihr an, dass sie nervös ist. Es ist kein leichter Schritt für sie, aber ich bete einfach nur, dass sie diesen Schritt auch wirklich durchzieht.
„Wollt ihr was trinken?", lenkt sie das Thema um und verschwindet in der Küche. Austin folgt ihr ebenso wie ich.
Ich will gerade den Mund öffnen um etwas zu sagen, doch da vibriert mein Handy in der hinteren Hosentasche. Ich hole es eilig hervor und sehe, dass mein Boss anruft.
„Bin gleich wieder hier.", informiere ich die beiden. Doch Austin sitzt bereits am Tisch und erzählt meiner Mom etwas. Aber da sie mich nicht wirklich beachten, verschwinde ich aus der kleinen Küche und gehe in den hinteren Garten hinaus um in Ruhe telefonieren zu können.
Ich drücke mir das Handy ans Ohr. „Sir?"
„Ich habe dir etwas weitergeleitet.", bellt er ins Handy. Er nimmt sich nicht mal die Zeit eine Begrüßung zu Murmeln, sondern kommt sofort zum Punkt. Aber mittlerweile bin ich es gewohnt.
Gekonnt unterdrücke ich ein Seufzen, aber was soll ich anderes erwarten? Die ganze letzte Woche, seit er mir verklickert hat, dass er über Audrey und mich Bescheid weiß, schüttet er mich mit Arbeit zu. Aber wie gesagt, ich habe nichts Anderes erwartet. Er muss klarstellen, dass er mein Boss ist und ich unter seinem Schuh stehe und mir somit sein Verhalten gefallen lassen muss. Vermutlich hatte er damit gehofft, dass ich so gut wie keine Zeit habe mich mit Audrey zu treffen. Das ist ihm auch gelungen, da ich teilweise bis spät abends im Büro und ich danach einfach nur erledigt war.
Audrey ist der selben Auffassung, aber ich habe sie gebeten nichts gegenüber ihres Dads etwas zu erwähnen. Es würde die Sache nur noch mehr aufreizen und ich bin mir sicher, dass er sich langsam wieder beruhigt. Ich hoffe es zumindest.
Schließlich wollen wir keinen großen Wind darum machen, es ist bloß Sex zwischen uns.
Zumindest rede ich es mir ein.
„Ich werde es mir ansehen."
„Das muss Montagfrüh auf meinem Schreibtisch zuhause liegen. Das brauche ich dringend, also setzt dich ran.", sagt er und ich überhöre kaum den Ton in seiner Stimme. Diesen Befehlston hat er schon seit Tagen drauf.
Ich nicke. „Klar, Montagfrüh bekommen Sie es.", versichre ich ihm. Ich frage mich warum er mir das nicht schreiben konnte, aber der Befehlston kommt wahrscheinlich in einer Mail nicht so gut rüber als wenn er mich durch das Handy anschreit.
„Gut.", sagt er bloß und legt auf.
Ich lasse das iPhone wieder in meiner Hosentasche verschwinden und schnaube. Oh Gott, der Kerl hasst mich. Anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären.
Ich schlage den Weg wieder zurück ins Haus ein und höre Mom lachen. Vermutlich hat Austin wieder einen seiner dämlichen Witze erzählt, aber Mom muss er wohl gefallen. Aber ich hoffe er war nicht allzu pervers. Der Idiot kennt hauptsächlich verstörende Witze.
„Was ist so lustig?", frage ich als ich die Küche betrete.
Austin grinst bloß und winkt ab. Mom setzt sich zu ihm an den Tisch, dreht sich aber im nächsten Moment nochmal zu mir um.
„Ach Kaden, kannst du bitte auf den Dachboden und den Koffer vom obersten Schrank herunterholen?", bittet mich Mom. „Ich komme nicht ran."
„Okay, ich gehe gleich hoch.", sage ich und sprinte die Stufen hoch.
Aber als ich an meinem alten Zimmer vorbeilaufe halte ich davor inne. Die Türe ist ein Stück offen und ich spähe hinein. Es sieht noch so aus wie ich es vor zwei Jahren verlassen habe. Das Bett steht noch am selben Fleck, mein Schreibtisch und der Kasten ebenso. Nur sieht es heute leer und verlassen aus, bloß in der Mitte des Raumes stapeln sich ebenfalls Kartons, die mit Sachen vollgestopft sind. Auf allen steht behalten.
Keine Ahnung wann ich das letzte Mal in diesen Raum war. Ich gehe auf die Kartons zu und muss feststellen, dass es nicht meine Sachen sind. Sondern welche von Dad. Vorsichtig öffne ich den obersten Karton. Bücher kommen zum Vorschein, darunter finde ich einen Laptop. Ich greife danach und ziehe ihn hervor. Es ist Dads alter Laptop.
Kurz starre ich darauf und ich habe keine Ahnung, warum mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt. Aber plötzlich bin ich davon überzeugt, dass sich auf seinem Laptop etwas finden lässt. Etwas, dass mir Antworten liefert. Vielleicht sollte ich es lassen und ihn hierlassen, aber ich kann nicht. Ich kann es nicht unversucht lassen.
Also lege ich ihn zur Seite und richte meinen Blick wider auf Dads alten Krimskrams. Unter den Büchern finde ich alles Mögliche, seine Aktentasche, seinen Kalender und Bilder.
Ich ziehe einen Stapel hervor und starre auf das erste Bild. Sofort weiß ich, an welchem Tag dieses Bild entstanden ist. Zu meinem sechsten Geburtstag. Ich entdecke Dad, der bloß eine ausgewaschene Jeans und ein weißes Shirt trägt. Er grinst breit in die Kamera, während er mich auf den Schultern trägt. Er sieht glücklich aus, so unbeschwert und sorglos.
Es war einer der besten Tage, an den ich mich an diese Zeit erinnern kann. Aber gerade trifft mich ein schmerzvoller Stich in der Brust. Dads Tod ist zwei Jahre her, aber die Erkenntnis, dass ich niemals wieder mit ihm reden kann, ihn nie wiedersehen werde oder ihn einfach umarmen kann, trifft mich völlig unvorbereitet. Der Schmerz breitet sich in meiner Brust aus und erfasst meinen ganzen Körper.
Fuck.
Ich hatte es so lange von mir geschoben, habe nicht darüber nachgedacht warum er sich umgebracht hat, ich habe es einfach ... hingenommen. Verfluchte Scheiße, warum jetzt? Warum prallt alles auf mich ein und zerrt so an mir.
Seit ich Dads Brief gelesen habe kommt alles hoch. Die Fragen häufen sich und ich werde verrückt, weil ich keine Antworten finde. Ich merke wie es mich innerlich auffrisst.
Und plötzlich verspüre ich diese Wut auf ihn, weil er sich selbst das Leben genommen hatte und zu mir oder Mom kein Wort gesagt hat. Er hätte mit uns reden können, uns wissen lassen können was er getan hat. Aber er hat einfach entschieden zu gehen. Es ist eine Wut, die mir neu ist. Ich habe sie nie zugelassen, weil ich alles von mir geschoben habe.
Meine Hand zerknüllt krampfhaft das Bild und ich senke den Blick. Shit, ich muss aus diesem Zimmer raus. Auch wenn es mein altes Zimmer ist, erinnert mich so viel an ihn hier drinnen. Ich frage mich wie Mom so lange nach dem Tod von ihm so lange hier leben konnte.
Ich taumle ein paar Schritte rückwärts und mache dann auf dem Absatz kehrt. Ich reise den Blick von dem Zimmer los und stürme die Treppe hinab. Aber meine Füße stoppen nicht, sie bewegen sich weiter. Ich laufe an der Küche vorbei und höre meinen Namen weit weg.
„Kaden?"
Doch ich ignoriere es. Benommen fasse ich mir an die Stirn, sie ist hitzig und ich stoße die Haustüre auf. Ich muss hier raus, sonst ersticke ich noch unter diesem unerträglichen Berg von Erinnerungen.
Ich laufe immer weiter bis ich die Türe meines Jeeps zu fassen bekomme. Aber anstatt mich reinzusetzten, lehne ich mich mit den Rücken daran und stütze mich mit meinen Händen auf den Knien ab.
Meine Brust hebt und senkt sich wie verrückt und ich fasse mir an meinen Hals, weil ich das Gefühl habe keine Luft mehr zu bekommen. Fuck, fühlt sich so eine Panikattacke an?
Immer noch umklammert meine Hand das zerknüllte Bild. Ich blicke darauf und falte es vorsichtig auseinander. Plötzlich bereue ich es, dass ich zerstört habe, aber Dads Gesicht ist noch gut zu erkennen.
„Alles klar, Kumpel?" Austin taucht neben mir auf. Ich sehe den Schatten auf den Asphalt der sich mir nähert, aber ich halte den Blick gesenkt.
Langsam schüttle ich den Kopf, bleibe aber still. Im nächsten Moment spüre ich seine Hand auf meinem Rücken. Er tätschelt mich etwas und lässt sie dann dort liegen.
Nach einer Weile finde ich meiner Stimme wieder. Sie rau und kratzig. „Ich frage mich die ganze Zeit, warum er das getan hat.", bringe ich leise hervor.
Austin zieht scharf die Luft ein. „Was hast du da?", fragt er leise und deutet auf meine Hände. Ich halte ihm das zerknüllte Papier hin und er nimmt es zögerlich. Für ein paar Sekunden starrt er darauf dann höre ich ihn leise lächeln.
Ich richte mich auf und mustere ihn kurz. „Mom hat mir diesen Brief von Dad gegeben.", platzt es aus mir heraus.
Austin runzelt die Stirn und sieht mich an. Ich spüre seine verwirrenden Blicke auf mir. „Welchen Brief?"
„Es ist ein Art Abschiedsbrief an meine Mom.", sage ich. „Ich hatte ihn eine Weile und brachte es nicht über mich ihn zu lesen. Aber ..."
„Du hast ihn gelesen.", beendet er den Satz für mich und presst seine Lippen aufeinander.
Langsam nicke ich. „Ja, ich habe ihn gelesen.", sage ich. „Fuck, es war glaub ich das schwerste was ich jemals getan habe, diesen verdammten Brief zu lesen." Verärgert fahre ich mir durch die Haare.
Austin neben mir bleibt still und senkt wieder den Blick auf das Bild. Stumm betrachtet er es.
„Er hatte jemanden auf den Gewissen.", höre ich mich sagen. „Er schreib in diesem Brief, dass er ein unschuldiges Leben auf dem Gewissen hatte und ich habe verdammt noch mal keine Ahnung." Ich atme tief durch, weil ich kurz davor bin auf das Blech meines Autos zu schlagen. Aber meiner Hand würde das nicht gefallen.
„Was sagst du da?"
Ich richte mich auf und strecke den Rücken durch. Meine Lunge füllt sich mit Luft und die zerrende Last an meinen Schultern wird für ein paar Momente erträglicher.
„Ja, er schrieb es genauso.", erkläre ich Austin und sehe ihn an. Verwirrt starrt er zurück und ich sehe ihm an, dass er keine Ahnung hat was er denken oder sagen soll. Denn mir geht es ähnlich.
„Und jetzt?"
„Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Wie ich rausfinden kann, was er damit meint.", sage ich. „Ich stehe an."
„Weiß deine Mom etwas davon?", fragt er, „Sie hat ihn doch auch gelesen, oder?" Austin stemmt die Hände in die Hüfte.
„Ja, sie hat ihn gelesen, aber wir haben nicht darüber gesprochen.", sage ich. „Ich weiß, dass sie darüber reden will aber ich kann nicht."
Eine Stille legt sich zwischen uns nieder und mir wird klar, dass wir auf der Straße stehen. Aber hier fährt so gut wie nie ein Auto vorbei.
„Fuck, langsam habe ich das Gefühl den Verstand zu verlieren. Ich weiß einfach nicht, warum er uns das angetan hat.", entfährt es mir und der stechende Schmerz breitet sich wieder in meiner Brust aus. „Ich bin so wütend auf ihn."
Doch anstatt etwas zu sagen, kommt Austin einen Schritt auf mich zu und nimmt mich bloß in den Arm. Es ist keine lächerliche halbherzige Umarmung, sondern eine ehrliche und aufrichtige Umarmung. Und verdammte Scheiße, sie tut echt gut.
„Lass den Kopf nicht hängen, Kaden. Ich habe keine Ahnung wie sich das anfühlt oder was in dir vorgeht, aber ich bin für dich da."
Ich bringe bloß ein Nicken zustande. Bevor er sich wieder von mir löst, klopft er mir auf den Rücken und legt schließlich seine Hand auf meine Schulter. „Ich bewundere dich dafür, dass du das die ganze Zeit über so wegsteckst. Ich weiß, dass es dir beschissen geht, aber du bist verdammt noch Mal nicht alleine mit diesem ganzen Bullshit. Ich helfe dir.", sagt er ernst. „Ich kenne dich schon ewig, Kaden. Ich weiß, dass du vieles alleine hinkriegst und nicht schnell aufgibst, aber manchmal kommt jeder an einem Punkt, wo er alleine nicht mehr weiterweiß."
Ich nicke wieder nur, weil mir bewusst wird, dass Austin der loyalste Mensch ist den ich kenne. Ich weiß, dass ich auf ihn zählen kann. Und plötzlich tut es mir leid, dass ich ihn vorhin noch aus dem Auto schmeißen wollte.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?", sage ich stattdessen.
Knapp nickt er. „Klar."
„Kannst du dir den Laptop meines Dads ansehen? Vielleicht lässt sich auf ihm etwas finden, das mir irgendwie weiterhilft."
„Sicher.", meint er. „Aber meinst du, du findest tatsächlich etwas, was dir Antworten liefert?"
Ich zucke leblos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, aber ich kann es nicht unversucht lassen."
„Was ist, wenn du etwas findest, was dir nicht gefallen wird?"
„Dann ist es so. Aber ich muss wissen, was Dad getan hat. Ich muss es einfach wissen.", stelle ich klar und sehe meinen besten Freund an.
Ohne zu Zögern, nickt er entschlossen. „Okay. Ich helfe dir."
***
Es ist weit nach Mitternacht und ich liege hellwach im Bett. Mein Körper denkt nicht daran, zu schlafen aber ich fühle mich erschöpft und ausgelaugt. Es ist verwirrend.
Verärgert schlage ich die Decke zurück, weil mich plötzlich eine Hitze überkommt, obwohl ich nicht mehr als Boxorshorts trage. Müde fahre ich mir über das Gesicht und stöhne auf. Die Gedanken in meinem Kopf wollen einfach keine Ruhe geben.
Doch just in dem Moment, als ich aus dem Bett steigen will, leuchtet mein Handy auf dem Nachttisch auf. Ich bleibe liegen und schnapp es mir, um die Nachricht zu lesen.
Sie ist von Audrey.
Sie: Bist du wach?
Sofort wähle ich ihre Nummer und halte mir das Handy ans Ohr. Nach dem ersten Klingeln hebt sie ab.
„Hey." Ich weiche Stimme erfüllt meine Brust und ich muss wie von selbst lächeln. Mir wird klar, wie sehr ich sie die Woche vermisst habe, da wir uns kaum gesehen haben. Ich bin kurz davor, mich anzuziehen, ins Auto zu steigen um zu ihr zu fahren, damit ich sie an mich ziehen und sie küssen kann. Aber ich bleibe liegen, weil ... Gott, weiß warum.
„Kannst du auch nicht schlafen?"
Sie seufzt leise. „Nein. Was ist mit dir?"
„Nicht wirklich, nein."
„Warum kannst du nicht schlafen? Ist was passiert?", fragt sie weiter und ich höre die Unsicherheit in ihrer Stimme.
Doch ich schüttle den Kopf. „Es war bloß ein verwirrender Tag, mehr nicht.", winke ich ab. Es stimmt, der Tag war verwirrend, aber ich will nicht wirklich darüber reden. Ich will einfach ihrer Stimme lauschen und alles um mich herum vergessen.
„Hm.", höre ich sie leise. „Mein Dad behandelt dich ziemlich mies, oder?"
„Nein ... ist schon okay. Ich denke, ich habe es verdient.", sage ich.
Doch Audrey protestiert sofort, denn sie sieht es anders. „Er verhält sich nicht fair.", beschwert sie sich. „Ich weiß nicht warum er daraus so ein Drama macht und es dir so übelnimmt."
„Er kriegt sich schon wieder ein.", beschwichtige ich sie und hoffe, dass es stimmt.
Es wird still zwischen uns, dann richte ich mich auf und starre in die Dunkelheit. „Warum kannst du nicht schlafen?", frage ich sie schließlich, weil sie mir darauf noch keine Antwort gegeben hat.
Kurz zögert sie. „Willst du dir Wahrheit hören?", murmelt sie leise.
„Ja."
Sie holt tief Luft. „Ich habe einfach Angst, was passieren wird, wenn der Sommer vorbei ist."
„Du gehst nach Chicago zurück und ich bin hier.", flüstere ich und schließe kurz die Augen. Es ist die Wahrheit, obwohl sie einen üblen Geschmack in meinem Mund hinterlassen.
Ich höre sie leise atmen. Ich wünschte, ich wäre jetzt bei ihr und könnte sie berühren. Ihr durch die Haare streichen, ihre Lippen küssen und sie fest an mich ziehen.
„Ich will nicht zurück nach Chicago.", gibt sie schließlich zu. „Es ist das erste Mal, dass ich nicht zurück an die Uni will." Ihre zarte Stimme ist nur mehr ein zartes Flüstern, aber ich höre jedes Wort davon. Jedes einzelne Wort und ich weiß, wie ernst sie es meint.
Meine Brust zieht sich schmerzhaft eng zusammen.
„Ich will nicht von dir getrennt sein, Kaden.", höre ich sie leise sagen. „Das macht mir Angst."
„Ich weiß." Mehr bekomme ich nicht über die Lippen. ich würde ihr gerne sagen, dass es mir bei dem Gedanken gleich geht, aber das bringt uns beiden nichts. Es macht es nur noch schwerer.
„Oh Gott, und ich sage dir so etwas über das Handy.", lacht sie schwach auf.
Ich muss schmunzeln. „Soll ich zu dir kommen?"
„Nein, mein Dad, er ..."
„Ach komm. Er weiß es ohnehin, also wäre es egal, wenn wir morgen all zusammen beim Frühstück sitzen.", meine ich, was Audrey zum Lachen bringt.
„Willst du mit deinem Boss wirklich an einem Sonntag beim Frühstück sitzen?", lacht sie.
Kurz überlege ich und stelle mir die Situation vor. Mr. Baker würde mich wahrscheinlich mit seinen Blicken killen. „Okay. Nein, nicht wirklich."
„Siehst du."
Aber ich kann nicht schlafen und Audrey auch so wenig. Also kommt mir eine Idee und bevor ich die Worte ausgesprochen habe, bin ich schon aus dem Bett gestolpert. „Zieh dich trotzdem an, ich bin zwanzig Minuten bei dir."
Freue mich sehr über eure Meinungen, bis zum nächsten Kapitel und hoffe es geht euch allen gut.
Eure SummerOF_Love
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