9. Ein bisschen Aufklärung
P.o.V.: Louis
Am nächsten Tag in der Schule hatte ich gehofft, dass ich niemandem jemals von meinem gestrigen Tag erzählen musste. Ich hätte wirklich alles dafür getan, damit ich es einfach für immer für mich behalten konnte. Am liebsten würde ich es auch einfach vergessen können, aber leider war mir bewusst, dass ich mich selbst noch in zehn Jahren daran erinnern werde. Spätestens wenn ich auf meiner ersten Collage Party - genau die gleichen, die es immer in den Filmen gibt - bin und die Frage aufkommt, wann man seinen ersten Kuss hatte und mit wem.
Meine einzige Hoffnung ist dann nur noch, dass ich bis dahin keinen Kontakt mehr zu Harry habe.
Wie so oft war ich heute wieder etwas später dran. Toni und Zayn warteten schon auf mich, ganz hinten in unserem Klassenzimmer. Beide hatten sie die Hände verschränkt und glücklich sahen sie auch nicht aus.
Ich schluckte leicht.
Was ist passiert?
Unsicher stellte ich meinen Rucksack auf meinen Stuhl und ging dann mit langsamen Schritten auf meine besten Freunde zu.
"Louis", begann Zayn und schüttelte dabei den Kopf. "Was ist los?", fragte ich und versuchte so locker wie möglich vor ihm zu stehen. Aber allein schon der Blick von Toni machte es unmöglich für mich gelassen zu bleiben. Irgendwas musste ich verbrochen haben. Aber sie konnten doch nicht wissen, dass ich gestern auf Harrys Geburtstagsparty war. Wie auch? Ich habe nie gesagt, dass ich hingehe oder überhaupt eingeladen war.
"Was los ist?" Zayn lachte. "Wo warst du gestern?", fragte Toni und stellte sich enger neben Zayn. Ihre Schultern berührten sich und ich fühlte mich gerade, als würde ich vor ihnen immer kleiner werden. So habe ich mich noch nie gefühlt. Sonst bin ich immer der, der die Ansagen macht. Ich wurde von meinen Freunden noch nie so angesehen.
"Gestern? Ich- also.. meine Großeltern.. Ich war bei Oma und Opa", log ich. Im Lügen war ich noch nie gut. Das sagt sogar immer meine Mum, weshalb ich es gar nicht mehr versuchte in ihrer Anwesenheit die Wahrheit zu verschweigen. Es brachte sowieso nichts.
"Lüg doch nicht rum. Und hör auf zu stottern. Du bist doch kein Baby!" Zayn rollte die Augen und kam einen kleinen Schritt auf mich zu.
"Wir wissen, wo du warst", flüsterte er bedrohlich nahe an meinem Gesicht.
Unmerklich schluckte ich und trat nur ein paar Centimeter zurück.
"Toni und ich waren gestern bei dir zuhause, weil wir dich fragen wollten, ob du mit uns auf den Bolzplatz kommen willst", erklärte Zayn und entfernte sich zu meinem Glück wieder ein bisschen.
Ich nickte leicht und knetete nervös meine Finger hinter meinem Rücken.
"Dein Dad hat uns aufgemacht und gesagt, dass du nicht da bist", redete Toni weiter.
"Und weißt du, was er uns dann noch gesagt hat?", übernahm wieder Zayn das Wort.
Ich nickte wahrheitsgemäß.
"Ach. Das weißt du jetzt plötzlich?" Zayn lachte und sah Toni an.
"Wir möchten nichts mehr mit dir zutun haben", sagte er entschlossen.
"Aber- Aber ich kann das erklären!", versuchte ich mich noch rechtzufertigen, doch Zayn und Toni gingen an mir vorbei und hoben beide eine Hand um mir zu zeigen, dass sie nicht mehr mit mir reden möchten.
Ich schniefte leise. Ich habe meine besten Freunde verloren.. Was soll ich denn jetzt machen? Mit wem soll ich denn jetzt Fußball spielen, wenn ich nicht im Training bin und mit wem soll ich eigentlich in den Pausen reden und die Zeit verbringen?
Wütend auf meine Mutter, weil sie mich dazu überredet hat, dass ich auf Harrys Geburtstag muss und auch wütend auf Harry, weil er mich auf seine blöde Party eingeladen hat, sah mich im Raum um. Gerade in dem Moment kam auch mein immer noch Erzfeind ins Klassenzimmer gelaufen.
Ganz sicher werde ich mich nicht mit ihm anfreunden, nur weil ich gestern auf seinem Geburtstag war. Ich werde Zayn und Toni schon irgendwie beweisen können, dass ich Harry immer noch hasste - nach gerade eben sogar noch viel mehr.
Harrys und meine Blicke trafen sich. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln und er wank mir zu. Dachte er ernsthaft, dass wir jetzt Freunde sind? Das kann er sich sofort wieder abschminken!
Mit schnellen Schritten ging ich auf ihn zu.
"Hey, Louis!", begrüßte er mich fröhlich. Immer noch lächelte er, was mich nur noch wütender machte. Er soll aufhören zu versuchen mit mir befreundet zu sein!
"Spar dir dein unmenschlich fröhliches Hey, Louis!" Mit aller Kraft drückte ich ihn gegen die nächste Wand und hielt ihn an seinen Schultern an Ort und Stelle. "Hör auf zu versuchen mit mir befreundet zu sein! Hör auf immer auf nett zu tun, wenn du genau weiß, dass ich dich hasse! Ich wollte nie auf deine blöde Geburtstagsparty kommen! Ich hatte nicht mal Spaß!"
Ich bekam nicht mit, wie sich ein paar unserer Mitschüler um uns herum versammelten, damit sie mehr mitbekamen. Das einzige auf was ich acht gab war Harrys blödes Gesicht. Er hatte immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen! Er soll aufhören so freundlich zu sein! Er soll endlich aufhören die ganze Zeit meine Aufmerksamkeit zu wollen.
"Wegen dir habe ich meine besten Freunde verloren!", warf ich ihm vor.
Plötzlich griff Harry nach meinen Armen und drückte sie mit einer Leichtigkeit, die mir unerklärt blieb zur Seite.
"Ich habe dich nicht dazu gezwungen auf meine Geburtstagsparty zu kommen. Du hättest auch einfach absagen können, weißt du? Und trotzdem warst du da" Er zuckte mit den Schultern und ließ meine Arme los. "Tut mir sehr leid für dich, wenn du deine besten Freunde wegen mir verloren hast, aber vielleicht waren es auch einfach keine richtigen Freunde, wenn sie dich verlassen, nur weil du auch mit anderen deine Freizeit verbringst", redete er weiter.
"Halt deine Klappe", zischte ich. "Ich hab das nicht freiwillig gemacht! Und sie sind richtige Freunde! Tu nicht immer so, als könntest du schlaue Sachen sagen! Alles was du sagst ist dumm. Du bist dumm. Deine Freunde sind dumm. Dein Geburtstag war dumm!"
Ein letztes mal schubste ich Harry von mir weg und entfernte mich von ihm.
Auf dem Rückweg zu meinem Stuhl stellte mir irgendein Vollidiot das Bein, weshalb ich mich sofort umdrehte und jeden einzelnen ansah. "Wer war das?! Wer wagt es mir ein Bein zu stellen?! Verpisst euch alle von mir! Lasst mich gefälligst in Ruhe! Ich will mit keinem von euch etwas zutun haben! Und Körperkontakt will ich auch nicht habe!"
Demonstrativ strich ich mir an den Stellen über meinen Pulli, wo Harry mich gerade eben angefasst hat. Ich setzte mich auf meinen Stuhl neben Zayn und legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme, welche auf dem Tisch ruhten.
Ich hasste es hier. Ich will endlich erwachsen werden. Ich will nicht mehr in die Schule.
Ich zuckte leicht zusammen, als mir plötzlich jemand über den Rücken strich. Vielleicht war es Zayn. Ich traute mich nicht auf zu sehen.
"Tut mir leid, dass wir das mit dir und Harry falsch gedeutet haben. Spielen wir in der Pause Fußball? Toni hat einen Ball dabei", flüsterte Zayn.
Sofort begann ich in die Dunkelheit zu strahlen und drehte meinen Kopf leicht in Zayns Richtung. Er lächelte und hielt mir eine Hand hin.
Ich richtete mich auf und schüttelte ihm die Hand. "Danke", murmelte ich.
"Nichts zu danken"
* * *
"Ich bin ja wirklich erleichtert, dass du nicht auf Harrys Seite gewechselt hast", meinte Toni plötzlich aus dem Nichts. "Wie kommst du da denn jetzt wieder drauf? Wir haben doch gesagt, dass wir darüber nicht mehr reden werden", erwiderte Zayn und stoppte den Ball mit seinem rechten Fuß.
Wir waren gerade zu dritt auf dem Bolzplatz und kickten den Ball ohne wirklich ein Ziel zu haben hin und her und ab und an auch mal ins Tor. Aber so eine wirkliche Regel hatten wir heute nicht.
"Kommt mal her", meinte Toni. Er setzte sich einfach ins Gras und wank uns zu sich.
Zayn und ich sahen uns kurz etwas verwirrt an, machten dann aber, was Toni wollte und setzten uns zu ihm.
"Ich muss euch etwas sagen", begann er.
"Spuck es schon aus. Was ist es?", drängelte Zayn.
"Du hast doch nicht etwa auch mit Harry Kontakt gehabt, oder?", vermutete ich.
Sofort schüttelte Toni den Kopf.
"Aber es geht um diesen Josh mit dem er immer beisammen ist"
"Was ist mit Josh?", fragte ich.
"Du kennst ihn nach gestern privat am aller besten von uns, Louis. Denkst du, dass er und Harry miteinander.. Na du weißt schon.."
Verwirrt sah ich ihn an. "Auf was willst du hinaus?"
Zayn stöhnte auf. "Toni meint damit, ob du denkst, dass Harry und Josh zusammen sind", klärte Zayn mich auf.
Ich lachte und schüttelte schnell den Kopf. "Aber um eins mal klar zu stellen. Ich hatte gestern mit niemanden viel Kontakt. Ich saß nur rum und hab nur dann geredet, wenn man mich etwas gefragt hat. Das einzige, was gestern mein Highlight war, war der Kuchen. Josh und Harry sind halt beste Freunde, so wie wir"
"Aber Harry und Josh küssen", erinnerte mich Toni. "Ich würde euch niemals küssen, nur weil ihr meine besten Freunde seid"
"Würde ich auch nicht. Das macht man nur, wenn man zusammen ist", meinte Zayn. "Aber wie kommst du jetzt überhaupt darauf?"
Toni zuckte die Schultern. "Ich hab nur daran gedacht, was mein Bruder gesagt hat..", murmelte er. "Was meinte er?" Neugierig hob ich meinen Kopf und ließ das Gras in Ruhe, an welchem ich schon die ganze Zeit gezupft hatte.
"Mein Bruder hat gesagt, dass wenn zwei Jungs zusammen sind, dass das schwul ist und falsch. In manchen Ländern wird man darüber sogar umgebracht oder kommt ins Gefängnis. Wir haben vor ein paar Tagen zusammen was im Fernsehen geguckt und da waren im Film auch zwei Jungs zusammen. Dann hab ich an Josh und Harry gedacht.. Was ist, wenn die was verbotenes machen?", fragte er.
"Man wird umgebracht, weil man-", murmelte ich vor mich hin. Toni unterbrach mich mit einem Nicken. "Auch in England?", fragte Zayn. Toni zuckte die Schultern. "Er meinte nur, dass es in manchen Ländern so ist. Wisst ihr.. vielleicht sollten wir Harry doch warnen. Ich will nicht, dass er umgebracht wird, weil-"
"Toni, das ist Schwachsinn", unterbrach ihn Zayn. "Man darf niemanden einfach so umbringen. Dafür sind doch Gefängnisse da. Damit da die Leute rein kommen, die sowas machen. Sonst müsste der, der Harry umbringt ja danach ins Gefängnis"
"Ich glaube auch nicht, dass die sowas machen können. Außerdem sind wir doch noch nicht mal volljährig. Die vom Gesetz dürfen keine Kinder umbringen", stimmte ich Zayn zu.
"Ihr habt recht", murmelte Toni und zupfte etwas Gras aus. "In England machen die sowas nicht.."
Ich nickte. "Lasst uns weiter spielen. Ich muss in einer Stunde schon wieder nach Hause zum Essen", bemerkte ich. Zayn stand als erster auf. "Wir reden nicht mehr über Harry und Josh", legte Zayn fest. Toni nickte und lächelte knapp. "Ihr habt recht. Das ist Zeitverschwendung"
* * *
Beim Abendessen ging mir das, was Toni mir und Zayn heute erzählt hat nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte immer noch daran, was mit den Menschen passiert, die mit einem anderen Mann zusammen sind. Ich hatte doch keine Ahnung davon, wie es hier ist. Wie auch? Wir lernen über die verschiedenen Arten von Liebe nichts in der Schule. Vielleicht kommt das aber auch erst in der Oberstufe, weil man in der Mittelstufe noch keine Beziehung hat.
"Louis, was ist los? Schmeckt es dir nicht?", fragte mich meine Mum plötzlich. Sanft strich sie mir über den Rücken und lächelte mich an. Ich sah auf und bemerkte erst dann, dass ich die ganze Zeit in meinem Kartoffelpüree rumgestochert haben.
"Doch.. Nur irgendwie beschäftigt mich etwas", murmelte ich.
"Was ist, mein Schatz. Du kannst mit uns gerne darüber reden"
"Heute beim Fußballspielen, da hat Toni mir und Zayn etwas gesagt. Also, wir glauben, dass Harry aus meiner Klasse und ein Josh aus einer anderen Klasse zusammen sind, weil sie sich schonmal geküsst haben und immer zusammen etwas machen. Aber Tonis großer Bruder hat gesagt, dass wenn man als Junge einen anderen Jungen liebt und man zusammen ist, dann ist das verboten und falsch und so.. Und dann meinte er noch, dass man dafür sogar umgebracht wird in manchen Ländern oder ins Gefängnis kommt", erklärte ich mich.
Meine Eltern sahen sich beide kurz an und dann wieder zu mir.
"Okay, Louis. Hör zu", begann mein Papa. "Tonis Bruder hatte nicht ganz unrecht, dass es in manchen Ländern verboten ist oder als falsch angesehen wird, wenn man sich in das gleiche Geschlecht verliebt. Das gleiche gilt nämlich auch für Mädchen. Und in diesen Ländern kann es dann sein, dass man dafür bestraft wird. Aber Tonis Bruder hat auch unrecht. Hier in England und auch noch mehreren anderen Ländern, da wird es nicht als falsch angesehen und ist auch nicht verboten. Zwar darf man nicht heiraten, so wie Mann und Frau es dürfen und man hat generell ein paar gesellschaftliche Nachteile, aber man wird dafür definitiv nicht anders bestraft. Es gibt Menschen, die fühlen sich davon angegriffen, aber das ist falsch und genau das sollte verboten sein. Es ist nichts schlimm daran, wenn Harry und Josh zusammen sind, oder sich küssen. Und ich und deine Mutter möchten auch nicht, dass du denkst, dass etwas falsch daran ist, ja?"
Unschlüssig sah ich meine Eltern an.
"Also hat Tonis Bruder gelogen?", fragte ich.
Meine Mum schüttelte den Kopf. "Er hat nicht absichtlich gelogen. In seinem Kopf war es für ihn die Wahrheit aber viele Menschen denken unterschiedlich darüber und wir möchten, dass du nicht wie Toni oder Tonis Bruder denkst", klärte sie mich auf.
Ich nickte. "Okay", stimmte ich leise zu.
Doch innerlich wusste ich nicht, wie ich Toni sagen soll, dass sein Bruder eine falsche Meinung hat. Soll ich es überhaupt sagen, oder soll ich einfach gar nichts mehr dazu sagen? Vielleicht würde das Thema auch einfach nie wieder hochkommen und wenn doch, dann werde ich ihm sagen, was meine Eltern denken.
Oder?
[2319 Wörter]
Nächstes Kapitel wird endlich das erste Kapitel in der Highschool! Ohh darauf könnt ihr euch schonmal freuen. Ab jetzt wirds erst richtig spannend 😏
~D 💚💙
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro