15. Was?
P.o.V.: Louis
Mit einem lauten schnaufen ließ ich mich auf den Stuhl neben Toni fallen.
"Nächstes mal erinnerst du mich bitte vor der Pause an meinen Ordner", murmelte ich außer Atem. Zu meinem Glück war wenigstens unser Musiklehrer noch nicht da.
Toni klopfte mir auf den Rücken. "Sorry, Tommo. Was hast du da in der Hand?", lenkte er ab.
Ich reichte ihm das Papier. Ein Lächeln konnte ich dabei nicht unterdrücken. Aus mir unerklärlichen Gründen machten mich die beiden Zeichnungen glücklich. Wenn ich nur wüsste, von wem sie kommen..
Solange Toni sich die Zeichnung ansah und den Text auf der Rückseite studierte, sah ich mich im Raum um.
Unsere Sitzordnung war ein einzigartiges Klischee. Die Mädchen saßen bei den Mädchen und auf der rechten Seite und die Jungs saßen alle links. Harry stach als einziges heraus. Der teilte sich einen Tisch mit Mary ganz hinten rechts.
Wenn Harry weiß, von wem die Zeichungen sind, dann muss es von einer kommen, die mit Harry offen darüber reden würde..
Mary und er sind sich zumindest im Musikunterricht nahe. Ich wüsste nicht, dass sie in einem anderen Fach nebeneinander saßen, aber sie unterhielten sich gerade eben ziemlich intensiv über etwas.
Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mary an mir interessiert ist.
Es könnte jede sein, nicht, dass ich damit sagen möchte, dass mich jede haben will, aber von dem Talent her könnte es jede sein, die im Kunstzweig ist und zusätzlich auch noch guten Kontakt zu Harry hat.
Wobei!
Ich habe ein großes Ausscheidekriterium. Sie hat grüne Augen, das hat sie schließlich in dem Text so angedeutet.
Von Mary wusste ich, dass ihre Augen dunkel waren. Sie passten zu ihren Haaren, denn die waren dunkelbraun und auch sie selbst war kein blasses Mädchen. Sie war gut gebräunt, was wohl daran liegt, dass sie mit ihren Eltern in fast jeden Ferien in ein warmes Land flog. Es ist unser uns Schülern bekannt, dass ihre Eltern mehr als gut verdienten.
Mein Blick flog weiter über die Mädchen aus meiner Klasse, wobei ich gar nicht mitbekam, dass Toni mich wieder auf das Bild ansprach.
Erst als er vor mein Gesicht schnipste, schreckte ich zurück und drehte mich in seine Richtung.
"Sie hat grüne Augen", meinte Toni lediglich.
Ich rollte die Augen. "Ach"
"Nicht viele haben grüne Augen", redete er weiter.
Ich nahm Toni das Bild wieder ab und las mir nochmal den Text durch.
"Was hältst du von den Zeichnungen?", fragte Toni.
Ich zuckte die Schultern und sah auf, da gerade unser Musiklehrer den Raum betrat und hinter sich die Türe mit einem lauten Knall zufallen ließ.
"Ich will sie kennen lernen", flüsterte ich.
Toni sah mich aus ungläubigen Augen an, doch ich begann nur zu lächeln. "Wieso denn nicht?" Ich drehte das Papier wieder in meiner Hand und sah mir jetzt praktisch in meine eigenen Augen. Niemals könnte ich auch nur ansatzweise so schön malen.
"Du spinnst", flüsterte Toni. "Ohne diese Bilder würdest du niemals freiwillig mit einer aus unserer Klasse etwas anfangen"
Ich sah erneut nach rechts.
"Vicky ist hübsch"
Toni lachte, was natürlich sofort die Aufmerksamkeit aller Schüler und die unseres Lehrers auf uns zog.
Unter dem Tisch gab ich ihm einen Tritt gegen sein Bein. So ein Vollidiot!
"Alles in Ordnung, Toni?", fragte unser Musiklehrer.
Toni nickte schnell. "Tut mir leid. Alles perfekt"
"Vicky ist mehr als nur eine Nummer zu groß für dich. Und das meine ich nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes", murmelte er vor sich hin, sodass es wieder nur ich hören konnte.
Augenverdrehend und nach einem zweiten Tritt unterm Tisch, nahm ich mir einen Kulli und schüttelte den Kopf. "Du hast doch genauso keine Ahnung, wie ich"
* * *
Zuhause gab es zum Mittagessen Chilli con Carne. Eines meiner Lieblingsessen. Wobei man das eigentlich gar nicht so sagen konnte, da ich ein Mensch bin, der eigentlich alles gern aß. Essen ist einfach geil und auch wenn man es mir vielleicht nicht unbedingt ansah - meine Oma sagt immer zu mir, dass ich viel zu wenig auf meinen Rippen habe -, aß ich meiner Meinung nach viel zu viel und manchmal auch sehr gerne ungesund.
Durch den Sport verbrenne ich meine Kalorien, die ich zu mir nehme natürlich wieder sofort.
Nach dem Essen ging ich mit einer ganz bestimmten Mission in mein Zimmer.
Mit viel Sorgfalt holte ich die neue Zeichnung aus meiner Mappe für die Schule, nahm mir von meinem Schreibtisch den Tesa und kletterte anschließend mit beidem in meiner Hand auf mein Bett.
Erneut betrachtete ich das Bild.
Ich setzte mich auf mein Bett und ließ den Tesa neben mir fallen.
Wer bist du und wieso hast du so ein großes Talent?
Wie siehst du aus, abgesehen von deinen grünen Augen?
Was interessiert dich so sehr an mir, dass du mir diese Anerkennung schenkst?
Ich seufzte leise und sah nach links. Etwas über mir hing das Bild, was ich am Montag bekommen habe.
Ich würde so gerne wissen, wer hinter den Zeichnungen steckt, aber ich kann doch nicht einfach zu jedem Mädchen aus meiner Klasse gehen, mich vor sie stellen, ihr in die Augen gucken und anhand dessen entscheiden, wer es ist.
Noch weniger kann ich mich einfach vor die gesamte Klasse stellen und fragen, von wem die Bilder sind.
Ich versuchte aufzuhören mir darüber Gedanken zu machen, wer es sein könnte und wer nicht, oder wie ich es herausfinden könnte.
Vielleicht würde ich beim nächsten mal wieder einen kleinen Hinweis bekommen.
Doch bis dahin fand dieses Bild einen Platz neben dem vom Montag.
Wie viele es wohl noch werden, bis ich weiß, wer es ist?
Plötzlich klopfte es an meiner Türe.
Sofort drehte ich mich herum und setzte mich vorne an meine Bettkante.
"Ja?"
Meine Mutter öffnete die Türe.
Mit einem Lächeln auf den Lippen kam sie in mein Zimmer.
"Du hast wieder ein neues Bild bekommen", stellte sie schnell fest.
Kurz drehte ich mich herum. "Eh- Ja?"
"Die sehen beide echt gut aus"
Ich nickte. "Ich weiß"
"Wer hat sie dir gemalt?"
Ich zuckte wahrheitsgemäß mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Jemand hat sie mir in meinen Spint gelegt. Es muss eine aus meiner Klasse sein. Und sie meinte bei dem heutigen Bild, dass sie grüne Augen hat"
"Ohh, dass ist ja spannend" Meine Mutter grinste und nahm sich meinen Schreibtischstuhl, damit sie sich vor mich setzen konnte.
"Hast du denn Vermutungen, wer es sein kann?"
Erneut konnte ich ihr keine vernünftige Antwort geben. "Ich kann nur ein paar im Voraus ausschließen, wo ich weiß, dass sie keine grünen Augen haben. Aber als ob ich wissen würde, wer welche Augenfarbe hat" Kurz lachte ich.
"Wieso bist du dir denn so sicher, dass es ein Mädchen aus deiner Klasse ist? Ein paar Mädchen aus der Parallelklasse sind bestimmt auch im Kunstzweig"
"Harry weiß, wer es ist, und- nein.. Shit.. Die Parallelklasse hat immer dann Kunst, wenn unsere Klasse auch Kunst hat. Jetzt sind es noch mehr zur Auswahl", gab ich zu bezweifeln.
"Wieso bist du dir denn eigentlich so sicher, dass sie von einem Mädchen sind?", fragte sie plötzlich.
Irritiert sah ich meine Mutter an.
"Guck nicht so, Louis"
"Wie soll ich denn sonst gucken?! Wieso sollten sie von einem Kerl sein?"
"Es sind nicht nur Mädchen künstlerisch begabt", argumentierte sie.
"Mum. Ich bin hetero. Und das weiß die ganze Schule. Wieso sollte dann irgendein Kerl es überhaupt bei mir versuchen?"
"Hast du dich vor der ganzen Schule geoutet?"
Ich stöhnte auf. "Was sollen denn diese Fragen? Natürlich habe ich mich nicht geoutet, dass ich hetero bin. Aber das ist ja wohl mehr als offensichtlich. Wieso bist du überhaupt hier? Du bist nicht hier, weil du mir sagen wolltest, dass da ein neues Bild an meiner Wand hängt. Das hast du nämlich erst beim Reinkommen gesehen"
"Hat sich erledigt" Ohne mich überhaupt noch einmal anzusehen stand sie von Stuhl auf, schob ihn wieder an meinen Schreibtisch und sah erst dann wieder in meine Richtung.
"Okay?"
"Ich wollte dir sagen, dass du jetzt-" Sie machte eine Pause und seufzte. "Du bist jetzt vielleicht in einem Alter, in welchem es-"
"Mum, komm mir nicht mit dem Gerede. Ich brauch keine Aufklärung. Ich bin 18. Ich weiß wie alles funktioniert und ich will da auch als aller letztes mit dir darüber reden", unterbrach ich sie.
"Ich meine doch nicht den Sex"
"Oh Gott.. Dann kann es nur noch schlimmer werden", murmelte ich vor mich hin.
"Lass mich dir einfach sagen, dass wenn es etwas gibt, wo du denkst, dass es vielleicht neu ist.. Oder anders.. Oder sich für dich vielleicht falsch anfühlt, dann kannst du mit mir oder auch deinem Dad dafür reden. Ganz egal, was es ist"
Ich schnaufte und rieb mir meine Schläfe links und rechts.
"Mum, du solltest dir vielleicht ein Glas Wein gönnen. Du redest Unsinn"
"Ach Louis.."
"Was?" Genervt sah ich zu ihr auf. Konnte sie nicht bitte einfach aufhören zu reden? Das ist totaler Unsinn, was sie da von sich gab.
"Ist schon okay. Wann triffst du dich wieder mit Harry?"
"Ich war bei Harry doch erst gestern"
"Willst du ihn nicht mal zu uns einladen? Ich würde ihn sehr gerne mal kennen lernen"
Tief atmete ich ein und wieder aus. Wieso kann sie nicht einfach verstehen oder akzeptieren, dass ich Harry nicht mochte. Ich begreife es einfach nicht, wieso sie so sehr möchte, dass Harry auch mal zu uns kommt. Sie kennt ihn doch nicht einmal. Wieso kann sie ihn nicht einfach genauso nicht mögen wie ich, nach allem was ich schon erzählt habe.
Wenn Harry bei uns wäre, dann würde er sich bestimmt nur einschleimen und am Ende mochte ihn meine Familie mehr als mich selbst. Das ist schon ein Grund, warum Harry hier unerwünscht ist.
"Ganz klares nein. Harry und ich machen einfach nur ein Schulprojekt zusammen und das machen wir eben bei ihm. Das hat nichts mit einladen zutun und dann noch Tee trinken und Kekse essen"
"Okay, wie du meinst. Schade"
"Geh jetzt. Bitte."
Meine Mutter nickte bloß und irgendwie kam es mir vor, als wäre sie ein bisschen geknickt.
Aber das konnte doch jetzt wohl nicht daran liegen, dass ich gesagt habe, dass sie Harry nicht kennen lernen wird. Das ist doch bullshit.
"Mum?", hielt ich sie kurz vor meiner Türe doch nochmal auf.
"Ja?" Mit einem sanften Lächeln drehte sie sich herum.
"Habe ich mich verändert?", fragte ich sie.
"Wie kommst du darauf?", fragte sie zurück.
"Weil du meintest, dass wenn ich Veränderungen mitbekomme, dass ich mit dir darüber reden kann. Also, habe ich mich verändert?"
Schmunzelnd schüttelte sie ihren Kopf.
"Nein. Du bist und bleibst der Alte"
Verwirrung breitete sich in mir aus.
Was?
Erst schwafelte sie irgendwas von Veränderungen und dass sich Dinge neu oder komisch anfühlen werden und dann sagt sie, dass ich immer der Alte bleiben werde?!
Wie soll das denn zusammen passen?
[1805 Wörter]
Ja, wie soll das denn zusammen passen? Du wirst es schon noch herausfinden, Louis. Aber bis dahin brauchen wir alle noch mehr als nur ein kleines bisschen Geduld 🥴
~D 💙💚
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