Kapitel 17
~drei Tage später, 25. Dezember
"Cara, Schatz, lass dich ansehen. Oh, wie groß und hübsch du geworden bist." Meine Tante Eve nahm mich in den Arm und küsste mich auf beide Wangen. Dann wandte sie sich an Finn, streckte sich ein bisschen und wuschelte ihm durch die kurzen Haare.
Ich stand mit meinem Zwillingsbruder vor unserer grau lackierten Tür und begrüßten unsere Verwandten, die wie jedes Jahr an Weihnachten zu uns kamen.
Da waren einmal Tante Eve, die Schwester von Mom und ihr Mann Owen mit ihren Zwillingen Chloe und Amina, zwei süße kleine Mädchen, die jetzt gerade um mich herumsprangen und mich fröhlich begrüßten.
Unsere Grandma Elise, die Mutter von meiner Mutter und Grandpa Jacob, der Vater von meinem Dad waren auch gekommen. (Der Mann von Grandma Elise, Grandpa Louis war leider schon gestorben und die Mutter von meinem Dad lebte in New York, da sich die beiden getrennt hatten und Grandpa Jacob nach Chicago gekommen war)
Wir hatten eigentlich noch mehr Tanten und Onkel, aber die lebten nicht in Chicago und Umgebung, sondern in New York, wo mein Vater aufgewachsen war und eben auch immer noch meine Grandma wohnte.
In den verdammten Hamptons.
Aus dem letzten Auto, einem dunkelblauen Tesla, stiegen Onkel Mike, der Bruder von Mom und Tante Josie mit ihrer einundzwanzigjährigen Tochter Lana und ihrem sechs Jahre jüngeren Sohn Josh.
Josh war ein echter Sonnenschein, mit hellblonden Haaren und Grübchen in den Wangen. Seine Schwester Lara war das genaue Gegenteil. Sie sah zwar aus wie ein Engel, mit blonden Haaren und blauen Augen, aber sie war komplett anders.
Seit ich denken konnte stritt ich mit ihr, obwohl unsere Eltern eigentlich sicher gedacht hatten, dass wir beste Freundinnen werden würden.
Wurden wir aber nicht. Sie hasste mich und ich hasste sie auch. Sie hatte jeden Monat einen anderen Mann am Finger und hielt sich für die schönste Frau des Universums. Außerdem prahlte sie mit ihrem Geld, dass nicht sie verdient hatte, sondern ihre Eltern. Des Weiteren machte sie sich jedes Mal darüber lustig, dass ich keinen Freund hatte und als alte Frau mit zehn Katzen sterben würde.
Das war aber nicht das schlimmste an ihr, oh nein.
Jedes Mal, wenn wir uns sahen tat sie so, als ob sie eine reiche Prinzessin oder so wäre und behandelte mich wie eine verdammte Angestellte. In meinem eigenen Zuhause!
"Cara, mein Mantel", auffordernd hielt sie mir ihren beigen Mantel von Burberry entgegen, den ich zähneknirschend entgegennahm.
"Hi, Lara"
Sie stolzierte auf ihren zehn Zentimetern High Heels mit einem Nicken an mir vorbei ins Haus.
"Hey, Cara. Lara ist eine Zicke, so wie immer. Aber ich bin genauso toll wie immer", grinste mir Josh entgegen und ich nahm ihn kurz in den Arm.
"Du bist aber gewachsen, Josh", meinte ich, als ich mich von ihm löste und musterte ihn kurz.
Tatsächlich war er jetzt fast so groß wie ich und ich hätte schwören können, dass er an Thanksgiving ein paar Zentimeter kleiner war. Er grinste nur schelmisch und folgte seiner Schwester durch die offene Tür.
Nachdem alle im Haus verschwunden waren, atmete ich tief durch.
"Unsere Familie ist doch toll, oder?", sagte ich ironisch zu Finn.
Er nickte nur und meinte dann: " Du solltest dich übrigens umziehen. Deinem Tshirt nach zu Urteilen hast du Mom und Dad beim Kochen geholfen und Salatdressing gemacht. Sehr viel", er grinste mich an und ging zurück ins Haus.
Ich starrte an mir herunter und musste registrieren, dass mein helles Shirt voller dunkler Dressingtropfen.
Und so war ich der ach so perfekten und glänzenden Lara entgegen getreten. Toll.
Seufzend schloss ich unsere Haustür und lief nach oben, um mich für das Weihnachtsdinner geeignet umzuziehen.
○●○
Nachdem ich mich umgezogen, geschminkt und Will, Leslie und Liv eine Nachricht geschrieben hatte, ging ich wieder die Treppe nach unten und betrat das Wohnzimmer.
Dort saß nun meine gesamte Familie, entweder auf dem riesigen blauen Sofa, den schwarzen Sesseln oder auf den Stühlen des Esstisches.
Mom und Dad und Tante Eve, die als Köchin in einem 2-Sterne Restaurant arbeitete, befanden sich in der Küche und bereiteten das Essen fertig zu.
Lana war die erste, die aufblickte als ich ins Zimmer kam. Ihre Augen blitzen beifällig, als sie mein Aussehen betrachtete.
Anscheinend war ich nicht ganz so ein Bauerntrampel wie sonst.
Da Weihnachten war, hatte ich mich etwas stärker geschminkt als sonst und trug mein dunkelgrünes, enges Wollkleid, das ich beim ersten Date mit Will getragen hatte.
In der Mitte unseres riesigen Wohnzimmers stand eine große Nordmanntanne, die vollbehängt mit goldenen und roten Kugeln war. An der Spitze steckte ein goldener Stern, der fast so groß wie mein Kopf war.
Finn und ich hatten gestern Dad geholfen, den Baum aufzustellen und zu schmücken.
Mom hatte derweil das gesamte Haus dekoriert und jetzt kam ich mir vor wie in einem Weihnachtsladen.
Unter dem Baum lagen noch die ganzen Geschenke, denn wir würden sie erst heute Abend auspacken. Normalerweise gab es in den USA die Bescherung schon in der Früh des 25. Dezembers, da bei uns aber fast die gesamte Familie erst Mittags kam, hatten wir vor Jahren beschlossen, dass wir eben erst am Abend die Geschenke auspackten.
Als ich mich auf das Sofa setzte, fiel mir Wills kleines Päckchen ins Auge, dass ebenfalls unter dem Baum lag. Ich war wirklich so absolut gespannt, was darin war. Ich tippte auf Schmuck oder ähnliches, aber ich hatte keinen wirklichen Plan.
Sofort krabbelten Chloe und Amina zu mir und fragten mich über alles mögliche aus. Von Hast du denn ein Einhorn im Garten über Können wir nicht einfach die ganzen Ferien hier bleiben bis hin zu Hast du einen Freund war alles dabei. Ich beantwortete ihre Fragen bereitwillig, denn wir sahen uns leider nicht mehr oft und ich hatte sie echt gern.
Das konnte ich von meiner lieben Cousine Lara allerdings nicht behaupten. Sie schnaubte nur leicht, als die Zwillinge mich nach einem Freund fragten und ihr Blick sagte alles. Wer sollte denn sie wollen, wenn sie mich haben konnten.
Ich verdrehte die Augen, wurde jedoch einer Antwort enthoben, da Dad den Kopf durch die helle Holztür, die unsere Küche mit dem Wohn- und Esszimmer verband, steckte und erklärte, dass es in zehn Minuten Essen gäbe. Ich stand auf und begann, mit Finn die lange Tafel zu decken. Mom hatte schon bevor alle gekommen waren, den Tisch dekoriert, weshalb jetzt überall darauf verteilt Kränze, Kerzen und Christbaumkugeln waren.
Ich mochte den Weihnachtskitsch, allerdings war weniger manchmal auch mehr. Bei uns war es noch an der Kippe von zu viel Zeug, bei Livs Deko-Wahn in unserer Wohnung in St Louis war es schon drüber.
Ich öffnete die Schublade, in der das ganze Besteck verstaut war und griff nach Gabel, Löffel und Messer für gefühlt 100 Personen. Mit vollen Händen ging ich zum Tisch und legte es einigermaßen ordentlich neben jeden Teller.
Wenig später saß unsere gesamte Familie am Tisch, der sich unter den ganzen Köstlichkeiten fast schon bog. Unser Weihnachtsmenü war wohl das, was man als typisch amerikanisch bezeichen konnte. In der Mitte der langen Tafel befand sich der gefüllte Truthahn, der, seit ich denken konnte, von Tante Eve mit ihrem Geheimrezept, das niemand kannte, zubereitet wurde.
Überall verteilt gab es noch kleinere Schälchen und Auflaufformen, die mit Kartoffelbrei, Zwiebelkuchen, selbstgebackenen Brötchen und Bohnen-Paprika-Mais-Auflauf gefüllt waren. Den krönenden Abschluss machte das Dessert. Jedes Weihnachten gab es bei uns Cranberrie- und Applepie. Dazu hausgemachte Schokoladencookies von Dad, die die besten auf der ganzen Welt waren.
Als alle mit essen fertig waren, seufzte ich. Ich hatte sowas von ein Foodbaby, das man durch das enge Kleid klar und deutlich erkennen konnte. Aber mal ehrlich, wer hatte das an Weihnachten oder Thanksgiving nicht. Vorallem, wenn man eine Tante hatte, die einen so genialen Truthahn machen konnte. Oder einen Vater, der so leckere Cookies buk, dass man erst aufhören konnte welche zu essen, wenn keine mehr da waren.
Nachdem wir alle zusammen den Tisch abgeräumt hatten, setzten wir uns vor den Weihnachtsbaum, entweder auf die Sofas, die Sessel oder den Boden. Onkel Owen, der Mann von Tante Eve hatte sogar seine Gitarre mitgebracht und wir sangen einige Weihnachtslieder. Das war so Tradition bei uns.
Erst kamen die ganzen Lieder, dann würden wir 'Schöne Bescherung' ansehen und erst zuletzt kamen die Geschenke. Schöne Bescherung war einfach der kultigste Weihnachtsfilm, den es gab. Die ganze Geschichte über die Familie Griswold im Weihnachtsfieber war unser aller Lieblingsfilm, weshalb wir ihn jedes Weihnachten ansahen.
Außerdem spielte es in Chicago und die Griswolds waren sogar riesige Chicago Blackhawks-Fans, einer Mannschaft in der NHL. Finns größter Traum war es schon seit er fünf war, einmal bei dieser Mannschaft zu spielen. Klar, erst überhaupt in der besten Liga der Welt zu spielen war ein Ziel, aber in der Mannschaft ein Teil zu sein, die man schon seit seiner Kindheit verfolgte und schon in zig Spielen live gewesen war, war noch einmal was anderes.
Obwohl noch fünf Minuten vom Film übrig waren, wurden Amina und Chloe zunehmend hibbeliger. Als dann das Außen - Klo von Clarks Bruder explodiert und der Rentierschlitten in die Luft flog, kreischten beide laut in mein Ohr: "Geschenke!"
Sie sprangen von der Couch, liefen zum Weihnachtsbaum und setzten sich davor hin. Erwartungsvoll sahen sie uns an. "Können wir jetzt Geschenke aufmachen? Ja, bitte. Bitte?"
Die Zwillinge sahen uns aus so treuherzigen Augen an, dass wir alle natürlich ihrer Bitte nachkamen.
Chloe und Amina übernahmen die Rolle der Geschenküberbringer und reichten jedem Familienmitglied Päckchen, auf dem der passende Name stand. Die nächste Stunde versanken wir in Geschenkpapier, Playmobilspielzeug und selbstgebackenen Plätzchen von meiner Grandma aus New York.
Als eines der letzten Päckchen drückte mir Amina das von Will in die Hand. Endlich konnte ich es auspacken!
Ich riss am Geschenkpapier, wickelte es vom Päckchen und eine viereckige Schachtel kam zum Vorschein.
Ich starrte einige Sekunden darauf, bis Amina mich in die Seite stupste. "Mach schon auf, Cari" Jap, sie und Chloe nannten mich Cari.
"Ich will wissen, was drin ist", sagte jetzt auch Chloe, die zu uns auf die Couch geklettert war. Ich strich beiden durch die dunklen Haare, die sie von ihrer Mutter geerbt hatten. Sie waren einfach zuckersüß.
"Mach endlich auf, Cari", quengelte Chloe. "Jaja, ich mach schon."
Ich klappte den Deckel auf und zum Vorschein kam... eine Kette.
Sie war silber und hatte eine kunstvoll modellierte Rose mit kleinen Tautropfen, die an den Blütenblättern hingen als Anhänger.
Sie war wunderschön.
"Wow", staunten die Zwillinge und Amina strich federleicht über die Rose.
"Von wem ist die denn?", fragte sie mich dann neugierig und mit weit aufgerissenen Augen.
"Von... Will", antwortete ich ihr und lächelte glücklich.
Was seht ihr gerne an Weihnachten an?
Kevin allein zu Haus, der Grinch, oder auch Schöne Bescherung?
Ich freue mich über eure Votes und Kommentare ;)
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