
Überraschungen
Harry POV
Die Nacht in meinem alten Kinderzimmer hatte ich nicht wirklich schlafen können. Immer wieder hatte ich mich von einer Seite auf die andere gewälzt und das nicht nur, weil das Bett für mich inzwischen viel zu kurz war.
„Du siehst echt übernächtigt aus.", meine Mutter hatte einen Kaffee vor mich gestellt, klopfte mir liebevoll auf die Schulter.
„Du darfst nicht alles so schwarz sehen. Ich bin mir sicher, wenn ihr drüber redet, wird sich Louis beruhigen. Inzwischen kennst du ihn doch ganz gut. Er ist schnell auf 180, beruhigt sich aber genauso gut wieder.", ihr Lächeln, ihre mütterliche Fürsorge taten mir in dem Moment gut und als die schwarze Brühe meinen Hals hinunter lief, begann ich wieder neuen Mut zu fassen.
„Ich hoffe es sehr. Noch eine Nacht in meinem Kinderzimmerbett halte ich nämlich nicht aus.", scherzte ich und sie schmunzelte.
„Schon merkwürdig, dass du nach deinem Auszug scheinbar noch gewachsen bist. Aber ich verstehe schon, es zieht einen ja auch einfach alles zu seinem Gefährten." Ich nickte, seufzte leise.
„James kommt übrigens heute Abend zum Essen zu mir.", sagte sie plötzlich als ich gerade dabei war, mein Stück Reh zu verspeisen, was sie mir serviert hatte.
Ich runzelte die Stirn. „James?", fragte ich und als ich in ihr Gesicht sah, waren da rote Wangen und ein verschämtes Grinsen.
„Mom, willst du mir vielleicht was erzählen?", fragte ich nach und die Rädchen in meinem Kopf liefen. Sowohl Mom, als auch James hatten ihre Gefährten früh verloren. Normalerweise blieben die jeweils zurückgebliebenen Partner dann bis an ihr Lebensende allein.
„Na ja, also...", stotterte sie und Belustigung machte sich in meinem Körper breit. Meine Mutter verlegen zu sehen, war auch wirklich eine absolute Seltenheit.
„Schon in England, als ich da war, um meine Familie zu besuchen...", sie fuhr sich durch ihre dunklen Haare, sah kurz auf den Tisch.
„Wir verstehen uns gut und ehrlich gesagt...", sie hielt inne und ich schnaufte.
„Ihr fühlt euch zueinander hingezogen. Sag das doch einfach.", nahm ich ihr den schlimmsten Teil ab und sie nickte, wurde noch ein wenig röter.
„Es, es ist sogar mehr als das. Scheinbar hat die Mondgöttin es gut mit uns gemeint, nachdem wir unsere eigentlichen Gefährten verloren haben.", ich sah sie irritiert an.
„James sagt, es ist sehr selten, aber manchmal gibt die Mondgöttin einem Lykantrophen ein zweites Glück, einen zweiten Gefährten. Dazu muss wohl viel zusammen kommen, aber James und ich...", erneut gingen ihre Hände durch ihre Haare.
„James und ich sind wohl welche von den Glücklichen."
Ich sah meine Mom lange an, musste die Tatsache erstmal verdauen, dass James, der James nun quasi tatsächlich sowas wie mein Stiefvater war. Aber was, was würde das für das weitere Leben bedeuten. Würde er mein Rudel übernehmen wollen? Würde meine Mom mit ihm nach England gehen.
Wie auch immer die Zukunft aussehen mochte, in allererster Linie freute ich mich sehr für sie. Sie hatte die Jahre nach Dads Tod sehr gelitten und ich gönnte ihr so sehr jemanden an ihrer Seite, der ihr wieder Nähe und Liebe geben konnte.
„Komm her. Ich freue mich für dich!", sagte ich ehrlich, stand auf, zog sie in meine Arme. „Es ist doch toll, dass du nicht mehr allein bist! Und mit James hast du es ja auch nicht gerade schlecht getroffen.", witzelte ich und sie boxte mich spielerisch gegen die Schulter.
„Aber, aber wie wird es weiter gehen?", stellte ich dann doch die Frage, die mich scheinbar innerlich nicht losließ.
„Ich, ich werde mit ihm gehen.", sie schluckte, traute sich nicht, mich anzusehen.
Mein Herz tat weh, bei dem Gedanken meine Mom so weit weg zu wissen, einmal über den Atlantik, auf der anderer Seite. Dennoch wusste ich, dass ich nicht egoistisch sein durfte.
„Du weißt, wie ich dich vermissen werde, oder?", fragte ich, strich ihr einmal durch die Haare und hauchte ihr einen Kuss auf diese.
„Und ich dich erst Harry! Aber wir sind ja nicht aus der Welt. Und, und wir können uns gegenseitig besuchen.", ich sah, wie kleine Tränchen in ihren Augen standen, drückte sie jetzt noch fester an mich.
„Alles wird gut. Mach dir doch keine Sorgen. Genau, wir können uns besuchen und es gibt ja auch das Internet.", ich zwinkerte ihr zu.
„Das, das müsst ihr mir dann aber erklären.", sagte sie und ich grinste.
„James kann das. Er wird es dir zeigen und dann kannst du sogar Akai über den Bildschirm sehen. Das hat Louis mir gezeigt.", in dem Moment schluckte ich, atmete einmal tief durch.
„Ich, ich werde dann jetzt mal rüber gehen. Wir haben ja noch ein paar Tage, bis ihr fliegt, oder?", sie lächelte, strich mir über die Wange, so wie sie es mit mir als Kind schon gemacht hatte.
„Ja. James meinte, dass wir frühstens in zwei Wochen aufbrechen. Also genug Zeit."
XXX
Louis POV
Ich hatte Akai gegen seinen Willen frisch gemacht und noch immer knurrig war ich mit ihm in die Küche gegangen und hatte ihn dann an Liam übergeben, der mich immer noch mit einem ziemlich schuldigen Gesichtsausdruck begrüßt hatte.
Für einen Moment hatte ich ihn noch leiden lassen, weil ich inzwischen wusste, wie schwer es ihm fiel, jemanden anderen vor allem emotional zu verletzten, bis ich in anlächelte, sagte, dass ihm vergeben sei und er mich direkt in eine knochenbrechende Umarmung zog und sich tausend Mal bedankte.
„Akai ist heute ein wenig unausstehlich, dabei hat er heute seine ersten beiden Worte gesagt.", sagte ich stolz, als ich schon auf dem Weg zur Küchentür war.
„Echt? Jetzt schon? Meine Güte. Und was hat Harry dazu...", er hielt inne, schien sich selbst vor den Kopf zu schlagen.
„Er wird sich sicher freuen, wenn er davon erfährt.", korrigierte er sich schnell und ich lächelte.
„Davon gehe ich aus. Dann mal viel Spaß mit dem kleinen Quälgeist. Ich bin jetzt bei James im Büro."
Als ich nach dem obligatorischen Klopfen den Raum betrat, fand ich den älteren Alpha hinter Harrys Schreibtisch vor. Er lächelte erfreut, deutete auf den Sessel vor dem Schreibtisch und seine Augen glänzten.
„Schön, dass du gekommen bist, Louis.", seine Stimme war warm ruhig und einladend.
„Das musste ich wohl.", gab ich neutral zurück, erwiderte aber das Lächeln nicht.
„Ich wollte mit dir über gestern reden. Über den Test, warum ich die anderen quasi dazu gezwungen habe, mitzumachen.", begann er und ich lehnte mich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn auffordernd an.
In den nächsten Minuten erzählte er ausschweifend, warum er gerade diese Art des Tests gewählt hatte, warum meine Familie unbedingt mit beteiligt sein musste und der Schlüssel, damit ich schlussendlich wirklich allen verzieh, war der Satz: „Dein innerer Wolf hätte den Test sofort durchschaut, wenn deine Familie nicht involviert gewesen wäre. So war der Instinkt einfach größer, hat sich über das logische Denken hinweg gesetzt und du hast nur gehandelt. Somit haben wir dich und deine Kräfte pur und unverfälscht erlebt. Das war die einzig wirkliche Möglichkeit deine Gefährlichkeit einzuschätzen."
„Trotzdem war und bin ich immer noch sauer. Irgendwie.", ich kratzte mich im Nacken.
„So hintergangen zu werden...", er nickte, sah mich entschuldigend an.
„Das wissen wir und es tut uns allen auch wirklich leid. Und was ich versprechen kann, sowas wird nie wieder vorkommen. Dennoch hat es im Prinzip schon alles ausgesagt, was wir wissen mussten, damit die anderen Rudel dich auch weiterhin in ihrer Mitte anerkennen. Das war das Notwendigste. Nun müssen wir schauen, wie wir deine Fähigkeiten kanalisiert bekommen, wie du sie sinnvoll einsetzen kannst."
Ich räusperte mich, setzte mich ein wenig anders hin. „Akai, also...", begann ich und sah, wie James bereits die Augenbrauen hob.
„Er hat, also... er hat wohl die Fähigkeiten auch. Zumindest die, die einen positiv beeinflussen können. Gestern, er hatte auch silberne Augen, während er mich im Gesicht berührt hat und ich war innerhalb von Sekunden von meiner extremen Wut befreit, fühlte ich wohlig und ruhig."
„Oh.", der Alpha schluckte, nahm einen Schluck aus der Tasse vor ihm. „Das ist verdammt früh.", er drehte den Kopf hin und her, bis es knackte.
„Aber er ist sowieso ein besonderes Kerlchen. Seine Entwicklung geht rasend schnell. Er kann schon fast laufen, in Menschenform.", ich hob die Hand, unterbrach ihn somit.
„Und er hat vorhin seine ersten zwei Worte gesagt. Nicht ganz deutlich, aber trotzdem gut zu verstehen.", warf ich ein und er atmete ein paar Mal tief ein.
„Puh. In Ordnung.", er versuchte, sich scheinbar zu sammeln. „Dann... also... werden wir nicht nur dich und deine Fähigkeiten in den nächsten zwei Wochen testen, sondern auch Akais. Gerade bei ihm müssen früh die Weichen gestellt werden, weil er ja noch nicht über ein entsprechendes Wissen verfügt, wie man sich möglicherweise in Situationen auch beherrschen kann."
Ich nickte. Da hatte er verdammt Recht. Wenn Akai auch diese Wutausbrüche von mir geerbt hatte, dann könnte bei einer Trotzreaktion schnell mal das Haus in Schutt und Asche liegen.
XXX
Das Gespräch mit James hatte mir gutgetan. Die Einordnung noch einmal, die Übernahme der Schuld, dass er wirklich die anderen dazu gedrängt hatte, bei der Aktion mitzumachen, ließ alles noch einmal in einem anderen Licht erscheinen.
Dazu hatte er mir noch erklärt, wie wir die nächsten Tage damit verbringen würden, meine Fähigkeiten weiter auszuprobieren, zu verfeinern und das Gleiche mit Akai versuchen würden. Das das sicher nicht so einfach werden würde, war mir klar, aber James hatte da entgegen meiner eher skeptischen Ansicht nur gegrinst und gemeint, ich solle ihn machen lassen.
Als ich in die Küche zurückkam, fand ich jedoch nicht wie erwartet Liam und Akai vor. Die sah ich durchs Fenster im Garten herumtoben, stattdessen saß am Esstisch Harry, der mich mit leicht unsicherem Blick ansah.
„Hi.", sagte ich nur und sah, wie er tief einatmete.
„Lou, Kickuwi...", wollte er beginnen, doch ich schüttelte nur den Kopf, lächelte.
„Ich weiß, dass es dir leid tut und inzwischen habe ich auch begriffen, dass es sein musste. Das heißt nicht, dass ich es gut heiße, von euch allen angelogen und hinters Licht geführt zu werden, aber ich kann den Grund nachvollziehen."
Seine grünen Augen rissen auf, wurden größer und größer. „Und deshalb brauchst du dich auch nicht noch einmal zu entschuldigen. Ich habe dir verziehen, genau wie allen anderen. Es war eine unschöne Aktion, die wir nun aber hinter uns lassen. Außerdem, außerdem hab ich dich trotz allem vermisst.", sprach ich das aus, was mein Herz mir gerade zuflüsterte und mit den Worten begann er zu strahlen.
„Und ich dich erst!", er erhob sich langsam, fast als hätte er Angst, dass ich ihn stoppen würde, doch ich wollte ihn gar nicht stoppen. Machte selbst die Schritte auf ihn zu, die noch zwischen uns waren, und ließ mich an seine breite Brust fallen.
„Ich liebe dich, Kickuwi.", seine Arme umfingen mich, drückte mich an sich und ich lächelte.
„Ich dich auch, auch wenn du oftmals ein Idiot bist.", ich schob mich etwas weg, sah ihn von unten an. „Trotzdem möchte ich dich nicht missen.", ich stellte mich auf Zehenspitzen, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, ehe ich mich von ihm weg drückte.
„Ich muss dir noch etwas erzählen.", sagte ich und er runzelte kurz die Stirn, ehe er mich neugierig ansah.
„Was denn?", fragte er auch direkt.
„Also, na ja, heute morgen...", begann ich und sah wieder durchs Fenster nach draußen, wie Akai als kleiner Wolf nach Liam, der als Mensch unterwegs war, zu schnappen. „Akai hat seine ersten Worte gesagt."
Es war einen Moment still in der Küche, scheinbar musste die Information erst sacken.
„Was?", Harry sah mich vollkommen schockiert an. „Aber das ist doch noch viel zu früh."
Ich grinste. „Das ist noch nicht alles. Er, er hat auch die Gabe, wie ich. Seine Augen werden silbern, er kann wie ich Gefühle beeinflussen.", haute ich ihn nun endgültig aus den Latschen und tatsächlich taumelte er vollkommen überwältigt zum Stuhl und ließ sich darauf fallen.
„Darauf, darauf war ich jetzt nicht vorbereitet.", stammelte er und ich lächelte.
„Ich war es auch nicht, glaube mir. Aber unser Sohn ist etwas ganz ganz Besonderes!"
„Das ist er, meine Lieben. Ich bin froh, dass ihr wieder zusammengefunden habt!", James kam in die Küche dazu, sah von Harry zu mir. „Ihr seid eine ganz besondere Familie, mit sehr vielen Fähigkeiten. Die Mondgöttin muss sich dabei etwas gedacht haben."
„Ja, da wäre ja dann auch noch etwas...", Harry sah zu James, wackelte einmal auffällig mit den Augenbrauen.
„Meine Mom und du seid auch etwas besonderes.", er sah den alten Alpha direkt an, der schmunzelte.
„Sie hat es dir also gesagt?", fragte er und Harry nickte.
„Was gesagt?", hakte ich nach, hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen.
„Meine Mom und James. Die Mondgöttin hat ihnen eine zweite Chance, einen zweiten Gefährten gegeben.", ließ er die Bombe platzen und nun war auch ich sprachlos.
„Ja, so habe ich auch geguckt.", gab Harry zu, lachte. „Willkommen in der Familie, James.", sagte er dann, ging auf seinen neuen Stiefvater zu, der ihn anstrahlte.
„Genau das Selbe wollte ich zu dir sagen, mein Junge.", er öffnete die Arme und drückte den Jüngeren fest an sich.
„Ich fasse es alles nicht. Das ist wie ein ganz verrückter Traum.", murmelte ich und die beiden lachten.
„Das denken wir auch manchmal, nicht wahr, Harry?", James strich sich einmal durch die Haare.
XXX
Sternchen gedrückt? ❤️
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