Schuldig
Harry POV
Ich sah mich nicht um, wollte nicht sehen, dass ich die beiden jungen Betas, die meinen Gefährten angegriffen hatten, zerfetzt hatte und diese nun auf dem Boden des Trainingsplatzes lagen.
Mein innerer Wolf hatte nicht gezögert als ich die Szenerie gesehen hatte. Mir war die Kontrolle völlig entglitten und nur noch mein Instinkt hatte das Handeln übernommen.
Die Jungen hatten keine Chance, aber darüber würde ich mir später Gedanken machen.
Ich stieß mit meinem Fuß die Tür zum Arzt unseres Rudels auf, der gerade an seinem Schreibtisch saß.
„Oh Mondgöttin!", rief er nur, als ich den blutenden Louis auf die Behandlungsliege legte und stürzte auf uns zu.
„Was ist passiert?", fragte er, begann sofort die Vitalwerte zu prüfen, leuchtete seine Augen und fühlte den Puls.
„Er wurde von ein paar Halbstarken angegriffen, als er versucht hat, einen Streit zu schlichten.", gab ich von mir, während ich argwöhnisch beobachtete, wie Luke die Kleidung meines Gefährten aufschnitt und seine Augen über die Wunden gleiten ließ.
„Seit wann ist er ohnmächtig?", fragte er mich nun und ich räusperte mich.
„Er ist zusammengeklappt, als er die Leichen gesehen hat.", ich atmete tief durch und war Luke dankbar, dass er dazu nichts weiter sagte, sondern nur nickte und ein EKG Gerät anschloss, um sein Herz zu überwachen.
„Leg ihm bitte die Blutdruckmanschette um. Das Kabel muss in der Armbeuge nach unten laufen. So fest, dass es nicht herunter rutscht, aber nicht zu fest.", wies er mich an und ich gehorchte. Er war der Arzt und für mich wirklich eine Art Gott in Weiß. Er hatte meinen vollen Respekt und wenn er mir Anweisungen gab, befolgte ich sie sofort und ohne Widerworte. Ich vertraute ihm vollkommen.
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Nachdem er Louis eingehend untersucht hatte, das EKG vor sich hin piepte und auch das Blutdruckgerät sich immer mal wieder aufpumpte, bevor es Werte auf dem Monitor ausspuckte, hatte ich mich auf einen Stuhl gesetzt, der am Fußende der Liege stand.
Unser Arzt war der einzige, der auf dem wirklich neuesten menschlichen Stand der Technik war. Mir war es damals wichtig gewesen, dass wir hier, abseits von allem eine gute Versorgung hatten, und so war Luke, der sich schon früh dafür interessiert hatte in Seattle gewesen und hatte dort Medizin studiert und anschließend die Praxis eröffnet. Er war unglaublich engagiert, und ich war froh, ihn hier zu haben.
„Es sieht ganz gut aus, nichts was sein Leben akut gefährden würde. Die Verletzungen werden relativ schnell heilen. Ich habe alles gesäubert und jetzt wird sein Wolf den Rest machen. Natürlich dauert es wesentlich länger bei ihm als Omega, als bei dir als Alpha. Das er noch nicht bei Bewusstsein ist, liegt vermutlich an dem Schock. Einmal, dass er angegriffen wurde und dann...", er stockte, schluckte. „Wirst du vermutlich die beiden Angreifer...", er sprach es nicht aus, aber ich nickte.
„Wir müssen einfach etwas warten. Ich lege ihm eine Infusion für den Kreislauf und ich überwache ihn engmaschig, bis er wieder richtig bei Bewusstsein ist. Er hat, wie ich denke, viel Glück gehabt, Alpha. Zwei Betas die als Wölfe einen Omega in Menschenform angreifen..."
Ich nickte, sah wie Luke eine Decke aus dem Schrank holte, die er vorsichtig über meinen Gefährten legte. Er lächelte mich aufmunternd an. „Soll ich dir einen Kaffee machen?"
„Das wäre toll.", sagte ich und schloss die Augen, linkte Liam, um zu erfahren, ob er die Spuren beseitigt hatte.
Er antwortete, dass er noch dabei wäre und die Eltern der Jungen um ein Gespräch baten. Das würde sicher schwer werden. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie sie sich fühlten. Aber es gab klare Regeln in diesem Rudel und die Luna anzugreifen war mit der Todesstrafe belegt. Die hatte ich, wenn auch eher unfreiwillig, direkt ausgeführt.
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Ich saß bereits zwei Stunden am Bett, blickte immer noch stumm auf Louis, dessen Augen noch geschlossen waren, als seine Hand anfing zu zucken.Sofort setzte ich mich aufrechter, stand dann auf und setzte mich neben ihn.Ganz vorsichtig griff ich nach seiner Hand, nahm sie ihn meine und streichelte sanft über den Handrücken.
„Wo, wo bin ich?", die Augen öffneten sich und verwirrt sah er sich um.
„Du bist bei Luke, unserem Rudelarzt. Wie fühlst du dich?", fragte ich leise und lächelte ihn an.
„Was genau ist...", begann er und dann schossen bereits Tränen in seine Augen.
„Alles ist gut. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.", ich beugte mich zu ihm, zog ihn vorsichtig an mich, doch da begann das EKG wie verrückt an zu piepen.
Sofort stürzte Luke ins Zimmer und atmete erleichtert auf, als er sah, dass Louis wach war und scheinbar nur eine der Elektroden sich gelöst hatte.
„Ich lasse euch noch einen Moment allein. Ich komme gleich wieder.", sagte er, nickte mir zu und verließ den Raum.
Louis konnte sich kaum beruhigen und ich hatte keine Ahnung, was ihn gerade so aufwühlte. War es der Angriff selbst oder das ich die Beiden...
„Was ist los. Bitte sag was dich beschäftigt, dann kann ich vielleicht helfen.", versuchte ich es, doch er schüttelte nur den Kopf, drückte sich von mir weg und sah mich an, als wäre ich ein Monster.
„Geh weg.", fiepte er und versuchte weiter nach oben zu rutschen, weg von meiner Person.
„Nein. Ich kann nicht gehen, Louis.", ich bemühte mich, ganz sanft zu klingen, doch auch das nützte nichts, die blauen Augen waren einfach nur noch weit und panisch aufgerissen.
„Ich weiß, es war eine schlimme Erfahrung, aber mein Wolf hat nur getan, was getan werden musste. Sie haben dich, meinen Gefährten, die Luna dieses Rudels angegriffen und hätten dich vermutlich getötet, wenn ich nicht gekommen wäre. Es ist nicht schön und ich fühle mich damit auch nicht gut, aber ich musste handeln. Bitte Louis. Ich tue dir nichts. Wirklich.", ich merkte, wie sich leichte Verzweiflung in mir aufbaute, als er laut schniefte und jetzt auch noch einen Schluckauf bekam, der den schmächtigen Körper durchschüttelte.
Zum Glück kam da Luke wieder herein, hielt eine Spritze mit einer durchsichtigen Flüssigkeit in der Hand.
„Ich denke du brauchst ein wenig was zur Beruhigung.", sagte er mit einem Lächeln, als er zur Liege trat und Louis ansah. „Mein Name ist Luke. Ich bin der Arzt hier. Ich weiß, du hast etwas Schlimmes erlebt und das hier...", er hielt die Spritze hoch, „Wird dir helfen, damit fertig zu werden.", er nahm Louis Hand in der der Zugang lag und spritze die Flüssigkeit hinein.
Mein Gefährte machte keine Anstalten, sich dagegen zu wehren und nach relativ kurzer Zeit sah ich, wie sich sein Zustand langsam beruhigte, er begann ruhiger zu atmen und dann auch wieder seine Augen zu fielen.
„So ist es gut.", hörte ich den Arzt flüstern, bevor er seufzte. „Eindeutig ein Schock. Das war wirklich zu viel. Er ist mit so etwas nicht aufgewachsen. Vermutlich hat er noch nie einen echten Kampf gesehen und schon gar keinen Krieg zwischen zwei Rudeln erlebt. Das muss er erstmal verarbeiten, das wird Zeit brauchen, Alpha."
Ich nickte, wusste, was er meinte. „Er sollte hier bleiben über Nacht. Wir bringen ihn ins Krankenzimmer und ich würde vorschlagen, dass sein bester Freund, Zayn heißt er doch herkommt und bei ihm bleibt. Deine Anwesenheit ist erstmal vielleicht nicht die beste Idee.", seine dunklen braunen Augen sahen mich unsicher an, aber ich wusste, dass er Recht hatte.
„Du hast Recht. Ich helfe dir, ihn um zu betten und dann hole ich Zayn hier her. Er braucht Zeit, das ist mir klar. Verdammt, wie konnte sowas nur überhaupt passieren?", ich ließ den Kopf hängen, bevor ich ihn schüttelte. „Lass uns anfangen, ich muss mit den Eltern der Jungen reden. Wir werden sehen, ob wir dann zwei Familien weniger haben, weil sie das Rudel verlassen wollen, oder ob sie nachvollziehen können, warum ich so gehandelt habe."
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Als ich in mein Haus zurückkam, saßen bereits die Eltern der beiden Jungen in meinem Wohnzimmer. Liam stand am Kamin und blickte aus dem Fenster.
Von den beiden Müttern war leises Schluchzen zu hören und mir tat es im Herzen weh sie so zu sehen. Sie gehörten zu meinem Rudel und ich war es jetzt, der ihre Kinder getötet hatte.
„Alpha.", Liam sah zu mir, nickte mir zu. Sofort lagen vier Augenpaare auf mir und ich straffte mich. Jetzt musste ich wirklich der Alpha sein, der Rudelführer.
„Es tut mir leid um eure Söhne, aber sie haben meinen Gefährten, die Luna des Rudels angegriffen und massiv verletzt, obwohl er nur versucht hatte ihren Streit zu schlichten. Mein Wolf hat die Kontrolle übernommen und sie haben die Strafe bekommen, die angemessen ist, wenn ein Rudelmitglied den Gefährten des Alphas angreift.", ich sah den Vätern in den Augen, die traurig die Köpfe hängen ließen aber dennoch nickten.
„Sie waren noch so jung.", brachte Brittany heraus, putzte sich die Nase.
„Ich weiß.", sagte ich nur. „Aber alt genug für ihr Handeln gerade zu stehen. Sie haben ihm nicht mal vorher gedroht. Sie sind direkt auf ihn drauf, in Wolfsform, während er in Menschenform war und haben ihn schwer verletzt. Er liegt bei Luke auf der Krankenstation.", sagte ich bitter und ging zu dem kleinen Tischchen, auf dem eine Karaffe mit Whiskey stand, die mir mein Vater vererbt hatte. Ich goss mir ein großes Glas ein und trank es auf Ex.
„Es tut mir leid, Alpha.", Pete stand auf, sah mich direkt an. „Wir wissen, dass du im Sinne des Rudels gehandelt hast und wir wissen, dass dein Wolf deinen Gefährten schützen wollte. Die Jungs waren wirklich alt genug, ihr Handeln abschätzen zu können. Sie kannten die Regeln. So schwer es auch für uns als Familien ist. Wir machen dir keinen Vorwurf."
Erstaunt sah ich die anderen drei an, die zwar Tränen in den Augen hatten, aber nickten.
„Sie waren zuletzt kaum zu bändigen. Nick hat oftmals seine Mutter angeknurrt.", kam es leise von Timon und auch Pete nickte. „Auch Cole war kaum mehr kontrollierbar. Er war immer aggressiv. Vielleicht ist es...", er schluckte und ich senkte den Blick auf den Boden.
„Halten wir sie in guter Erinnerung.", sagte ich nur, brach somit das Gespräch ab und die beiden Paare standen mir nun gegenüber.
„Ich stelle es euch natürlich frei, das Rudel zu wechseln. Ich könnte verstehen, wenn ihr mit mir als Alpha nicht mehr leben möchtet.", mir wurde kalt, eiskalt als ich auf die Antwort wartete.
Diese fiel dann auch anders aus, als ich erwartet hatte. „Wir bleiben, Alpha. Du warst immer fair und gut zu uns. Du hast immer im Sinne des Rudels gehandelt, hast nie unnötig und übermäßig Vergehen bestraft. Nein, wir möchten bleiben.", alle nickte und ich rang mir ein Lächeln ab.
„Ich danke euch und es tut mir unglaublich leid, für euren Verlust. Ich bin für euch da, wenn ihr mich braucht."
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Nachdem die Tür zugefallen war, ließ ich mich vollkommen erschöpft auf das Sofa sinken, meinen Kopf in den Händen blickte ich auf den Fußboden.
„Ich weiß, du wolltest es nicht.", Liam setzte sich neben mich, legte eine Hand auf meine Schulter. „Aber es ist normal, dass du als Alpha und Gefährte dein Gegenstück mit dem Leben beschützt. Mach dir bitte keine Vorwürfe. Es ist passiert und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist jetzt wichtig, dass du dich um Louis kümmerst.", er sah mich an und ich lachte bitter auf.
„Er hat mehr Angst vor mir denn je. Die Situation war an sich schon schlimm genug, der Angriff. Aber das ich die beiden Jungen umgebracht habe. Er hat ihre Leichen gesehen, Liam.", meine Stimme war nur ein Flüstern und entgegen meiner eigentlich starken Alphapersönlichkeit tropften kleine salzige Tränen auf meine Wangen.
„Er wird es verstehen. Ich werde mit ihm sprechen. Bitte Harry, gib jetzt nicht auf. Es ist schwierig, das ist es sicher. Aber nicht unmöglich. Deine Mutter hat vorhin angerufen, sie wird übermorgen in Seattle landen und ich werde sie vom Flughafen holen. Ihr Besuch beim Rudel in England ist vorbei und ich denke, dass sie die richtige Person ist, zwischen Louis und dir zu vermitteln. Sie wird ihm helfen können, sich einzugewöhnen. Anne ist ein besonderer Mensch und du wirst sehen, alles kommt in Ordnung, du musst nur daran glauben.
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An diesem Abend ging ich tatsächlich nicht mehr rüber zu Luke und zu Louis. Liam hatte die beiden besucht und mir nur mitgeteilt, dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Mein Gefährte war bei Luke bestens versorgt und Zayn würde auch die Nacht bei ihm bleiben und auf ihn acht geben.
Leider war das nicht so einfach, die Gedanken kreisten, mein innerer Wolf war rastlos und so stand ich um kurz vor 12 in der Nacht auf und verwandelte mich. Durchs Dunkel lief ich in den Wald, rannte so schnell, dass mir der Wind durchs Fell pfiff und mir die Augen tränten.
Doch auch die Bewegung schaffte es nicht, den Schmerz zu lindern, der in mir tobte. Ich war so froh gewesen, dass wir uns langsam annäherten, dass wir Schritte aufeinander zu machten und jetzt? Jetzt war alles dahin. Ich hatte ihn mit meinem Eingreifen zwar vor Schlimmeren bewahrt, ihn aber andererseits so weit von mir entfernt, dass es weiter nicht hätte sein können. Ein Gefährte, der Angst vor dem Anderen hatte, wie sollte das nur funktionieren?
Ich ließ mich in das Laub fallen, begann laut zu heulen. All meinen Schmerz und meine Verzweiflung schrie ich mit den Lauten in die Nacht und nur kurz danach hörte ich entfernt aus dem Dorf mein Rudel antworten. Sie waren bei mir, mit den Gedanken, mit ihrer Treue. Etwas, was mir Mut machen sollte, für die nächsten Tage, für die nächsten Wochen. Ich musste es schaffen, Louis von mir zu überzeugen, ansonsten würden wir beide verenden und mein Rudel mit uns.
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Sternchen? :)
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