013 ― Kein zurück mehr
Die nächsten Tage verhielten sich Teresa, Thomas, Rachel, Aris und Kaya so unauffällig wie sie konnten. Jeder ging seiner Arbeit nach, sie wechselten lediglich Blicke oder unterhielten sich über belanglose Themen. Nachts, nachdem Teresa gefälschte Aufnahmen in die Videokameras eingelegt hatte, trafen sich Thomas, Teresa, Newt, Alby, Minho, Chuck, George, Nick und Kaya im Kellergewölbe. Die Gruppe schlich durch die Gebäude, setzten sich aufs Dach oder redeten im Keller Stundenlang über alles, was ihnen in den Sinn kam.
Marys Entlassung hatte für reges Entsetzen unter den ANGST- Mitarbeiterin gesorgt, doch Janson hatte seine Lügen gerade so zurechtgelegt, dass es wirkte, als habe sie selbst beschlossen, ANGST zu verlassen.
Am Abend des siebzehnten Tages nach Marys Entlassung sollte jedoch alles eine drastische Wendung nehmen.
"Kaya! Mach auf!"
Ruhelos hämmerte Thomas gegen ihre Zimmertür. Das Mädchen sprang hastig auf, riss die Tür auf und ließ Thomas ein.
"Was in aller Welt..-", entfuhr es ihr, als Thomas, bewaffnet mit Laptop und den Plänen, die sie mit Mary erarbeitet hatten in ihr Zimmer stürmte.
"Mach die Tür zu!", rief er in einem Ton, der keinen Wiederstand duldete.
Kaya schloss ihr Zimmer ab, dann folgte sie Thomas an ihren Schreibtisch, an dem Thomas bereits alles ausgebreitet hatte.
"Warte...So.", murmelte der braunhaarige konzentriert, dann erkannte Kaya, was er vorhatte.
Auf dem Bildschirm vor ihr erschien Mary. "Kannst du uns hören?", erkundigte sich Tommy. "Klar und deutlich.", antwortete Mary nickend.
"Mary! Wo..? Wie...?-"
Kaya verstand die Welt nicht mehr.
"Nach meiner Entlassung", begann die ehemalige ANGST Mitarbeiterin, "Habe ich mich erstmal ein bisschen in der Stadt aufgehalten, bis Vince mich gefunden und bei sich aufgenommen hat. Er - und eine Menge andere - retten Kinder vor ANGST, noch bevor sie zu den ersten Eignungstests missbraucht werden. Aber jetzt zum wesentlichen."
Kaya hätte keinen blassen Schimmer, wer Vince sein mochte, aber die Verblüffung darüber, wie leicht der Ärztin die, wenn auch unfreieillige, Flucht gelangt war, war viel größer, als das Verlangen danach, zu wissen, wer der unbekannte Retter sein mochte.
"Hast du die Pläne, Thomas?", wollte die braunhaarige auf dem Bildschirm wissen. "Alles hier. Also, der Anfang sollte problemlos so laufen, wie geplant. Bloß...-"
"Das Ende. Der Berk, mein Teil fehlt.", ergänzte Mary wissend.
"Ja, genau.", bestätigte Thomas nachdenklich.
"Also, hört mal gut zu, ihr zwei.", Mary rückte ein Stück näher an die Kamera, dann fuhr sie fort:"Wenn ihr am Nordtor seid, erledigt ihr die Wache. Dann lauft ihr aus Denver hinaus, immer geradeaus. Ihr gelangt irgendwann zu einem Schild, auf dem
Der Sichere Hafen steht. Das ist die zweite Variable von ANGST, die nach dem Labyrinth vorgesehen ist.
Berks werden euch folgen, wenn Janson schlau genug ist. Aber Vince und ich werden da sein und euch einsammeln. Wie viele werdet ihr sein?"
"Etwa...150 Probanden... und Teresa, Kaya...Aris, Rachel, wenn wir die beiden bis dahin überreden konnten, und ich.", gab Thomas zur Antwort. Die Ärztin nickte.
"Wann seid ihr so weit?", forschte sie.
"In...sagen wir...drei Tagen.", beschloss Thomas. Kaya schluckte. Drei Tage? Ist das nicht etwas zu spontan?
Doch dann fiel ihr ein, dass sie das Risiko, ihre Freunde zu verlieren nur ausweitete, je länger sie blieben.
"Das sollte machbar sein. Gut. Dann..-"
Doch plötzlich zerriss das Bild, der Empfang schwand. "Mary?", fragte das blonde Mädchen unsicher. "Ihr müsst nur..-", kam die Stimme der Ärztin stammelnd bei
ihnen an. "...Labyrinth. ANGST wird...Erinnerungen...-"
Stille. Ihr Bild verschwand und der Bildschirm wurde pechschwarz.
"Verdammt.", fluchte Thomas.
"Egal, wir wissen was zu tun ist, Tommy. Drei Tage."
Thomas nickte.
"Mary hat mich gebeten, ihr so viele Informationen wie möglich zu beschaffen..."
"Dann bereiten wir alles für unseren Aufbruch vor. Ich überrede Aris und Rachel. Sie leiteten schließlich Gruppen B und C, und wir können sie nicht zurücklassen. Ich kümmere mich um Gruppe A, du sagst Gruppe D bescheid, klar?"
Thomas nickte:"Ja, mache ich. Ich führe das nächste Check-Up der Gruppe D morgen durch. Dann bleiben den Probanden noch etwa zwei Tage, um die wichtigsten Vorbereitungen zu treffen."
Kaya's Herz klopfte wie wild. Sie würden es tun. Sie würden es schaffen. Auf ins Paradies.
Drei Tage trennten sie von dem, was auf sie wartete. Gut, drei Tage, mehrere Wachen, Janson und...Ava Paige.
Der Gedanke an ihre Mutter würgte ihr die Luft ab.
Kaya's Mutter war kein schlechter Mensch. Aber ihr Herz schlug für die Forschung, was durch die Verluste, die sie hatte erleiden müssen nur bestärkt wurde. Doch ANGST machte einen Fehler, wenn sie weiter so vorgingen, wie sie es derzeit taten. Und Ava unterstützte diese Vorgehensweise inzwischen.
Kaya hätte ihre Mutter nie hassen können, aber das Verständnis, welches sie als fünfjährige gehabt hatte, war mit der Zeit drastisch abgeklungen und sie hatte der Wahrheit ins Gesicht blicken müssen.
ANGST ist nicht gut.
Die wichtigste und zugleich bedrückendste Erinnerung an die Organisation, von der sie einst all ihre Hoffnungen abhängig gemacht hatte.
Thomas verließ sie bald darauf und Kaya schmiss sich müde in ihr Bett.
Der Gedanke daran, die zufriedenen Gesichter zu sehen, wenn Newt, Chuck, Nick und Alby...ja sogar Sonya ihr neues Zuhause erreichten, zauberte Kaya ein Lächeln ins Gesicht. Die Strapazen, um dieses Ziel zu erreichen, wirkten für den Bruchteil einer Sekunde beinahe nebensächlich.
Und so gelang es Kaya in dieser Nacht doch noch ruhig einzuschlafen.
Das nervtötende piepsen eines Alarms weckte sie. Es war stockfinster, die Welt schlief und niemand schien sich um den Alarm zu kümmern.
Genervt setzte sich Kaya in ihrem Bett auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen, während sie auf eine Art von Reaktion auf den Alarm wartete. Doch es geschah nichts.
Geschlagene fünf Minuten piepste es, immer und immer wieder.
Genervt knurrend erhob sich Kaya und tapste auf ihre Zimmertür zu. Der Türgriff war eiskalt und stach wie eine Wespe in ihre Finger, während sie in hinunterdrückte, um durch einen Spalt in den Flur zu spähen.
Doch alles, was sie erkannte, war eine endlose Spur an roten tropfen.
"Ist da jemand?", wisperte sie heiser, doch bekam keine Antwort.
Langsam und vorsichtig folgte sie der Spur, die aus dem Hochsicherheitstrakt führte und auf ihrem Weg immer dicker zu werden schien. Sie führte an Büros und Behandlugszimmern vorbei, bis zum Schlafsaal der Gruppe A.
Kaya öffnete die Glastür, die Zimmertüren standen weit offen.
Eine rote Pfütze flutete den weißen Boden, die grauen Türen waren Blutbefleckt.
"Chuck? Alby? Minho? Newt?"
Niemand antwortete.
Langsam, verängstigt und unsicher näherte sie sich der Tür der zweiten Schlafsaals.
Leere klaffte ihr entgegen. Auch die übrigen Schlafsäle waren leer.
Ihre Fußsohlen färbten sich rot, während sie durch den Flur watete, doch auch der sechste und letzte Schlafsaal war wie leergefegt.
Plötzlich spürte sie, dass jemand den Flur betreten hatte.
Eine blonde Gestalt stand ihr gegenüber, die Augen bloß blutende Höhlen, die Lippen Rau und aufgesprungen. "Warum hast du das getan, Kaya?", flüsterte Newt, "Warum? Ich dachte, wir würden dir etwas bedeuten. Ich würde dir etwas bedeuten."
Kaya wollte etwas antworten, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Und auf einmal verwandelte sich Newt's leeres und trauriges, blutverkrustetes Gesicht in die Rattenartige Visage Jansons.
"Weil du eine egoistische Lügnerin bist, Kaya.", lachte er gehässig, zog eine Waffe, richtete sie direkt auf Kaya und drückte ab.
Schweißgebadet saß Kaya kerzengerade in ihrem Bett und ihr Atem war ein unregelmäßiges japsen.
"Nur ein Traum. Ein blöder Albtraum.", redete sie auf sich ein.
Aber wenn die Flucht misslingt, entgegnete das Hirn, wird es die Realität, Dummerchen.
"Was soll das heißen, wir gehen ins Paradies?", fragend hob Alby eine Augenbraue. "Ich habe es doch schon drei mal erklärt. Ihr müsst nichts mitnehmen. Zieht euch einfach irgendetwas bequemes an, Pulli und Hose. Fertig. Ich hole euch ab. Wir verschwinden von hier."
"Wir? Nur wir?", das ganze wirkte ziemlich suspekt auf Gally. "Nein, Gruppen B, C und D kommen mit. Und Thomas, Rachel, Aris und Teresa.", erwiederte Kaya.
Die Jungen saßen im Kreis um sie herum, grübelten und schienen nicht sehr überzeugt von der Idee, die Kaya hatte.
"Ich denke, wir sollten es zumindest versuchen.", pflichtete Newt ihr bei.
"Und dabei draufgehen?", fragte Alby.
"Sie werden euch nicht töten. Wenn wir Pech haben, enden wir genau da, wo wir jetzt sind. Aber wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, sitzen wir in zwei Tagen in einem Berk auf dem Weg ins Paradies.", verneinte Kaya seine Befürchtung.
"Paradies, mh? Hört sich gar nicht so übel an.", stellte Nick fest.
"Also haben wir nichts zu verlieren, oder?", erkundigte sich George.
"Nein. Entweder Paradies, oder das selbe Leben wie jetzt gerade.", stimmte Kaya zu, auch wenn ihre Überzeugung bloß Hoffnungen waren.
"Dann versuchen wir es. Wir alle.", meinte Alby und sah dann fragend durch die Runde. Obwohl einige Jungen aussahen, als sei ihnen der Plan immer noch nicht geheuer, stimmten am Ende doch alle zu.
Thomas hatte Gruppe D ebenfalls überzeugt, und nach einem sehr langen Gespräch zwischen Kaya, Rachel und Aris stimmten auch sie und ihre Gruppen, B und C, zu.
Jetzt gibt es kein zurück mehr.
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