009 ― Nächtliche Spaziergänge
Mary's Worte spukten Kaya jetzt schon den ganzen Abend durch ihre Gedanken. Es gibt immer einen Ausweg, Kleines. Immer. Und unserer...unserer ist das Paradies.
Das Paradies. Was das wohl sein mochte? Kaya wusste es nicht. Ihre Neugier machte sie wahnsinnig, doch Mary war, nachdem sie Kaya ihre Lösung offenbart hatte, samt Tablett aufgestanden und war, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aus dem Speisesaal gegangen.
Das Gespräch war inzwischen einige Stunden her. Nun saß Kaya in ihrem Zimmer, an ihrem Schreibtisch, und ließ nervös einen Stift durch ihre Finger gleiten.
Dann hielt sie es nicht mehr aus.
Sie musste wissen, was Mary mit dem Paradies meinte. Also sprang Kaya auf, schmiss dabei den Stift zurück auf den Tisch, griff im Gehen nach ihrem weißen Kittel und war froh, dass sie vor lauter grübeln vergessen hatte, sich bettfertig zu machen.
Mary's Schlafsaal lag am anderen Ende der Etage, auf der auch der Schlafsaal von Gruppe A zu finden war. So eilte Kaya eine Treppenstufe nach der anderen hinunter, bis sie den Flur erreichte, der zu Mary's und dem Schlafsaal von Gruppe A führte.
Sie wollte gerade die Tür öffnen, da hörte sie plötzlich Schritte. Dann Stimmen. Minho. Alby. Dachte Kaya. Dann antwortete jemand. Teresa? Was in aller Welt macht Teresa bei den Jungs?? Verwirrung machte sich in Kaya breit. Dann öffnete sie vorsichtig die Tür.
"Was zum Teufel macht ihr hier?"
Erst jetzt erkannte sie, dass nicht nur Minho, Alby und Teresa, sondern auch Thomas im Flur standen. "Alby? Thomas? Minho? Was geht hier vor sich?", platzte es aus Kaya herraus. Ihre Irritation stand ihr wie auf die Stirn geschrieben. "Was machst du hier?", entgegnete Alby nun. "Das spielt doch gar keine Rolle, wo wollt ihr hin?"
"Da rein!", flüsterte Minho plötzlich energisch und schob Thomas, Alby und Teresa in das Treppenhaus, in dem Kaya stand. Dann waren Schritte, genau aus dem Flur, aus dem soeben auch die kleine Ausreißer-Bande kam, zu hören. Die Nachtwache.
Kaya schloss die Tür so langsam und leise sie konnte.
Die Schritte wurden zunächst immer lauter, dann wieder leiser. "Ich glaube, sie sind weg", meinte Thomas schließlich.
"Ja, ich denke auch-", stimmte Kaya zu, "aber was macht ihr überhaupt hier? Und wie seid ihr", sie sah erst zu Teresa, dann zu Thomas, "überhaupt aus euren Zimmern herausgekommen?"
"Die Türen sind nicht mehr verschlossen, Kaya. Keine Ahnung, warum nicht. Und...wir sind auf dem Weg zu...zu Newt und den anderen."
"Den anderen? Wo sind die denn? Und warum sind sie nicht auf ihren Zimmern? Ihr wisst doch, dass ihr überwacht werdet!"
"Ja, klar wissen wir das. Deshalb fälscht Teresa ja auch die Videoaufnahmen. Die anderen sind im Keller. In einem kleinen Technikraum, da ist nie irgendwer. Wir...wir treffen uns dort. Schon seit einer Weile. Immer mal wieder.", gab Minho schließlich zu. "Schon seit einer Weile?", Kaya gab es nicht gerne zu, aber irgendwie war sie auf einmal eifersüchtig. "Ja. Naja, seit zwei Monaten vielleicht. Wir...erkunden das Gebäude. Und...naja, Newt schaut vom Dach aus immer wieder in den Schlafsaal von Gruppe B. Sonya, du weißt schon."
Kaya nickte, wissend, dass Newt sich immer wieder zu seiner Schwester schlich.
"Komm' einfach mit", meinte Alby schließlich, öffnete die Tür wieder und die kleine Gruppe eilte in Richtung Keller.
Dort angekommen fiel Kaya fast aus allen Wolken. Nick saß, eine Chipstüte in der Hand, auf einem der Regale in der kleinen Abstellkammer, während Newt davor saß und einen Tennisball immer wieder gegen eine Wand prallen ließ.
"Da seid ihr ja endl- Kaya? Was...was machst du denn hier?", George, Nick's bester Freund, der neben ihm auf dem Regal saß, sah sie verwirrt an. "Kaya?", Newt hob verwirrt seinen Blick, dessen Ausdruck von verwirrt auf ertappt zu schuldbewusst wechselte.
"Wieso habt ihr mir das nie erzählt? Von euren heimlichen Treffen, meine ich?"
Kaya fühlte sich irgendwie mies. So...alleingelassen.
"Naja, wir haben gedacht du...weil du für ANGST arbeitest...naja...", druckste George herum. "Tut uns leid, Kaya, aber du...naja als Mitarbeiterin von ANGST..."
Kaya nickte. Wäre sie in der Position ihrer Freunde, hätte sie es sich vermutlich auch zweimal überlegt, sie einzuweihen. Immerhin war sie Tochter der stellvertretenden Leiterin des Instituts, nicht so wie Thomas und Teresa, die selbst noch Probanden waren, und nur klug genug waren, um für ANGST zu arbeiten.
"Jetzt bist du ja aber hier", freute sich Chuck. Den kleinen, pummeligen Lockenkopf hatte Kaya fast übersehen. "Kommst du jetzt öfter?", fragte er dann, und sah erwartungsvoll durch die Runde. "Klar tut sie das, nicht wahr, Frau Doktor?", entgegnete Newt schließlich. Niemand schien etwas dagegen einwenden zu wollen. Kaya grinste zufrieden.
Stunden verstrichen. Die kleine Gruppe redete über alles - ihre Vergangenheit, ANGST, die Labyrinthe und ihre Zukunftsträume. Irgendwann wurde Chuck müde und trat mit Nick und George, die schon eine Weile lang ununterbrochen gegähnt hatten, den Weg in sein Zimmer an.
Nun blieben nur noch Thomas, Teresa, Minho, Kaya, Alby und Newt zurück.
"Wollen wir auf's Dach?", fragte Newt plötzlich. Alby sah Kaya forschend an. "Was? Auf's Dach? Seid ihr verrückt?", gab diese zur Antwort. "Haben wir schon oft gemacht, keine Sorge.", kam es von Minho. "Na klasse, das klingt ja beruhigend.", raunte Kaya, ließ sich schlussendlich aber doch breitschlagen.
Die Gruppe lief einen Flur entlang, von wo sie zu einer schmalen, metallenen Leiter gelangten. Nacheinander kletterten sie diese hinauf. Oben angekommen spürte Kaya - zu ihrer Überraschung - eine recht kühle Briese. Newt half ihr, auf das Dach zu klettern. Dann, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, staunte sie nicht schlecht:
Der Ausblick war atemberaubend. Hinter ihr die glänzenden Dächer Denvers, die Sichere Zone, deren Mauern in weiter ferne mächtig trohnten. Zwischen den Wolkenkratzern fand sie immer wieder die leuchtend-blaue Aufschrift "ANGST " sowie "ANGST ist gut!".
Vor ihr öffnete sich ein weiter Blick auf Berge, die unter dem Nachthimmel in blau-grau vor ihr lagen. "Schön, nicht wahr?", fragte Alby. Kaya nickte, als ihr Blick zu ihm glitt. Neben Alby standen Thomas und Teresa. Sie hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, er seinen Arm um ihre Hüfte. Nur Freunde dachte Kaya amüsiert und wandte ihren Blick dann wieder den Bergen zu. "Meint ihr, es gibt da draußen noch was? Irgendwas? Oder...irgendwen?", wollte Minho wissen. Er hatte sich inzwischen auf den Rand des Dachs gesetzt, seine Beine baumelten von der Kante. "Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es.", murmelte Teresa. Kaya schluckte. Das Paradies, dachte sie. Sie hatte Mary zwischen all dem trubel völlig vergessen.
"Cranks, viellecht", stellte Alby schlicht und emotionslos fest.
"Ihr könnt ja schonmal welche kennenlernen.", ertönte plötzlich eine tiefe, dunkle, fremde Stimme im Hintergrund. Kaya erschrak so sehr, dass sie sich an das nächst beste etwas krallte, das sie fand: Newt.
Diesen schien das aber nicht zu stören, also ließ Kaya ihn auch nicht los. Minho war ebenfalls aufgesprungen. Die kleine Gruppe stand nun, dicht an dicht, am einen Ende des Daches und wurde vom Kegel der Taschenlampen, die die in schwarz gekleideten Wachmänner auf sie richteten, erfasst.
"Nehmt sie mit und bringt sie in die Crank-Grube-", knurrte der Fremde. "Randall Spilker", wisperte Thomas und griff nach Teresa's Hand. Er kannte den Fremden also. "-den da nicht. Er ist nicht Immun."
Randall deutete auf Newt.
"Schickt Kaya auf ihr Zimmer, ich informiere Paige."
Kaya wäre erleichtert gewesen, hätte sie nicht gewusst, was nun auf ihre Freunde wartete. Die Crank-Gruben befanden sich unter dem ANGST Hauptquartier. Es handelte sich um Käfige, in denen Cranks, also durch den Brand-Virus Infizierte, gehalten wurden, wie Zootiere. Amgeblich, um ihre Entwicklungsstadien zu beobachten. Und zu eben diesen Crank-Gruben sollten Minho, Thomas, Alby und Teresa nun geführt werden...
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