Ich sehe rot
❝Hoffnung ist das Einzige, das nie enden sollte.❞
Flackernd erwacht die Flamme zum Leben. Ich halte meine dreckverkrusteten Hände daran und hoffe, dass sie aus ihrer Kältestarre erwachen würden. Genau wie mein restlicher Körper. Ich versuche, mich ganz auf die Funken zu konzentrieren, denn in dem spärlichen Licht wirkt der Wald noch bedrohlicher als am Tag. Es raschelt. Es knackt. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ist das ein Bär oder doch nur der Wind? Oder gibt es etwa doch Geister? Ich verfluche Nana dafür, dass sie mir solche Geschichten ins Ohr geflüstert hatte, als wir noch in einem sicheren und warmen Bett schliefen.
Ich versuche, meine Gedanken in die Gegenwart zurückzuholen, denn wenn ich zu lange in der Vergangenheit verweile, werden die Tränen zurückkommen. Also starre ich fokussiert ins Feuer. Irgendwo höre ich einen einsamen Vogel krächzen. Der Wind, der in den Baumkronen singt, streichelt auch mein Gesicht.
Schließ die Augen, flüstert er mir zu.
»Aber ich muss doch wachbleiben, bis Nana wiederkommt! Ich habe es ihr versprochen«, murmele ich, doch mein Widerstand sinkt mit jeder Minute, die Nana fortbleibt. Ich spüre, wie meine Glieder schwer werden und meine Augen zuzufallen drohen.
Schlaf, wispert der Wind schon aus weiter Ferne...
•••
Auf einmal wird es hell, sodass ich meine geblendeten Augen zukneifen muss. Hinter meinen geschlossenen Lidern ist es rot. Mein Atem geht hektisch. Beruhige dich... Plötzlich packt mich jemand fest am Arm. »Was stehst du hier so rum?«, schreit Nana mich an, während sie sich gehetzt umschaut. »Wir müssen hier-« Doch ihr Satz wird von einem heftigen Husten unterbrochen. »Verdammt«, murmelt sie. »Wo ist Mama?« Sie schüttelt mich am Arm, Tränen sammeln sich in ihren Augen. »Wo ist Mama?«, wiederholt sie mit brechender Stimme, während sie mich rausbugsiert.
Raus aus dem Haus, raus aus den Flammen, weg von Mama...
Mit jedem Atemzug dringt mehr Rauch in meine Lunge. Mein Gehirn fühlt sich so nebelig an ... Ich stolpere über meine eigenen Beine. Mir fallen die Augen zu. Auf, zu, auf, zu. Hell, rot, hell, rot. Aus dem Augenwinkel sah ich einen Schatten. Mama? Nana macht eine hektische Bewegung. Habe ich das laut gesagt? Tränen laufen über ihre Wangen, und auch über Nanas. In meinem Inneren ist es ganz still. Ich glaube, Mama sieht mich und Nana an. Oder? Ich bin mir nicht sicher. Es ist zu viel Rauch vor meinen Augen. Doch, sie schaut zu uns. Ihre Lippen fangen an, sich zu bewegen. Die Worte dringen in mein leeres Gehirn. Nana schluchzt auf.
»Flieht. Zu Magda. Ich werde versuchen, einen anderen Weg zu finden. Schaut nicht zurück. Flieht!«
Mama führt ihre Hand zum Herzen, während wir uns entfernen. Ich schließe die Augen und sehe rot.
Raus aus dem Haus, raus aus den Flammen. Weg von Mama...
•••
»Mama!«
Ich schrecke hoch. Wo bin ich? Wo ist Mama? Suchend blicke ich mich um. Sonnenlicht bricht sich in den Blättern. Ich sehe vereinzelt Tiere. Und neben mir hockt Nana. Sie stochert frustriert in der Asche herum. Aber ihr Blick geht in die Ferne, also denkt sie bestimmt an etwas anderes. Jetzt sieht sie mich an. Ihr Blick ist hart, zu hart für eine 17-jährige. Sie sieht aus wie eine Kriegerin.
»Mama ist nicht hier.« Ihre Stimme klingt belegt. »Aber wenn wir uns beeilen, sind wir bald bei Magda. Dann können wir endlich wieder etwas Richtiges essen.«
»Und Mama kommt auch dahin?«, sage ich, aber es klingt mehr wie eine Frage.
Nana presst ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und sieht weg.
»Ich habe ein paar Nüsse und Beeren aufgetrieben. Iss soviel du willst. Danach brechen wir auf. «
Sie steht auf und geht langsam weg.
»Nana! Mama kommt doch? Sie hat es selbst gesagt!« Meine Unterlippe bebt.
Nana seufzt und kommt zu mir zurück. »Mach dir keine Sorgen. Sie wird kommen. Hoffentlich...« Es klingt, als würde sie mehr mit sich selbst sprechen, und ich schaue sie skeptisch an. »Nein, wirklich. Alles wird gut.« Sie umarmt mich kurz. Sie riecht verbrannt und traurig.
•••
Es ist spät am Tag, als wir ankommen. Ich fühle mich müde, außerdem tun mir die Beine weh. Nana klopft an die Tür, an der sogleich Magda erscheint. Sie guckt erschrocken.
»Na Kinder, was ist denn mit euch passiert? Kommt schnell rein ins Warme, ich mache euch erstmal einen Tee!«
Sie scheucht uns ins Haus. Es ist wirklich warm und gemütlich und gar nicht rot. Doch sie führt uns ins Wohnzimmer, mit einem offenen Kamin. Im Wald konnte man die Gedanken verdrängen, aber Feuer in einem Haus? Nana erstarrt und wird blass. Ich werde auf einmal müde. Wir sind Stunden gelaufen. Ich taumele zum Sofa. Schließ die Augen .... Schlaf...
•••
In meinem Traum sehe ich Mama. Sie rennt.
•••
Meine Augen fühlen sich klebrig an. Wie lange habe ich geschlafen? Mein Körper fühlt sich immer noch müde an. Mühsam setze ich mich auf. Aus dem Nebenzimmer höre ich Nana und Magda. Ich schlurfe zur Tür.
»Und die fremden Soldaten kamen so plötzlich. Sie sind einfach in unser Dorf gestürmt und haben es angezündet. Jedes einzelne Haus. Überall waren Flammen. Und Mama ... Ihr Weg war versperrt. Der einzige Weg nach draußen!«
Nana schluchzt auf. Ich luge durch den Türspalt.
»Mama?«, frage ich leise.
Magda fährt zu mir herum und lächelt mich an, doch ihre Augen passen nicht dazu. Nana wischt hastig über ihr Gesicht.
»Was ist Mama? Ist etwas passiert? Sie wollte doch kommen!«
Magda winkt mich zu sich, und ich nehme auf ihrem Schoß Platz.
»Weißt du, ich erzähle dir jetzt mal etwas.«
»Über Mama?«, falle ich ihr ins Wort.
»Über die Hoffnung.«
Ich sehe sie erwartungsvoll an.
»Hoffnung kann vieles sein. Sie erhellt deine Gedanken und lässt die Sonne strahlen. Sie begleitet dich dein Leben lang. In deinen dunkelsten Zeiten ist sie bei dir. Du darfst sie umarmen, sie berühren, ja, dich sogar an ihr festhalten. Aber vergiss niemals, dass die Hoffnung nicht die Wahrheit ist! Klammer dich also nicht zu fest an sie. Denn zu hoffen ist eine flüchtige Angelegenheit. Viel zu schnell wird sie zerstört. Verlass dich nie zu sehr auf sie. Trotzdem darfst du nie aufhören, hörst du, niemals! Verliere die Hoffnung nicht.«
•••
Es dauert Jahre, bis ich begreife, dass sie nicht kommen wird.
Es dauert nochmal so lange, bis ich mich damit abgefunden habe.
Und jetzt, zehn Jahre später, schaue ich in die kleinen Augen des ersten Lichtblickes in all dieser Zeit. »Jetzt habe ich noch eine Schwester«, hauche ich ehrfürchtig und wiege Nanas Tochter sanft in meinem Arm. Nana und ihr Freund machen einen Spaziergang. Magda sitzt im Schaukelstuhl und döst. Ich trete zu ihr und lege sanft das Baby in ihren Schoß.
»Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben«, sage ich leise.
Die Sonne versinkt zwischen den Hügeln.
Ich lege die Hand aufs Herz, schließe die Augen und sehe rot.
°°°
1125 Wörter
LinaewenFinduilas
Das erste Mal seit langem, dass ich die tausend Wörter geknackt habe xD
Ich hatte den ganzen Tag das Lied „Running to the sea” im Kopf, also ist das Ende entsprechend... semi-gut. Ich hoffe trotzdem, dass ich das Thema „Hoffnung” gut getroffen habe.
Danke fürs Lesen. Ich wünsche euch eine schöne Woche :)
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